EVOLUTIONÄRE ERKENNTNISTHEORIE (EE)

 

Erkenntnis ist eine adäquate Rekonstruktion und Identifikation äußerer Strukturen im Subjekt (nach Vollmer). Sie beruhe auf einer Wechselwirkung subjektiver und objektiver Strukturen, wobei das Subjekt eine konstitutive Rolle spiele. Subjektive Erkenntnisstrukturen "passten" auf die Realität, wie Werkzeuge ihren Aufgaben entsprächen. Es gebe eine Kongruenz zwischen der realen Welt und der Welt, die wir sähen. Erkenntnis sei auch nützlich. Sie erhöhe die Chancen der Reproduktion.

 

Die empirische Begründung einer Erkenntnistheorie sei von Philosophen als circulus virtiosus bezeichnet worden, da ohne Erkenntnis gar keine Naturwissenschaft möglich sei und diese deshalb vor allen Systemen auftreten müsse. Doch für Vollmer würde die Annahme einer absoluten Priorität der Erkenntnis alle Wissenschaften negieren, auch die Philosophie. Außerdem könne sie nicht wissenschaftlich begründet werden.

 

Die Passung unserer kognitiven Strukturen an die natürlichen seien das Ergebnis eines Anpassungsprozesses. Nicht nur Sinnesorgane und Gehirn würden als evolutive Ergebnisse betrachtet, sondern auch ihre Funktionen. Indem die evolutionäre Erkenntnistheorie (EE) die phylogenetischen Ursprünge des menschlichen Geistes nachzuweisen suche, begebe sie sich auf philosophischen Boden. Das Phänomen sei bisher nur philosophischen Spekulationen zugänglich gewesen.

 

Die Passung sei nie vollkommen, das würde eine lebensbedrohliche Starrheit bedeuten, da die Umwelt sich ständig ändere, sondern sie müsse überlebensadäquat sein. Alle Erkenntnis sei hypothetisch, da eine Rekonstruktion von Objekten nur auf diese Weise möglich sei. Bei der Rekonstruktion müssten wir im Geist die Informationen, die bei der Projektion durch die Wahrnehmung verloren gingen, zurück gewinnen. Unser ratiomorpher Wahrnehmungsapparat konstruiere z.B. dreidimensionale Objekte aus ihrer zweidimensionalen Projektion auf der Netzhaut.

 

Vollmer bezeichnet die Prozesse der Mutation und Selektion als unbewusste (biologische) Erkenntnis und vergleicht sie mit bewusster Erkenntnis, die aus Vermutungen und Widerlegungen bestehe. In beiden Fällen würden falsche Hypothesen eliminiert und erfolgreiche bewahrt bzw. durch noch bessere ersetzt. Dieser Prozess führe in der Evolution zu einer partiellen Isomorphie (teilweisen Übereinstimmung). In dieser Erkenntnis gebe es zwar keinen Beweis für Wahrheit, aber Hinweise und Kriterien für eine Annäherung an sie.

 

Die ontologische Position der evolutionären Erkenntnistheorie sei die eines hypothetischen Realismus (Campbell, Lorenz, Vollmer), der im Gegensatz zum kritischen Realismus den hypothetischen Charakter aller Erkenntnis betone. Er sehe selbst die Existenz der Welt als eine Vermutung an. Genetisch bestimmt seien lediglich die Strukturen unserer unmittelbaren Erkenntnis. Beim Bilden von Theorien seien wir frei.

 

Evolutionärer Erfolg beweise nicht die Wahrheit einer Hypothese, im Gegenteil. Sie könne objektiv völlig falsch sein, wie z.B. der psychologische Farbenkreis zeige, der durch die "erfundene " Farbe Purpur für uns geschlossen erscheine, während der sichtbare Ausschnitt des elektromagnetischen Spektrums offen sei. Auf der Erde gebe es verschiedene Erkenntnisformen: Fische mit Sinnesorganen für elektrische Felder, Vögel mit magnetischen Sinnen, Infrarot-Adaption bei Schlangen, Ultraschall-Rezeptoren bei Fledermäusen. Menschliche Erkenntnis sei zwar nach natürlichen Gesetzen, aber nicht notwendig entstanden.

 

Die Welt, an die sich unser Erkenntnisapparat im Laufe der Evolution angepasst habe, sei nur ein Ausschnitt aus der wirklichen Welt. Vollmer benutzt den Begriff "Mesokosmos" für eine Welt der mittleren Dimensionen. Diese gälten nicht nur für die Sinnesorgane, sondern auch für unsere Schlussweisen und Anschauungsformen. Im Mikro- und Makrokosmos könnten unsere Erkenntnisstrukturen versagen, wie Quanten- und Relativitätstheorie zeigten.

 

Das Problem der Anschaulichkeit kleinster und größter Phänomene liege jedoch nicht in ihrer Größe, diese könnte in mesokosmische Werte transformiert werden, sondern in ihrem Grenzcharakter, der in unserer kognitiven Nische des Mesokosmos keine Entsprechung finde. Da die Anschaulichkeit kein Wahrheitskriterium sei, würden technische und abstrakte Hilfsmittel umso wichtiger. Die Mathematik stelle verschiedene Strukturen zur Verfügung, die allerdings interpretiert werden müssten.

 

Die Evolutionstheorie sei bisher eher ein Forschungsprogramm als eine voll ausgearbeitete Theorie (Vollmer). Folgende Aufgaben seien noch nicht gelöst: Eine vollständige evolutionäre Kette angeben; zeigen, dass diese Kette durch Mikromutationen entstanden sein könne; beweisen, dass jeder Schritt in dieser Kette vorteilhaft gewesen sei, und schließlich diese hypothetische Kette durch empirische Befunde testen. Sinnvoll wäre auch ein vollständiges System von Kategorien menschlicher Erfahrung, ähnlich der apriorischen Erkenntniskategorien Kants.

 

Wenn die evolutionäre Erkenntnistheorie auch keine absoluten Aussagen über den Geist machen könne, so könne sie uns doch Bescheidenheit lehren, indem sie aufzeige, dass wir mit phylogenetischen Vorurteilen über die Welt und ihre Bewohner beladen sind. Bereits im neunzehnten Jahrhundert sei die These entstanden, dass mentales Erleben nicht auf Menschen beschränkt sei, und dass Ideenbildung und Denken als körperliche Prozesse der Evolution unterworfen seien.

 

Während die Entwicklungsphilosophie damals noch überwiegend spekulativ betrieben worden sei, habe Darwin, gestützt auf Spencer, seine Evolutionstheorie auf eine breite empirische Basis stellen können. Der evolutionäre Ansatz habe das vorherrschende Menschenbild revidiert, indem er zur Ent-Anthropomorphisierung unserer Weltvorstellungen beigetragen habe ("der Mensch steht nicht im Mittelpunkt"), korrespondierend mit der Etablierung des heliozentrischen Weltsystems ("die Erde steht nicht im Mittelpunkt").

 

Die Frage nach der Genese der von Kant postulierten apriorischen Erkenntnisstrukturen habe im zwanzigsten Jahrhundert zur biologischen Relativierung des Apriorischen durch Konrad Lorenz geführt. Sein Aufsatz "Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie" sei 1941 allerdings noch nicht beachtet oder verstanden worden. Erst durch die Arbeiten von Riedl und Vollmer sei die EE als eine Herausforderung bzw. "Kopernikanische Wende" innerhalb der Philosophie anerkannt worden und habe bereits zu heftigen Kontroversen geführt.

 

Seither ließen sich zwei Richtungen innerhalb dieser Theorie erkennen: Lorenz habe eine breite empirische Basis auf dem Fundament der vergleichenden Verhaltensforschung geschaffen, während Popper die Analogie wissenschaftlicher Methodik mit der Evolution der Organismen aufgezeigt und damit die Evolution der wissenschaftlichen Methode begründet habe.

 

Wuketits konstatiert, dass die EE das philosophische "Geistesprinzip" auf das Plateau der biologischen Evolution gestellt habe. Die Darwinsche Theorie habe jede Art von Teleologie (Zielorientierung) in den damaligen Evolutionsphilosophien beseitigt. Er unterscheidet zwischen psychischen und geistigen Fähigkeiten: Psychische Phänomene seien allen Organismen eigen, die ein Nervensystem aufwiesen, mittels dessen sie Informationen aufnehmen und auf die Umwelt reagieren könnten. Geistige Leistungen vollbringe jedoch nur der Mensch kraft seiner Vernunft; sie seien auf das Vorhandensein eines selbstreflexiven Bewusstseins angewiesen. Die Bio-Evolution sei jedoch die Voraussetzung für beide.

 

Als eine "Naturgeschichte menschlichen Erkennens und Denkens" sei die EE keine philosophische Disziplin. Aber ihre Konsequenzen, die in einem geänderten Selbstverständnis des Menschen lägen, seien philosophisch. Durch die Ent-Anthropomorphisierung unseres Weltbildes würden wir der geringen Rolle gewahr, die wir im kosmischen Drama spielten. Das sei zwar schon seit Darwin bekannt, aber erst heute verfügten wir über das Instrumentarium, diese Einsicht in ein umfassendes Gedankengebäude einzuordnen, das durch die Ergebnisse verschiedener Wissenschaften einen soliden empirischen Unterbau erhalten habe.

 

Wuketits fordert eine Entscheidung zur Rationalität, die zu einem neuen Realismus in der Weltdeutung als naturwissenschaftlich fundiertem Denkmodell der Kalkulation menschlicher Fortentwicklung dienen soll. Ein solcher Realismus ermögliche objektives Wissen und eine rationale Kalkulation der Welt, in der der Mensch nicht nur als Spielball der Kräfte hineingestellt sei, sondern die er auch ständig gestalte und umgestalte, als sei er tatsächlich das "ausgezeichnetste" unter allen Wesen.

 

Man könne die Evolution als ein Wechselspiel von Gesetzen und Freiheiten betrachten oder als ein Spiel, in dem Naturgesetze den Zufall steuern. Jedenfalls habe sie sich bis jetzt selbst reguliert. Nun greife der Mensch ein - kraft seiner Vernunft, die aber noch nicht geübt sei in der Erkenntnis der Konsequenzen, die sich aus solchen Eingriffen ergäben. Daraus folge für uns der Imperativ, aus der Evolution zu lernen.

 

Die Grenzen der Adaption

 

Rupert Riedl sieht die Aufgabe der EE darin, die Bedingungen des Entstehens der "Vorbedingungen unserer Vernunft" zu untersuchen, die Kant als "apriorische Kategorien des Verstandes", Lorenz als "angeborene Lehrmeister" und Brunswik als "ratiomorphe Apparate" bezeichnet hätten. Riedl nennt sie ein "System von Hypothesen" und versucht zu unterscheiden, was den Dingen in ihrem außenweltlichen Sein zukomme und was von unserem Wahrnehmungsapparat beigesteuert werde.

 

Die methodische Grundlage dazu bilde die Morphologie mit ihrer Erforschung von Homologien (Gleichartigkeiten). Sie habe gezeigt, dass die Entstehung unserer angeborenen Lehrmeister vor dem Auftreten des Bewusstseins angesiedelt werden müsse. Nichtbewusste Verhaltenssteuerungen im Sinne von Entscheidungs- und Interpretationshilfen würden erst später von der bewussten Reflexion überbaut.

 

Damit wirkten sie zwar in die Reflexion hinein, könnten aber durch diese nicht verändert werden. Riedl meint, wir sollten durch das Erkennen der Grenzen unserer Adaption alarmiert sein und daran denken, dass z.B. unsere angeborene Tötungshemmung durch Fernwaffen ausgeschaltet werde. Die Werbung nutze es gründlich aus, dass wir auf das angeborene "Kindchen-Schema" ständig hereinfielen. Für unsere Vorstellung von der Zeit genüge eine einzige Dimension, doch könnten wir ihre Grenzen, den Anfang und das Ende, nicht erkennen. Wir ergänzten sie durch mythische Vorstellungen, bis Einstein unsere Zeit-Adaption relativiert habe.

 

Für unser Raumempfinden benötigten wir allerdings drei Dimensionen. Die erste Raumachse sei mit der bevorzugten Bewegungsrichtung entstanden (vorwärts), die zweite und dritte Raumachse sei das Ergebnis unserer Beziehung zu einem Objekt. Zum Vorne und Hinten habe sich das Oben und Unten gesellt, und daraus resultiere jene Symmetrie, die wir als links und rechts bezeichneten. Unsere Kultur habe dann noch die Übung der Perspektive und der Euklidschen Geometrie hinzugefügt.

 

Die Eigentümlichkeit, Koinzidenzen (gleichartige Ereignisse) für ein Indiz von Wahrheit zu halten, sei ein altes Lernprinzip aus dem Tierreich. Es beruhe auf neuronalen Leitungsbahnen, die miteinander verknüpft und durch Wiederholungen gefestigt würden. Solche Assoziationen reichten steuernd bis in die reflektierten Urteile der Menschen. Sie suggerierten die Möglichkeit von zwingenden Schlussfolgerungen und Syllogismen (aus der Vielheit auf die Allheit zu schließen).

 

Die Folgen davon seien erfolglose Begründungsversuche der Logik (verbunden mit dem Anspruch, Vorbedingung für jedes richtige Denken zu sein), sowie die nicht widerspruchsfreie Begründung der Mathematik. Wieweit Logik und Mathematik mit dieser Welt korrespondierten, bleibe damit offen. Das Erleben von Qualität und Quantität führt Riedl auf die Reizbarkeit des Protoplasmas zurück. So würden z.B. Schwingungen durch unsere Sinnesorgane getrennt als Vibration oder Geräusch, als Wärme, Licht oder Farbe empfunden. Das Wahrnehmbare werde in Qualitäten zerschnitten, und diese Ausschnitte würden vom Bewusstsein mit Bedeutung versehen, deren elementarste "gut" oder "schlecht" sei.

