FRAUENFORSCHUNG (Theorie
des Matriarchats)
Die Logik dominiert unser Denken. Seit Jahrtausenden sind
wir auf eine rationale Dominanz und emotionale Unterdrückung konditioniert. Wie
weit wir mit dem Kosten-Nutzen-Denken gekommen sind, können wir am Zustand
unserer Welt ablesen. Herrschafts-Systeme mit globaler Ausbeutung und Zerstörung
setzen sich immer wieder durch gegenüber humanen Ansätzen, Kultur und
lebensfördernden Techniken. Doch was sollen wir tun? Gibt es auch andere
Konzepte? Gab es je humane Gesellschaften? Vielleicht im Matriarchat? Was ist
das eigentlich, herrschen dort Frauen über die Männer?
Antworten findet man bei Heide Göttner-Abendroth,
Professorin für Philosophie und Leiterin der HAGIA-Akademie,
die als Begründerin der modernen „kritischen Matriarchatsforschung“ gilt. Als
Ergebnis ihrer dreißigjährigen Forschungsarbeit hält sie fest: Es gab Matriarchate, und es gibt sie zum
Teil heute noch. Überall auf der Welt, wo die ersten Ackerbaukulturen zu finden
waren und sich ausbreiteten, war deren Gesellschaftsordnung klassisch matriarchal.
Göttner-Abendroth
beschreibt die Kriterien der matriarchalen
Gesellschaft auf vier Ebenen: ökonomisch, sozial, politisch und
weltanschaulich. Auf der ökonomischen
Ebene seien Matriarchate meist Ackerbaugesellschaften, vom einfachen
Gartenbau in der Mittleren Altsteinzeit (um 60.000 v.u.Z.) über den
entwickelten Ackerbau der Jungsteinzeit (ab 10.000 v.u.Z.) bis zu den großen
Stadtkulturen und ihren komplexen Bewässerungssystemen. G.-A. nennt sie Ausgleichsgesellschaften, weil sie den
Boden gemeinsam bewirtschafteten und die produzierten Güter gleichmäßig verteilten.
Die Verteilung der Produkte folge einem Regelsystem, führt
sie aus, das mit den Verwandtschaftslinien und Heiratsregeln zusammenhänge.
Dieses System verhindere, dass Güter privat gehortet werden können. Dabei
würden Gleichheitsprinzipien bewusst und ausdrücklich gehandhabt. Matriarchate
seien Gesellschaften mit ökonomischer Wechselseitigkeit: Vor- und Nachteile
beim Erwerb von Gütern würden durch soziale Regeln ausgeglichen, z.B. seien
wohlhabende Clans bei den zahlreichen Festen verpflichtet, das ganze Dorf
einzuladen, wobei sie der Ehre wegen ihren Reichtum verteilten.
Auf der sozialen
Ebene seien Matriarchate Gesellschaften, die auf Sippenverbänden beruhten.
Die Menschen wohnten in großen Clans zusammen, die nach dem Prinzip der „Matrilinearität“, der Verwandtschaft in der Mutterlinie,
aufgebaut seien. Die Weitergabe des Sippennamens wie der sozialen Titel und
Würden verlaufe in der mütterlichen Linie. So ein Matri-Clan
bestehe aus mehreren Frauengenerationen: der Sippenmutter und ihren Schwestern,
deren Töchtern und Enkelinnen. Die Männer seien ihre Brüder, Söhne und Enkel.
Ein Matri-Clan wohne in einem
großen Sippenhaus mit zwölf bis achtzig Personen. Land und Haus seien Eigentum
des Clans, die Frauen verteilten die Nahrungsmittel, die Sippenmutter verwalte
den Clanschatz. Die Frauen lebten permanent hier, Töchter und Enkelinnen
verließen auch nach der Heirat nicht das mütterliche Haus: „Matrilokalität“.
Die jungen Männer hingegen würden im heiratsfähigen Alter mit den Frauen einer
anderen Sippe vermählt. Jede Sippe sei eine autarke Gruppe, eine selbständige
Lebens- und Arbeitsgemeinschaft.
Die Verbindung der Clans untereinander erfolge durch das
System der Wechselheirat mit Gemeinschaftsehe: Die Männer aus Sippenhaus A
würden als Gruppe vermählt mit den Frauen im Sippenhaus B, und die Männer aus
Sippenhaus B mit den Frauen von Sippenhaus A. Seien weitere Clans vorhanden,
heirateten die Sippenhäuser C und D miteinander. Durch zusätzliche freie Wahl
innerhalb anderer Clans sei in einem matriarchalen
Dorf jede Person mit jeder anderen verwandt und verschwägert: Verwandtschaftsgesellschaften.
