Auf der Grundlage jüngerer
Ausgrabungen und besserer Datierungsmöglichkeiten von Radiokarbondaten entsteht
zur Zeit ein ganz neues Bild der menschlichen Entwicklungsgeschichte, in dem
die Verehrung einer Muttergottheit eine herausragende Rolle spielt. In der
Vergangenheit haben männliche Ethnologen das archäologische Material oft völlig
falsch interpretiert, indem sie ihr patriarchales
Weltbild zugrunde legten, statt die Funde vorurteilslos zu deuten.
So konnten inzwischen einige
„Jägerskelette“, die man zusammen mit Jagdinstrumenten in Steinzeitgräbern
fand, als weiblich identifiziert werden. Der russische Archäologe Leonid Jablonskij und seine amerikanische Kollegin Jeannine
Davis-Kimball fanden in Südrussland und der Ukraine zahlreiche Gräber (Kurgane) skytischer oder sarmatischer Frauen, die mit Waffen und Rüstungen begraben
wurden. Ein weiterer interessanter Fundort ist eine Nekropole bei Pokrovka. Zwischen 600 und 300 v.u.Z. wurden hier den
weiblichen Verstorbenen mehr Waffen in den Gräbern mitgegeben als den männlichen.
Weibliche Statuetten, die zu
Zehntausenden im Mittelmeerraum gefunden wurden, stellen entgegen früherer
Lehrmeinung keine Sexsymbole dar, sondern die Große Muttergöttin. Auch Sprache
und Schrift gelten heute nicht mehr als männliche „Erfindungen“, sondern sind
eher auf die Vermittlung von Erfahrungen der Mütter an die Kinder
zurückzuführen. Wir müssen uns wohl von der Vorstellung verabschieden, dass die
Männer auf die Jagd gingen, während die Frauen mit den Kindern (sprachlos) in
der Höhle auf sie warteten.
Eine kurze Schilderung der
Matriarchatsforschung soll verdeutlichen, wie sich nach anfänglichem Hochmut
inzwischen objektivere Auslegungen durchgesetzt haben. Die „Wissenschaft zur
Untersuchung der Gesellschaftsform Matriarchat“ befasste sich seit dem 19.
Jahrhundert mit historischen und gegenwärtigen Formen weiblicher
Vorrangstellung. Sie begann mit Johann Jakob Bachofen, der die soziale Stellung
der Frau in den vorklassischen Kulturen des östlichen Mittelmeeres erforschte.
Dazu studierte er griechische und römische Texte sowie ethnografisches Material
über mutterrechtliche Gesellschaftsordnungen.
Bachofen hielt die
Gesellschaft des Matriarchats für nicht entwicklungsfähig. Erst die Ausbildung
des Patriarchats habe zu gesellschaftlichem und kulturellem Fortschritt
geführt, meinte er und beschrieb die Entwicklung der Menschheit in einem
Dreierschritt: vom wilden Hetärismus
(Gemeinschaftsehe), den er als „Sumpfleben“ bezeichnete, zu einer Stufe unter
der Herrschaft der Frau, die „durch das Materielle geprägt“ war, bis zur
Herrschaft des Mannes mit der Ablösung des materiellen Prinzips durch das
Geistige. Allerdings hielt Bachofen das Matriarchat schon für eine
allgemeingültige Kulturstufe, die alle Völker durchgemacht haben.