 

Der Gesichtssinn schreite von der Helligkeits- und Richtungsperzeption bis in die Bildsynthese fort und führe beim Menschen durch spezifische Reizfilter und Verstärkungsmechanismen zu ganzheitlichen Gestaltwahrnehmungen. Diese Tendenz der kognitiven Vervollständigung lückenhafter Eingangsdaten sei so stark, dass wir topologische Ähnlichkeiten und damit vernetzte Zusammenhänge heute nur noch durch Analysen rekonstruieren könnten.

 

Die Folge davon sei, dass die Dinge der Welt für unsere Erkenntnis in ein hierarchisches Schachtelsystem zu zerfallen schienen. Dies werde zur Grundlage unserer Kategorien, Klassen- und Allgemeinbegriffe. Durch die Sprache werde die Gliederung unseres Wissens so festgeschrieben, dass das Wissensideal der Physik heute darin bestehe, Phasenübergänge rückstandslos zu vermeiden und Systeme aus einer Rückführung auf ihre Teile verstehen zu wollen. Erst in jüngster Zeit werde gegen beträchtlichen Widerstand versucht, mit Hilfe systemtheoretischer Ansätze eine solche Einseitigkeit zu vermeiden.

 

Auch die Kategorie der Kausalität wird von Riedl auf die Interpretation von Koinzidenzen (gleichartige Ereignisse) zurückgeführt. Von den realen ursächlichen Verknüpfungen eines Bewegungsablaufes werde normalerweise wenig gewusst. Statt dessen werde angenommen, dass Ursachenketten einen Anfang und ein Ende hätten, z.B. in den eigenen Absichten und Handlungszielen.

 

Nach der Reduzierung auf Handlungsketten falle es schwer, sich den Netzzusammenhang (durch den Ursachen in Wahrheit existierten) zu vergegenwärtigen. Die Folge davon sei, dass Wechselbezüge als Zirkelschlüsse verdächtigt würden, sowie eine Unfähigkeit, mit komplexen Systemen systemgerecht umzugehen. Unsere Adaptierungsmängel in der Logik führt Riedl auf das menschliche Dilemma zurück, dass mit dem Bewusstsein eine Spaltung des Erlebens in zwei Wahrheiten entstanden sei. Er nennt sie die rationale und die empirische Wahrheit.

 

Der Grundkonflikt bestehe für ihn in der Behauptung, dass in einer logischen, rationalen Wahrheit eine Gewissheit liegen könne, und dass eine solche Logik die Voraussetzung wäre, sich mit der empirischen Welt auseinander zu setzen. Natürlich gehe es nicht ohne die Logik, aber ihre Leistungen für die Empirie seien begrenzt. Dasselbe gelte auch für die Mathematik. Ihr Bezug könne nur so weit reichen, als sie unseren prognostischen Erfolg verbessere. Die Suche nach einer Begründung der Logik oder der Mathematik habe mit der realen Welt nur sekundär zu tun.

 

Weiterhin erklärt Riedl, dass uns alle lebenserhaltenden Erbprogramme als telenom erschienen. Das beruhe darauf, dass die Sukzessionen (Schrittfolgen) von Ereignissen meist nicht zufällig seien. Sie entstünden über kleine Entwicklungsschritte mit passabler Treffsicherheit und festigten sich durch wiederholte erfolgreiche Durchläufe. Das gelte nicht nur für unbewusst-assoziative Programme, sondern auch für die bewusst-intendierten. Deshalb deuteten wir Zwecke als aus der Zukunft zurück wirkend und Ursachen als aus der Vergangenheit vorwärts wirkend, obwohl die Final-Ursache nur eine von vier Ursachenformen darstelle.

 

Unter Ausklammerung der Materialursache (Disponibilität ) und der Formursache (Selektion) versuche die exakte Wissenschaft, die Welt aus der Kraft-Ursache allein zu verstehen. Aus den Grenzen unserer Anschauungsformen resultiert für Riedl die Spaltung unserer Kultur in eine reduktionistische Naturwissenschaft und eine hermeneutisch operierende Geisteswissenschaft, der die hermeneutische Wechselursache als vermeintlich zirkulär wieder ganz zerredet worden sei.

 

Quantitatives und qualitatives Überschreiten der Grenzen

 

Nach Vollmer ist Erkenntnis eine partiell-isomorphe Rekonstruktion der Welt, die aufgrund der evolutionären Anpassung subjektiver Erkenntnisstrukturen an die Welt überhaupt erst ermöglicht wurde.

 

Der Vergleich eines empirischen Zugangs zu den Bedingungen der Erkenntnis mit einem rationalen Zugang habe gezeigt, dass die EE zu den gleichen Verstandes-Kategorien gelange wie Kant. Darüber hinaus sei die Empirie heute in der Lage, objektive und umfassende Beschreibungen von Erkenntnis zu liefern, während auf der philosophischen Seite nur subjektive Spekulationen dagegenzusetzen seien. Über das "Warum" des Erkenntnisphänomens, den Grund seines Auftretens, könne allerdings auch in der EE nur spekuliert werden.

 

Ditfurth habe den Begriff der "weltimmanenten Transzendenz" geprägt, die er der objektiv existierenden Realität zurechne und von einer theologischen Bedeutung des Wortes unmissverständlich abgrenze. Danach könne jedes Lebewesen nach seinen kognitiven Fähigkeiten und in Abhängigkeit von seiner Hirnentwicklung eine ganz spezifische Abbildung der Umwelt erzielen. So unvollständig diese subhumanen Weltbilder auch sein mögen, sie alle seien dennoch "richtig". Sie repräsentierten Ausschnitte aus der gleichen Wirklichkeit, in der auch wir existierten.

 

Für diese Lebewesen lägen jedoch weite Teile der menschlichen Wirklichkeit in einer unerreichbaren Transzendenz. Doch läge auch für uns der größte Teil der Realität noch jenseits unserer Erkenntnismöglichkeiten. Ebenso wie "für die Zecke die Blutgefäße eines Säugetieres" oder "für den Polizeihund die Rauschgift-Szene" unvorstellbar seien, seien für uns die Gesetze jenseits des Kosmos unerreichbar (Riedl).

 

Für Vollmer sind wir allerdings in der Lage, die mesokosmische Beschränkung unserer unmittelbaren sinnlichen Erfahrung mit Hilfe der Wissenschaft zu überwinden. Auch für Riedl liegt die spezifisch menschliche Fähigkeit zur Selbst-Transzendenz in der systematischen Beachtung der Passungsmängel unseres Erkenntnisapparates. Der Mensch sei fähig, die angeborenen Grenzen der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung zu überschreiten.

 

Ditfurth fragt sich, wie weit unser Denken, unsere Begriffe und Kalküle objektiv hinausreichen mögen. Aus der Entwicklung des Gehirns und seiner Spezialisierung zu verschiedenen Arbeitsbereichen sei leicht zu extrapolieren, dass in der Großhirnrinde weiterhin "neue Zentren" entstehen würden im Dienste neuer, noch nicht erahnbarer geistiger Funktionen. Er vermutet, dass diese neuen Zentren ihren Besitzern Teile der Welt erschließen werden, die heute noch jenseits der Grenze unseres Erkenntnishorizonts liegen, in dem zur Zeit noch transzendenten Teil der Wirklichkeit, den wir jedoch als real vorauszusetzen hätten.

 

Schiwy relativiert jedoch Ditfurths Begriff der "weltimmanenten Transzendenz" als ein "rein quantitatives, aber nicht qualitatives Überschreiten der Grenzen der Umwelt" und bezeichnet das im Sinne von Hegel als "schlechte Unendlichkeit". Im Gegensatz zu Ditfurth hält Schiwy auch heute schon den Menschen "zu der ihn auszeichnenden, absoluten Transzendenz fähig". Damit bezieht er sich auf jene religiöse und mystische Transzendenz, von der sich Ditfurth ausdrücklich distanziert hatte.

 

Baumgartner versucht, Erkenntnis und Vernunft als Struktur zu interpretieren. Für ihn dient die EE allgemein der Erforschung der Geschichte der Vernunft. Er erweitert die Erkenntniskategorien um die Ordnungsbegriffe "Ereignis" und "Struktur". "Ereignis" definiert er als "das Sich-Offenbaren einer neuen Weltsicht", wobei Sein, Sinn und Wesen als Geschichte der Wahrheit gedacht werden. Baumgartner unterscheidet Ereignisse erster Stufe, durch die neue Gestalten des Lebens geschaffen werden, und Ereignisse zweiter Stufe, die die neue Sicht belegen.

 

Der Begriff der Struktur ersetze heute den Begriff des Wesens, der philosophischen Wesenheit. Strukturen seien ein Gefüge von aufeinander bezogenen Fakten oder Elementen, die auf das Gesamtgebilde hin geordnet seien und ein geregeltes Funktionsganzes ausmachten. Dieser Zusammenhang könne auch als ein System von Zwecken beschrieben werden. Der Strukturbegriff werde primär am Modell des lebenden Organismus gebildet und expliziert.

 

Es gäbe zwei Typen von Geschehen: strukturbildende Ereignisse erster Stufe und Ereignisse zweiter Stufe, in denen sich die Strukturen entfalten und ausprägen. Ereignis und Struktur seien zwei korrelative, einander wechselseitig voraussetzende Begriffe. Bei seiner Überlegung, was Vernunft als Ereignis und als Struktur bedeuten könne, folgert Baumgartner, dass das Auftreten des homo sapiens ein Ereignis im primären Sinne gewesen sei, das eine neue Struktur von Weltsicht begründet habe, in der die Vernunft die Struktur hervorbringe. Damit hat Baumgartner die subjektive, idealistische Perspektive in der Philosophie neu begründet.

 

Vernunft als Struktur bezieht sich in dieser subjektivistischen Definition auf die menschliche Art der Begriffsbildung, Reflexion und Argumentation. "Vernunft ist ein geordnetes Beziehungsgefüge von Erkenntnisfunktionen, die als Teilleistungen der Wirklichkeitserschließung auf ein Ganzes (Zweck) von Welt- und Selbsterkenntnis (Wahrheit) bezogen sind. Dieses Funktionsganze"..."ist die Grundlage des Selbstverständnisses des homo sapiens" (Baumgartner).

 

Aufgrund dieser Definition kommt Baumgartner zu dem Schluss, dass Vernunft als Ereignis erster Stufe aus naturgeschichtlicher Perspektive nicht gedacht werden könne bzw. das Auftreten von Vernunft aus der Geschichte der Natur nicht erklärt werden könne, weil Geschichte ein Gedanke der Vernunft sei und sie sich durch sich selbst nicht als geschichtlich geworden betrachten könne.

 

Transzendentale Erkenntnis

 

Die Parallelen der Evolutionären Erkenntnistheorie zu Kants Transzendentalphilosophie sind unübersehbar. Sie liegen in den von Kant postulierten apriorischen Kategorien des Verstandes (Quantität: Einheit, Vielheit, Allheit; Qualität: Realität, Negation, Limitation; Relation: Inhärenz und Subsistenz, Kausalität und Dependenz, Gemeinschaft und Wechselwirkung; Modalität: Möglichkeit und Unmöglichkeit, Dasein und Nichtsein, Notwendigkeit und Zufälligkeit), den Anschauungsformen Zeit und Raum sowie dem transzendenten Ding an sich.

 

Diese reinen Verstandesbegriffe seien nicht aus der Erfahrung gewonnen, sondern aus dem Verstand selbst. Nach Kant liegen sie vor aller Erfahrung (apriori) und ermöglichen diese erst. Die Dinge an sich könnten wir nicht erkennen, obwohl sie natürlich da seien und unsere Sinne affizierten (anstießen). Doch wir nähmen nur ihre Erscheinung wahr.

 

Kant vermittelte in seiner "Kritik der reinen Vernunft" zwischen dem Rationalismus ("Das Wesen der Dinge kann nur durch Erkenntnis vermittels aus der Vernunft entsprungener Begriffe erfasst werden") und dem Empirismus ("Erkenntnis ist nur aus Erfahrung möglich, alle Ideen sind ein Produkt sinnlicher Wahrnehmung"). Kant zeigte, dass beide Positionen für die Erkenntnis konstitutiv sind: Ohne sinnliche Daten wäre Erfahrung ebenso wenig möglich wie ohne apriorische Begriffe des Verstandes.

 

Sowohl Empirismus als auch Rationalismus betrachteten die Dinge dogmatisch als unserer Erkenntnis zugänglich, während der Skeptizismus die Möglichkeit einer gültigen Naturerkenntnis grundsätzlich in Frage stellte. Auch hier vermittelte Kant durch seinen transzendentalen Kritizismus, indem er die objektive Geltung der Verstandesbegriffe nachzuweisen versuchte. Kants Thema war dabei nicht das Wesen der Dinge selbst, sondern die Natur des Erkennens.

 

Durch die evolutionäre Erkenntnistheorie wird Kants Kritik der reinen Vernunft einerseits bestätigt und andererseits relativiert (Lorenz). Die Evolutionstheorie zeige, dass sowohl unsere angeborenen Denkkategorien als auch die Welt an sich das Ergebnis eines dynamischen Entwicklungsprozesses seien, bei dem sie sich gegenseitig beeinflusst hätten, und die noch heute in einer interdependenten Wechselbeziehung stünden. Trotzdem würden Kants Postulate, die er auf einer abstrakten philosophischen Ebene getroffen habe, durch die EE auf einer konkreten empirischen Ebene bestätigt.

 

Das menschliche Denken unterliege tatsächlich apriorischen Bedingungen (Lorenz). Diese Denkkategorien seien allerdings im Laufe der Evolution entstanden. Sie korrespondierten möglicherweise mit gleichartigen metaphysischen Prinzipien, als deren materiellen Niederschlag man sie bezeichnen könne. Aber insoweit sie das menschliche Denken ermöglichten, seien sie ein Produkt unserer entwicklungsgeschichtlichen Anpassung an die Umwelt. Die Kategorien seien apriorisch für die individuelle Erkenntnis, aber aposteriorisch für die artspezifische Erkenntnis, die erst ihre Erfahrungen in der Umwelt machen musste, um sie dann als kategoriale Denkprinzipien in ihr Gehirn einzuprägen.

