Dürr, Hans-Peter:
Materie, Bewusstsein und Wirklichkeit
QUANTENWELT
Zugrunde
liegen drei Referate des Quantenphysikers Hans-Peter Dürr, die er 2006 in
Villach hielt („Das Lebendige lebendiger werden lassen“), 2009 in Wolfsburg
(„Die Welt als bewusste Verbundenheit“) sowie 2011 in Wolfsburg („An der Grenze
des Erkennens – Spirituelle Elemente in der Naturwissenschaft“). Sie werden
hier inhaltlich zusammengefasst und komprimiert wiedergegeben.
Prof. Dr. Dr. h.c.
Hans-Peter Dürr ist ein weltweit bekannter deutscher Physiker und bedeutender
Sprecher der Umwelt- und Friedensbewegung. Bis Herbst 1997 war er Direktor des
Max-Planck-Instituts für Physik in München als Nachfolger von Werner
Heisenberg, mit dem er 1958 bis 1976 zusammen arbeitete. Später widmete er sich
zunehmend erkenntnistheoretischen und gesellschaftspolitischen Fragen.
Für
seine Kritik der Strategischen
Verteidigungsinitiative und seine Arbeit, hoch entwickelte Technologien für
friedliche Zwecke nutzbar zu machen, wurde er 1987 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
Die internationale Gruppe Pugwash, der er angehört, erhielt 1995 den
Friedensnobelpreis. Im Jahr 2004 wurde ihm der Große Verdienstorden der BRD
verliehen. Dürr besitzt internes Wissen über die Kopenhagener Gruppe um Albert
Einstein und Niels Bohr.
Kernphysiker
wollen wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. So fragte sich auch
Dürr, was eigentlich hinter der Materie steckt. Er spaltete sie in immer
kleinere Teile in der Hoffnung, irgendwann auf das Wesentliche zu stoßen. Doch
nach 50 Jahren Forschung kam er zu dem verblüffenden Ergebnis: Das Wesentliche
liegt nicht in der Materie, sondern die gibt es eigentlich gar nicht. Was wir
für Materie halten, ist in Wirklichkeit Bewusstsein.
Die
neue Erkenntnis ermöglichte ihm tiefe Einsichten in das Weltgefüge und lieferte
wichtige Impulse für ein neues Weltbild. Dürr bekennt, sein ganzes Forscherleben
an etwas gearbeitet zu haben, das es gar nicht gibt, von dessen Existenz aber
alle überzeugt waren und es für die Grundlage der Naturwissenschaften hielten.
In dieser Annahme entwickelten die Wissenschaftler immer neuere Atommodelle, während
sie die Materie in immer kleinere Teile zerlegten.
Bereits
1925 entstand ein neues Weltbild durch die Quantenphysik, das jedoch anfangs
selbst von ihren Begründern nicht begriffen wurde. Einstein erhielt zwar den
Nobelpreis für seine Quantenberechnungen, zweifelte aber an seinen eigenen Ergebnissen
und ihren Konsequenzen. Er wandte sich auch gegen Heisenbergs Theorie der
Unschärfe. Tatsächlich herrscht jedoch in der Quantenwelt eine mehrwertige
Logik, die nicht nur Ja oder Nein enthält, sondern dazwischen ein Sowohl-als-auch.
Unsere
schizophrene Situation heute ist: Wir besitzen die Technologie des 20. Jahrhunderts,
folgen aber noch den Denkweisen des 19. Jahrhunderts und wollen damit das 21.
Jahrhundert gestalten. Dürrs Fazit aus diesem Dilemma: Wir müssen lernen, auf
neue Weise zu denken.
Inwiefern
ändert die Quantentheorie unsere Überzeugungen? Welche Konsequenzen ergeben
sich für unsere gegenwärtige Situation, die voller Krisen ist? Für Dürr sind
diese Krisen die Folge einer völlig falschen Vorstellung von der Welt. Wir
haben uns selbst gefesselt und in ein viel zu enges Weltbild drängen lassen,
das keine Lösungen anbietet.
Viele
Menschen haben den Eindruck, dem Untergang entgegen zu gehen und nichts dagegen
tun zu können. Aus den Fesseln dieses engen Weltbildes müssen wir uns lösen.
Dazu brauchen wir neue Lebensimpulse und die Bereitschaft, Spontanität in
unsere verknöcherte Welt zu bringen, aus der es scheinbar keinen Ausweg gibt.
Um
dieser Starre zu entkommen, müssen wir zuerst verstehen, dass wir uns gar nicht
in einer Sackgasse befinden. Es sind keine unüberwindlichen Mauern, sondern nur
ein paar gedankliche Zäune zu überwinden, um das Lebendige in uns zu befreien.
Der Weg zu den Lösungen heißt Entkrampfung, Lockerung und Öffnung gegenüber
neuen Impulsen.
Vor
allem müssen wir wieder die spirituelle Dimension unserer Existenz erkennen,
die wir verdrängt haben. Dazu brauchen wir keine Esoteriker zu werden, sondern
Spiritualität ist etwas ganz Vertrautes, zu dem wir alle Zugang haben. Viele
haben es nur noch nicht bemerkt. In die gleiche Richtung führen auch jene
naturwissenschaftlichen Überlegungen, die nicht die Materie als Basis unserer
Wirklichkeit annehmen.
Ein
spirituelles Fundament unserer Wirklichkeit statt eines materiellen ist schwer
zu begreifen, denn schon der Ausdruck „Fundament“ ist an die Vorstellung einer
„Substanz“ gebunden. Besser wäre es, eine Quelle alles Lebendigen im Grunde
unserer Wirklichkeit anzunehmen. Es ist unsere Aufgabe, diese Lebendigkeit zu
fördern, um den nötigen Freiraum zu gewinnen, in dem wir unsere Probleme lösen
können.
Die
Zukunftsfähigkeit ist eine zentrale Aufgabe für das Überleben der Menschheit.
Nachhaltigkeit heißt die gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Wir
brauchen eine neue Orientierung, um handeln und gestalten zu können, denn wir
alle besitzen die schöpferische Fähigkeit, Dinge zu verändern. Die sollten wir
auch gebrauchen.
Allerdings
dürfen wir uns nicht mehr im Rahmen der alten Weltvorstellung als ein Rädchen
in einem automatisch ablaufenden Getriebe verstehen. Wenn sich unsere
Gesellschaft verändern soll, dann stellt sich die Frage: Wer sind die Akteure,
die das bewirken können? Viele haben eine Vorstellung davon, was getan werden
müsste, aber wer setzt es auch durch?
Für
Dürr ist klar: Wir alle müssen es gemeinsam tun. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen,
dass irgendwelche Kräfte von außen kommen, etwa aus der Regierung oder gar aus
der Wirtschaft. Die sind uns eher im Wege. Aber wir können vielleicht einige davon
überzeugen, dort verstärkend einzuwirken, wo der Mensch im Mittelpunkt steht
und nicht die Technik. Wenn wir die Technik fördern, vergessen wir dabei, zu
leben.
Die
gesellschaftlichen Herausforderungen betreffen äußere und innere Probleme.
Äußerlich zeigt sich, dass das Wirtschaftsgeschehen eine Eigendynamik
entwickelt und zu einer Destabilisierung führt. Das wird nicht absichtlich
herbeigeführt, aber dennoch geraten wir in einen Teufelskreis, aus dem es kaum
noch ein Entrinnen gibt. Der Teufelskreis enthält nicht mehr die Werkzeuge, die
aus ihm hinaus führen. Daher muss uns etwas genial Neues einfallen.
Außerdem
sind wir dabei, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören. Viele
Menschen glauben noch immer, dass wir quasi über der Natur stehen und mit ihr
machen können, was wir wollen. Sie sehen nicht, dass die Menschheit in ein größeres
Ganzes eingebettet ist. Doch wenn wir diese Ganzheit zerstören, sind wir die ersten,
die abstürzen.
Auch
Gerechtigkeit und Friede sind heute weiter entfernt als je zuvor, und wir
wissen nicht, wie wir da heraus kommen. Die meisten halten Gerechtigkeit und
Frieden für irreale Visionen. Sie glauben, dass die Wirklichkeit eben so ist,
dass es immer ungerecht und friedlos zugeht. In der Natur scheint immer der
Mächtigste zu überleben, und die anderen gehen zugrunde. Das sind aber
grundfalsche Vorstellungen, die mit unserem falschen Welt- und Menschenbild
zusammen hängen.
Schwer
wiegt auch der Verlust der geistigen Dimension. Viele wissen gar nicht mehr,
was das ist. Aber wir können in dieser Welt nicht allein vom materiell
Greifbaren leben. Manche halten sich für rational und glauben nur das, was
beweisbar ist. Dabei ist es gar nicht möglich, auch nur eine Sekunde so zu
leben. Andere glauben, alles zu kennen, ohne jedoch wirklich etwas verstanden
zu haben – und trotzdem leben sie weiter, weil da doch noch etwas ist, das
ihnen den Weg zeigt. Im Hintergrund wirkt immer eine Beziehungsstruktur, die
alle Funktionen in Gang hält.
Das
nächste Problem ist die Inkonsistenz zwischen Denken, Technologie und zukünftigen
Erfordernissen. Unsere Denkweise ist immer noch die alte, in der wir die Welt
als eine Maschine betrachten. Das ist jedoch ein überholtes mechanistisches und
materialistisches Weltbild. Die heutige Technik basiert dagegen auf den Errungenschaften
der Quantenphysik vor etwa hundert Jahren und der Vorstellung, dass Materie
eigentlich Energie, letztlich Geist und Information ist.
Obwohl
die moderne Physik unsere Technik beherrscht – nämlich die Mikroelektronik, die
Atombomben und die Chemie –, hat die neue Sichtweise nicht Fuß gefasst. Wir
denken noch wie im 19. Jahrhundert, obwohl wir Technologien aus dem 20.
Jahrhundert haben, und damit wollen wir das 21. Jahrhundert gestalten. Das ist
unser Problem heute.
Marxismus
und Kapitalismus sind ebenfalls Denkmuster des 19. Jahrhunderts. Als der
Marxismus unterging, hätte man eigentlich erwartet, dass kurz darauf auch der
Kapitalismus verschwindet, weil er die Welt in der gleichen primitiven Weise
versteht. Das ist jedoch nicht geschehen, und die Kapitalisten glauben nun,
weil sie übrig geblieben sind, hätten sie die richtige Sichtweise. Das ist aber
ganz und gar nicht so.