Aus Meyers
Konversations-Lexikon 1888: „Gemeinschaftsehe (Hetärismus),
ein bei verschiedenen wilden Völkern noch heute bestehendes geschlechtliches
Verhältnis, das demjenigen entspricht, welches Platon in seiner Republik
empfahl, und welches man jetzt auch wohl von Amerika aus unter dem Namen der
„freien Liebe“ als zu erreichendes Ideal hingestellt hat, dass nämlich Frauen
und Männer einander gemeinschaftlich angehören. Bachofen und andre Forscher
glauben beweisen zu können, dass dieses Verhältnis ursprünglich überall
bestanden und erst allmählich der Einzelehe Platz
gemacht habe, wie sich denn Übergangszustände, sog. Familienehen,
wo die Geschwister ihre Frauen gemeinschaftlich haben, Vielweiberei und
Polyandrie mannigfach finden. Da die unter solchen Verhältnissen gebornen
Kinder nur ihre Mutter, aber nicht ihren Vater kennen, so müssen sie Namen und
Besitz notwendig nach der erstern erben, und es
ergibt sich daraus das bei Naturvölkern weitverbreitete Mutterrecht, weil dann
die Mutter das alleinige Oberhaupt der Familie darstellt.“
Der Ethnologe Lewis Henry
Morgan erforschte erstmals eine matriarchale
Gesellschaft anhand der Irokesen-Liga in Nordamerika
und entwarf ein Schema der menschlichen Familienentwicklung. Das inspirierte
Friedrich Engels zu weiteren Fragen: Ist die bürgerliche Monogamie das ideale
Gebilde für die Gleichheit der Geschlechter? Wie kam es zum Privateigentum in
den Händen von Männern? August Bebel erklärte, dass Matriarchate keine
unterdrückerischen Besitzverhältnisse kannten, und dass Frauen erst im
Patriarchat „geknechtet, diskriminiert und versklavt“ wurden.
Die weitreichenden
Konsequenzen einer mutterrechtlich geprägten Gesellschaft (Matrilinearität)
beschrieb der Ethnologe Bronislaw Malinowski, der sich viele Jahre bei den Trobriand-Insulanern in Melanesien aufhielt. Dort gab es
auch Missionsstationen, von denen aus Wilhelm Schmidt, ein Missions-Ethnologe
katholischer Prägung, eine Wanderungstheorie entwickelte: Danach entstanden
Matriarchate als Hackbau-Kulturen in Hinterindien und breiteten sich auf dem
Wasserweg als Hack- und Ackerbaukulturen über die ganze Erde aus.
Weiter befasste sich Wilhelm
Reich mit den Trobriand-Insulanern und kritisierte
ebenso wie Malinowski das sogenannte „Inzest-Tabu“. Reich beschrieb den
Einbruch patriarchaler Prinzipien anhand eines
Zwiespalts der Jugend zwischen dem bis dahin praktizierten freien Liebesleben,
das der matriarchalen Tradition entsprach, und dem
nachfolgenden monogamen Ehezwang durch die Missionare.
Auch wandte er sich gegen die erzwungene „Witwen-Heuchelei“ und verwarf die
These, dass sich das Matriarchat aus einem ursprünglichen Patriarchat entwickelt
habe.
Der britische Ethnologe
Robert Stephen Briffault bestätigte die Annahme, dass
Mütter die handelnden Subjekte der Gesellschaften von der Urzeit bis zum
Patriarchat waren, entgegen der These vom „ewigen Patriarchat“ und
„Frauentausch“ seit der sogenannten „Urhorde“ (Freud, Lévi-Strauß). Der
schottische Ethnologe Sir James George Frazer entdeckte
ein uraltes religiös-rituelles Grundmuster und erzielte damit eine große Wirkung
in der Fachwelt mit der Folge, dass sich Freud und Malinowski als Schüler Frazers bezeichneten.
Der Mythenforscher Robert
von Ranke-Graves erarbeitete die Grundzüge der matriarchalen
Kulturepoche für den gesamten Mittelmeerraum und den Vorderen Orient. Seinen
Forschungen zufolge bestand die matriarchale
Mythologie generell aus dem Muster der dreifachen Göttin und ihrem Heros-König.
An vielen Stellen seines Werkes übt Ranke-Graves scharfe Kritik am Patriarchat.
Im Jahr 1900 entdeckte der
Archäologe Sir Arthur John Evans die minoische Kultur auf Kreta und berichtete
in umfangreichen Werken über seine Ausgrabungen. Anfangs waren seine Deutungen
einseitig patriarchal, aber später revidierte er
seine Ansicht vollständig und kam zu dem Schluss, dass Kreta von der Großen
Muttergöttin geprägt sei. Sie ist auf allen Wandbildern, Siegelringen und in
vielen Statuetten präsent. Seine Forschungen führten Evans zu der These, dass
das Matriarchat in seinen späten Formen noch bis in die Bronzezeit hinein existierte.