Die Männer gingen abends ins benachbarte Haus, wo ihre Gattinnen
wohnten, und kämen morgens zurück: "Besuchsehe".
Sie besäßen dort kein Wohnrecht und seien nur die Gäste ihrer
Liebespartnerinnen. Ein matriarchaler Mann nähme
seine Mahlzeiten dort ein, wo er arbeite: im Sippenhaus seiner Mutter. Dort
habe er Rechte und Pflichten, sei ein geachtetes Sippenmitglied und beteiligt
an allen Sippenentscheidungen. Die matriarchalen
Frauen seien zwar Mittelpunkt der Gesellschaft, aber keine Herrscherinnen
gegenüber etwa unterlegenen Männern. Das wäre eine platte Umkehrung patriarchaler Muster.
Ein Mann betrachte die Kinder seiner Gattin nicht als die
eigenen, denn sie trügen nicht seinen Clan-Namen. Sie seien nur mit ihrer
Mutter verwand, deren Namen sie trügen. Am engsten verwandt sei er mit den
Kindern seiner Schwestern. Seine Fürsorge und Verantwortung gelte seinen
Nichten und Neffen. Würden und Titel unter Männern würden vom Onkel
mütterlicherseits auf den Neffen vererbt. Matriarchale
Gesellschaften praktizierten die soziale Vaterschaft. Biologische Vaterschaft
sei nicht bekannt.
Verwandtschaftsgesellschaften bildeten ein kompliziertes
Netz gegenseitiger Dienstleistungen, aus dem kein Individuum herausfalle. Ihre
Verwandtschafts-Nomenklatur bezeichne ein ausgeklügeltes Hilfssystem, das den
Mutterlinien folge. Das soziale Netz trage alle, es gebe keine Waisenhäuser,
Altersheime oder Obdachlosenasyle. Jede Person finde emotionale Zuwendung im
Rahmen der Gemeinschaftsehe oder kümmere sich um die vorhandenen Kinder.
Neben Männerhäusern gebe es auch Häuser für Kinder und Jugendliche,
in denen sie spielten und tanzten, ihren Interessen oder erotischem Vergnügen
nachgingen, dem keine Grenze gezogen werde. Sie nähmen an allen Aktionen der
Erwachsenen teil, auch im mütterlichen Sippenhaus gebe es kein Tabu. Das Lernen
geschehe durch Imitation. Erziehung sei unbekannt. Die neu geborenen Kinder
gehörten den Frauen, die sie gebaren, und damit dem ganzen Clan. Der Anteil der
Männer bei der Kinderproduktion spiele keine Rolle.
Auf der politischen
Ebene folgten die Entscheidungsfindungen ebenfalls den Verwandtschaftslinien.
Im Sippenhaus bildeten Frauen und Männer einen Rat für häusliche
Angelegenheiten, von dem kein Mitglied ausgeschlossen sei. Jede Entscheidung
werde nach eingehender Diskussion per Konsens getroffen. Ebenso sei es auf Dorfebene:
Im Dorfrat träfen sich entweder die sippenältesten
Frauen selbst oder die von ihnen delegierten Männer. Sie gingen so lange
zwischen Clanrat und Dorfrat hin und her, bis ein Konsens gefunden sei.
Auf regionaler Stammesebene gelte das gleiche: Die
Delegierten ganzer Dörfer träfen sich, um die Entscheidungen ihrer Clans
auszutauschen und zu koordinieren: Es seien egalitäre Konsensgesellschaften. Machtanhäufung und
Herrschaftsbildung sei nicht möglich, da die Delegierten keine Entscheidungsträger
seien. Die Ehre der Clans liege in der Wechselseitigkeit. Individueller
Egoismus ziehe Sanktionen durch stillschweigende Ausgrenzung nach sich.