Unsere
heutige Technologie erfordert eine Didaktik, damit wir sie erlernen und verstehen
können, bevor wir sie betreiben. Aber es gibt noch keine Lehrer, und wir wissen
gar nicht, was da im Hintergrund passiert, wenn wir z.B. unseren Computer benutzen.
Wir haben zwar eine vage Vorstellung, können es aber in der alten Sprache nicht
benennen. Die neue Technologie funktioniert nur mit neuem Denken. Das ist uns
aber nicht bewusst, und mit dem falschen Denken geht es in den Graben.
Diese
Diskrepanz ist auch ein Grund für unsere Frustration, die wir ebenso empfinden
wie unsere Politiker. Sie behaupten, wir müssten die Welt so akzeptieren wie
sie ist, und es gebe keine Alternative zur neoliberalen Wirtschaftstheorie. Das
ist reiner Fatalismus, dem wir entgegentreten müssen. Fatalismus bedeutet
Fantasielosigkeit und darüber hinaus ein Unverständnis dessen, was eigentlich
hinter dieser Welt steht.
Warum
hängen wir so an dem alten materialistischen, mechanistischen Weltbild? Weil es
begreifbar ist. Materie ist etwas, das ich mit den Händen greifen kann. Materie
besitzt eine begrenzte Oberfläche, ich kann sie mir nehmen und Besitzansprüche
anmelden. Die besitzbare Materie führte in der industriellen Entwicklung zur
Manipulation der Dinge und zu verschiedenen Eigentumskonstellationen. Ein
Tausch besteht darin, dass etwas aus meiner Hand in eine andere Hand geht.
Das
Grundprinzip unserer Entwicklung ist der Wettbewerb, der eng mit dem alten
Weltbild verknüpft ist. Wettbewerb heißt, ich muss schneller sein als der
andere. Aber zu welchem Zweck? Das ist sekundär. Unsere Situation ist durch ein
Wettrennen charakterisiert, bei dem einer schnell läuft und der andere ihn
überholen muss. Aber niemand achtet auf die Richtung.
Wenn
man jemandem sagt: „Das ist die falsche Richtung, sie führt zum Abgrund“, dann
antwortet er: „Störe mich nicht, ich muss meinen Gegner erst überholen. Die
Richtung kann ich dann ändern, wenn ich vorne bin.“ Doch wenn er vorne ist,
blickt er nur zurück aus Angst, nun seinerseits überholt zu werden.
Wir
müssen uns wieder Ziele suchen und überlegen, zu welchem Zweck wir das eigentlich
machen. Dazu brauchen wir Menschen, die sich orientieren können und Einsicht in
ihr Umfeld haben, in das sie existentiell eingebettet sind. Das ist unsere augenblickliche
Schwierigkeit.
Überholte
Weltbilder führen dazu, dass wir Menschen uns außerhalb der Natur sehen, als
etwas von der Natur Verschiedenes. An dieser Naturvergessenheit sind auch die
Religionen beteiligt. Durch die Art und Weise, wie wir uns über die Natur erhoben
und Gott ähnlich wurden, haben wir die Natur erniedrigt. Der Mensch betrachtet
die Natur nur noch als nützliches Objekt – obwohl er weiß, dass er selbst in
sie eingebettet ist. Die Vorstellung der Trennung müssen wir überwinden.
Die
falsche Sichtweise führt zu einer Überschätzung unserer Fähigkeiten („Machbarkeit“),
andererseits zu einer Unterschätzung unserer Möglichkeiten. Beispielsweise
haben die neuen Naturwissenschaften gezeigt, dass es eine strenge Naturgesetzlichkeit,
wie wir sie uns früher vorgestellt haben, nicht gibt. Hinter den Dingen steht
eine Verbundenheit, die eine gewisse Offenheit aufweist. Diese Offenheit
erfordert kreative Lebensformen und gibt uns die Möglichkeit, auf die Welt
einzuwirken. Kreativität ist eine Eigenschaft, die überall in der Natur zu
finden ist.
Unsere
Situation ist viel günstiger, als wir dachten. Die Offenheit des Systems können
wir nützen, um Einfluss zu nehmen. Wir handeln und agieren immer vor einem
Hintergrund, der ein vages Wissen bereit hält bzw. Ahnungen, aus denen heraus neue
Ideen entstehen. Die Ahnung selbst kommt jedoch aus einer anderen Welt als
unserer konkreten, in der wir die Dinge begreifen.
Diese
andere Welt enthält auch die Offenheit. Die neuen Einsichten zeigen, dass wir
kreative Fähigkeiten haben, weil die Kreativität überhaupt eine universelle
Eigenschaft ist. Wichtig ist nur, dass wir sie auch benutzen. Es liegt in
unserer Hand, die Zukunft zu gestalten, denn wir wissen jetzt, dass sie nicht
völlig durch Naturgesetze fixiert ist.
Statt
zu warten, was die Zukunft bringt, sollten wir lieber überlegen, welche Zukunft
wir haben wollen. Prinzipiell sind alle Möglichkeiten vorhanden, und mit einer
Vision können wir uns diesen Möglichkeit annähern. Nicht allein, aber mit
anderen zusammen.
Es
gibt so viele prächtige Menschen, für die es sich lohnt, eine Zukunft zu
entwerfen. Wegen ein paar Verrückter sollten wir diese nicht opfern. Natürlich
gibt es auch viele Mitläufer, die unsinnige Dinge mitmachen, obwohl sie im
Grunde wissen, dass auch eine andere Welt denkbar wäre. Sie sehen nur keine
konkrete Möglichkeit dazu.
Weisheit
ist nicht auf wenige begrenzt, wir alle haben die Veranlagung zum Homo sapiens
sapiens, der sich seiner selbst bewusst ist. Aber viele betrachten sich nicht
als selbstbestimmte Individuen und geben sich auch keine Mühe, sich zu
entwickeln. Wer spricht schon von verantwortlich handelnden und ihr Leben
selbst gestaltenden Bürgern? Wir reden nur von Arbeitsplätzen und
Wirtschaftsfaktoren. Die Menschen werden hinter dieser sterilen Sprache gar
nicht mehr gesehen.
Jeder
von uns ist einmalig und kann einen Beitrag leisten. Die Technik sollte uns
Menschen zur Entfaltung verhelfen, statt dass wir ihr hinterher laufen, um
ihren Anforderungen zu genügen. Das geht völlig am wirklichen Leben vorbei.
Wer kümmert sich wirklich um
die Zukunft? Zukunftsfähigkeit erfordert nämlich auch Nachhaltigkeit. Wir
wollen ja die Robustheit und Elastizität in der Welt bewahren, nur nicht ihren
augenblicklichen Zustand. Die angelegte Dynamik, Vitalität und Produktivität
wollen wir fördern, damit sich die Welt in Richtung Lebendigkeit weiter entwickelt.
Als
Albert Schweitzer in Afrika einmal mit dem Kanu auf einem Fluss von Nilpferden
bedrängt wurde, bekämpfte er sie nicht, sondern sagte sich: „Ich bin Leben, das
leben will, inmitten von Leben, das auch leben will.“ Ähnlich sollten wir die
eigene Lebendigkeit immer im Zusammenhang mit der Lebendigkeit um uns herum zu
sehen. Wir sollten den Prozess der Dynamik erhalten und das Lebende lebendiger
werden lassen, jedoch nicht auf Kosten der Lebendigkeit anderer Wesen oder
unserer Umwelt.
Das
bedeutet, dass wir nicht nur den einzelnen Menschen betrachten sollten, sondern
die Lebendigkeit des ganzen Biosystems, in das wir eingebettet sind. Die Nachhaltigkeit
betrifft drei Ebenen: Es geht um die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen,
das Zusammenleben der Menschen in Frieden und Gerechtigkeit sowie ein gutes und
lebenswertes Leben.
Dürr
folgt damit der 3-Säulen-Theorie von Ökologie, Gesellschaft und Ökonomie. Allerdings
beschränkt er die Ökonomie nicht auf die materiellen Grundlagen des Menschen,
sondern strebt seine volle Entfaltung als homo sapiens an. Es geht ihm nicht um
das physische Überleben allein, sondern um die optimale Entwicklung unserer
emotionalen und geistigen Potenzialität, die unsere Persönlichkeit formt und
unsere Eigenart ausmacht. Jeder hat die Gabe und das Recht, dies für sich zu
fordern.
Völlig
verkehrt wäre es, die Ökonomie an die erste Stelle zu setzen, weil man glaubt,
zunächst für optimale Wettbewerbsverhältnisse sorgen zu müssen. Dann wird an
zweiter Stelle die Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen Probleme gerichtet
und schließlich ganz am Schluss, soweit noch genügend Kraft vorhanden, will man
sich gleichsam im Sinne einer Dekoration auch noch um die Natur kümmern.
So
geht das nicht. Die Prioritätenfolge muss genau umgekehrt sein. Die Natur ist
das Fundament, in das die Menschheit als Spezies existenziell eingebettet ist.
Wir dürfen die natürlichen Lebensgrundlagen nicht zerstören, damit sich die
Menschen in dieser Welt gesund entwickeln können. Das Individuum darf nicht nur
ein Rädchen im Getriebe sein, sondern muss sich in seiner Eigenart entfalten
können, um als verantwortlicher Träger der Gesellschaft einen angemessenen
Platz zu finden.
Deshalb
muss die übliche System-Hierarchie umgedreht und die Natur an die erste Stelle
gesetzt werden. Der Mensch ist der sensibelste Teil des Ökosystems. Wenn etwas
Unvorhergesehenes geschieht, ist er der erste, der abstürzt. Wir betreiben
Ökologie nicht wegen der Schönheit der Natur, sondern weil unsere Existenz auf
ihrer Existenz beruht.
In
der alten Sichtweise ist die Welt etwas Äußeres. Ich schaue die Welt da draußen
an, und was ich wahrnehme, ist hauptsächlich Materie. Deshalb nennen wir diese
Welt „Realität“, nach dem lateinischen „res“, das Ding. Die Welt besteht für
uns aus Materie und ist etwas, das wir begreifen und in die Hand nehmen können.