 

Für Lorenz beruht das "Apriorische" auf stammesgeschichtlich gewordenen erblichen Differenzierungen des Zentralnervensystems, welche die Disposition, in gewissen Formen zu denken, bestimmen. Diese Auffassung des Apriorischen als Organ zerstöre dessen Begriff, da es jetzt aposteriori entstanden sei, wenn auch nicht auf dem Wege der Deduktion. Aus dieser Umprägung resultiere auch eine grundsätzliche Veränderung des Begriffs vom An-sich-Seienden und vom Transzendentalen. Wenn der "apriorische Apparat" innerhalb der Natur entstanden sei, verliere die Grenze zwischen dem Erfahrbaren und dem Transzendenten ihren festen Ort, denn diese Grenze sei für jede Spezies eine andere.

 

Lorenz postuliert, scheinbar im Gegensatz zu Kant, ein reales Verhältnis zwischen dem Ding an sich und den apriorischen Formen unserer Sinnlichkeit, da diese Formen in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit in der Auseinandersetzung mit den Gesetzen des An-sich-Seienden als eine Anpassung an diese entstanden seien und unserem Denken eine der Realität der Außenwelt entsprechende Struktur verliehen hätten. Das Apriorische sei die Funktion eines Organs und beruhe auf zentralnervösen Apparaturen, welche ebenso real seien wie die Dinge der an-sich existierenden Außenwelt, deren Erscheinungsformen sie bestimmten.

 

Lorenz hält es für möglich, dass unsere Verstandesgesetze bei einer anderen historischen Entstehungsweise ganz anders aussehen würden, da menschliche Vernunft in dauernder Wechselwirkung mit den Gesetzen der umgebenden Natur entstanden sei. Selbstverständlich hätten Eigenschaften, die dem Ding zukämen, das hinter der Erscheinung "Wasser" stecke, zu der speziellen Anpassung der Flossen geführt, die von Fischen, Reptilien, Säugern usw. unabhängig voneinander herausdifferenziert worden seien. Deshalb müsse das auch grundsätzlich bezüglich der Struktur und Funktionsweise unseres Gehirns gelten.

 

Andererseits ist Lorenz mit Kant und gegen Hume der Ansicht, dass eine reine, d.h. von jeder Erfahrung unabhängige Wissenschaft von den Denkformen möglich sei. Doch hält er eine solche Trennung der Aprioritätslehre und der Lehre vom Ding an sich für sinnlos. Die Beziehung zwischen Erscheinungswelt und dem An-sich der Dinge sei nicht durch ideale Formgesetze in grundsätzlich unerforschbarer Weise festgelegt, auch komme den aufgrund dieser "Denknotwendigkeit" gefällten Urteilen keine absolute Gültigkeit zu. Vielmehr stünden unsere Anschauungsformen und Kategorien in einer realen Beziehung zu Eigenschaften, die den Dingen an sich zukämen. Auf diese Eigenschaften "passten" sie zwar nicht absolut, aber in einer biologisch ausreichenden Weise.

 

Die Gesetze der reinen Vernunft verwickelten sich nicht nur untereinander, sondern auch mit den empirischen Tatsachen in schwerste Widersprüche. Im Bereich der Quantenmechanik versagten die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit, sowie die Kategorien der Kausalität, der Substantialität und der Quantität. Diese "plumpen kategorischen Schachteln" könnten deshalb keinerlei absolute Gültigkeit beanspruchen (Lorenz). Paradoxerweise bewährten sie sich aber trotzdem als Arbeitshypothesen unserer Art über die Realität unseres Lebensraumes.

 

"Die Brillen unserer Denk- und Anschauungsformen, wie Kausalität, Substantialität, Raum und Zeit, sind Funktionen einer neurosensorischen Organisation, die im Dienste der Arterhaltung entstanden ist. Durch diese Brillen sehen wir also nicht, wie die transzendentalen Idealisten annehmen, eine unvoraussagbare Verzerrung des An-sich-Seienden, die in keiner Analogie zur Wirklichkeit steht, sondern ein wirkliches Bild derselben, allerdings eines, das in krass utilitaristischer Weise vereinfacht ist:. Wir haben nur für jene Seiten des An-sich-Bestehenden ein "Organ" entwickelt, die ... für unsere Art lebenswichtig waren." "Dieses wenige aber, was zu wissen uns die Organisation unserer Sinnesorgane und unseres Nervensystems gestattet, hat sich ... bewährt. Wir dürfen ihm vertrauen - so weit es reicht! ... Selbstverständlich hat das An-sich-Bestehende noch sehr viele andere Seiten, die aber für uns ... nicht lebenswichtig sind" (Lorenz).

 

Der Prozess der Evolution könne als ein Erkenntnis- und Lernvorgang gesehen werden. Nichts sei absolut, außer dem hinter den Erscheinungen Stehenden selbst, und nichts, was unser Gehirn denken könne, habe apriorische Geltung. Die Unvollkommenheit dieses natürlichen Systems repräsentiere seine Auseinandersetzung mit der realen Außenwelt. Sie sei die Wirklichkeit. Wir sollten nicht versuchen, die Welt in unsere starren Denkkategorien zu pressen, sondern gerade die Widersprüchlichkeiten zwischen unseren Denkstrukturen und den Strukturen der Umwelt dazu benutzen, etwas mehr über die "Dinge an sich" zu erfahren. Sie seien uns nämlich nur durch solche Widersprüche zugänglich.

 

Die Auffassung der apriorischen Anschauungs- und Denkformen als organische Anpassung führe zu der Überzeugung, dass jeder Erscheinung unserer Welt etwas Wirkliches adäquat korrespondiere. Was unseren Anschauungs- und Denkformen "vorgespiegelt" werde, repräsentiere tatsächlich reale Gegebenheiten. Wenn auch das Apriorische nur eine "Schachtel" sei, deren Form schlecht und recht auf die abzubildende Wirklichkeit passe, könnten wir doch das An-sich der Dinge nicht anders als durch diese Schachtel erfassen.

 

Deshalb fordert Lorenz eine Erforschung der angeborenen Schematismen bei untermenschlichen Organismen, also Tieren, um aus den Gemeinsamkeiten der funktionellen Beschränkungen verschiedener Weltbildapparaturen die Eigenschaften des menschlichen Apriori aufzuhellen und Rückschlüsse auf die hinter den Erscheinungen stehende Welt zu ziehen. Solche Vergleiche seien geeignet, die These von der Korrelation zwischen dem Realen und der Erscheinung zu bestätigen. Sie wiesen auch auf eine Kontinuität des An-sich-Bestehenden hin. Verschiedene Anpassungen an dieselbe Gesetzmäßigkeit bestätigten deren Realität.

 

Lorenz vergleicht das starre Festhalten "primitiver Menschen" an Traditionen mit dem erprobten Verhalten eines Organismus, der über einen räumlich-zeitlich-kausalen Überblick nicht verfügt. Keineswegs komme jedoch den weniger anthropomorphen Vorstellungen ein höherer Grad an Wirklichkeit zu als den naiv-anschaulichen. Die primitive Wiedergabe stehe zum absolut Existenten in einer ebenso realen Beziehung wie die höhere. Es liege nur ein Standpunktwechsel vor. Aber wie viele Beziehungen es zur absoluten Wirklichkeit noch gebe, könne niemand ahnen.

 

Kultur

 

Individuelles Wissen hat sich im Generationenvergleich, insbesondere seit der Erfindung der Schrift, als kollektives Wissen in der menschlichen Kultur systematisiert und dort als objektives Produkt menschlicher Gehirntätigkeit eine Eigendynamik entwickelt, die als soziokulturelle Evolution bezeichnet wird (Seitelberger). Es handele sich dabei um eine vom Organ entkoppelte Meta-Ebene der Gehirnleistungen. Diese Überwelt der Abstraktionen und Symbole werde den Individuen aber ständig zurück vermittelt und von diesen durch Lernprozesse materiell wieder in das Gehirn aufgenommen, um dort erneut verarbeitet und modifiziert der Meta-Ebene zurückgeführt zu werden, so dass sich ein gewaltiger, selbst verstärkender kollektiver Lernprozess auf einer höheren Ebene vollziehe.

 

Hier werde wieder ein altes evolutionäres Prinzip deutlich: "Das Ganze ist stets mehr als die Summe seiner Teile." Auf jeder nur denkbaren Ebene führe ein Zusammenschluss von Einzelelementen zu einem höheren Phänomen, das zwar in den einzelnen Gliedern als Ansatz schon vorhanden gewesen sei, sich aber nur durch kollektiven Zusammenschluss habe realisieren können. Letztlich seien alle Phänomene schon in den ersten Wasserstoffatomen als Möglichkeit enthalten gewesen.

 

Das scheine auf einen Materialismus hinzudeuten, könne aber auch dualistisch interpretiert werden, meint Seitelberger. So wie der Gehirnfunktion ein bewusstes Erleben (Geist) korrespondiere, dessen Realisierung in unseren Gehirnen auf die Existenz eines Geistes an sich schließen lasse, könnten alle materiellen Substrate als korrespondierend aufgefasst werden; als Bedingungen für unsere realisierte Art von Geist.

 

Intelligentes Handeln ersetze heute, zumindest prinzipiell, den langsamen Anpassungsprozess der biologischen genetischen Entwicklung durch einen transmateriellen Prozess von kürzestem Zeitaufwand. Die Menschen schüfen sich eine neue künstliche Umwelt, in deren Auseinandersetzung sie sich immer schneller weiter entwickelten. Die Intelligenz produziere durch Quasi-Realitäten Erfahrungsobjekte und Verhaltensmuster in eigener Regie. Durch die Eigenproduktion dieser Objekte werde eine immer größere Annäherung an Erkenntnis von objektiver Realität erzielt. Die kulturelle Evolution ermögliche also prinzipiell ein optimales Verhalten sowie Annäherungen an eine wahre Erkenntnis durch Selbstproduktion der Umwelt nach menschlich-subjektiven Kriterien.

 

Für Seitelberger hat die biologische Evolution die Bedeutung eines Schicksals verloren und statt dessen den Rang einer Aufgabe von äußerster Verantwortung erlangt. Erkenntnis ist für ihn die zuletzt entstandene Tendenz der biologischen Evolution, die sich zwar materiell in bewussten Hirnfunktionen manifestiere, faktisch jedoch jenseits des evolutionären Bereiches stattfinde, von dem aus jederzeit der Lauf der biologischen Entwicklung gestützt, beeinflusst und modifiziert werden könne.

 

Für Vollmer hört Evolution nicht dort auf, wo die kulturelle Evolution beginnt. Im Gegenteil, die kulturelle wirke auf die biologische Evolution zurück, wobei allerdings andere Selektionskriterien als das reine Überleben maßgebend seien. Kulturelle Evolution beschleunige das Tempo der biologischen, indem sie einen starken Selektionsdruck auf kulturelle Fähigkeiten ausübe. - Andererseits sei es die Bevölkerung der Dritten Welt, die sich zur Zeit überproportional vermehre.

 

Die Rolle der Kultur sei ein wichtiger Faktor bei der zukünftigen Ausrichtung der Evolution, da sie unser Fortpflanzungsverhalten beeinflusse. Diese Einflüsse seien nicht biologisch und unterlägen deshalb nicht der natürlichen Selektion. Der Kinderwunsch sei nicht angeboren, sondern das Ergebnis eines Lernvorganges. Die soziokulturelle Evolution der westlichen Länder habe bewirkt, dass eine natürliche Auslese nur noch in der Dritten Welt stattfinde, dort allerdings in hoher Intensität. Dort stürben junge Menschen, bevor sie sich vermehren konnten, an Infektionskrankheiten infolge permanenter Unterernährung. Das habe eine selektive Begünstigung der Menschen mit gutem Immunsystem zur Folge.

 

In den westlichen Industriestaaten bewirke das Prinzip der Abhängigkeit der Evolutionsrate von den Unterschieden bei der Fortpflanzungsfrequenz inzwischen eine signifikante Abnahme der Evolution. Dieses Prinzip besage, dass die Evolution schneller erfolge bei Gruppen, die sich unterschiedlich fortpflanzen, als bei Gruppen, die ein homogenes Fortpflanzungsverhalten aufweisen. Wenn jedes Elternpaar zwei Kinder bekomme, werde die nächste Generation ein perfektes Abbild der vorigen sein und es gebe keine genetischen Veränderungen. In der heterogenen Fortpflanzungsgruppe aber werde sich der Teil, der sich stark fortpflanzt, bald von jenen unterschieden, die sich unterproportional fortpflanzen.

 

Unsere westliche Kultur behindere oder verhindere sogar alle Evolutionsprozesse durch eine ständige Verkleinerung der Durchschnittsfamilie, so dass das genetische Reservoir der Zukunft zum größten Teil von den Populationen der Dritten Welt geprägt sein werde. Da diese Länder aber überwiegend von den kulturell überlegenen westlichen Industriestaaten abhängig seien, könne von einer weiteren Vergrößerung des Gehirns als natürliche Anpassung an die Umwelt nicht mehr die Rede sein. Andererseits würden die Fortschritte der Gentechnologie bald zu kaum vorstellbaren Veränderungen führen. So werde der menschliche Fötus nicht nur im Reagenzglas befruchtet, sondern auch dort heranwachsen.

 

Die natürliche Evolution mit ihrem Zusammenwirken von Wahrscheinlichkeit und Zufall benötige mehrere hundert Generationen bzw. Tausende von Jahren, um bestimmte Merkmale im Erbgut einer Art zu fixieren. Die genetische Technik werde bald so weit fortgeschritten sein, dass der evolutionäre Prozess praktisch bedeutungslos werde. Außergewöhnliche Intelligenz, merkwürdige anatomische Einzelheiten, ungewöhnliche Langlebigkeit und eine fast unüberwindliche Widerstandskraft gegenüber Krankheiten werde in Zukunft eine Folge direkter technischer Eingriffe und künstlicher Planung sein. Für die Art Homo sapiens werde ein Stillstand des evolutionären Prozesses prognostiziert, statt dessen werde die Technik und Wissenschaft über die Weiterentwicklung bestimmen.