Auf der weltanschaulichen
Ebene handele es sich um komplexe religiöse Systeme, die sich nicht auf
„Naturreligionen“ oder „Fruchtbarkeitskulte“ reduzieren ließen. Matriarchale Menschen glaubten an die Wiedergeburt. Ihre
zyklische Vorstellung von Kosmos und Leben spiegele sich in ihren Mythen und
sozialen Mustern. Die Reinkarnation bedeute keine abstrakte Seelenwanderung im
Sinne des Buddhismus, sondern jedes Clanmitglied erwarte, nach seinem Tod im
gleichen Dorf von den Frauen der eigenen Sippe wiedergeboren zu werden. Kinder
gälten als die wiedergeborenen Ahnen und seien heilig.
Frauen würden hoch geachtet, weil sie als Wiedergebärerinnen die ständige Erneuerung und das
Fortleben des Clans sicherten. Sie seien Lebensschöpferinnen, Ernährerinnen und
könnten Tod in Leben umwandeln. Leben und Tod würden als sich zyklisch
abwechselnde Prozesse betrachtet. Das hätten die Menschen der Natur abgeschaut,
in der auch ständiges Wachsen, Welken, Vergehen und Wiederkehren im
jahreszeitlichen Rhythmus beobachtet würde. So sei die Urgöttin Erde ihnen Ernährerin
und wiedergebärende Große Mutter.
Die zweite Urgöttin sei die Große Himmelskönigin, denn den
gleichen Kreislauf von Kommen, Gehen und Wiederkehr beobachteten die Menschen
am Himmel. Alle Himmelskörper gingen auf, gingen unter und kämen wieder. Im
Kosmos sähen sie die Schöpferin des Universums, die alle Gestirne hervorbringe,
sie im Westen in den Tod geleite und im Osten wiedergebäre. Der Himmel folge
damit den gleichen Gesetzen wie die Erde. In diesen Naturkreislauf von Leben,
Tod und Wiedergeburt seien auch die Menschen eingebettet.
Das Denken geschehe in Bildern von Polaritäten, die sich
gegenseitig ergänzten und aufeinander bezogen seien. Eine dualistische Moral
von Gut und Böse sei unbekannt. Das Dunkle sei nicht böse, sondern so notwendig
wie das Helle. Tag und Nacht, Kommen und Gehen, Leben und Tod bedingten
einander und lösten sich ab. Auch im Weiblichen und Männlichen spiegele sich
die universelle Polarität, kein Geschlecht sei minderwertig. Im Matriarchat sei
die Natur heilig und die ganze Welt göttlich. Der Gottesbegriff sei immanent,
nicht transzendent. Auch im täglichen Leben werde nicht zwischen sakral und
profan unterschieden, jede Handlung wie Säen, Ernten, Kochen oder Weben sei ein
bedeutungsvolles Ritual: Matriarchate seien Sakrale Gesellschaften.
Die Frau besitze göttliche Kräfte - analog zur mütterlichen
Erde und zur kosmischen Schöpferin kenne sie die Gesetze von Leben und Tod. Sie
bringe das Leben hervor, erhalte es, führe es in den Tod und hole es wieder
daraus zurück. Der Mann spiegele die Kräfte des menschlichen Daseins. In der
Mythologie sei die Frau immer die Repräsentantin der Göttin, während der Mann
die Menschenwelt repräsentiere. In Gestalt des Heiligen Königs sei er der
Vertreter seines Volkes gegenüber der Göttin und ihr weltlicher Begleiter.
Göttliches und Menschliches seien gleichwertig aufeinander bezogen.
Die Zerstörung des matriarchalen
Menschenbildes sei durch den Einfall fremder Gruppen in die Verwandtschaftsgesellschaften
erfolgt. Es seien die ersten Zwei-Schichten-Staaten von Herrschenden und
Beherrschten entstanden, indem eine fremde Minderheit durch Waffengewalt eine
einheimische Mehrheit eroberte, unterdrückte und für sich arbeiten ließ. Diese
klassische Struktur von Herrschaft sei relativ neu in der Geschichte, erst
4.000 - 5.000 Jahre alt. Verwandtschaftsgesellschaften nähmen den größten
kulturellen Zeitraum ein.
Als die Männer ihre Beteiligung an der menschlichen
Reproduktion erkannten, hätten überall Patriarchalisierungsprozesse
eingesetzt. Sie hätten ihre Sippen jetzt durch Patrilinearität
definiert, dem Vater-Sohn-Verhältnis. Um sicher zu sein, dass es sich um die
eigenen Söhne und Erben handelte, hätten sie die Frauen aus ihren Matri-Clans in die Männersippen verschleppt und dort
lebenslang festgehalten: "Monogamie". Nur unter diesen unnatürlichen,
erzwungenen Bedingungen könne der Mann seine biologische Vaterschaft sicher
bestimmen. Die Voraussetzung für die „Patrilinie“ sei
die Zerstörung von Wechselheirat und Gemeinschaftsehe gewesen.