Die
Materie erscheint uns in der Zeit angeordnet und erhält dadurch eine gewisse
Regelmäßigkeit. Strenge Naturgesetze erlauben uns zu extrapolieren und zu
sagen, was in Zukunft passieren wird oder was in der Vergangenheit passiert
ist. Daher haben wir den Eindruck, wir bekommen die Welt in den Griff wie eine
Maschine.
Wir
wissen nur nicht recht, wo wir uns selbst einordnen sollen. Wenn wir ein Teil
dieses Automatismus sind, nützt uns unser Handeln gar nichts, weil wir mit
allen Veränderungen nur ihren Willen erfüllen. Deshalb haben wir uns Menschen
aus der Natur heraus genommen. Kurzerhand haben wir auch den Schöpfergott aus
der Schöpfung heraus genommen und identifizieren uns selbst mit ihm. Wir
behaupten, er hätte uns aufgefordert, das Werk zu vollenden – und so führen wir
uns auch auf!
Von
daher kommt unsere Überheblichkeit. Wir fühlen uns nicht nur als die Krönung,
sondern auch als die Herren der Schöpfung und vergessen, dass wir selbst darin
eingebettet sind.
Wir
fühlen uns als die Macher, die die Maschine steuern, damit sie zügig läuft. Aus
dieser Arroganz heraus meinen wir, durch unsere Forschung die Welt in den Griff
zu bekommen, und zwar nicht nur die unbelebte, sondern auch das Lebendige. Auch
die analytischen Biologen glauben, sie müssten dazu nur noch die richtige
Naturgesetzlichkeit finden.
Der amerikanische Zoologe
Edward Wilson meint, ohne Instrumente seien die Menschen in ein kognitives
Gefängnis eingesperrt. Sie erfinden geniale Spekulationen über den Ursprung der
Welt, über die Sonne, die Sterne und den Sinn ihrer Existenz. Aber alles ist
falsch, sie irren sich immer wieder, weil die Welt zu weit entfernt ist von
ihrer täglichen Erfahrung, um sie bildhaft zu erfassen. Dagegen glaubt er, mit
den exakteren Daten seiner Instrumente die Welt besser zu verstehen.
Doch die Quantenphysik zeigt, dass diese Ansicht ebenso
falsch ist. Es kommt nicht auf die Datenmenge oder größere Genauigkeit, sondern
auf die Interpretation
der Daten an. Falsch ist auch der Ansatz der Neurowissenschaftler, die die
Wirkung chemischer Stoffe im Gehirn untersuchen und damit „Fortschritte“
erzielen. Sie bleiben ebenfalls im Materiellen hängen und sehen zwar, was im
Gehirn passiert, aber die geistige Ursache bleibt ihnen verborgen.
Werner
Heisenberg drückt das so aus: „Die Quantentheorie zeigt, dass man einen
Sachverhalt völlig klar verstehen kann und doch weiß, dass er nur in Bildern
und Gleichnissen beschrieben werden kann.“ Hier ist die Naturwissenschaft an
einem Punkt angekommen, an dem sie sich mit der Theologie trifft. Die
Vorstellung, etwas genau zu wissen und sprachlich ausdrücken zu können, muss aufgegeben
werden.
Die
Wirklichkeit ist ganz anders, als wir sie uns vorgestellt haben.
- Materie ist im Grunde
nicht Materie. Wir können uns das nicht
vorstellen, aber am Anfang gibt es keine Hardware, nur Software. Sie besitzt
nur eine Gestalt, aber keine materielle Existenz. Es gibt nur eine
Beziehungsstruktur, aber keine Objekte.
Wenn nichts mehr da ist,
verliert auch unsere bisherige Sprache ihren Sinn. Wir können nicht mehr sagen,
was ist. Es bleibt jedoch
die Frage, was passiert und was verbindet – allerdings sind keine Teile zum
Verbinden da. Das ist für uns ganz ungewohnt.
Ein
Beispiel: Welche Farbe hat ein Kreis? Die Frage kann gar nicht gestellt werden,
weil die Farbe nicht zu den Qualitäten eines Kreises gehört. Der Kreis ist
nicht farblos, sondern achrom. Analog dazu ist die Welt nicht immateriell,
sondern amateriell. Die Frage nach der Materie ist ebenso sinnlos wie die Frage
nach der Farbe des Kreises.
- Es gibt nur Form oder
Gestalt.
Das ist für die Alltagsvorstellung unverständlich, da sie in der Form immer
eine Anordnung irgend einer Substanz sieht. Trotzdem erleben wir heute eine
Welt der Gestalt ohne Substanz, wenn wir z.B. mit dem Mobiltelefon nach Paris
telefonieren. Wie erklären wir uns das? „Da ist eine Antenne dran, die kitzelt
so ein Feld im Hintergrund, und das ergibt eine Welle im Äther. Diese Welle
kann mein Freund in Paris empfangen, und das ist das Gespräch.“
Allerdings gibt es den Äther
nicht. Das heißt, die Welle hat keinen materiellen Träger. Wir haben das Nichts
gekitzelt, und damit eine „Delle“ in ihm erzeugt. Diese Delle ist eine reine
Form des Nichts. Der Freund in Paris empfängt diese Delle bekommt ein Gespräch,
obwohl nichts Materielles passiert ist. Das ist der Grund, warum wir unser
Handy überall benutzen können: Wir können das Nichts kitzeln, wo wir wollen,
der Ort spielt keine Rolle.
Das
Nichts ist überall. Das Materielle und seine Lokalisierung spielen keine
primäre Rolle. Wir arbeiten mit einer reinen Gestaltstruktur. Das macht es
natürlich nicht anschaulicher, sondern eher komplizierter und unverständlicher.
- Diese Gestalt hat keinen
Ort, an dem sie sich befindet. Sie ist sozusagen über die ganze Welt ausgebreitet. Es gibt
keine Auflösung in Teile. Das heißt, in der Physik ist die Wirklichkeit nicht
Realität, sondern Potenzialität. Sie ist nur die „Möglichkeit“, die sich
energetisch und materiell irgendwo manifestieren „kann“, sozusagen etwas noch
nicht Entschiedenes, Schwebendes. Und diese Potenzialität ist räumlich nicht
lokalisiert.
- Die Welt ist das Eine und
Ganze.
Daraus folgt, dass die Welt keinerlei Ränder hat. Es gibt nur das Eine, und man
kann sagen, es ist das Ganze, aber nicht in dem Sinne, dass kein Teil fehlt,
denn es gibt ja keine Teile. Wir müssen uns etwas vorstellen, das man nicht
zerlegen kann.
Das
hat fantastische Konsequenzen, denn wenn wir uns selbst in diese Welt mit einbeziehen,
sind wir zwar unterschiedlich und unterscheidbar, aber nicht getrennt. Wir
befinden uns alle in dieser Gemeinsamkeit, und das ist eine wesentliche
Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt miteinander kommunizieren können.
Die
Welt ist das Eine und Ganze. Im Sanskrit nennt man das „Advaita“, A-Dualität.
Das ist etwas, das man nicht aufteilen kann, wo die Zerstückelung ebenso
unmöglich ist wie die Farbe eines Kreises.
- Die Offenheit der
Zukunft.
Die Zukunft ist nicht eindeutig determiniert. Sie ist zwar nicht völlig
beliebig, aber offen. Nur die Tendenz ist festgelegt, nicht die Details. Vom
Vorhergehenden beeinflusst, wird die weitere Ausrichtung in gewisser Weise vorgegeben,
so dass die Evolution wie innerhalb eines Lichtkegels in einer bestimmten
Richtung weitergeht.
Es gibt aber auch echte
Kreativität. Aus Nichts kann etwas Neues entstehen, und das kann auch wieder
ins Nichts verschwinden. Die Begriffe von Entfaltung und Entwicklung treffen
nicht mehr zu. In unserer kreativitätsfeindlichen Sprache bedeuten sie, dass
alles schon da ist und nur entfaltet werden muss. Kreativität wäre dabei nicht
möglich.
In Wirklichkeit kommt aber
etwas völlig Neues hinzu. Dieses neue Weltbild ist sehr spannend und auch
beunruhigend. Trotzdem können wir sicher sein, dass unser Auto dort steht, wo
wir es abgestellt haben.
- Auch die Wissenschaft
spricht in Gleichnissen. Die Wissenschaft hat ihre Vorrangstellung eingebüßt. Wir
Wissenschaftler meinten, wir könnten sagen, was ist und was nicht ist. Jetzt
müssen wir einsehen, dass wir streng genommen in Gleichnissen reden müssen.
Der
entscheidende Punkt, an dem die Materie verschwindet und nur die Form bleibt,
liegt in der Struktur des Atoms. Wir haben die Atome erforscht, um die Welt in
den Griff zu bekommen. Deshalb mussten wir die Materie zerschlagen und dabei
ihre Form zerstören. Doch bei der Zerkleinerung entstanden immer kleinere Teile
mit neuen Formen.
Wir
zertrümmerten sie wieder und wieder in der Hoffnung, jegliche Form zu beseitigen.
Beim Atom angekommen, meinten wir, endlich am Ziel zu sein. Wir hatten das atomos gefunden, das sich nicht
mehr spalten lässt. Reine Materie ohne Form. Doch dann zeigte Lord Rutherford,
dass auch das Atom noch eine Struktur besitzt.
Wieder
musste man zertrümmern und nachsehen, wie es im Inneren aussieht. Das Atom mit
seinem schweren Kern und den ihn umkreisenden leichteren Elektronen gleicht
einem Planetensystem, wird jedoch zusammengehalten durch elektrische Kräfte.
Aber die mechanistische Erklärung in Analogie zu unserem gravitativ zusammengehaltenen
Planetensystem misslang, denn das elektrische Atomsystem ist nicht stabil.
Es
widerspricht sogar den Naturgesetzen, die wir bisher kannten. So blieb uns nur
eine Folgerung: Unsere Naturgesetze sind falsch. Im Grunde gibt es die Materie
gar nicht, sondern nur eine Art Schwingung. Die Elektronen und der Atomkern
sind eigentlich nur Schwingungsfiguren, ähnlich der Schwingungsfigur unseres
Handy-Gesprächs im elektromagnetischen Feld, nichts Materielles im eigentlichen
Sinne. An diesem Punkt hatten wir die Materie verloren.