 

Wissenschaft und Methodenevolution

 

Vollmer unterscheidet zwischen alltäglicher und wissenschaftlicher Erkenntnis. Während Alltagserfahrung auf den Mesokosmos beschränkt sei, gehe theoretische Erkenntnis aufgrund technischer und wissenschaftlicher Hilfsmittel darüber hinaus. Sie sei kritischer und objektiver. - Kommentar: Man darf aber nicht vergessen, dass die Interpretation der Daten durch subjektive Individuen erfolgt, deren Erkenntnisstrukturen nur mesokosmisch ausgerichtet sind. Der Erkenntnisakt selbst findet immer nur in unseren perspektivischen Gehirnen statt.

 

Horkheimer wies darauf hin, dass Wissenschaft zwar eine gesellschaftlicher Tätigkeit sei, aber von einzelnen Wissenschaftlern als individuelle Tätigkeit produziert werde. Er forderte deshalb eine Transparenz der Produktionsbedingungen von Theorie und Wissenschaft, um die unerkannte Parteilichkeit aufgrund nicht reflektierter gesellschaftlicher Zusammenhänge zu durchbrechen.

 

Dadurch werde auch die vorgebliche wissenschaftliche Wertfreiheit aufgehoben, da menschliche Erkenntnis niemals objektiv sein könne, sondern immer interessengebunden sei. Statt dessen sollte bewusst Partei ergriffen werden, um die bestehenden ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse nicht unbewusst zu reproduzieren und zu verfestigen, sondern bessere, gerechtere Zustände herbeizuführen. Dieses gesellschaftskritische Postulat gelte für alle Wissenschaftsbereiche, auch für die Philosophie, die dadurch in die Lage versetzt werde, zu einer realen Verbesserung der Zustände beizutragen.

 

Oeser versucht auf der Grundlage einer elementaren Terminologie, die in der klassischen philosophischen Erkenntnislehre fuße, aber gleichzeitig auch die Basis aller empirischen Wissenschaften sei, eine Verbindung zwischen dem subjektiven Alltagsverstand und der kollektiven (transsubjektiven) wissenschaftlichen Vernunft herzustellen. Er untersucht die Frage, ob es sich bei dem Konzept der EE um eine bloße Analogie zur biologischen Evolutionstheorie handelt, oder ob sich bei der Entwicklung der biologischen in die soziokulturelle Evolution (inklusive Wissenschaftsentwicklung) auch ihr Mechanismus verändert.

 

Für Darwin sei die Beantwortung der Frage nach der Entwicklung von Geisteskräften in den niedrigsten Organismen ebenso hoffnungslos gewesen wie die Frage nach der ursprünglichen Entstehung des Lebens. Spencer habe dagegen schon ein allgemeines Entwicklungsgesetz postuliert, nach dem die erkennbare Realität ein Prozess sei, der aus einer unbestimmten, unzusammenhängenden Gleichartigkeit in bestimmte, zusammenhängende Ungleichartigkeit übergehe (Oeser).

 

Die Annahme von der Anwendbarkeit dieser allgemeinen Entwicklungshypothese auf die Wissenschaft sei von Mach, Boltzmann und Candolle weitergeführt worden. Sie hätten die Ansicht vertreten, dass die Wissenschaftsentwicklung ein besonderer Fall des biologischen Prozesses sei, welcher der Darwinschen Evolutionstheorie entspreche, nur verlaufe der "Kampf ums Dasein" im Zeitalter der Wissenschaft nicht mehr zugunsten des Gewaltsamen, sondern zugunsten des Wissenden.

 

Bei diesen älteren Auffassungen handele es sich nur um Analogien, die Ähnlichkeiten zwischen der wissenschaftlichen und der biologischen Evolution hervorheben, ohne sie begründen zu können. Die Alltagserkenntnis des Menschen wird von Oeser noch als einsichtiges Verhalten zum Zweck der Lebenserhaltung betrachtet, während wissenschaftliche Methodik die arterhaltende Funktion überschreite, da sie der objektiven Erkenntnis diene. Daraus resultiere die große Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Methoden und unserem ratiomorphen Apparat. Objektive Erkenntnis erfordere eine ständige Überwindung unserer mesokosmisch angepassten Wahrnehmungsorgane.

 

Die Konsequenz der Umkehr von der subjektiven sinnlichen Wahrnehmung zur objektiven Erkenntnis bestehe in einer Richtungsänderung der Evolution, die durch die Wissenschaft eingeleitet worden sei, und die über die biologische und soziokulturelle Evolution hinausgehe. Die EE sei keine Revolution, die alte Theorien verdränge, sondern sie verstehe sich als empirische Interpretation der reinen apriorischen Erkenntnistheorie. Sie schaffe in Verbindung mit der ontogenetischen Erkenntnistheorie Piagets eine tiefer liegende Basis für alle empirische Wissenschaftsforschung, die sich mit den Wissenschaftlern selbst in ihrer individuellen, psychologischen und sozialen Bedingtheit beschäftige.

 

Piaget habe die Ontogenese von Begriffen bei Kindern erforscht und dabei einen figurativen Aspekt des Denkens entdeckt, der in der Imitation von statischen äußeren Zuständen bestehe, und einen operativen Aspekt, der sich auf transformierende Handlungen und ihre intellektuellen Operationen beziehe. Der wesentliche Aspekt sei dabei der operative, da menschliches Erkennen aktiv sei. Erkennen heiße, Realität an Transformationssysteme zu assimilieren, also Realität zu transformieren, um zu verstehen, wie ein bestimmter Zustand zustande komme.

 

Dadurch befinde sich Piaget im Gegensatz zur Abbildtheorie der Erkenntnis, die Erkenntnis als ein passiv empfangenes Abbild der Realität auffasse. Seiner Ansicht nach bedeute ein Objekt zu erkennen nicht, es abzubilden, sondern auf es einzuwirken, Transformationssysteme zu konstruieren, die der Realität mehr oder weniger adäquat entsprechen, ihr also mehr oder weniger isomorph sind.

 

Die Transformationsstrukturen der Erkenntnis seien nicht Abbilder der Transformationen in der Realität, sondern nur mögliche isomorphe Modelle, unter denen zu wählen die Erfahrung befähigen könne. Erkenntnis sei ein System von Transformationen, die allmählich immer adäquater würden. Zwischen dem Fortschritt in der logischen und rationalen Organisation der Erkenntnis und den entsprechenden psychologischen Formationsprozessen bestehe ein Parallelismus (Piaget).

 

Aufgrund des Informationsbegriffes entwickelt Oeser eine gemeinsame Basis für die evolutionäre Erkenntnistheorie (EE) und die reine Erkenntnistheorie. Dessen ursprüngliche Bedeutung sei die Vermehrung subjektiven Wissens. Im Bereich des Lebendigen fänden auf diese Weise Selbstorganisationsprozesse statt, die zu etwas gänzlich Neuem führten. Beim "Verbrauch von Information" im Erkenntnisprozess habe diese ihre Funktion im Aufbau einer höheren Ordnungsstruktur erfüllt.

 

Im elementaren Bereich der Selbstorganisation könne "Leben" mit "Erkennen" gleichgesetzt werden. In beiden Fällen handele es sich um einen informationsgewinnenden Prozess, der nach strukturell gleichen Regeln auf verschiedenen Ebenen ablaufe und schon auf dem molekularen Niveau existiere. Durch die genetische Information werde der lebende Organismus selbst zu einem Abbild der Umwelt. Die Morphogenese gelte für die Position der Moleküle ebenso wie für alle Körperteileile bis hin zur komplexen Struktur des Verhaltens. Für die Lebenserhaltung wichtige Gesetzmäßigkeiten würden durch Versuch und Irrtum nachgebildet und dem Erbmaterial codiert eingebaut, um auf diese Weise zu höheren Ordnungszusammenhängen zu gelangen.

 

Daneben existiere noch eine andere Form des Informationsgewinns, und zwar als Funktion körperlicher Sensoren. Diese Informationen bezögen sich auf rasch wechselnde Zustände der Umwelt und würden nicht im Erbmaterial gespeichert, um schnell ersetzbar zu sein. Sie könnten mit dem Kantschen Apriori gleichgesetzt werden und bildeten "ein offenes Programm" im Unterschied zu den starren, geschlossenen Instinktprogrammen des untermenschlichen Bereichs (Oeser).

 

Hier sei eine evolutionäre Richtungsänderung zu konstatieren, denn die Evolution habe sich zunächst mit der Perfektionierung der spezifischen Sinneskanäle befasst, um sich dann mit dem Auftreten des Gehirns auf eine bessere Verarbeitung von Sinnesdaten zu verlegen. Dabei sei nicht mehr der Passungscharakter von Wahrnehmungsstrukturen relevant, sondern die Fähigkeit, konstruktiv Modelle von Realität zu entwerfen, die nachträglich mit den Erfahrungsdaten der Wahrnehmung verglichen würden. Die Kantsche Erkenntnistheorie repräsentiere dabei den transzendentalen meta-empirischen Weg der Selbstreflexion, der auch die Funktion der Selbstüberwindung enthalte.

 

Oeser unterscheidet drei Ebenen der Information: Die genetische Information sei vom Begriff des Erkennens am weitesten entfernt; individuelles Lernen mit Hilfe des zentralen Nervensystems beruhe auf einer materiell gebundenen Information mit Signalcharakter und ermögliche spezielle Verhaltensprogramme sowie unbewusste Verrechnungsvorgänge; die intellektuelle Information stelle einen bestimmten Bewusstseinszustand dar, der zwar im neurodynamischen System sein materielles Äquivalent habe, jedoch im Erkenntnisakt als reine Information auftrete, wobei der materielle Träger bereits durch Abstraktion eliminiert sei.

 

Der Mensch wisse nicht, was beim Denken in seinem Gehirn vorgehe, er sei schon bei Kant nur "Zuschauer, der die Natur machen lassen muss." Die reine Information sei vom materiellen Träger befreit. Damit sei durch den Informationsbegriff das Verhältnis zwischen reiner und empirischer Erkenntnistheorie präzisiert: Der apriorische Informationsgehalt werde als subjektive Leistung des Bewusstseins angesehen. Er bilde die Grundlage für jenen "Formungsprozess, in dem das unermessliche Feld vorbewusster dunkler Vorstellungen an wenigen Stellen durch den Verstand illuminiert wird" (Oeser). Dieser Vorgang entspreche dem Vorgang der Ablösung der reinen Information von ihrem materiellen Träger.

 

Die Weiterverarbeitung dieser abstrakten Information werde von logischen Gesetzmäßigkeiten der apriorischen Formen des Denkens geleitet. Kant habe diese "transzendentale Logik" von aller Sinneslogik unterschieden. Im Satz vom zureichenden Grund als materialem Prinzip sage er, dass in dem, was vorgehe, die Bedingung anzutreffen sei, unter welcher die Begebenheit notwendig erfolge. Die Begründung der Wahrheit müsse also die gleiche kausale Struktur aufweisen wie der Prozess, der die Existenz einer Tatsache hervorgebracht habe. Ein solcher Prozess, der eine Kausalstruktur besitze, aber weder materieller noch energetischer Art sei, werde heute als Informationsprozess bezeichnet.

 

Erkenntnis bedeute dann nicht mehr eine ideale Korrespondenz zwischen den Dingen an sich und ihren Abbildern im Bewusstsein, sondern eine Zuordnungsbeziehung zweier strukturell gleichartiger Prozesse. Die Verbindung werde aktiv durch das Erkenntnissubjekt hergestellt. Der apriorische Informationsgehalt enthalte die Bedingungen, unter denen überhaupt ein Ding zum Objekt der Erkenntnis werden könne und sei eine Leistung des Erkenntnissubjekts, eine artspezifische Hirnleistung.

 

Das Chaos der Sinnesempfindungen erhalte eine vorbewusste, apriorische Formung, wobei eine große Menge sensorischer Energie unterdrückt und nur die ausgesiebten Impulse dem Bewusstsein präsentiert würden. Durch Erkenntnis entstehe eine Ordnung aus dem Chaos, indem durch bestimmte Verschaltungen der Neuronen die statistische Unsicherheit der chemischen Prozesse ausgeglichen werde. Das vorgeformte Material werde dann nach den höheren Auswahlprinzipien der Vernunft verarbeitet, so dass der empirisch-kausale materielle Prozess ratiomorpher Strukturen vom rationalen Bewusstseinsprozess überformt werde. Erkenntnis sei in diesem Sinne ein Prozess der Informationsverdichtung, der aus einer Kette von Bewusstseinszuständen bestehe.

 

Löw ist dagegen der Ansicht, dass die Auffassung der Erkenntnis als Informationsgewinn nur als zirkuläres Definieren der Begriffe zum Zweck ihrer natürlichen Erklärbarkeit verstanden werden könne. Der Begriff des Erkennens werde dabei um seinen entscheidenden Aspekt verkürzt: dem der Subjektivität. "Erkennen" setze ein Subjekt voraus, das bewusst erkenne. Der Begriff "Außenwelt" impliziere ein "Innen", das ein Computer z.B. nicht besitze. - Andererseits ist die Abhängigkeit des Erkenntnisbegriffs von einem Subjekt auch nur eine willkürliche Definition, die ebenso zirkulär "Erkenntnis" beim Definierenden bereits voraussetzt. –

 

Die Stufen der Erkenntnis (Passung, Simulation und begriffliches Denken) sind für Löw nur verschiedene Formen menschlichen Erkennens. Erkennen sei ein transzendentaler Begriff, bei Hegel z.B. eine Kategorie für alle Einzelerkenntnis. Die Definition des Erkenntnisbegriffs sei selbst ein Resultat der Erkenntnis (Löw). Die EE sei zwar eine philosophische Theorie, aber soweit sie naturwissenschaftlich argumentiere, sei sie nur eine Theorie über die Bedingungen des Erkennens. Das Erkennen sei selbst nur eine Bedingung, nicht das Bedingte selbst (die Wahrheit).