Der Zwang ziehe sich durch die gesamte Entwicklung des
Patriarchats bis hin zum heutigen Typus. Die Herrschaftstechnologie sei
optimiert worden, direkte Gewalt ersetzt durch subtile, strukturelle Gewalt mit
immer größeren Unterdrückungshierarchien. Das Idealbild des Mannes sei nicht
mehr das des liebevollen Vaters und Freundes, sondern er gefalle sich
waffenklirrend und befehlend. Die Frau sei nicht mehr sei Gegenpol, sondern das
unterdrückte "Böse".
In allen frühpatriarchalen
Ideologiebildungen könne man nachlesen, dass die Frau "das Untere"
sei, das „Minderwertige, Schwache". Der Zwang, die Frau zu unterdrücken,
entstehe aus ihrer Wichtigkeit für die Gesellschaft, weil sie die Kinder zur
Welt bringe. Mutterschaft sei jetzt keine selbstbestimmte Angelegenheit der
Frauen mehr, sondern eine patriarchale Institution.
Die Gattin sei nur noch das Gefäß für den Samen ihres Herrn und gebäre ihm
seine Söhne, die seinen Besitz erbten. Von ihrer Würde und Heiligkeit sei
nichts geblieben.
Sei sie nicht gebärfreudig, werde sie ausgewechselt. Es gehe
dabei nicht um die Wiederkehr verstorbener Ahnen, sondern um den Macht- und
Kriegsapparat der Herren, der viele Söhne benötige. Der Wiedergeburtsglaube sei
radikal ausgemerzt worden, denn er habe den Frauen eine zu große Bedeutung
verliehen. Die Gewaltstrukturen setzten sich vom Mann über die Frau bis zum
Kind fort. Sei das Kind ein Sohn, erhalte es bald Dominanz und später die
Vormundschaft über Schwestern und die eigene Mutter.
So bilde das patriarchale
Familienmuster die Hierarchie des Staates nach: Beide seien durchzogen von
Gewalt. Im Großen wie im Kleinen entstehe so eine kranke, neurotische
Gesellschaft. Das Ausmaß an Pathologie zeige sich am Ausmaß von Kriegen, Terror
und sozialem Chaos, das die Geschichte durchziehe. Dass diese Verhältnisse die
"Geschichte der Menschheit" seien, werde von Historikern behauptet.
Die Erinnerung an den zeitlich größeren und friedlicheren Teil der menschlichen
Entwicklung sei verlorengegangen.
Der Ausdruck „Neolithische Revolution“ beziehe sich vor
allem auf den Ackerbau als neue ökonomische Grundlage. Die Jungsteinzeit sei
aber nicht nur die Basis für Gesellschaftssysteme mit differenzierter
Arbeitstellung und Funktionalität, sondern auch für den Bau von Wohnhäusern und
sakralen Anlagen.
Die Sakralbauten der Jungsteinzeit seien Ausdruck der
Megalithkultur in Europa (Hünengräber, Dolmen, Menhire), Asien, im Pazifik,
Nord- und Südamerika und Afrika. Die gesamte Architektur sei von matriarchaler Geistigkeit geprägt. Eine zentrale Rolle
spiele die Idee der realen Wiedergeburt jeder Person im eigenen Clan, die Vorstellung
der Heiligkeit aller lebenden Wesen und Naturerscheinungen, und die Auffassung
des Kosmos und der Erde als Urgöttinnen.
Bauwerke wie Stonehenge, die Rundtempel von Malta und die
Pyramiden Alt-Ägyptens seien bisher nicht richtig interpretiert worden. Die
Archäologie als bloße Registrierwissenschaft verweigere jede Deutung,
nationalistische und esoterische Bewegungen spekulierten im eigenen Interesse.