Schon
die tägliche Erfahrung zeigt, dass wir unsere persönliche Wahrnehmung nicht mit
der eigentlichen Wirklichkeit verwechseln dürfen. Das Gleiche gilt auch für die
klassische wissenschaftliche Betrachtung. Wir können nur das erkennen, was
unsere Erkenntnisstrukturen uns zu erkennen erlauben.
Der
Astrophysiker Arthur Eddington verdeutlicht das durch eine Parabel, in der ein
Fischforscher nach jahrelangem Forschen ein Grundgesetz der Ichthyologie
aufstellt: „Alle Fische sind größer als fünf Zentimeter.“ Diese Regel findet er
bei jedem Fang bestätigt. Doch hat er nur seine Ergebnisse falsch
interpretiert.
Auf
den Einwand, dass sein Befund nur die Maschenweite seines Netzes spiegelt,
erklärt er: „Ich bin Naturwissenschaftler. Ein Fisch ist definiert als etwas,
das man mit dem Netz fangen kann. Was ich nicht fangen kann, ist kein Fisch.
Auf dem Markt will niemand einen Fisch kaufen, den man nicht fangen kann.“
Daraus sehen wir, dass wir nicht die Maßstäbe der Wirtschaft zugrunde legen können
bei der Bewertung dessen, was wichtig ist, um die Welt zu erkennen.
Als
der Ichthyologe sieht, wie die kleinen Fische durch das Netz hindurch
schlüpfen, hält er sie für eine optische Täuschung, denn er glaubt nur an
Dinge, die er messen kann. Ein Wissenschaftler ist natürlich auf verlässliche
Messmethoden angewiesen. Noch wichtiger ist jedoch seine Art und Weise, zu
denken. Durch die analytische Denkart zerlegen wir den Forschungsgegenstand
derart, dass wir hinterher nicht mehr feststellen können, was dabei zerstört wurde.
Wer
einen Nobelpreis bekommen will, muss in seiner Arbeit Zahlen verwenden, verbale
Beschreibungen seiner Erkenntnisse genügen nicht. Eine Zahl ist handfest und
quantitativ, nicht nur qualitativ. Der Ichthyologe hat keine Ahnung, was ein
Fisch ist, er weiß auch nichts über seinen Maßstab. Trotzdem stellt er zwischen
dem Fisch und dem Maßstab eine Beziehung her, und die ist fünf.
Die
Mathematik ist eine ganz andere Sprache als unsere Umgangssprache, die mit
Substantiven arbeitet, mit Fischen oder Dingen. Die Mathematik bezeichnet
dagegen Beziehungen.
Um
die Quantenphysik zu erklären, fehlt unserem Gleichnis noch ein weiterer Aspekt:
Mit dem Experimentieren verändern wir die Welt. Ein Naturwissenschaftler ist
nicht jemand, der mit seinem Netz etwas aus der Wirklichkeit herauszieht, was
schon drinnen war, um anschließend die zerstückelte Wirklichkeit wieder
zusammenzusetzen, sondern eher jemand, der einen Fleischwolf hat, die „Welt“,
oben hinein steckt und mit dem Drehen ihre ganze Struktur zerstört.
Wenn
unten Würstchen herauskommen, sagt er: „Aha, die Welt besteht aus Würstchen.“
Aus einem anderes gelochten Fleischwolf kommen platte Nudeln heraus. Dieser
Wissenschaftler sagt: „Nein, die Welt ist aus Nudeln zusammengesetzt“, und
streitet mit seinem Kollegen um die „Wahrheit“. Aber beide Formen haben mit der
ursprünglichen Struktur der „Welt“ nichts zu tun. Die Forscher richten die Welt
nach ihren Instrumenten und ihrer Vorgehensweise aus.
Die
Struktur der Wirklichkeit können wir gar nicht erkennen und mit unserer Sprache
nicht beschreiben, aber wir biegen sie so zurecht, dass sie in die Sprache
hineinpasst. Unsere Umgangssprache enthält wesentliche Vereinfachungen, die
allerdings im Alltag lebensförderlich sind.
Wir
sehen in die Welt hinein und vergleichen dann unsere Bilder miteinander. Dabei
sind wir oft verschiedener Meinung, weil wir glauben, dass alle dasselbe sehen.
Doch sind die Dinge durch unsere spezielle Wahrnehmung gefiltert und
deformiert. Die von uns wahrgenommene Welt ist eine ganz andere, als die Welt
da draußen.
Wir
sehen verschiedene Dinge, weil wir unterschiedlich sensibilisiert sind. Es wird
uns gar nicht bewusst, was unsere Wahrnehmung weglässt und was sie verstärkt.
Fehlende Punkte in unserem Bild werden aus der Erinnerungen vervollständigt. Unser
Mangel an Sehfähigkeit wird durch gespeicherte Erfahrung kompensiert.
Welche
Konsequenzen haben die Einsichten der Quantenphysik für unsere Lebenswelt? Kann
die Mikrophysik den Makrokosmos erklären? Wenn man vom Mikrokosmos in unsere
Welt aufsteigt, in der Billionen mal Billionen Atome in einem Gramm Materie
versammelt sind, spricht man nicht mehr von einzelnen Atomen.
Eigentlich
sollte man überhaupt nicht von „A-tomen“ sprechen, denn sie sind ja nicht
unteilbar. Statt eines materiellen Teilchens sollten wir uns vielmehr ein
prozesshaftes „Passierchen“ vorstellen oder ein „Wirks“, von dem eine Wirkung
ausgeht.
Was
entsteht, wenn Billionen mal Billionen Passierchen miteinander agieren? Das
Ergebnis muss etwas Gröberes, Durchschnittliches und Undifferenziertes sein.
Mit großer Wahrscheinlichkeit entsteht genau unsere Welt mit ihren Häusern,
Autos und der alten Physik der Kausalität und der Naturgesetze. Allerdings ist die
Bestimmtheit nicht absolut scharf, sondern enthält kleine Abweichungen. Bei
Billionen mal Billionen Atomen ist die Abweichung plus/minus ein Billionstel.
Das
beruhigt uns, da es für unsere Welt überhaupt nicht relevant zu sein scheint.
Aber unter bestimmten Umständen kann es vorkommen, dass diese Passierchen sich
nicht ausmitteln, dass sie praktisch nicht total ungeordnet und durcheinander
gewürfelt sind, sondern in ihrer Gesamtheit eine gewisse Ordnungsstruktur
beibehalten, so dass das, was im mikroskopischen Bereich angelegt ist,
verstärkt nach oben steigt und in unserer Lebenswelt zum Ausdruck kommt.
Eigentlich
sollten wir etwas, das so fundamental kreativ und indeterminiert angelegt ist,
auch nicht mit der „toten“ Materie vergleichen, denn es besitzt die
wesentlichen Ingredienzen dessen, was wir lebendig nennen. In der Urquelle ist
etwas, das dem Lebendigen viel ähnlicher ist als der Materie. Es ist nämlich
alles im ewigen Wandel, und dieser Wandel ist das Bauelement der Welt, nicht
ein Etwas, das verwandelt wird. Ein solches Etwas gibt es nicht.
Die
Materie kommt auf einer Ebene zustande, wo sich alles Wandelnde überlagert.
Ähnlich steht ein Ameisenhaufen im Wald als Kegel da, obwohl er aus unzähligen
Ameisen besteht, die alle durcheinander laufen. Doch obwohl alles in Bewegung
ist, bleibt etwas wie ein Erdkegel im Mittel stehen – aber nur in der
Vergröberung.
Auf
Quantenebene kann so ein Gewusel sich so anordnen, dass es zum Leben führt.
Dazu müssen die Passierchen verstärkt und das Kleine vergrößert werden.
Als
Beispiel für diesen Prozess dient uns ein Pendel, das sich nach den bekannten
Naturgesetzen bewegt. Wir können genau ausrechnen, wann es wo sein wird, wenn
wir die Reibung und Bewegungsenergie berücksichtigen. Aber wenn man es auf den
Kopf stellt, gibt es einen Punkt, an dem keine Aussage möglich ist. In dem Augenblick,
in dem sich das Pendel ganz oben befindet, weiß man nicht, ob es nach links
oder rechts fallen wird. An dieser Stelle der Instabilität versagt jede Prognose.
Wenn
sich die Beobachtung exakt auf die Mitte konzentriert, wird plötzlich deutlich,
dass dieses Pendel nicht isoliert im Raum balanciert, sondern von anderen
Dingen beeinflusst wird. Zum Beispiel von uns und unserer Anziehungskraft, so
gering sie auch sein mag. In welche Richtung das Pendel fällt, hängt letztlich
davon ab, ob sich jemand bewegt, ein Auto vorbei fährt oder der Andromedanebel
ein Lichtquant absendet, das dieses Pendel trifft.
Der
Instabilitätspunkt ist gleichzeitig der Punkt der höchsten Sensibilität. Die
kleinste Änderung im Umfeld beeinflusst jetzt die Richtung. Der Flügelschlag
des Schmetterlings kann einen Taifun auslösen, wenn die Wetterlage genau auf
der Kippe steht. Voraussetzung für etwas Neues ist also eine Instabilitätslage
bzw. die höchste Sensibilität. An dieser Stelle „spürt“ das Pendel die ganze
Welt.
Doch jetzt kommt es: Es
spürt nicht nur die vergangene, sondern auch die zukünftige Welt. In diesem
Moment „erlebt“ es dieses Hintergrundfeld, die Potenzialität, die (noch) keine
Realität (mehr) ist, in dem alles mit allem zusammenhängt. Das Pendel tritt in
Kontakt mit dem Informationsfeld des All-Einen und wird „lebendig“. Dieses
aufregende Ereignis gelingt jedoch nur am höchsten Punkt und wird nach dem Herunterfallen
des Pendels nicht mehr erreicht.
Für
uns würde so ein kurzes Leben ohne Wiederkehr nicht ausreichen. Wird das Pendel
allerdings zu einem Tripelpendel (Dreifachpendel) erweitert, erhält es drei Möglichkeiten der
Instabilität, und damit mehr Chancen zum Leben. Nicht nur dreimal so viel,
sondern beliebig viel mehr. Seine Bahn verläuft immer wieder über die Sensibilitätspunkte.