 

Die Repräsentation ist nach Oeser die elementarste Art eines Informationsprozesses. Die Information werde vom Bewusstsein dadurch erzeugt, dass es in seinem Innern ein subjektives Modell der Außenwelt aufbaue. Die Übereinstimung von Subjekt und Objekt sei dabei allerdings entgegen der klassischen Korrespondenztheorie keine Garantie für die Wahrheit der Erkenntnis, weil die Subjektivität nur nach überlebensrelevanten Aspekten an die Objektivität angepasst worden sei, nicht nach Exaktheit.

 

Die Kommunikation sei der zweite Prozess der Erkenntnisgewinnung, der die Repräsentation ständig überlagere. Er liefere eine weitere Annäherung an die Realität im Sinne der Intersubjektivität. Die wissenschaftliche Information schließlich sei von vornherein auf das transsubjektive System der Wissenschaft bezogen. Sie werde nur durch aktuelle Dokumente repräsentiert, die auch real benutzt würden.

 

Der natürliche Selektionsmechanismus werde dabei durch die wissenschaftliche Methode ersetzt, aber trotzdem könne auch hier keine kollektive Wahrheit erzielt werden. Wissenschaftliche Erkenntnismethoden wie Induktion, Konstruktion, Deduktion und Reduktion seien in ihrem Funktionszusammenhang schon als apriorische Grundstruktur in der menschlichen Erkenntnisfähigkeit festgelegt. Der dadurch ermöglichte Selbstkorrekturprozess lasse sich als ein spiralförmiges Integrationsverfahren beschreiben, in dem man sich schrittweise einem unbekannten Ziel nähere, ohne es jemals wirklich zu erreichen.

 

Schon für Adorno bleib das "Neue" nur eine abstrakte Hoffnung, eine Leerstelle, die bestimmt sei durch die Negation dessen, was nicht mehr sein solle. Es sei nicht möglich, diesen besseren Zustand antizipierend zu beschreiben oder seine Entwicklung zu prognostizieren. "Das bis heute gefesselte Bewusstsein ist wohl des Neuen nicht einmal im Bilde mächtig; es träumt vom Neuen, aber vermag das Neue selbst nicht zu träumen" (Adorno).

 

Das wissenschaftliche Korrekturverfahren ist für Oeser ebenfalls ein Produkt der Evolution, allerdings nach jener Richtungsänderung von der subjektiven zur objektiven Erkenntnis. Die historische Entwicklung dieses Modells stelle die Evolution der wissenschaftlichen Methode dar. Die Methodenevolution sei nach einem Drei-Stadien-Gesetz entstanden. Sie gelte nicht mehr als ein Prozess, der von einem theologischen über ein metaphysisches zu einem positiv-wissenschaftlichen Stadium übergehe, sondern von einer empirisch-induktiven Methode über eine konstruktiv-systematische zu einer deduktiv-formalen Methode.

 

Bei der ersten Phase handele es sich um den Typus einer bloß deskriptiven Wissenschaft. Das zweite Stadium sei durch Theoriekonstruktionen gekennzeichnet. Mit Hilfe der entgegengesetzten Operationen von Analyse und Synthese würden dabei allgemeine Gesetzmäßigkeiten konstruiert. Die Grenzen dieser klassischen Theorien lägen jedoch in der schwerfälligen euklidischen Geometrie, die keine umfassenderen, nicht mehr anschaulich-konstruktiven Prinzipien zulasse (Oeser).

 

Die letzte, axiomatisch-deduktive Phase werde von bestimmten Wissenschaften gar nicht erreicht. An die Stelle eines induktiv-konstruktiven Verfahrnes trete hier ein spekulativ-konstruktives Verfahren, das weit entfernt von menschlichen Erfahrungen Begriffe entstehen lasse, die "freie Erfindungen des menschlichen Geistes sind" (Einstein). Zu solchen Axiomen gelange man durch einen Sprung, der mit einer schrittweisen Induktion nicht zu rechtfertigen sei. Deshalb müsse die deduktive Systematisierung mit größter Konsequenz und Denkökonomie durchgeführt werden. Im Rahmen eines Axiomensystems müssten sich die Hypothesen gegenseitig stützen.

 

Nach Comte hätten erst die Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie, Biologie und Soziologie dieses Stadium erreicht. Die funktionelle Grundstruktur des Methodenzusammenhangs sei jedoch im menschlichen Erkenntnisapparat verankert. Der in den Naturwissenschaften übliche Rückkopplungskreis von induktiver Erfahrung und deduktiver Theorie finde z.B. sein Pendant auch im "hermeneutischen Zirkel" der Humanwissenschaften. Dieser werde auf Hegel zurückgeführt, der postulierte, dass sich Individuen nur durch das gegenseitige Zugeständnis von Entwicklungsmöglichkeiten bilden können. Sie konstituieren sich erst im Prozess gegenseitiger Anerkennung.

 

Die Legitimation eines solchen anzustrebenden sittlichen Verhältnisses der Subjekte zueinander sowie der von Horkheimer geforderten Parteilichkeit für die Schwachen ergebe sich aus dem von Habermas propagierten wissenschaftlichen Konsens, der als regulatives Prinzip der Gleichverteilung aller Entfaltungsmöglichkeiten in der "idealen Sprechsituation" herrschaftsfreier Kommunikation stattfinden solle. Dabei werde eine argumentative Prüfung der problematisierten Geltungsansprüche im gemeinsamen Diskurs angestrebt, wobei sich der "wahre" Konsens kraft des besseren Argumentes durchsetzen solle. Der Diskurs gelte als letzte Legitimationsbasis für Vernunft (Habermas). In solchen hermeneutischen Diskursen finde z.B. die Interpretation soziologischer Daten statt.

 

Der natürliche Selektionsmechanismus werde nicht mehr im Sinne des darwinistischen Kampfes ausgeübt, sondern liege jetzt im System der Wissenschaft selbst. Oeser bezieht sich auf die von Popper postulierte Methodenevolution, deren Grundprinzip das Falsifizierungssystem nach dem trial-and-error-Verfahren sei. Darin würden alle Theorien in Widerlegungsversuchen der Kritik ausgesetzt. Wenn eine Theorie der Kritik standhalte, werde ihre Geltung vorläufig akzeptiert, so lange, bis es zur Falsifikation komme. Die Objektivität ergebe sich aus der Ausnahmslosigkeit und den logischen Hilfsmitteln.

 

In diesem kritischen Standpunkt bestehe die einzige der Rechtfertigung unseres Wissens (Popper). - Das Falsifikationsprinzip hat aber den großen Nachteil, dass alle Theorien, die einer sachlichen Kritik nicht zugänglich sind, als unwissenschaftlich ausgegrenzt werden. Dadurch wird menschliche Forschung auf rein empirische Erfahrungsgebiete begrenzt und die wissenschaftliche Methodik stark verkürzt. Die Psychologie wird z.B. auf äußerliche messbare Verhaltensmerkmale reduziert, weil inneres Erleben nicht bewiesen werden kann.

 

Mathematik

 

Die Entstehung des cerebralen Scheitellappens ist entwicklungsgeschichtlich auf die Ausdehnung der Sehrinde und der Körperfühlsphäre zurückzuführen (Ditfurth). Zwischen ihnen sei ein neues Rindenstück entstanden, das sich auf den Umgang mit Zahlen spezialisiert habe. Der Zusammenhang von Körpergefühl und Raumvorstellungen, von optischer Wahrnehmung der Objekte in Relation zur eigenen Person sowie Geometrie und Arithmetik werde dadurch biologisch begründet.

 

Aber nicht nur die Mathematik, auch der Raum selbst könne evolutions-theoretisch begründet werden, und zwar als eine Wahrnehmungskategorie, die sich aus der Struktur der Gehirnareale ergebe, in denen die verschiedenen Fähigkeiten lokalisiert seien. Dabei würden die drei Dimensionen des Raumes folgendermaßen wahrgenommen: Die Senkrechte (Höhe) sei durch die Schwerkraft bestimmt und relativ (im All gebe es keine absolute Senkrechte). Die Waagerechte (Länge und Breite) ergebe sich aus der Richtung unserer Bewegungen, nämlich nach vorn (entsprechend entstand "hinten"), während rechts und links eine Zutat des den Raum erlebenden Subjekts seien. Durch diesen Willkürakt einer bewussten Gliederung werde erst die bewusste Orientierung ermöglicht.

 

Aus dem Unterscheidungsvermögen von links und rechts resultiere auch die Wahrnehmung einer natürlichen Zahlenfolge. Sie sei an die Existenz eines funktionstüchtigen Scheitellappens gebunden. Der so gegliederte Raum sei eine Voraussetzung zum Zählen, weil eine Gliederung wiederholt vorkommende Elemente enthalte, die mit einer Zahl belegt, einem bestimmten Ort zugewiesen und von der übrigen Menge unterschieden werden könnten. Die Mathematik ergebe sich also als eine Folge der entwicklungsgeschichtlichen Verwandtschaft zwischen Raum und Zahl.

 

Nach Ditfurth ist die Raumerfahrung durch unserer Körperfühlsphäre die Grundlage der Befähigung zu mathematischen Abstraktionen. Darauf habe die Evolution einen Vorstellungsraum aufgebaut, der es ermögliche, reale Handlungen durch innere Antizipationen vorwegzunehmen. Die Intention sei von ihrem motorischen Vollzug getrennt worden. Der innere Vorstellungsraum sei der Ursprung allen Denkens. Auch die Sprache baue auf dieses Raumerlebnis auf, wie die zahlreichen sprachlichen Begriffe bestätigten, die räumlichen Dimensionen entlehnt seien.

 

Auch für Lorenz ist "reine Mathematik" die Lehre von den Innengesetzlichkeiten unseres Quantifizierungsorgans und könne nicht absolut gesetzt werden. Er hält es für denkbar, ein vernünftiges Wesen anzunehmen, das für Quantifizierungen und Markierungen nicht die mathematische Zahl benutzt. Wenn die Natur entsprechende Organe dazu herausgebildet hätte, könnten bestimmte Mengen auch in unmittelbarer Weise erfassen werden, z.B. aus der Spannung oder Strahlung von Objekten. Dass unser Gehirn extensive Größen besser quantifizieren könne als intensive, sei purer Zufall, also historisch bedingt.

 

Kausalfelder

 

Vollmer fragt: Warum hat sich die Natur nicht mit dem Lernen durch konditionierte Reflexe zufrieden gegeben? Worin liegt der selektive Vorteil, kausale Beziehungen zu sehen, wo nur zeitliche Abfolgen existieren? Er hält es für wahrscheinlich, dass es doch eine reale Struktur gibt, die unserer Neigung entspricht, einen ontologischen Unterschied zwischen (regelmäßigem) post hoc und (kausalem) propter hoc anzunehmen.

 

Lorenz fand eine überraschend einfache Erklärung für den ontologischen Unterschied zwischen regelmäßigen und kausalen Koinzidenzen: den Energieübertrag. "Wir können den Begriff von Ursache und Wirkung nicht anders definieren als durch die Feststellung, dass die Wirkung von der Ursache her in irgend einer Form Energie bezieht" (Lorenz).

 

Beispiele: Kein Energieübertrag vom Tag zur Nacht, also keine kausale Beziehung. Kein Energieübertrag vom Blitz zum Donner, also nicht kausal. Aber (kinetische) Energieübertragung vom Stein an die Fensterscheibe, also ein kausaler Zusammenhang. Das Vorliegen einer Kausalbeziehung werde nicht durch endlose Wiederholungen geprüft, sondern durch die Entdeckung eines Energieübertrags. Die Evolutionstheoretiker hätten den Begriff einer deterministischen Kausalität immer abgelehnt.

 

Das von Wuketits geforderte Modell einer Kausalität, das die gegenseitige Verursachung in biologischen Systemen mit ihren Regelkreisen, Rückkopplungseffekten und Verursachungsschlingen erklären solle, wird von Leinfellner geliefert. Eine Untersuchung der klassischen Kausalität, die der Newtonschen Theorie zugrunde liege, habe ergeben, dass diese zwar deterministisch, aber völlig fiktiv und für Prognosen ungeeignet sei, da sie den real existierenden Zufall nicht berücksichtige. Deshalb habe Leinfellner ein Modell statistischer Kausalität entwickelt, das sich gut zur Erklärung von evolutionären Verursachungsketten eigne.

 

Im Bereich des Lebendigen könnten nur verschwommene Intervalle und Durchschnittwerte für ein Ereignis prognostiziert werden. Die biologischen Systeme seien indeterministisch und beruhten auf Wahrscheinlichkeiten. Ihr Unbestimmtheitsspielraum werde durch den Zufall bestimmt; nur in soziologischen Systemen ergebe sich ein Freiheitsspielraum des Handelns. Die Zerstreuung der Gesamtenergie eines Systems infolge gegenseitiger multipler Verursachungen erkläre die höhere Komplexität von lebendigen Makromolekülen gegenüber leblosen. So sei z.B. Kooperation ein Zustand höherer Stufe, auf der die physikalischen Gesetze, die für Individuen noch gälten, nicht mehr zuträfen.

 

Die Annahme einer statistischen Kausalität führe zu einem einzigen kausal zusammenhängenden holistischen System, dessen Subsysteme ein offenes Wirkungsgefüge mit dazwischenliegenden Kausalschlingen und kybernetischen Zirkeln bildeten. Leinfellner sieht das Universum als solches kausal reagierendes Wirkungssystem an. Allen Weltsystemen läge ein fluktuierendes kausales Feld als entropisches Umgebungssystem zugrunde, das sie verbinde. Die statistische Kausalität bilde dreidimensionale Kausalnetze, während die klassische Kausalität nur über unverzweigte eingleisige Kausallinien verfüge, die invariante Eigenschaften definierten. Seit Einstein und Heisenberg eigneten sie sich aber nicht mehr zur Erklärung von physikalischen Gesetzmäßigkeiten.