Doch verknüpft mit den geistigen Prinzipien der Mythensysteme sei es möglich,
die Bauwerke des Neolithikums richtig zu verstehen
und die „Steine zum Sprechen“ zu bringen. Nach G.A. folgt die Architektur matriarchaler Gesellschaften 7 Prinzipien:
1. Sakrale
und profane Bereiche sind nicht getrennt. Das Zentrum eines Sippenhauses
sei der heilige Herd, der gleichzeitig als Versammlungsplatz der Familie und
Kultstätte für die Feuergöttin und die Ahnen diene. Hier würden auch die
sakralen Mahlzeiten eingenommen. Andererseits seien die Tempel gleichzeitig
Wohnstätten für Priesterinnen, den Heiligen König und ihren Hofstaat, also eher
„Wohntempel“ (z.B. „Palast“ von Knossos auf Kreta).
Die in Anatolien gefundene Stadt Catal
Hüyük (7.000 v.u.Z.) bestehe aus vielen an- und
übereinander gebauten kubischen Häusern (von Kulturhistorikern abschätzig als
„regelloses Gewirr“ bezeichnet). Hier seien Tochterhäuser an und auf das Mutterhaus
gesetzt worden. Das matriarchale Siedlungsprinzip
entstehe nicht auf dem Reißbrett, sondern folge der matrilinearen
Genealogie und wachse auf natürliche Weise, bis eine ganze Stadt entstehe.
„Sakralräume“ seien nur deshalb so benannt worden, weil man
in ihnen sakrale Symbole fand wie Wandmalereien von überlebensgroßen Göttinnen
in Gebärhaltung und Stierhörner als Wandschmuck. Sie schienen völlig regellos
zwischen den „Wohnräumen“ verstreut zu sein, die aber nur deshalb so hießen,
weil sie keine sakralen Symbole enthielten. Unter den gemauerten Podesten, die
als Liegestätten dienten, seien die Gebeine der Toten begraben. Es handelte
sich also um Schlafzimmer und Friedhöfe zugleich.
Die Wohntempel-Bauweise finde man bis heute bei den matrilinear organisierten Pueblo-Indianern
in Arizona. In unregelmäßiger Würfelbauweise aufeinander gebaute Quartiere
würden verschiedenen Clans zugeordnet. Vor den Wohnquartieren fänden sich
gemauerte unterirdische Vorratsspeicher, in denen die Ernte über den Winter
aufbewahrt werde. Diese Vorratsspeicher seien zugleich Sakralräume, darin
feierten die Indianer im „Schoß der Mutter Erde“ ihre heiligen Rituale. Dort
verehrten sie ihre Ahnen, die nach ihrem Glauben aus dem mütterlichen Schoß
wieder zu den Lebenden zurückkämen.
Bei den Prärieindianern in Nordamerika habe man Medizinräder
aus doppelten Steinkreisen für den Sonnentanz gefunden, in die
Wagenrad-Speichen waren Wohnhütten integriert. Sie hätten multifunktional als
Versammlungs- und Wohnraum, Kalender und Tanzplatz gedient. In Nepal hätten
solche Kultstätten aus riesigen Steinkreisen das gesamte Tal Kathmandu umgeben, das damit zu einem natürlichen Tempel
der Muttergöttin Erde geworden sei. In der Mitte zeigten vulvenförmige Steine
in die vier Himmelsrichtungen.
2.
Betonung der Innenräume statt der Fassaden. Alle Innen- und Hohlräume
repräsentierten den mütterlichen Schoß, in dem Leben entsteht, als den Ursprung
aller Dinge. In Südengland sei das Grab „Long Barrow“
äußerlich ein unscheinbarer Erdhügel, umgeben von großen Steinen, die das aufgeschüttete
Erdreich festhielten. In der Bretagne sei das Innere jedes Dolmengrabes ein
sakraler Raum und stelle als Grotte oder Höhle den Schoß der Erde dar.
Hier seien die Toten bestattet und die Rituale der Totenspeisung und Ahnenverehrung vorgenommen worden. Die
Bestattung sei in Hockerstellung erfolgt, der Embryonalhaltung. Sie ruhten wie
ein ungeborenes Kind im Leib der Erde, die Wiedergeburt erwartend. Deshalb habe
alle Sorgfalt und Liebe in der Baukunst den Innenräumen gegolten. „Silbury Hill“ bei Avebury sei ebenfalls ein unscheinbarer
Erdhügel, der im Inneren eine Überraschung berge: eine siebenstöckige
Stufenpyramide mit einer kleinen Grabkammer. Ähnlich wie die alt-ägyptischen
Pyramiden stelle sie einen schwangeren Berg dar. Diese Uterus-Grabkammern
bargen die Toten eines Clans im runden Leib der Erde.