Man nennt das ein Chaos-Pendel.
Die
Bewegung dieses Pendels kann nicht prognostiziert werden, weil es immer wieder
in die Instabilitätslage gerät. Hier wirkt die ganze Welt sporadisch oder
chaotisch ein, das Pendel ist hoch korreliert in den lebendigen Kosmos
eingebettet. Bei der realen Ausführung verliert das Pendel wegen der Reibung
immer mehr an Schwung, verliert stufenweise seine Sensibilität und kommt
letztlich am untersten Punkt völlig zur Ruhe. So kommen auch wir nach einiger
Zeit mit unserem Tod zur Ruhe.
Wenn
es dem Pendel jedoch gelingt, seine Instabilität bzw. Sensibilität zu erhalten,
muss es überhaupt nicht sterben. Die dynamische Stabilisierung der Instabilität
ist kein Widerspruch, sondern findet in der Natur ständig statt. Seit wir z.B.
instabil auf zwei Beinen laufen statt auf stabilen Vieren, opfern wir unsere
Sicherheit der Freiheit, in jede gewünschte Richtung zu fallen.
Wenn
das zweite Bein genau dann nach vorn schwingt, während das erste einknickt,
können sie im Wechseltakt den Sensibilitätspunkt erreichen. Zwei instabile
Systeme, die sich entgegengesetzt bewegen, sind keine Konkurrenten, sondern
Kooperationspartner. Gemeinsam können sie einen Ablauf inszenieren, der es
ihnen erlaubt, beschwingt durch die Gegend zu laufen.
In
diesem Zustand kann das Leben lange aufrecht erhalten werden. Sowohl das Gehen
als auch das Leben bestehen sozusagen aus einem kooperierenden ewigen Fallen.
Etwas
Wesentliches fehlt noch in unserer Analogie: die Zufuhr von Energie. Leben muss
gefüttert werden, und alle Lebewesen müssen essen. Wir halten also fest: Durch
die energie-unterstützte dynamische Stabilisierung von Instabilitäten haben wir
die Möglichkeit, für lange Zeit eine hohe Sensibilität aufrecht zu erhalten,
die uns die Welt in reichem Maße eröffnet. Damit besitzen wir einen Zugang zum
Leben.
Wenn
wir uns in diesem sensibilisierten Zustand befinden, dem höchsten Punkt des
Pendels, in dem wir die Wirklichkeit verinnerlichen, empfinden wir das als
einen Zustand der Inspiration. Um diese sensible Lage zu erreichen, benötigen
wir Energie. Für uns Lebewesen an der Erdoberfläche ist es die Sonne, die
unseren Energiebedarf deckt und uns das Lebendigsein ermöglicht.
Wir
müssen diese Energie aber auch richtig einsetzen, um die wesentlichen Signale
zu empfangen. Das geschieht nicht automatisch, sondern erfordert einen
kreativen Einsatz. Unser Problem ist, dass wir den Instabilitätspunkt als
bedrohlich empfinden, da er eine Situation extremer Unsicherheit darstellt. Wir
geraten in den Konflikt, zwischen Sicherheit und Freiheit wählen zu müssen.
Doch
nur, wenn wir auf unsere Sicherheit verzichten und uns öffnen, können wir eine
Sensibilität erreichen, die zum Erleben unserer Innenwahrnehmung sowie zu einer
höheren Orientierung führt. Die dynamische Stabilisierung ermöglicht eine
ständige Höherentwicklung des Lebens. Alle lebendigen Systeme benötigen dazu
Sonnenenergie, die sie in bestimmte Formen umwandeln.
Das
Paradigma des Lebendigen besteht im Ordnungssystem der Syntropie. Dieser
ordnende Prozess führt zu einer zunehmenden Differenzierung: Alles strebt
danach, sich zu unterscheiden bzw. verschiedene Formen zu bilden. Die Syntropie
ist der lebenden Natur von vornherein eingeprägt.
Doch
trotz aller Differenzierung werden die Lebewesen nicht vereinzelt, sondern das
Ganze bleibt miteinander verknüpft. Für die Differenzierungen sind jedoch
Neuschöpfungen erforderlich, wobei Kreativität in der Fähigkeit besteht, aus
der Reihe zu tanzen. Danach muss ein kreativer Prozess folgen, bei dem das
Unterschiedliche ein kooperatives Spiel miteinander beginnt, mit dem Ziel einer
organismischen Integration.
Dagegen
bezieht sich der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nur auf die unbelebte
Materie und besagt, dass alles dem Grundzustand der Unordnung zustrebt. Das
heißt aber nur, dass in Zukunft das Wahrscheinlichere wahrscheinlicher
passiert, ähnlich wie beim Mischen von Spielkarten die Unordnung beschleunigt
wird.
Wie
können wir miteinander zu einem neuen Ganzen finden? Dies erfordert ein Plussummenspiel,
bei dem individuelle Unterschiede erwünscht sind und jeder seine Eigenarten
behalten kann. Wie bei einem Orchester verschiedene Instrumente konstruktiv
zusammenspielen, um eine Harmonie zu erzeugen, ist das Ganze mehr als die Summe
der Teile. Das ist das Paradigma des Lebendigen.
Um
die Individualisierung der Menschen zu unterstützen, müssen wir ihre Emanzipation
verstärken. Wenn wir uns zunehmend differenzieren, können wir immer mehr
Stützfunktionen ausüben, die dynamische Stabilisierungen ermöglichen und uns
eine neue kreative Dimension in der Welt erschließen. Das ist der Prozess der
Evolution des Lebendigen.
Aber
die Beherrschung einer neuen Instabilität verlangt Übung und braucht Zeit. Für
unsere Emanzipation müssen wir das kooperative Zusammenspiel erlernen. Das ist
nicht schwer, weil wir ja trotz aller Differenzierung immer miteinander verbunden
bleiben. Wir sind nicht wirklich getrennt, sondern haben bereits eine lange
gemeinsame Entwicklung hinter uns, auf der wir aufbauen können.
Unser
Biosystem gleicht einem Kartenhaus, auf dessen Spitze wir balancieren, denn
alles Lebendige ist auf Instabilität aufgebaut. Heute leben sechseinhalb
Milliarden Menschen auf der Erde, die ihre Körperkräfte durch Maschinen
ergänzen. Dazu benötigen sie Energie. Umgerechnet in Primärenergie, verbrauchen
wir inzwischen mehr als ein Viertel der täglichen Sonnenkapazität zur
Stabilisierung des gesamten Systems.
Doch spiegelt sich die
Robustheit unseres Biosystems auch in den Veränderungen seiner Artenvielfalt.
Hier liegt die maximale Belastung durch unsere Eingriffe weit niedriger, so
dass bereits eine beängstigende Schrumpfung der Artenvielfalt zu verzeichnen
ist. Diese ist jedoch eine Überlebensfrage für uns und die anderen Kreaturen.
Die
Höherentwicklung des Lebendigen durch Differenzierung und Kooperation von
Verschiedenartigem ergibt ein neue Ganzheit, ein neues Holon. Darin offenbart
sich die hoch-integrierte, globale Struktur des Systems. In einem holistischen
Weltbild gilt im Kleinen das gleiche wie im Großen. Die Einheiten des Ganzen
werden durch die Menschen repräsentiert, die ebenfalls eine gewisse Abgeschlossenheit
besitzen.
Schon
in uns wirkt ständig so viel Gegensätzliches auf verschiedenen Ebenen, dass wir
immer wieder ein Gleichgewicht herstellen müssen. Globalisierung ist an sich
nichts Schlechtes, sondern sogar eine Notwendigkeit, um eine höhere Entwicklungsstufe
zu erklimmen. Zwingend erforderlich ist jedoch ein Plussummenspiel der Verschiedenheiten,
in dem der Vorteil des einen auch zum Vorteil der anderen gereicht.
Keine Gruppe von Menschen
darf bestimmte Eigenschaften für wichtiger oder wertvoller deklarieren und sie
zur Globalisierung zulassen, während alles Übrige unterdrückt und als
Störenfried behandelt wird. Alle Kulturen der Welt müssen ihre Substanz
behalten dürfen und damit in die angestrebte überwölbende Kultur hinein genommen
werden. Denn nur die Summe aller Kulturen kann eine Weltkultur bilden, die eine
höhere Entwicklungsstufe aufweist.
Wenn eine Kultur meint, sie
sei die wesentliche, der sich alle anderen unterordnen müssten, würden infolge
dieser Verletzung des Paradigmas des Lebendigen alle gemeinsam stolpern und
untergehen.
Ein
weiteres Beispiel für eine „höhere Struktur“ ist ein Gedicht, das zunächst nur
aus einzelnen Buchstaben besteht. Der Sinn ergibt sich erst aus ihrer Anordnung. Erst die Buchstabenfolge
übermittelt sinnvolle Wörter, Sätze oder kunstvolle Lyrik. Das Gedicht bedarf
der Interpretation im Gesamtkontext und wird damit zu einem nicht-zerlegbaren
Ganzen, bei dem erst das Ende den Anfang ganz verständlich werden lässt. Man
kann das nicht zerreißen, indem man die Sätze austauscht.
Bei
der Analyse erhält man nur die Häufigkeit und Aufeinanderfolge bestimmter
Buchstaben. Man kann sie nach ihrer Wahrscheinlichkeit umordnen und vorhersagen,
welche Buchstaben oder Sequenzen am häufigsten auftauchen. Damit erhält man
einen „objektivierbaren“ Wert des Gedichts. Wissenschaftlich und auch wirtschaftlich
betrachtet, gibt es zwischen der ersten und der zweiten Gedichtform keinen Unterschied.
Ähnlich
ist es mit der DNA. Die Information eines Genoms liegt in der Anordnung der Aminosäuren, nicht
in der Materie. Das Gebilde ist ein Ganzes, und seine eingeprägten Ordnungen
sehr subtil und hochdimensional aufeinander abgestimmt. Das wird in der
Genmanipulation oft übersehen, wenn man Einzelteile auseinander nimmt und neu
zusammensetzt. Hier offenbart sich die Art, wie wir die Außenwelt sehen.