 

Ein Zufallsereignis sei eine Änderung des Systemzustandes, verursacht durch so viele multiple Partialursachen, dass sie nicht mehr erfassbar seien. Sie änderten das fluktuierende kausale Feld und verzweigten sich so komplex, dass sie für uns undurchschaubar seien. Das Kausalfeld sei eine Abstraktion der heute in der Physik konzipierten starken, schwachen, elektrodynamischen und Gravitationsfelder, denen es zugrunde liege. Eine Mutation, verursacht durch ein Photon aus einer anderen Galaxis, sei daher keine kausale Interaktion des biologischen Systems, sondern des allen zugrunde liegenden Kausalfeldes. Ihr Verlauf könne nur mit einer Wahrscheinlichkeitsaussage prognostiziert werden.

 

Zufallsereignisse seien wirkliche partiale Ursachen, die sich in einem bestimmten Teil des Feldes aufbauten und die sich darin befindlichen biologischen Systeme zur Evolution zwängen. Klimatische Störungen, Umweltverschmutzungen, Änderungen des ökologischen Gleichgewichts und der "freie Wille" der Menschen seien Beispiele für solche nur statistisch erfassbaren Zufallsereignisse (Leinfellner).

 

Für die Dauer einer kausalen Interaktion gehörten das Ursachesystem und das Wirkungssystem vorübergehend einem kausal verbundenen Supersystem an. Abgeschlossene Systeme, wie z.B. die Biosphäre oder "das Leben" könne es gar nicht geben. Das zugrundeliegende kausale Feld halte alles Geschehen im Fluss und erkläre auch die strukturelle Gleichartigkeit sowie die interaktionistische Verbundenheit physikalischer, biologischer und soziologischer Systeme.

 

Für die Atomismus-Holismus-Kontroverse ergebe sich eine Bestätigung der Aussage von Aristoteles, das Ganze sei mehr sei als die Summe seiner Teile. Der Holismus sei aus dem zugrunde liegenden dynamischen Kausalfeld herleitbar sowie aus dem Bellschen Theorem der Inseparabilität aller Systeme. Die Fitness einer Zelle z.B. könne nicht atomistisch additiv erklärt werden, sondern nur mit einer "spieltheoretisch fundierten Superadditivität" (Leinfellner). Sie werde durch die kausalen Teile des Gesamtfeldes gebildet, die gerade aktiv seien. Ihre dynamischen Interaktionen bewirkten damit die kooperative Evolution.

 

Die statistische Kausalität nehme ferner an, dass alle Naturgesetze statistischer Natur seien, d.h. auf Durchschnittsverhalten mit akzeptierbar geringen Abweichungen beruhten. Es handele sich dabei um statistisch signifikante, also invariante Regelmäßigkeiten. Diese Invarianz (oder hohe Korrelation) könne eine tatsächliche kausale Beziehung ausdrücken oder eine bloße zeitliche Abfolge von Ereignissen sein. Wenn man alle zweifelhaften Ursachen aus einer Ereigniskette eliminieren würde, blieben die eindeutigen, determinierten und idealisierten Ursachen der klassischen Kausalität übrig, die "platonischen Grenzfälle der statistischen Kausalität." "Ein allwissendes Wesen, im Besitz vollständiger Information, könnte die klassische Kausalität zur Erklärung des Weltgeschehens benutzen, wenn es mit unbegrenzten Berechnungsmöglichkeiten ausgestattet ist, und wenn keinerlei Zufallsereignisse existieren würden. Aber in einer solchen Welt wäre kein Platz für Evolution" (Leinfellner).

 

Spieltheorie

 

Auf das Konzept der statistischen Kausalität baut Leinfellner eine neue Methodologie auf, die er „Theorie der Spiele" nennt. Sie soll die traditionelle Darwinsche Theorie der Evolution ersetzen. Der Gedanke sei ursprünglich in der Sozialwissenschaft entstanden, die die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft als einen gigantischen Entscheidungsprozess nach dem Hauptmotiv der Nutzenmaximierung betrachte. Die kontinuierliche Weiterentwicklung werde nach dieser These in mehr oder weniger regelmäßigen Intervallen durch Revolutionen unterbrochen, die eine Änderung der jeweils herrschenden Regeln verursachten.

 

Darin sieht Leinfellner eine Analogie zur ebenfalls zweiphasig verlaufenden Evolution: Eine kompetitive (Darwinsche) Phase werde von einer kooperativen Phase der Integration zu höheren Einheiten abgelöst. Die statistische Kausalität ermögliche eine Auffassung von den Entscheidungsprozessen zwischen Individuum und Zufall als einfache Spiele zwischen partialen Ursachen. Dadurch verliere der Entscheidungsprozess seinen bewussten Charakter, aber die Grundidee der Nutzenmaximierung bleibe erhalten (die Gewinnmaximierung könne sich natürlich auch auf ethische Ziele oder Wissensvermehrung beziehen).

 

Die Strategien beim Spielen repräsentierten aktuelle oder mögliche Ursachen, deren Auftretenswahrscheinlichkeit mit dem Grad ihrer Realisierungsfrequenz steige. Durch die Spielregeln seien Beschränkungen der einzelnen Züge oder der Konflikte gekennzeichnet, die es zu lösen gelte. Für die Anwendung der Spieltheorie auf die Evolution werde der Nutzen durch den Begriff Fitness ersetzt. Maximierung der Fitness bedeute bei einer kompetitiven Konfliktlösung, dass die Überlebensrate der Gewinner-Spezies die Aussterbensrate der Verlierer übersteige. Erfolgreiche Spielerfahrungen würden in genetischen Erinnerungen gespeichert. Das Ergebnis stelle die Überlebenschancen-Maximierung einiger Spieler dar.

 

Bei der gegenseitigen Verursachung änderten sich laufend Strategien, Verteilungen und Regeln, es bildeten sich auch kollektive Stabilitäten, die nur durch starke Zufallsereignisse (Fluktuationen des kausalen Feldes) wieder gestört werden könnten. Nur in sozialgesellschaftlichen Spielen würden die Regeln bewusst gelernt und temporär im Gedächtnis gespeichert. In allen evolutionären Spielen tauchten neue und bessere Strategien zufälligerweise auf, die dann dem Erfahrungspotenzial hinzugefügt würden. Das sei ein Merkmal von sich selbst organisierenden Prozessen, die ihre Problemlösungen ständig verbesserten.

 

Damit sei der Prozess der Evolution jedem planenden Entwerfen diametral entgegengesetzt. Nach Plan arbeiten sei eine typische anthropomorphe Art der Realisierung. Evolutionäre Prozesse benötigten keinen Plan, die Evolution erzeuge den Plan simultan mit ihren Realisationen. Nur die Spielerfahrung könne den Plan ständig erweitern und verbessern. Nutzen-, Fitness- oder Überlebenswerte seien biologische Rangordnungen bzw. qualitative Bewertungen von Strategien und Zügen.

 

Die ständige Verbesserung des Planes erfordere ein sich selbst organisierendes und verbesserndes Gedächtnis, das anfangs auf unserem Planeten durch Zufallsereignisse selektiv entstanden sei, dann aber in der DNA als nukleotidisches Zellgedächtnis den sich selbst verbessernden Charakter angenommen habe. Die Regeln würden weiter vererbt und seien evolutionär a priori. Der Sinn dieses Apriori sei, lebendige Systeme davor zu bewahren, die Fehler der Geschichte zu wiederholen.

 

Im Fall der präbiotischen Evolution von Makromolekülen sei das Gedächtnis in Form von Nukleinsäuresequenzen selbst das Material, das wieder reproduziert werde und sich vermehre. Später, als Proteine zum Aufbau lebendiger Organismen benutzt wurden, hätten sich die beiden Funktionen getrennt. Durch die Eiweißsynthese in den Zellen würden erfolgreiche Strategien immer wieder verwendet. So werde das optimale Verhalten invariant (evolutionär stabil). Darauf bauten die anschließenden Spiele auf, bis einige Zufallsstörungen des zugrunde liegenden fluktuierenden Kausalfeldes so stark würden, dass Mutanten mit neuen Strategien erschienen oder der jeweilige Prozess zusammenbreche.

 

Nach kompetitiven Phasen des Kampfes ums Dasein folgten also immer kooperative Spielphasen. Die Formierung der Zelle, die Bildung von vielzelligen Organismen, der symbiotische Zusammenschluss von Tieren zu Horden und die Nationenbildung der Menschen seien Beispiele für Synthesen von bisher in Wettbewerb stehenden Elementen zu einer größeren Einheit nach dem Prinzip der Superadditivität. Diese höhere Einheit konkurriere dann wieder mit anderen ranggleichen Einheiten usw. Ein Abbruch des Spiels sei jedoch ebenso wie der absolute Sieg eine Katastrophe: Die Evolution würde aufhören (Leinfellner).

 

Die Spieltheorie liefere auch eine Erklärung für die Stabilität der verschiedenen Arten. Ihre Ordnung erhaltende Tendenz sei keine teleologische oder durch finale Ursachen (den Plan) gesteuert, sondern fuße auf der Invarianz, einem neuen biologischen Begriff, der den Naturgesetzen übergeordnet sei. Danach sei Stabilität das dynamische Verhalten eines sich ändernden Systems, das von einem Gleichgewichts-Fixpunkt angezogen werde und um ihn oszilliere. Die einzelnen Punkte repräsentierten dabei die Frequenzen verschiedener Spielstrategien, wobei die erfolgreichsten gegen den Fixpunkt konvergierten.

 

Leinfellner unterscheidet zwischen Intelligenz als lebensfördernde Funktion und als evolutionär neutralem Wissen, das etwa auf dem aristotelischen Prinzip der Stillung unserer Neugierde beruhe. Intelligenz werde spieltheoretisch als „Problemlösung“ definiert und beinhalte die Faktoren Informationsaufnahme und Codierung, Gedächtnis-Speicherung, Berechnung der Schlussfolgerung und Prognosen, und Ausführen von Handlungen. Wenn das Gedächtnis zu einem kollektiven Speicher erweitert werde, entstünden lebende, sich selbst organisierende Systeme.

 

Evolutionäre Systeme umfassten heute sowohl biologische als auch technische (planorientierte) Produktionen. Die biologischen seien überlegen, vergleichbar mit der Zusammenlegung aller voll automatisierten Fabriken der Erde unter einem einzigen Programm, das außerdem noch die Fähigkeit der Selbstverbesserung besitze. Die Gene repräsentierten Gedächtnisspeicher und Computer, und die Ribosomen die Fabriken.

 

Intelligenz als Gradmesser für Konfliktlösungen umfasse unbewusste primitive Entscheidungen vom DNA-Bereich über tierische Verhaltensprogramme bis zu abstraktem, künstlerischem Schaffen der Menschen. Sie sei nicht von den Faktoren Sensorik, Gedächtnis, Computer und Motorik abhängig. Diese Definition von Intelligenz sei die methodologische Grundbedingung der evolutionären Erkenntnistheorie. Sie betrachte Erkenntnis als einen sich selbst verbessernden problemlösenden Prozess und sich selbst als seine Meta-Theorie.

 

Wenn z.B. eine transfer-RNA bestimmte Aminosäuren chemisch binde und zu den Ribosomen transportiere, sei das spieltheoretisch eine Strategie chemischer Reaktionen, die in den Genen gespeichert sei. Im Verlauf der Evolution sei dieser Prozess optimiert und stabilisiert worden. Er sei jetzt invariant und würde als optimale Problemlösung beibehalten. Mit der Reduzierung der Fehlerquote beim Kopieren sei reziprok die Zellgedächtniskapazität gestiegen. Die Zunahme der Gedächtnisspeicherung und Akkumulierung von lebenserhaltender Fitness sei die Gegenreaktion gegen die entropische Wirkung der Zufallsfluktuationen. Sie sei die eigentliche Ordnung bewahrende Kraft.

 

Die Triplizität des universalen Gedächtnisses besteht It. Leinfellner 1. in der Evolution (Selbstorganisation des Zellgedächtnisses), 2. in der Entwicklung des nervös gesteuerten Gedächtnisses und 3. des kommunikativen, sprachlich fixierten Gedächtnisses. Die EE sei erst dann in vollem Umfang etabliert, wenn das Zellgedächtnis vollständig entschlüsselt und die Entzifferung unserer biologischen Geschichte vollendet sein würden. Der genetische Code werde dabei in menschliche Sprache übersetzt.

 

Die Entwicklung des menschlichen Gehirns und der daraus resultierende wissenschaftlich-technologische Fortschritt hätten jedoch zu einer Entmachtung der Gene geführt. Die Wissenschaft müsse daher die Verantwortung für die zukünftige Entwicklung des Lebens auf der Erde übernehmen. Nun sei aber der wissenschaftliche Fortschritt im Gegensatz zur Evolution ein teleologischer, planorientierte Prozess. Der wissenschaftliche Ausstoß werde zwar jedes siebte Jahr verdoppelt, könne aber bisher keineswegs unsere Überlebenschancen erhöhen.

 

Sozialgesellschaftliche Entscheidungsprozesse als Zufallsereignisse eines weltweit störenden Kausalfeldes seien oft pseudo-evolutionär. Sie wirkten nicht automatisch selbstverbessernd und bestünden auch nicht aus abwechselnd kompetitiven und kooperativen Phasen. Aus spieltheoretischer Sicht sei das Ende der natürlichen Evolution aber nicht das Ende der Weiterentwicklung. Für einen weiteren Optimierungsprozess solle die Technologie versuchen, erfolgreiche evolutionäre Prinzipien anzuwenden. Ethische Lösungen sollten als pseudo-evolutionäre Entscheidungsprozesse kooperativ sein und die individuelle sowie die allgemeine Wohlfahrt maximieren, allerdings die zweite nie auf Kosten der ersten.