Bis zu ihrer Wiedergeburt würden sie von der Himmelskönigin
umfangen. Die dreifaltige Große Göttin des Matriarchats sei meist durch den
Mond in seinen drei Phasen symbolisiert worden: der silberne, zu- und
abnehmende Mond als Sichel sei die weiße Göttin (weiße Steine), der Vollmond,
der in roten Farben leuchte, die Liebesgöttin (rote Steine), der unsichtbare
Schwarzmond als Neumond die weise Alte (schwarze Steine).
Auch in den Tempeln von Malta mit ihren halbkreisförmigen
Räumen käme es nur auf die Innenräume an. Diese bildeten eine dreifache,
kleeblattartige Form, wie ein runder Kopf mit zwei Brüsten, oder eine fünffache
Form mit Kopf, zwei Brüsten und zwei ausladenden Hüften. Eingang und Ausgang
führten direkt durch die Vagina in den Leib. Darin seien die Mysterienfeste
gefeiert und der Göttin gehuldigt worden, die als schöpferisch mit ihrem Kopf,
den Brüsten und den Hüften galt. Ein Wohntempel auf den schottischen Orkney-Inseln sehe ebenfalls wie eine liegende Göttin aus,
der Eingang führe durch ihre Vagina.
3.
Bauwerke bilden die Vorstellung vom Aufbau der Welt nach. Das neolithische
Dreistock-Weltbild gliedere sich in die Bereiche Himmel, Erde und Unterwelt,
repräsentiert durch die dreifaltige Göttin. In Gestalt der jungen Weißen Göttin
sei sie die Himmelskönigin über alle Sterne, als fruchtbare Rote Liebesgöttin
die Herrin über Land und Meer, die Schwarze Göttin beherrsche als weise Alte
die Unterwelt und alle magischen Künste.
Im Wohntempel („Palast“) von Knossos trete dieses Prinzip
kunstvoll hervor: Das obere Geschoss sei der Himmelsbeobachtung vorbehalten. Es
enthalte weiße Säulen und Kuhhörner in Form von Doppelsicheln, einem Symbol der
Mondgöttin. Analog dazu entspreche die berühmte kretische Doppelaxt in der Hand
der Sakralkönigin dem zu- und abnehmenden Mond. Der mittlere Stock sei mit
roten Säulen ausgestattet, es sei der Bereich der rituellen Feste, Stierspiele
und Labyrinth-Tänze, des Hoflebens und der Regierung.
Hier erfüllten die Sakralkönigin und der Heilige König von
Kreta ihre repräsentativen Aufgaben, feierten ihre Heilige Hochzeit und
ordneten das Land und die Welt. Die untere Etage erreiche man über
spiralförmige Treppen, die Säulen seien schwarz bemalt. Hier lagerten die
Vorräte, seien Wasseranlage und Kultbecken angesiedelt sowie kleine Räume, in
denen man Göttinnenskulpturen fand. Sie trugen doppelte Schlangen, das Symbol
der Göttin in ihrer dritten Gestalt als weise Regentin der Unterwelt, des Todes
und der Wiedergeburt.
4.
Gestaltung des weiblichen und männlichen Elements. Das Leben
und alle Naturerscheinungen hätten sich für die damaligen Menschen aus polaren
Kräften wie Tag und Nacht, Sommer und Winter, Bewegung und Ruhe, Weiblich und
Männlich entwickelt. Auch die Steine der Megalithanlage von Avebury seien in
weibliche und männliche eingeteilt: die männlichen hoch und schlank, die
weiblichen breit gelagert, in der Fachwelt „diamonds“
genannt. Oft würden sie auch als Paar dargestellt, als Balance zwischen den
beiden Polen.
Das Megalithgrab „Wielands Schmiede“ (patriarchale
Benennung) zeige eine mächtige Grabkammer mit kleiner Vorkammer und vier
gewaltige, senkrecht aufragende Steine am äußeren Eingang, sog. männliche
„Wächter“, die den weiblichen Schoß beschützten. Sie repräsentierten die
Funktionen der Männer im Clan: Als Gatten wohnten sie nicht im selben Haus wie
ihre Frauen, waren aber als Schützer und Helfer bei ihren Müttern und Schwestern
hoch geachtet.
5.