Bedeutsam war auch die
Entdeckung der ältesten „Steinzeitstadt“ Catal Hüyük in Anatolien 1958 durch den britischen Archäologen
James Melaart. Dadurch entstand ein völlig neues Bild von der Steinzeit. Schon
in der Altsteinzeit fand ein reger Austausch von Wissen, Dienstleistungen und
Gütern statt, und die altsteinzeitlichen Höhlen, Felsunterkünfte und offenen
Siedlungen weisen bereits auf Sesshaftigkeit hin. Melaart verwarf die
Vorstellung vom ziellosen Wandern der Altsteinzeitmenschen und datierte die
Anfänge des Ackerbaus bis zum Beginn des frühesten Neolithikums
zurück, etwa 9.000 bis 10.000 v.u.Z.
In den 1930er Jahren schrieb
die unter dem männlichen Pseudonym „Sir Galahad“
bekannte Bertha Eckstein-Diener die erste universale weibliche
Kulturgeschichte, in der sie diverse Einzelstudien verschiedener
Wissenschaftszweige zusammenfasste. Sie bezog sich in ihren Analysen auf die
lesbaren Quellen der Mythologie sowie auf Reiseberichte der ersten Ethnologen.
- Im Dritten Reich wurden die Ergebnisse der Matriarchatsforschung für
völkisches und rassistisches Gedankengut missbraucht.
Nach langjährigen
Ausgrabungsarbeiten legte die litauische Archäologin Marija
Gimbutas zwei umfassende Hauptwerke der
Matriarchatsforschung vor. Darin beschreibt sie in allen Einzelheiten die
Religion, Bräuche, Sozialstruktur, Ackerbauwirtschaft, Rituale und Kunst im
Alten Europa, die wesentlich von der Gestalt der „Großen Göttin“ geprägt waren.
Wichtige Beiträge zur Erforschung der „Symbolsprache vorgeschichtlicher
Menschen“ und zum „Wortschatz der Ursprache“ lieferten in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts Marie E. P. König und Richard Fester.
1967 konnte der Soziologe
Christian Sigrist nachweisen, dass es noch sogenannte
Gentilgesellschaften gab, die herrschaftsfrei lebten,
und zwar nicht aus Naivität, sondern aufgrund bewusst praktizierter Sozialtechniken.
Sigrist wies auch das Vorurteil zurück, dass die
alten Stammesgesellschaften nur deswegen herrschaftslos gewesen seien, weil sie
keine Differenzierung und Arbeitsteilung kannten. Entgegen der „Primitivitätsthese“ wiesen die herrschaftslosen
Stammesgesellschaften eine erstaunliche Vielfalt sozialer Beziehungen und
Gebilde auf, die jede „simple Naturwüchsigkeit“ weit hinter sich lässt.
In der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts gab es immer mehr wissenschaftlich ausgebildete Frauen, die
Matriarchatsforschung betrieben. In diesem Kontext konnten viele alte
Vorurteile männlicher Ethnologen und Archäologen aufgearbeitet und neu
interpretiert werden. Weibliche Forscherinnen bekamen auch leichter Kontakt zu
den Frauen der noch lebenden restmatriarchalen
Kulturen, die mit den (zumeist weißen) Männern nicht sprachen. Dadurch konnten
einseitige Darstellungen der matriarchal geprägten
Stämme korrigiert werden.
Langsam setzt sich die
Erkenntnis durch, dass die Ursprünge unseres geistigen Lebens von weiblicher
Vorrangstellung, Ehrfurcht vor dem Leben und der Natur sowie dem Glauben an die
Wiedergeburt geprägt waren. Es gab 4.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung
friedliche egalitäre Gesellschaften, die stark an weiblichen Eigenschaften
orientiert waren. Sie teilten ihre Produkte untereinander und vermieden eine
Anhäufung von persönlichem Besitz. Die Kinder gehörten den Frauen und wurden
von ihnen gemeinsam betreut. Leider fanden diese Erkenntnisse noch keinen
Eingang in unsere Schulbücher, so dass das öffentliche Weltbild immer noch
falsch ist.