 

Irrationalität

 

Ditfurth weist darauf hin, dass unser Großhirn weder unabhängig noch souverän sei, sondern seine Funktionen eng an die Tätigkeit der älteren Gehirnabschnitte gekoppelt seien, da alle Verbindungen zur Außenwelt durch den Hirnstamm und das Zwischenhirn verliefen. Sämtliche Informationen aus der Umwelt passierten erst die archaischen Hirnteile und würden nach den dort herrschenden Gesetzen bearbeitet, bevor sie in das hoch entwickelte Stirnhirn und die übrige Stirnrinde gelangten.

 

Das könne einerseits darauf hindeuten, dass wir uns durch sinnliche Rezeptionen den Objekten der Außenwelt annäherten, aber durch Denken dem "Geist an sich". Andererseits sei die Erkenntnis erschreckend, dass unser ganzes Denken durch urzeitliche instinktive Programme geprägt werde, die in unserer heutigen Umwelt gar keine Relevanz mehr besäßen. Wir könnten zwar versuchen, uns ihrem Einfluss durch bewusste Willensanstrengung zu entziehen, aber es sei völlig unmöglich, die Existenz und den Einfluss der "Gesetze des Dschungels" aufzuheben.

 

Der Hirnstamm sei die biologische Voraussetzung für die Existenz des Zwischenhirns. Vegetative Programme dominierten also vor Verhaltensprogrammen. Das könne insofern als belanglos angesehen werden, als sich im vegetativen Bereich nichts geändert habe. Das Zwischenhirn sei jedoch das Fundament des Großhirns, und seine konservative Fixierung auf eine archaische Umwelt lasse eine große Kluft zwischen diesen beiden Hirnteilen entstehen, da das Zwischenhirn nicht individuell lernfähig sei. Die archaischen Instinkte setzten der Freiheit unserer Großhirnrinde enge Grenzen. Darüber hinaus färbten sie das Bild der Welt in den untersten Schichten unseres Bewusstseins, z.B. in den Träumen.

 

Aus dem Zwischenhirn stammten unsere Gefühle. Sie begleiteten alle rationalen Denkvorgänge und Handlungsreaktionen und ließen uns Umwelteigenschaften als bestimmte Qualitäten erleben. Die Qualität "verlockend" erlebten wir dann, wenn die innere Schwelle für ein bestimmtes Bedürfnis (z.B. Essen) herabgesetzt sei, während der gleiche Gegenstand geradezu Widerwillen in uns hervorrufe, wenn das Bedürfnis gestillt sei. Wenn der Drang jedoch übermächtig werde, könne die Intensität des Gefühls mit den ethischen Normen des Großhirns in Konflikt geraten.

 

Als Großhirnbesitzer erlebten wir sämtliche Reaktionen des Zwischenhirns als bewusstes Gefühl. Die durch Bedürfnisschwellen konstituierten Qualitäten und die daraus resultierenden Aggressionen und Ängste pflegten wir in den rationalen Bereich der Großhirnaktivitäten zu übernehmen. Daraus resultierten dann Begriffe wie "Schönheit", "Gerechtigkeit", "das Gute" und "das Böse"; unsere gesamte Kultur und Ethik sei durch Zwischenhirnqualitäten gefärbt.

 

Gefühle seien keine Bewusstseinsakte, sondern der Widerschein von Aktivitäten des Zwischenhirns im bewussten Erleben. Sie seien unserem willentlichen Einfluss entzogen, beeinflussten aber ihrerseits unser Denken und Tun. Sie konstituierten unsere Wirklichkeit durch Qualitätsempfindungen, die analog der inneren Schwellen schwankten. Die von uns erlebte Wirklichkeit sei nicht die objektive Realität. Andererseits befähige uns das Großhirn zumindest theoretisch zur Erkenntnis einer gegenständlichen Welt. Diese Welt scheint jedoch immer noch die gleichen Kriterien aufzuweisen wie die archaische Wirklichkeit unseres Zwischenhirns.

 

In unserem Erleben erschienen und verschwänden zwar keine Dinge und Partner mehr, aber dafür Stimmungen und Gefühle. Unsere Welt ändere sich nicht mehr in der Zusammensetzung, sondern in ihrer Qualität. Wenn wir gut gestimmt seien, erscheine uns die Welt rosig, und umgekehrt. Diese scheinbare Harmonie sei Ausdruck der archaischen Komponente unseres Gehirns. Der Widerspruch tauche erst durch das Großhirn auf. In unserem Zwischenhirn hätten wir die Trennung von Subjekt und Objekt noch nicht vollzogen und lebten in paradiesischer Harmonie mit unserer Umwelt.

 

Nach Ditfurth ist der Gegensatz zwischen dem Zwischen- und dem Großhirn eine uns Menschen zentral charakterisierende Eigenschaft. Die Spuren der durch evolutionäre Anpassung erzwungenen Kooperation so unterschiedlicher Gehirnteile manifestierten sich in unserer Irrationalität und Widersprüchlichkeit. Die Menschen befänden sich in einer Übergangsphase vom instinktiven Zwischenhirnwesen zum vernünftigen und einsichtigen homo sapiens, der noch immer lediglich das Ziel darstelle, das es zu erreichen gelte. Allerdings sei eine solche Übergangsposition in der Geschichte der Evolution keine Ausnahme, sondern die Regel.

 

Unsere Gedanken und Weltsichten würden von einem Hirnteil mitbestimmt, das lernunfähig sei und seine Handlungsmaximen aus einer archaischen Wirklichkeit beziehe, die noch nicht menschlich sei. Biologisch gesehen resultiere unsere zeitweilige Unvernunft aus dem organischen Widerspruch zwischen unseren Antrieben und Einsichten. Unser Geist sei jedoch an die Struktur des Gehirns und damit an die Bedingungen materieller Existenz gebunden. Die menschliche Widersprüchlichkeit sei letztlich physikalisch begründet durch das Prinzip der Ausbildung von Rückkopplungskreisläufen mit wechselseitiger Informationsübermittlung, das bereits mit der ersten reduplikationsfähigen Zelle eingeführt worden sei.

 

Bei diesem System schwängen die Einzelwerte um einen Sollwert, der durch die Umwelt vorgegeben werde, den sie aber nie zu stabilisieren imstande sei. Die Abweichungen müssten immer schon eingetreten sein, bevor Maßnahmen zur Wiederherstellung des erwünschten Zustandes einsetzten. Ebenso könnten die Mechanismen, die einen weiteren Anstieg beendeten, erst dann in Kraft treten, wenn der Sollwert überschritten sei. Ein lebender Organismus sei vielen rhythmischen Schwankungen unterworfen (EEG, Puls, Atmung, Ovarialzyklus), die sich in letzter Konsequenz bis auf kulturelle und soziale Schwankungen erstreckten.

 

Nachdem wir unsere "angeborenen Lehrmeister" (Lorenz) erkannt hätten, sollten wir nun auch erkennen, dass diese durch die Vernunft quasi überformt worden seien. Diese Vernunft habe als jüngste Schicht der erkenntnisgewinnenden Prozesse die geringste Prüfung an der realen Welt erfahren. Angesichts des beschleunigten Wandels der Selektionsbedingungen unterliege sie Schwierigkeiten grundsätzlicher Art, so dass sie zwangsläufig immer wieder den Tücken der Unvernunft zum Opfer falle.

 

Die angeborenen Lehrmeister hätten sich lange bewährt, aber sie verließen uns langsam. Offenbar hätten wir noch keine neuen Lehrmeister gefunden bzw. seien noch nicht mündig, um die Verantwortung für das Leben und den Geist auf dieser Erde selbst zu übernehmen. Unsere Weltsicht sei immer noch von Glauben und Ideologien getrübt, obwohl wir im Besitz von Vernunft seien. Wir sollten sie nur endlich benutzen.

 

Freiheit

 

Die evolutionstheoretische Sicht widerspricht offenbar dem geisteswissenschaftlich-anthropologischen Postulat der Freiheit des Menschen diametral. Unsere Irrationalität ergibt sich hier als eine Folge des Übergangscharakters unserer evolutionären Position bzw. unserer mangelnden Fähigkeit zu rationaler Konstruktion. Bei Anerkennung biologischer Rahmenbedingungen für die Freiheit erscheint der Mensch als das passive Objekt unentrinnbarer Zwänge, als das Opfer evolutionärer Mechanismen, welche die Tendenz haben, immer das bereits Erschaffene zu benutzen, um eine höhere Schöpfungsleistung darauf aufzubauen bzw. das Etablierte wieder zu reetablieren.

 

Unser Gehirn sei primär kein Organ der Erkenntnis, sondern des Überlebens in dieser Welt (Lorenz). Deshalb seien die Eigenschaften unserer Wirklichkeit weder wahr noch falsch, sondern lebensfreundlich oder lebensfeindlich. Nur diese Kategorien könnten durch unseren Wahrnehmungsapparat erkannt werden. Wir seien noch nicht mündig, um selbst über unsere Position zu entscheiden, sondern die Natur treffe überwiegend unsere Entscheidungen. Wir könnten konkrete Aussagen nur über unsere Wirklichkeit machen, nicht aber über die Welt an sich (Ditfurth).

 

Unsere anthropozentrische Perspektive, das scheinbare Fehlen belangloser Inhalte, das Erleben von Bedeutungen als Eigenschaften der Dinge selbst, seien Indizien dafür, dass wir das Tier-Mensch-Übergangsfeld noch nicht durchschritten hätten. Das Dogma der Souveränität menschlicher Vernunft und der Glaube an die uneingeschränkte Freiheit habe zu Katastrophen geführt, die aus einer falschen Auffassung von den Ursachen menschlicher Beschränktheit resultierten. Weder Gott noch Teufel, sondern biologische Bedingungen seien für unsere Unzulänglichkeiten verantwortlich. Die einzige Freiheit, die uns erreichbar sei, sei die Erkenntnis dieser Widersprüche und ihrer Bedingungen im anachronistischen Aufbau unseres Gehirns.

 

Wir seien zur Zeit die einzige irdische Lebensform, die die Bedingungen ihrer Existenz durchschauen könne. Aber wir seien keine rationalen Wesen, die ihrer Wirklichkeit in Freiheit gegenüber stünden. Solange die Ablösung der Subjekte von ihrer Umwelt noch nicht vollzogen sei, fehle die ihnen nötige Distanz als Voraussetzung für diese Freiheit. Die evolutionäre Sichtweise begünstige eine tolerante und einfühlsame Beurteilung menschlicher Schwächen und könne katastrophale Entgleisungen wie Verfolgung von Minderheiten und Ausrottung ganzer Völker verhindern. Unsere Unvollkommenheit hinzunehmen sei der äußerste Schritt, zu dem unsere Vernunft zur Zeit fähig sei. Er verhindere die permanente Vergewaltigung menschlicher Natur durch Religionen und Ideologien.

 

Dualismus

 

Ein altes erkenntnistheoretisches Problem sei die Erklärung der weitreichenden Übereinstimmungen zwischen Subjekt und Objekt bzw. der partiellen Isomorphie subjektiver Denk-Strukturen und objektiver Strukturen der realen Außenwelt. Der EE zufolge sei unser Erkenntnisapparat ein Ergebnis der biologischen Evolution. Unsere subjektiven Erkenntnisstrukturen passten auf die objektiven Strukturen der Welt deshalb, weil sie sich in Anpassung an diese Welt herausgebildet hätten. Und sie stimmten mit den realen Strukturen (teilweise) überein, weil nur eine solche Übereinstimmung das Übelreben ermöglicht habe (Vollmer).

 

Bewusstsein, d.h. die innere Repräsentation der aktuellen Situation, sei auch bei Tieren entsprechend dem Grad ihrer Kortikalisation vorhanden. Selbstbewusstsein jedoch nicht. Das Erleben der eigenen Person in der Umwelt, in Zeit und Raum, ermögliche eine Selbst-Identifizierung als reales Objekt, in dessen Bewusstsein Selbst und Welt als subjektive Erfahrungen gegeben seien. Selbstbewusstsein sei daher reflexiv. Die erfahrene Dualität von Subjekt und Objekt werde durch eine doppelte Reflexion aufgehoben und zu einer neuen Einheit höheren Ranges transformiert: der menschlichen Person. In den Rindengebieten des Stirnlappens seien reflexive Schleifen von Verdrahtungen entdeckt worden, die als Substrate des Selbstbewusstseins angesehen werden könnten.

 

Aus der gehirnbedingten Verfassung unserer Wirklichkeit ergebe sich zwangsläufig eine dualistische Weltanschauung: Das Bewusstsein erhalte einmal objektive Informationen aus der Außenwelt, wozu auch die Informationen aus dem eigenen Körper gehörten, zum zweiten eine Interpretation dieser Informationen als subjektiven Eigenbericht. "Objektiv" heiße hier, dass diese Informationen von den Objekten her stammten; von einer Erkenntnis der "Dinge an sich" im Kantschen Sinne sei nicht die Rede. Diese erlebte Subjekt-Objekt-Spaltung überwänden wir, indem wir uns als der Welt gegenüberstehende Individuen konstituierten. Der erkenntnistheoretische Dualismus sei also gehirnfunktionell bedingt, da wir uns und die Umwelt nicht als Einheit erfahren könnten (Seitelberger).

 

Durch sprachliche Substantivierung (der Geist) werde in der philosophischen Tradition einer Qualität des Denkens eine falsche Substanz unterstellt (Leib-Seele-Problem). Dieses sprachliche Missverständnis (Wittgenstein) stelle Gehirn und Geist als zwei Wesenheiten einander gegenüber. Aus evolutionstheoretischer Sicht sei der substanzielle Dualismus von Leib und Seele ein Scheinbild, bedingt durch die duale Weise unseres Erlebens. Er wird von Seitelberger als Denkfehler bezeichnet.

 

Es sei kein Übergang möglich zwischen der in die Umwelt eingebetteten und der exzentrischen Weltanschauung. Mit der Bedingung der Erkenntnis, d.h. der reflexiven dualistischen Erfahrung eines objektiven Selbst und einer subjektiv abgebildeten Welt, schienen auch die tief verwurzelten Polaritäten menschlicher Existenz verbunden zu sein: Hoffnung und Furcht, Wahrheit und Lüge, Gut und Böse, Liebe und Aggression.