Wir
nehmen z.B. wahr, dass die Artenvielfalt der lebenden Natur eine enorme Vielzahl
enthält im Vergleich zu den relativ wenigen Symbolen im Gedicht. Zur Erklärung
ziehen wir Gott oder Darwins Theorie heran. Aber warum gibt es genau die vorhandenen
Tiere und Pflanzen, und davon einige mehr und andere weniger? Analog dazu
kommen einige Buchstaben im Gedicht nur selten vor, andere überraschend oft. In
beiden Fällen scheint die Vielfalt eine wichtige Rolle zu spielen, aber wir
verstehen den Zusammenhang nicht.
Dieses
Unverständnis ist der Grund, warum wir als analytisch denkende Menschen den
Eindruck haben, wir müssten die Welt verbessern und umordnen, sie übersichtlicher
und effizienter gestalten. Wir glauben, über genügen Wissen zu verfügen und
beurteilen zu können, was wichtig und was unwichtig ist. Dann schreiben wir
dieses Gedicht um, sortiert nach den Buchstaben des Alphabets. Damit wird es
für uns handhabbar und wir bilden uns ein, der Mensch könne mehr als die Natur.
Wir
leben in einer von Menschen gemachten technischen Welt. Sie bietet noch viele
Möglichkeiten der Umordnung. Aber die tief angelegte Bedeutung, den Sinn im Ganzen
haben wir durch unsere Umdeutung verloren. Wir sollten Zurückhaltung üben, die
von uns in ihrem Beziehungsgefüge nur sehr beschränkt wahrgenommene Welt
radikal zu verändern, da wir Gefahr laufen, unsere eigenen Lebensgrundlagen zu
zerstören und uns damit aus der Evolution des Lebendigen zu verabschieden.
Die
Wirklichkeit ist ein nicht-auftrennbares, immaterielles Beziehungsgefüge, eine
Art „Erwartungsfeld“ für mögliche energetisch-materielle Manifestationen. Die
Zukunft ist dabei wesentlich offen, allerdings nicht beliebig, sondern durch
gewisse Bedingungen eingeengt, die mit den so genannten Erhaltungssätzen
zusammen hängen und aus den Symmetrieeigenschaften der Dynamik resultieren.
Nach
Einstein ist die Masse eine konzentrierte Form der Energie. Die Erhaltung der
elektrischen Ladung sorgt dafür, dass bei der Mittlung im Großen Eigenschaften
greifbar werden, die die Kenngrößen der klassischen Physik ausmachen.
Unbelebtes und Belebtes sind nicht grundsätzlich unterschieden, sondern
erscheinen als statisch stabile bzw. dynamisch instabile Artikulationen,
geformte Teilhabende des Ganz-Einen. Mit der Konsequenz: Mensch und Natur sind
prinzipiell nicht getrennt.
Dennoch
können sich im Großen qualitative Unterschiede herausbilden, besonders durch
die Möglichkeiten kreativer Gestaltung im Rahmen der bedingt offenen Zukunft.
Die prinzipielle Offenheit der Zukunft hat wesentliche Folgen für unser Verständnis
der Welt, ihrer Entwicklung und unserer Beziehung zu ihr.
In
der klassischen Physik stellen sich die Wissenschaftler den Anfang der Welt als
Urknall vor, in dem die ganze Wirklichkeit schon angelegt war. Alles was die Forscher
über die auf etwa 15 Milliarden Jahre bezifferte Vergangenheit herausgefunden
haben oder vermuten, und alles, was je in Zukunft passieren wird, ist nur eine
Entfaltung dessen, was schon am Anfang angelegt war. Diese Sichtweise ist in
ihrer Starrheit nicht sehr befriedigend.
Nach
der neuen Auffassung hingegen ist die Schöpfung nicht abgeschlossen, sondern
ereignet sich in jedem Augenblick neu, und wir sind als Teilhabende eines
nicht-auftrennbaren Kosmos am fortlaufenden Schöpfungsprozess beteiligt. Auf
die Frage nach Gott behauptet Dürr oft, er sei ein Atheist. Diese Frage hält er
für nicht zulässig, da sie ins Leere zielt. Gott ist für ihn etwas, das nicht
gezählt werden kann, weil es das Ganz-Eine meint, nämlich ’Advaita’, das Unauftrennbare.
Er
sei jedoch kein Atheist im Sinne eines Ungläubigen, da er nicht an einem über unser
Verständnis hinausgehenden Zusammenhang zweifelt, an einem einzigen Beziehungsgefüge,
das viele Namen hat. Man könne es Geist oder Liebe nennen. Die Liebe bringt für
ihn am besten zum Ausdruck, wie wir alles als miteinander verbunden empfinden,
in der sich ständig wandelnden Form eines geistig-lebendigen Kosmos, den wir
individuell unmittelbar durch Empathie erleben. In diesem Sinne ist Dürr ein
„liebender Atheist“.
Es
ist wichtig, dass wir uns nicht als Teile, sondern als Teilhabende dieses
Kosmos erfahren, der die Beziehung und nicht das Dingliche betont. Deshalb
kommt es auf uns alle an. Wir sind Mitschöpfer, und die zukünftige Entwicklung
hängt von uns allen ab. Selbstverständlich können wir die Welt nicht beliebig
ändern, aber wir sollten wissen, dass unsere Aktionen immer zum Gesamten
beitragen.
Andererseits
sind unsere Entscheidungen immer eingebettet in etwas, das wir mit Allen
gemeinsam haben, denn wir haben dreieinhalb Milliarden Jahre derselben Entwicklung
hinter uns. Dadurch wird alles Private einer persönlichen Entscheidung relativiert.
Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir keinen Dialog mit sechseinhalb
Milliarden Menschen führen, um sie zu überzeugen, sondern sie nur daran erinnern,
was sie eigentlich schon wissen.
Die
gemeinsame Entwicklung betrifft nicht unsere energetisch-materielle Realisierung,
unseren Körper, sondern unsere „Software“ befindet sich in anderen Räumen. Sie
ist gewissermaßen überall, und wir sind alle angeschlossen. Es ist eine Art
Internet-Version, die abgerufen werden kann. Man kann herausbekommen, wo die
anderen sind, und die eigenen Entscheidungen danach ausrichten.
Wir
sind keine vereinzelten Materieklumpen, allein in der Welt und nur über Wechselwirkungen
mit unserer Umgebung verbunden, sondern eingebettet in das Ganz-Eine. Daher
beziehen wir unser Wissen, das wir weitergeben können, um gewisse Prozesse zu
verstärken, die wirklich zukunftsfähig sind.
Ebenso
können wir vom Sonnensystem mit seinen Planeten und der Erde nicht als
abgetrennten Teilen des Kosmos sprechen. Die gravitative Anziehung zwingt die
Erdkugel auf eine Ellipsenbahn um die Sonne. Das irdische Ökosystem ist nur ein
winziger Teil dieser Erde und bildet eine dünne Haut mit seiner 20 km dicken
Schicht, zuzüglich 10 km Atmosphäre darüber. Das meiste davon sind Ozeane und
unbewohnbare Gebirge.
Diese
Lebenswelt betrachten wir als abgeschlossen. Für ihre materielle Basis trifft
das auch weitgehend zu: Die Vulkane versorgen uns mit Schwermetallen aus dem
Inneren der Erde und prägen damit unsere Industrialisierung, Waffenentwicklung
und Kultur. Viel wichtiger ist jedoch, dass unser Ökosystem offen ist im Bezug
auf arbeitsfähige Energie, die von der Sonne eingestrahlt wird. Sie bildet die
notwendige Voraussetzung für alles Lebendige einschließlich uns Menschen. Diese
Quelle steht uns täglich zur Verfügung.
Diese
Hintergrund-Energie gibt uns die Möglichkeit des Wachstums. Die Materie in
ihren verschiedenen Erscheinungsformen als Erdöl oder Kohle ist das Material,
mit dem wir sorgsam umgehen müssen, damit es nicht durch Zerstreuung
verlorengeht. Kupfer beispielsweise verschwindet nicht wirklich, sondern wird
nur durch vielfältigen Gebrauch in alle Gegenden verstreut. Prinzipiell könnte
es wieder eingesammelt und recycelt werden.
Auch
die eingestrahlte Sonnenenergie wird als weniger geordnete Wärmeenergie wieder
abgestrahlt. Letztlich kommt es nur auf ihre Ordnungseigenschaft bzw. Arbeitsfähigkeit
an. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen wird die Forderung der Nachhaltigkeit für
unser Ökosystem existenziell relevant. Eine Verletzung des Gleichgewichts sehen
wir sowohl in der Stoff- als auch in der Energiewirtschaft. Die Stoffe werden
immer weniger, und wir verbrauchen dauernd arbeitsfähige Energie, die letztlich
von der Sonne stammt.
Die
Entsorgung des Abfalls führt zur CO2-Zunahme und der Klimaproblematik,
sowie zur unsicheren Endlagerung der abgebrannten radioaktiven Brennstäbe
unserer Atomkernreaktoren. In der Vergangenheit haben wir nur von der Sonne
gelebt und die Bausteine für unser Wachstum von den Pflanzen bezogen, die durch
Fotosynthese die Sonnenenergie direkt in Energie umwandelten. Später kamen
Tiere dazu, die uns als Nahrungsmittel und Arbeitskraft dienten.
Dann
haben wir die fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas entdeckt, die uns
die industrielle Revolution ermöglichten. Sie repräsentieren über Millionen von
Jahrhunderten angesammelte Sonnenenergie, die wir jetzt verbrauchen. Im 20.
Jahrhundert kam die Atomkernspaltung als Energiequelle dazu, speziell des
radioaktiven Urans, das in Supernova Explosionen vor etwa fünf Milliarden
Jahren im Weltall erzeugt wurde.
Fossile
Brennstoffe zu verwenden ist aber irreversibel und nicht nachhaltig. Wir leben
in einer Art Bankräubergesellschaft, die Schweißgeräte herstellt, um damit
einen Naturtresor nach dem anderen aufzubrechen und seine Energie zu entnehmen,
um neue Schweißgeräte herzustellen. Das erlaubt uns ein gutes Leben.