Vor
6.000 Jahren und in den Zeiträumen davor waren Frauen schöpferisch und kulturprägend tätig,
ohne jedoch zu herrschen. Der Begriff „Matriarchat“ kann nicht mit
„Frauenherrschaft“ gleichgesetzt werden. Das Weibliche wurde überall in der
Welt als heilig empfunden und in Form der Großen Muttergöttin verehrt. Frauen
besaßen eine spirituelle Verbindung zur Natur und wurden als
Stellvertreterinnen der Göttin betrachtet. Als Mütter, Sippenleiterinnen und
Schamaninnen waren ihre Funktionen das Gebären, Ernähren, Heilen und Lehren.
Die
Frauen und Mütter dominierten nicht im patriarchalen
Sinne, sondern suchten in unzähligen „Palavern“ einen allgemeinen Konsens
herbeizuführen, an dem alle Sippenmitglieder beteiligt waren. Auf diese demokratische
Weise trugen sie die Verantwortung für das Allgemeinwohl ihrer Sippen. Vor
6.000 Jahren und in der Zeit danach fanden große gesellschaftliche Umwälzungen statt,
in deren Verlauf die matriarchalen Strukturen durch
das Patriarchat ersetzt wurden. Die Zeit des gesellschaftlichen Umschwungs ist
ebenfalls durch archäologische Funde gut dokumentiert.
Der
Unterschied bestand vor allem in der Art, miteinander umzugehen. Im Matriarchat
gab es aufgrund der Gemeinschaftlichkeit keine blutigen Konflikte um Eigentum
und keine Eifersuchtsdramen. Typische Konflikte traten dagegen bei mangelnder
Wechselseitigkeit auf. Sie wurden aber nicht durch Polizei und Militär gelöst,
sondern durch Ausschluss aus dem Netz der Gegenseitigkeit.
Ist
es möglich, diese alten Kräfte wieder zu mobilisieren und uns auf das frühere
Zusammenleben in Partnerschaft und Toleranz zurückzubesinnen? Immerhin wissen
wir jetzt, dass es solche Gesellschaften gab, und dass wir dieses
Potenzial noch in uns tragen.
Zur Erbauung. Arthur Schopenhauer: „Frauen sind das in jedem Betracht zurückstehende,
zweite Geschlecht, welchem Ehrfurcht zu bezeugen über die Maßen lächerlich ist
und uns in ihren eigenen Augen herabsetzt. Mit mehr Fug, als das schöne, könnte
man das weibliche Geschlecht das unästhetische nennen. Weder für Musik, noch
Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich Sinn, sondern bloße Aefferei. Zum Behuf ihrer Gefallsucht, ist es, wenn sie
solche affektiren und vorgeben.“
Paul Julius Möbius: „Das
Weib ist körperlich und geistig ein Mittelding zwischen Kind und Mann. Der
Instinkt macht das Weib thierähnlich, unselbständig,
sicher und heiter. Mit dieser Thierähnlichkeit hängen
viele weibliche Eigentümlichkeiten zusammen. Zunächst der Mangel eigenen Urtheils. Wie die Thiere seit
undenklichen Zeiten immer dasselbe thun, so würde
auch das menschliche Geschlecht, wenn es nur Weiber gäbe, in seinem Urzustand
geblieben sein. Aller Fortschritt geht vom Manne aus.“
Auch
Kant verglich die Frauen mit Tieren, als er in seiner „Kritik der Urteilskraft“
die Unterschiede zwischen Vernunft, Verstand und Gefühl definierte.
März 2012
zurück zur Startseite
Hier können Sie
sich den gesamten Text kostenlos als pdf-Datei herunterladen.