 

Erkenntnis habe die Austreibung aus dem Paradies verursacht. Nun kehre sie den Lauf der Evolution um. Evolutionistische Studien könnten rekonstruieren, wie das Gehirn zur Erkenntnis gelangt sei. Sie seien aber nicht in der Lage, das Wesen (Was) oder die Natur der Erkenntnis zu erklären, geschweige denn ihre Bedingungen (das Warum). Seitelberger sieht jedoch zwei Annäherungen an solche Begründungen: Einmal die Prüfung der Entwicklung der phylogenetischen strukturellen Korrelate, zum anderen das Studium der intelligenten Leistungen selbst. Die Befunde beider Studien müssten miteinander konvergieren.

 

Geist und Materie

 

Die EE vertritt eine systemtheoretisch orientierte evolutionäre Identitätstheorie (Vollmer). Danach sei der Geist eine Funktion des Zentralnervensystems, die erst auf einem gewissen Evolutionsniveau entstehe. Psychische, mentale, bewusste Zustände und Prozesse seien Zustände und Prozesse von Neuronen. Sie wiesen als System Eigenschaften auf, die keines seiner Bestandteile zeige. Der Geist sei eine emergente Funktion, zu der keine Vorstadien erforderlich seien. Erkenntnis sei eine Gehirnfunktion unter vielen. Sie verschwinde mit ihrem Träger. Als evolutionäres Produkt müsse sie einen selektiven Vorteil bieten.

 

Zur Begründung dienen drei Unterfunktionen, deren biologischer Vorteil leicht einzusehen sei: das Gedächtnis, die figurative Funktion des Zentralnervensystems als aktive, konstruktive Leistung, und die Simulationsfunktion, welche Manipulationen an inneren Modellen ermögliche. Der Kern der Identitätstheorie liege jedoch in der Aussage, dass mentale Prozesse identisch seien mit den physikalisch-chemisch-neuronalen Prozessen. Der selektive Vorteil müsse also gleichzeitig ein Vorteil der zugrundeliegenden materiellen Prozesse sein.

 

Dieser physikalische Vorteil erfordere aber keinen "Innenaspekt", denn das Überleben wäre auch ohne psychische Nebenprodukte sichergestellt. Wenn mentale Phänomene nur Epiphänomene wären, nur Begleiterscheinungen physikalischer Prozesse, wären sie für die Evolution völlig entbehrlich. Sie wäre ohne sie nicht im geringsten anders verlaufen, sagt Vollmer. Dieses Argument treffe jedoch nur die Epiphänomenologie, nicht die Identitätstheorie, nach der Bewusstsein und physikalische Prozesse identisch seien. Der mentale Charakter sei hier nicht ein zufälliges Nebenprodukt, sondern eine typische Eigenheit dieser Strukturen. Hätten sie diese Eigenheit nicht, wären sie weniger vorteilhafte Strukturen.

 

Auch Wuketits vertritt einen "emergentischen Materialismus oder evolutionären Identismus", den er ausdrücklich von einem einfachen Reduktionismus (Geist ist nichts anderes als Materie) unterscheidet. Danach ist das Geistige (Bewusstsein) als spezifische Gehirnfunktion eine neu aufgetretene Systemeigenschaft. Diese Emergenz sei nur auf der Grundlage komplizierter Schaltungen erklärbar, deren Komplexität mit der zunehmenden Differenzierung des ZNS einhergehe. Alle Bewusstseinsphänomene könnten als Folge spezifischer Integrationsmuster materieller Elemente im Gehirn betrachtet werden. Die Grundlage für die Emergenz des Bewusstseins sei der materielle Bereich, ohne dass er jedoch reduktionistisch als mit dem Bewusstsein identisch gesetzt werde.

 

Ditfurth vertritt die dualistische Position des Interaktionismus. Danach sind Geist und Gehirn zwei verschiedene Substanzen in aktiver Wechselwirkung. Die Materie habe Individuen hervorgebracht, die an einer geistigen Dimension teil hätten. Ist es nun die Materie selbst, die denkt? Nach Ditfurth verknüpft unser Gehirn die materielle mit der geistigen Dimension. Die Evolution habe Geist deshalb in unseren Gehirnen hervorbringen können, weil er schon vorher real existiert habe. Wie die Augen ein Beweis für die Existenz der Sonne seien, die Beine für die Existenz festen Bodens, die Flügel für die Existenz von Luft, so sei das Gehirn ein Beweis für die reale Existenz des Geistes.

 

Technik und Schöpfung

 

Nicht nur das chaotische fluktuierende Kausalfeld oder das Wetter, auch Aktienkurse gelten als unberechenbar für den menschlichen Verstand (Seitelberger). Inzwischen seien Computerprogramme entwickelt worden, die kurzfristige Prognosen für die Entwicklung auf dem Kapitalmarkt mit einer Treffsicherheit von siebzig bis neunzig Prozent ermöglichten und damit deutlich über der menschlichen Kapazität lägen, obwohl die Regeln für den Kursverlauf von Aktien gar nicht bekannt seien. Das Geheimnis dieses Erfolges liege in der Computer-Konzeption: Die Schaltungen von Computer-Elementen würden dem menschlichen Gehirn nachgebildet, so dass neuronale Netze entstünden.

 

Diese Neuronennetze würden so programmiert, dass sie in der Lage seien, aufgrund umfassender Input-Daten die Regeln eines jeweiligen Systems selbst herauszufinden, wie es bisher nur dem menschlichen Gehirn möglich gewesen sei. Die Schaltungen verliefen dabei analog der Funktion von Nervenzellen-Netzen mit Input, Output und einer dazwischen geschalteten reflektierenden Ebene. Der Output könne an ausführende Roboter angeschlossen werden. In der Zwischenebene bilde sich ein plastisches Abbild der Wirklichkeit, eine Karte der Realität.

 

Solche Computer könnten sprechen lernen, indem sie die Sprachregeln selbsttätig erarbeiteten, oder "Autofahren" anhand einer Videokamera als einzigem Sinnesorgan. Sie seien in der Lage zu abstrahieren und Begriffe zu erarbeiten durch ihre einprogrammierten Fähigkeiten von Zusammenarbeit und Lernen, Kooperation und aus Erfahrung extrapolieren. Sie könnten sogar ausgefallene Regionen ihres Netzes wieder regenerieren, indem sie sie arbeitsteilig an anderer Stelle einsetzten und die Lücke auf diese Weise kompensierten.

 

Diese Computer besäßen eine hohe Fehlertoleranz. Die einfache eingebaute Regel "Wenn zwei Neuronen den gleichen Sinneseindruck empfangen, sollen sie miteinander kooperieren und die Aktivität in dieser Richtung verstärken" führe nach vielen Lernerfahrungen zu einer Geometrie der neuronalen Netze, die die Geometrie der Außenwelt widerspiegele. Die Programme bestünden dabei nur aus groben Zielsetzungen, wie z.B. die Leistung zu erhöhen. Das genüge dem Netz, um sich selbst zu organisieren.

 

Ein Neuronennetz sei in der Lage, aus einfachen Grundannahmen wie "entweder links oder rechts" Prinzipien zu erkennen und daraus etwas Neues zu kreieren. So sei z.B. aus dem Input des Prinzips "Doppelspirale" ein blütenähnliches Gebilde als Output geliefert worden, das dann als Grundlage für weitere "Überlegungen" gedient habe. Genau wie bei der menschlichen Intelligenz spielten Lernfähigkeit, Mustererkennung und die Suche nach dem Optimum eine herausragende Rolle.

 

Beim Autofahren "lerne" das System durch Kombination verschiedener Signale, was eine Straße ist. Dabei könnten unterschiedliche Konzepte des Begriffs "Straße" entwickelt werden, je nachdem, ob der Straßenrand zugrunde gelegt werde oder die Mitte. Das Lernverhalten neuronaler Netze entspreche der Strategie der Mutation und Selektion, deshalb sei auch von "genetischen Algorithmen" die Rede. Selektion bedeute, dass nur solche Lernschritte gefördert würden, die zur besten Lösung eines Problems führten. Mutation bedeute, dass sich das Verhalten zufällig ändere, wenn das Netz in eine kognitive Sackgasse gerate. In dem Moment, in dem es wieder Erfolge aufweise, höre das Zufallsverhalten auf, und der Weg zum idealen Ziel werde kooperativ angestrebt.

 

Das Erstaunlichste an diesen Neuerungen sei die Tatsache, dass neuronale Netze Regeln begreifen könnten, die sie nicht im Programm hätten, weil ihre Schöpfer sie selbst nicht kennten. Die Wissenschaftler hätten nur noch in vereinzelten Fällen nachvollziehen können, wie das Neuronennetz zu seinen inneren "Landkarten" gelangt sei. Der Innenaspekt entwickele sich also selbsttätig im Laufe der Lernerfahrungen. Was sich in der zwischengeschalteten Ebene der Abstraktionen tatsächlich abspiele, bleibe ihren Schöpfern größtenteils verborgen (Ripota).

 

Ethik

 

Nach Vollmer enthält die evolutionäre Erkenntnistheorie keine direkten ethischen Konsequenzen, da sie keine kognitive Disziplin ist. Normen und Werte seien keine Fakten und könnten nicht in der Natur aufgefunden werden. Eine naturalistische Betrachtung des Menschen sei unzureichend für die Erstellung von Normensystemen, durch sie würde eine sozio-kulturelle Evolution mit ihren ethischen Imperativen geleugnet und auf das Plateau der biologischen reduziert (Wuketits).

 

Eine naturalistische Betrachtung des Menschen würde menschliches Verhalten nur innerhalb der Strukturen regeln, die in der Realität vorgezeichnet seien. Für Wuketits liegt die ethische Relevanz der evolutionären Erkenntnistheorie für den Homo sapiens in der Erkenntnis seiner Grenzen und einer daraus resultierenden Rationalität, um sein Verhalten gegenüber der Biosphäre zu steuern. Auch Mohr ist der Ansicht, dass Seinsaussagen keine Sollensaussagen erlauben. Er kann aus der EE nur ein wissenschaftliches Ethos ableiten.

 

Kommentar: Tatsächlich würden uns die Prinzipien einer evolutionären Ethik abenteuerlich anmuten. Das höchste Ziel wäre das Überleben der eigenen Art. Zu diesem Zweck wären individuelle Lebenswünsche und solche von anderen Arten als sekundär anzusehen. Das Individuum besäße überhaupt keinen Wert. Zum Zweck der Arterhaltung könnte es vernichtet werden. Alle Arten, die nicht optimal an die Umwelt angepasst sind, müssten ausgerottet werden, um den Erfolgreichen nicht die Ressourcen zu schmälern. Das gleiche gälte für Kranke und Schwache.

 

Die Legitimation dieser Prinzipien ergibt sich aus der Evolution selbst: Der Tod vernichtet jedes Lebewesen prinzipiell, möglichst nachdem es sich reproduziert hat. Die Zahl der Mutanten, die von der Evolution zur Verfügung gestellt wurden, um aus Prinzip an der Umwelt zu scheitern, muss unvorstellbar hoch gewesen sein. Alle Lebewesen sind gezwungen, sich gegenseitig zu fressen, um selbst zu überleben. Millionen von Samenfäden werden bei jeder Ejakulation prinzipiell vernichtet, damit aus einem von ihnen eventuell neues Leben entsteht.

 

In Tierpopulationen tritt bei Übervölkerung und Ressourcenmangel der Regulationsmechanismus der "ökologischen Ausdünnung" auf (Christian). Er äußert sich in gegenseitigem Töten, Fressen des eigenen Nachwuchses bis hin zum Massenselbstmord (Lemminge) und soll das Überleben der Art durch Dezimierung einer Population ermöglichen. Auch Menschen reagieren aggressiv bzw. selbst zerstörerisch auf Übervölkerung und Dichte.

 

Offenbar sind wir auf diese evolutionären Prinzipien programmiert, wie der kriegerische und ausbeuterische Verlauf der Menschheitsgeschichte zeigt. Doch obwohl unsere Instinkte uns das Recht des Stärkeren lehren, erkennen wir gleichzeitig das Barbarische daran und versuchen es durch Gesetze und Regeln zu überwinden. Hier wird der Übergangscharakter unserer evolutionären Position deutlich: Eine kompetitive Phase scheint die Phase der Konkurrenz abzulösen.

 

Das Prinzip des Lebens scheint darin zu bestehen, dass es massenweise vernichtet wird, um das Ausprobieren neuer Strategien im Sinne einer Leistungsoptimierung zu gewährleisten, von denen die erfolgreichsten weiter entwickelt werden. Das Barbarische an diesem Prinzip besteht darin, dass der Tod für das Individuum mit Angst, Schmerzen und Entsetzen verbunden ist. Doch scheint durch die Bewusstwerdung eine Richtungsänderung in der Evolution eingetreten zu sein. In ihrer neuesten Errungenschaft, dem Stirnhirn, werden die höchsten begrifflichen Korrelate des Denkens neuerdings wieder mit unseren Trieb- und Gefühlssphären verbunden, um diese bewusst zu machen und einer kritischen Selbstreflexion zu unterziehen (nach Ditfurth).

 

Aus der von Riedl postulierten Isomorphie der Strukturen kann jetzt eine neue Ethik konstituiert werden, die ihre Begründung aus der partiellen Übereinstimmung zwischen natürlichen und kognitiven Strukturen bezieht. Wenn sich unser Denken entsprechend der Naturgesetze entwickelt hat und diese repräsentiert, erhalten unsere ethischen Reflexionen als Synthese von Kognition und Empfindung eine objektive Bedeutung. Danach deutet sich ein höheres Ziel als das der Arterhaltung an: Es geht scheinbar um die Materialisierung logischer Strukturen bzw. um die objektive Realisierung von Ideen in der Welt. Anders formuliert: Geist soll offenbar in Materie transformiert werden.

 

 

Birgit Sonnek

 

Juni 2004

 

 

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