Offensichtlich ist Raubbau betriebswirtschaftlich viel günstiger als echte
Wertschöpfung.
Doch
es geht nicht nur um die Ressource. Da die fossilen Brennstoffe zu Ende gehen,
blicken wir auf die Atomkraft und führen gerade wieder eine Diskussion, die wir
bereits vor Jahrzehnten geführt haben mit dem Ergebnis, dass wir diese auf
keinen Fall anwenden dürfen. Den atomaren Müll können wir nicht so leicht
entsorgen wie die von der Erde verbrauchte Sonnenenergie, die als
Wärmestrahlung wieder in den Weltraum zurückgestrahlt wird.
Dann
macht uns das CO2 Sorge als Endprodukt der kohlenstoffhaltigen
Brennstoffe. Wir nehmen die Kohle aus der Erde und blasen sie verbrannt als Gas
in die Atmosphäre. Nun haben wir festgestellt, dass dadurch das Weltklima
kritisch beeinflusst wird. Daran wird die Menschheit nicht zugrunde gehen, aber
große Schwierigkeiten bekommen. Zusätzlich zerstören wir durch chemische
Düngemittel auch das Mikroleben im Humus, wodurch weiteres Kohlendioxid in die
Atmosphäre gelangt.
Wir
müssen auf so vieles achten, wie auch auf die Schonung der Regenwürmer, die in
den gemäßigten Zonen die Blätter unter die Erde bringen, damit sie nicht mit
dem Sauerstoff in Verbindung geraten, sondern Humus bilden. Es hängt ja alles
miteinander zusammen. Auch Kernenergie ist zunächst eine fossile Energie, die
uns nicht von außen zugeführt wird. Ihr Verbrauch ist deshalb irreversibel und
zeitlich nur begrenzt möglich.
Bemerkenswert
ist jedoch, dass die Kernenergie millionenmal dichter ist als die Sonnenenergie,
die schon in ihrem grünen Bereich schädlich auf Pflanzen einwirkt und deren
Fotosynthese stört. Die Pflanzen sind grün, um sich gegen dieses intensive
grüne Licht zu schützen. Ganz allgemein sind Energieträger mit hoher Dichte für
das Biosystem gefährlich.
Es
kommt also nicht nur auf die begrenzten Ressourcen und eine geeignete Entsorgung
ihrer Endprodukte an. Wir müssen auch mögliche andere Störungen des Biosystems
durch von Menschen in Gang gesetzte Energieumsätze im Auge behalten. Die
Klimaproblematik erscheint dabei – trotz ihrer Konsequenzen wie Verlust an Lebensqualität,
Völkerwanderung und Dezimierung – nur wie die Spitze eines Eisbergs.
Wir
dürfen die Metastabilität des Biosystems nicht irreversibel gefährden. Seine Belastungsgrenze
liegt bei 100 Milliarden Energieeinheiten. Dabei sind die sechseinhalb
Milliarden Menschen gar nicht mal ausschlaggebend, es sind vielmehr die 140 Milliarden
Energieeinheiten, die sie verbrauchen. Diese Überschreitung der Stabilisierungsenergie
zeugt von enormer Robustheit unseres Biosystems, das deshalb nicht gleich
zusammenstürzt. Aber mehr sollten wir ihm nicht zumuten.
Unsere
größte Herausforderung liegt in der Entwicklung von Lebensstilen, die die
Tragfähigkeit des Biosystems nicht überfordern, seine dynamische Stabilisierung
erhalten und insgesamt den Verbrauch von 100 Milliarden Energieeinheiten nicht
überschreiten. Bei sechseinhalb Milliarden Menschen auf der Erde sind das 15
Energieeinheiten, entsprechend einem „ecoson“, pro Person. Gegenwärtig sind
diese Energieeinheiten sehr ungleich verteilt: Im Schnitt verbraucht ein
Amerikaner 105, ein Europäer 53, ein Chinese 10 und ein Bangladescher nur eine.
Diese
Begrenzung hat nichts mit der Ressource zu tun, sondern mit der Stabilisierung
des Systems, in das wir eingebettet sind. Eine Zukunft, in der 7,6 Milliarden
Menschen auf der Erde so leben wollen wie heute die Amerikaner, ist auch schon
wegen des Trinkwassermangels nicht möglich. Das Leben mit 15 Energieeinheiten
entspricht dem eines Schweizers im Jahr 1969, wobei wir die heute mögliche Verdopplung
der damaligen Effizienz angenommen haben.
Neben
der Effizienzsteigerung spielt die Konsistenz eine Rolle, die mit der
zeitlichen Abfolge, der Logistik unserer Energieverwendung zusammen hängt. Als
dritter Faktor kommt die Suffizienz dazu, die nach der maximalen Verwendung
fragt. Die Grenze, die wir einhalten müssen, bedeutet immerhin dreißig Mal
soviel als wir wirklich für unsere Existenz brauchen.
Wir
wollen ja nicht nur vegetieren, sondern uns auch bewegen können. Deshalb müssen
wir Lebensstile innerhalb der erforderlichen Grenzen entwickeln, die auch
lebenswert sind. Die Grenze von 15 Energieeinheiten kann ohne Verluste an Lebensqualität
eingehalten werden, wenn wir die Energie z.B. durch bessere Wärmedämmung
effizienter nutzen, die Transportwege unserer Güter wesentlich verkürzen und
unsere Tendenz zu überhöhten Geschwindigkeiten einschränken.
Wir
müssen einfach manche Gewohnheiten ändern. Gewisse Beschränkungen fallen uns
vielleicht schwer, zum Beispiel besteht ein starkes Bedürfnis nach Mobilität,
das weit darüber hinausgeht, nur von A nach B zu gelangen. Doch gibt es noch
viel Spielraum, um dieses Bedürfnis mit anderen Methoden zu befriedigen.
Die
zentrale Frage ist nicht:, wo wir künftig ausreichend Ressourcen für unsere Energiebedürfnisse
finden werden und ob es weiterhin fossile Energie, Sonnenenergie, Atomenergie
oder etwas anderes sein wird. Die Hauptfrage ist, wie wir mit der uns zur
Verfügung stehenden Energie am besten umgehen. Das Ressourcenproblem ist leicht
gelöst: Die arbeitsfähige Energie, die wir unter den geforderten Grenzen
täglich umsetzen dürfen, können wir vollständig von der Sonne beziehen.
Die
Sonnenstrahlung liefert 2000 mal mehr Energie, als das Biosystem benötigt, und
8000 mal mehr, als wir Menschen maximal umsetzen dürfen, ohne die Robustheit
des Biosystems zu überfordern. Wir scheitern nicht daran, dass es nicht geht,
sondern an unserem Streben nach Macht und Zentralisierung. Gegen jede dezentralisierte
Energiequelle haben wir den Widerstand der Mächtigen gegen uns.
Deshalb
verwenden wir heute die konzentrierte Kernenergie, die man aber aus vielen Gründen
nicht verwenden darf. Zum Beispiel sollten wir Menschen niemals Technologien
entwickeln, die in einem Störfall zu einem unverantwortlichen Schaden führen
können, unabhängig von errechneten Wahrscheinlichkeiten. Wir haben zeitlich und
räumlich überhaupt keine Kontrolle darüber.
Ein
Kernkraftwerkunfall ist völlig inakzeptabel, weil die Gefahr besteht, dass die
ganze Menschheit dabei vernichtet wird, ebenso wie durch Atomwaffen. Männer,
die älter als 60 sind, können das Risiko ohne weiteres eingehen. Die
Wahrscheinlichkeit, dass es sie trifft, ist nicht sehr groß. Wenn etwas
passiert, trifft es überwiegend Menschen, die gar nichts damit zu tun haben
oder noch nicht geboren sind.
Es
ist ein Unterschied, ob ich Russisches Roulett mit mir selbst spiele oder mit
dem Kopf meines Kindes. Letzteres ist einfach verboten. Statistische
Berechnungen nützen dabei überhaupt nichts. Was besagt schon eine errechnete
Wahrscheinlichkeit von einem Millionstel für einen Störfall? Es kann heute
passieren oder in einer Million Jahren. Deshalb gibt es auch keine
Versicherung, die einen Kernreaktor versichern würde.
Und wenn etwas passiert,
dann meistens nicht das, was errechnet wurde, sondern etwas, an das niemand
gedacht hat. Niemand ist in der Lage, an alles zu denken. Deshalb funktionieren
neu konstruierte Apparate anfangs nie, weil irgendetwas vergessen oder falsch
eingeschätzt wurde. Je fantasieloser jemand ist, umso sicherer wird er seine
Maschine einschätzen. Die Unzulänglichkeiten liegen jedoch nicht immer an der
Konstruktion, sondern auch an den Menschen, die den Apparat bedienen.
Die
Forderung nach einem fehlerfreien Menschen hieße jedoch, ihm seine ganze
Kreativität zu nehmen. Denn es ist seine kreative Begabung, die Abweichungen
von der Norm zulässt, die wir meist als Fehler wahrnehmen. Die Technik ist für den Menschen geschaffen, nicht
umgekehrt. Wir wollen dem kreativen Menschen, dem homo sapiens sapiens, zur optimalen Entfaltung verhelfen. Daher
unsere Aufforderung, das Lebende lebendiger werden zu lassen.
Wir
möchten in einer Welt leben, in der jeder kreativ sein kann und dabei Fehler machen
darf, ohne Gefahr zu laufen, die in dreieinhalb Milliarden Jahren erreichte Robustheit
unseres Ökosystems aufs Spiel zu setzen. Als Teilhabende der Biosphäre liegt es
in unserer Verantwortung, die inhärente Instabilität des Lebendigen zu erkennen
und deren dynamische Balance zu fördern.
Einstein
hatte Recht, als er mit Blick auf die Atombombe sagte, einer Maus wäre es nie
eingefallen, eine Mausfalle zu bauen. Das heißt, wir brauchen eine Technik, die
kompatibel ist mit kreativen Menschen, die auch Fehler machen dürfen. Denn ein
solcher Fehler könnte uns eine ganze Zukunft eröffnen. Das ist nicht ein Leben
des Verzichts, sondern der Öffnung und Flexibilität, der Lebendigkeit im
tieferen Sinne.