Göttinnen als Bauwerke. Um „Silbury Hill“ liege
eine Bodensenke, die sich zur Zeit der Schneeschmelze mit Wasser fülle, so dass
um den Hügel herum ein flacher See entstehe. Das Gebilde sehe aus wie eine
liegende Gestalt mit ausladender Hüfte. Es erinnere an die „Schlafende Göttin“
von „Hal Saflieni“ auf
Malta, auch an die schwangere Göttin „Grimes Graves Goddess“ von Norfolk, und an eine entsprechende Figurine
von „Pazardzik“ in Bulgarien.
Alle Bauwerke stünden mit ihrer Umgebung in symbolischer
Verbindung. Architektur und gestaltete Landschaft durchdrängen einander und
erzeugten komplexe Bilder. In unserer absurden Trennung von Mensch, Natur und
Landschaft könnten wir die genialen Konstruktionen matriarchaler
Baumeisterinnen, die in die Landschaft eingebettet wurden, heute kaum noch verstehen.
6.
Einbeziehung der Welt durch die Himmelsrichtungen. Die
Megalithanlagen seien sowohl Kultplätze als auch Observatorien. Jeder Menhir
der Steinkreise habe als Peilstein gedient und eine Himmelsrichtung oder
Zwischenposition extremer Auf- und Untergänge von Gestirnen bestimmt. Zu der
Anlage von „Stonehenge“ gehöre neben der kreisrunden Steingalerie auch der kaum
noch sichtbare doppelte Wall sowie die Ausgangsöffnung mit ihren Peilsteinen.
Der umgebende Horizont sei völlig flach und von vornherein mitbedacht.
Die Anlage von Avebury sei jedoch größer und viel älter.
Doppelte Ringe böten, wenn man sich darin bewege, viele Perspektiven für die
Sternbeobachtung. Eine häufige Form des Matriarchats seien Labyrinthe, in denen
Tänze stattfanden, welche die Bewegungen der Gestirne nachahmten. Sogar das
Innere von Dolmengräbern sei nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet. Die
Öffnungen zeigten meist nach Südosten. Dadurch könne das aufgehende Licht der
Sonne zur Wintersonnenwende in die Öffnung einfallen.
In „New Grange“ erreiche der erste
Lichtstrahl der Wintersonnenwende in zwanzig Meter Tiefe direkt das „Triskel“, eine dreifache Spirale, die in einen Stein
gehauen sei. Diese tiefsinnige Symbolik weise auf das Fest der Wiedergeburt
hin, das zur Wintersonnenwende gefeiert wurde. Die ost-westlich verlaufende
Grundachse symbolisiere Aufgang und Untergang der Sonne und damit Leben und
Tod, sowie die Polarität des Weiblichen und Männlichen. Der Osten sei mit der
Frau verbunden, die das Leben und als Kulturschöpferin das Licht bringe, im
männlichen Westen lägen die Grabanlagen, das mythische Totenreich und die
seligen Inseln der Anderswelt.
Auch der Wohntempel von Knossos folge dem Prinzip der
symbolischen Himmelsrichtungen: Der Osttrakt sei der Sakralkönigin gewidmet, im
Westtrakt lägen die Räume des Heiligen Königs. In der Geografie Ägyptens bilde
der Nil eine natürliche Nord-Süd-Achse. Dementsprechend seien in Alt-Ägypten
die Siedlungen meist auf den Hügeln des Ostufers errichtet, und die großen
Nekropolen, die Pyramiden und Totenstädte, lägen auf den Hügeln am Westufer.
7.
Verbindung mehrerer Bauwerke zu großräumigen Landschaftsbildern. Diese
erstaunliche Komponente matriarchaler Architektur
zeige, dass die gesamte Landschaft ein Symbol weiblicher Mythologie gewesen
sei. Wenn die Erde eine Muttergöttin sei, zeigten sich zwei Hügel als
Busenberge, ein rundes Tal mit Quelle ihren Schoß, zwei zusammenfließende
Gewässer ihr Venusdreieck, die Buckel einer Gebirgskette eine ruhende Frau.
Solche Merkmale seien von den Menschen durch Anpflanzungen von Bäumen und
Hecken oder durch Steine und Bauwerke an markanten Punkten unterstrichen
worden.