Das
ist der neue Lebensstil, den wir anstreben sollten, und mit dem unsere Probleme
lösbar werden. Jetzt müssen wir nur die Leute finden, die das praktisch
umsetzen. Sie sind eigentlich überall, und wir müssen sie auch gar nicht
überzeugen. Meist sagen sie von selbst: „Du hast ja recht, ich sehe das
genauso. Aber die Realität ist doch anders!“
Dann
sollten wir entgegnen: „Wirklichkeit kann verändert werden. Die von uns geschaffene
Realität ist nur eine verstümmelte Wirklichkeit. Wir müssen sie wieder erweitern
und lebendig machen, sie als die volle geistig-lebendige Wirklichkeit erkennen,
die uns alle als Teilnehmende einschließt.“ Wirklichkeit ist keine starre
äußere Realität. Sie ist in uns und voller Möglichkeiten, sie zu verändern und
neu zu gestalten. Wenn wir diese offene Wirklichkeit als Vision in uns tragen,
wird es uns auch gelingen, sie zu verwirklichen.
In der abendländischen
Geistesgeschichte führte die analytische Entwicklung zu einer Zerstückelung
dessen, was im Naturempfinden ursprünglich als Einheit gesehen wurde: Zwischen
Materie und Geist fand eine Trennung statt. Der Mensch wurde als Krone der
Schöpfung und allein geistbegabtes Wesen betrachtet. Der Geist wurde im menschlichen
Gehirn angesiedelt; alles andere als Materie deklariert, insbesondere auch
Pflanzen und Tiere.
Descartes verglich die
Lebewesen mit Maschinen, deren Leiden er auf das Quietschen von mechanischen
Robotern reduzierte. Dieser Materialismus führte zur allgemeinen Tier- und
Naturverachtung. Doch wurde er schon vor über 100 Jahren durch die
Quantenphysik überwunden. Leider hat sich das noch nicht herumgesprochen.
Inzwischen wurde das, was
die Menschheit in archaischen Zeiten fühlte, nämlich ihre Einheit mit der
Natur, sogar von der modernen Naturwissenschaft wieder entdeckt. Aber es ist
nicht rezipiert worden, weil es uns so fremd ist. Wir sind dem materialistischen
Denken so eng verbunden, dass wir uns nur schwer davon trennen können. Die
Materie scheint etwas Primäres, Unveränderliches zu sein, dessen Anordnung
durch streng gültige Naturgesetze bestimmt ist.
Besonders seit der
Aufklärung schätzen wir die Vorteile der materialistischen Weltbetrachtung.
Wenn man vorausberechnen kann, was in Zukunft passiert, weil man die Gesetze
kennt und darauf extrapolieren kann, hat man den Eindruck, die Natur in den
Griff zu bekommen, das heißt, Kontrolle über sie zu erlangen. Doch wenn die
Natur eine Maschine ist, kann der Mensch nicht in dieser Natur sein, denn wir trauen uns ja einen eigenen
Willen zu.
Das führte dazu, den
Menschen aus der Natur herauszunehmen und ihn praktisch gottähnlich zu machen,
gleichzeitig aber der übrigen Natur ihre Göttlichkeit zu nehmen. Daher kam die
Spaltung von Geist und Natur. Die Frage war dann, wo gespalten wird, und es war nur der Mann, der als
geistbegabt angesehen wurde. Die Frau rechnete man zu den Tieren, Pflanzen und
der übrigen Natur.
Wir können uns nur schwer
von dieser Vorstellung trennen, obwohl wir inzwischen akzeptieren, dass die
Frauen auch mit dazugehören. Aber die Tiere lassen wir immer noch draußen, das
heißt, wir betrachten die übrige Welt eigentlich als eine Maschine, die wir für
uns nutzen können oder der wir Befehle geben.
Obwohl die moderne Physik
inzwischen unsere Technik beherrscht - die Mikroelektronik, die Atombomben und
die moderne Chemie erfordern die neue Sichtweise -, hat die Vorstellung, die
dahinter steckt, nicht Fuß gefasst. Wir denken noch im 19. Jahrhundert, obwohl
wir Technologien haben, die auf dem Stand des 20. Jahrhunderts sind. Und jetzt
wollen wir das 21. Jahrhundert mit dieser „Denke“ und Technik gestalten.
Quantenphysiker haben vor
über hundert Jahren herausgefunden, dass es Materie in dem bisher verstandenen
Sinn gar nicht gibt, sondern dass alles
Energie ist, letztlich Geist und Information. Angesichts dieser
Entdeckung ist die Trennung von Körper und Seele, die zu dieser
verhängnisvollen Entwicklung führte, irreal. Sie führte zu fatalen Folgen in
der Ökologie, im Verhältnis des Menschen zur Natur sowie in der Behandlung des
Tieres durch den Menschen.
Aber es ist noch viel
tiefgreifender. Die Revolution lag nicht nur darin, dass die Materie
verschwand, sondern auch die Energie ist verschwunden. Es stellte sich heraus,
dass das ontologische Weltbild nicht mehr gilt, in dem Dinge existieren, ob als
Energie oder als Zeichen vorgestellt.
Das Grundelement der
Wirklichkeit ist nicht Realität, sondern schlicht Verbundenheit. Es gibt nur
Verbindungen, ohne dass diese an irgend etwas geknüpft sind, das wir begreifen
können. Wir haben auch keine Sprache für Etwas, das nur Verbundenheit meint,
ohne zu sagen, was womit
verbunden ist.
Die kleinsten Elemente sind
nicht materielle oder energetische Einheiten, sondern ich nenne sie „wirks“,
Teile der Wirklichkeit, die wirken, ohne materiell zu sein. Wir können sie als
eine Art Hintergrundfeld betrachten. Materie ist wie die Schlacke des Geistes.
Wir sind ein Meer, das selbst nicht materiell ist, aber auf dessen Wellen sich
die Materie türmt.
Der Geist ist seiner Natur
nach holistisch, deshalb können wir ihn nicht begreifen. Er ist das
Eigentliche, das uns zusammen hält. Wenn wir miteinander reden, reagieren wir
nicht auf die Licht- und Schallwellen, die wir austauschen, sondern die Worte erinnern
uns an etwas, das wir eigentlich schon wissen und aus unserer eigenen Erfahrung
ausgraben. Wir begegnen uns im Geistigen, und die Worte dienen nur der Verständigung
darüber, wo wir uns
begegnen wollen.
Im Grunde sind wir alle
„Schlacken“ ein- und desselben Geistes, ein- und derselben Einheit. Der Geist
ist das Zusammenhängende, das Primäre. Die Frage lautet eher: Wie kommt es,
dass dieses Zusammenhängende, nicht Trennbare, in unserer Vorstellung aus
vielen Teilen besteht? Mein Gesprächspartner und ich sind eigentlich ein- und
derselbe, haben aber den Eindruck eines bestimmten Abstands, als ob etwas
dazwischen sei.
Dieser Abstand ist
eigentlich das Geheimnis. Der Geist ist nämlich nicht getrennt, sondern nur
unsere Körperlichkeit. Die „Schlacke“ ist getrennt, aber nicht das, worauf sie
schwingt. Wenn Menschen Kriege führen gegen einander oder gegen Tiere, dann
verletzen sie sich gleichzeitig selbst, da alle Lebewesen Teile ein- und
desselben Geistes sind.
Wir wissen allerdings nicht,
wie gut die Kommunikation im Geistigen ist. Wahrscheinlich gibt es dort auch
Nähe und Entfernung, aber nicht im örtlichen Sinne. Der Grad der Verbundenheit
ist etwas anderes. Er ist mit einem Handy zu vergleichen: Wenn die Wellenlänge
meines Handys in die Nähe eines anderen gerät, findet eine Kommunikation statt.
Bin ich weiter entfernt, gibt es keine Kommunikation.
Der Abstand ist nicht das
Wesentliche, es gibt engere und weitere Verbindungen. Aber das Leid in der Welt
tangiert mich persönlich, ich bin nicht abgetrennt davon. Deshalb ist
eigentlich das Mitgefühl die Compassion. Das Mit-dem-Anderen-Fühlen hat nichts
mit Altruismus zu tun, sondern es ist ein Schmerz, den ich unmittelbar
empfinde. Wenn mein großer Zeh schmerzt, sage ich auch nicht, ich habe
Mitgefühl mit ihm, sondern es tut mir selbst weh, obwohl er vom Kopf weit
entfernt ist.
So sind wir praktisch mit
allem verbunden. Deshalb gilt: Wenn etwas in der Welt leidet, dann leide ich
mit, auch wenn ich den Grund dafür nicht kenne. Ich werde deprimiert und weiß
nicht, warum, denn ich habe ja alles, was ich brauche. Aber irgend etwas ist
da, das mich unglücklich macht. Das ist keine Sentimentalität, sondern ein
tiefes ontologisches Gefühl, das an unsere gemeinsame Wurzel rührt.
Wir interpretieren die
Verbindung immer als weltliche Größe, die mit uns in Wechselwirkung tritt. Aber
es ist keine Wechselwirkung, weil wir eigentlich mit uns selbst sprechen, nur
in verschiedenen Personen. Das heißt, in mir steckt etwas von meinem
Gesprächspartner und in ihm steckt etwas von mir. Wir führen ein Selbstgespräch,
das den anderen mit einbezieht.
Das gilt auch zwischen
Menschen und Tieren. Doch sind wir gegenüber Menschen einfühlsamer und wissen,
wo wir hinhören müssen, ähnlich wie bei einem Radio. Ich weiß genau, wo ich den
Sender einstellen muss, damit ich entweder meine Lieblingsmusik oder
Nachrichten hören kann, obwohl alle Sendungen ständig laufen. Der Sender stoppt
ja nicht, wenn ich das Radio ausschalte.
Beim Radiohören
sensibilisiere ich das Gerät für eine ganz bestimmte Wellenlänge und trete mit
ihr in Verbindung. Ebenso kann ich die Verbindung zu anderen Wesen aktiv
erzeugen und erhalte das subjektive Gefühl einer Verbundenheit. Ich fange das
Signal irgendwo auf bzw. sensibilisiere mich dort, wo der andere gerade
schwingt. Dieses Schwingungsfeld ist immer da, ebenso wie die Radiowellen um
uns herum.
November
2011
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