Sie hätten damit der Landschaft keine Bilder aufgezwungen,
sondern lediglich das Bild verstärkt, das sich ihnen bot. Das Ergebnis sei ein
überaus harmonisches Zusammenspiel von Landschaft und Architektur mit hohem
ästhetischem Reiz. Der symbolische Zusammenhang vieler Kultplätze zeige sich
anhand von „Silbury Hill“, der Großanlage von
„Avebury“, den Megalithanlagen von „Bell Barrow“, „Sanctuary“, „Barrow Group“ und
„Milk Hill“. Durch Peillinien sei ein astronomisches Netz zwischen all diesen
Kultanlagen gebildet worden, das den Auf- und Untergang von Mond und Sonne an
bestimmten Tagen darstelle, die für matriarchale
Kultfeste wichtig waren.
Neue Rekonstruktionen enthüllten kreisrunde Wallanlagen in
Form von konzentrischen Steinkreisen und schlangenförmig gebogenen Steinalleen
entlang einer Achse, die alle anderen Anlagen mit einbeziehe. Sie bildeten ein
exaktes Achsenkreuz der vier Himmelsrichtungen. In der Umgebung lägen noch
ältere Megalithgräber, die alle zusammen ein riesiges Landschaftsbild ergäben,
die größte bekannte Megalithanlage überhaupt. Von Norden betrachtet sehe sie aus
wie ein Stierkopf mit langen Hörnern, von Süden wie ein riesiger Uterus mit
zwei Eileitern, die in zwei Eierstöcke münden. In der Mitte liege ein weißer
Mondhügel, hier gebäre die Erdgöttin jeden Abend ihre Mondtochter.
Auch der Hügel von Glastonbury, der früher von einem Moorsee
umgeben war und daher eine Insel bildete, sehe aus wie eine ruhende Frau,
zwischen deren Beinen ein neugeborenes Kind liege. „Glastonbury Hill“ gelte als
die sagenumwobene Insel „Avalon“, die Jenseitswelt
der Fee Morgane. Diese sei eine späte Nachfahrin der Dreifaltigen Mondgöttin. Die neuere
Luftbild-Archäologie hätte erstaunlicherweise gezeigt, dass Glastonbury von
einem Zodiak umschlossen gewesen sei, einem Ring der
zwölf Tierkreiszeichen, durch Wälle, Gräben, Hecken, Feldraine und Kultplätze
in die Landschaft gezeichnet.
Der zentrale Punkt des Zodiak sei
ein dreidimensionales Labyrinth, auf dessen Gipfel früher eine Kultstätte
gestanden habe. Später sei die Kirche St. Michael darauf gebaut worden. Eine
zentrale Figur des Zodiak sei der Vogel Phönix, der
dem jüngeren Sternzeichen Wassermann vorausging. Die gesamte Umgebung von
Glastonbury sei ein gestaltetes Heiligtum. In Carmarthenshire
und Dyfed gäbe es noch zwei weitere Zodiak-Tempel, die ebenso großräumige Landschaftsbilder
zeigten. Gut zu erkennen sei der Steinbock als Fisch-Ziege.
Solche überdimensionalen Landschaftsbildstätten seien auch
in andern Kontinenten gefunden worden. Sie spiegelten ein überhaus hohes Niveau
geistiger Kultur, indem sie das kosmische Geschehen auf der Erde abbildeten.
Dahinter stehe das matriarchale
Mikrokosmos-Makrokosmos-Prinzip, welches besage, dass sich im Kleinen spiegele,
was im Großen geschehe, und umgekehrt.
Im Patriarchat sei die Architektur zur monumentalen
Macht-Demonstration benutzt worden. Landschaften würden plattgewalzt und
zerstückelt für die Verkehrsstruktur, die auf organisch Gewachsenes keine
Rücksicht nähme. Die Feindschaft gegenüber der Natur habe ihre Wurzeln in den patriarchalen Religionen, die die Natur zur bloßen Materie
herabwürdigten. Kirchliche Bauten aller späteren Epochen hätten den Blick auf
die Natur ausgeschlossen.
Matriarchale Architektur sei immer
natur- und lebensfreundlich. Wenn man eine Kultstätte betrete, könne man sich
sofort an den Himmelsrichtungs-Achsen orientieren. Im Gegensatz dazu erschlage
die moderne Architektur alle natürlichen Sinne. In den Beton-Irrgärten der
Städte richteten wir uns nach abstrakten Zeichen und Signalen statt nach den
Sternen. Durch zerstückelte Distanzen seien wir fremdbestimmt und im Inneren
zutiefst verwirrt. Ohne Wegweiser und Straßenschilder könnten wir uns nicht
mehr zurechtfinden. Wir fühlten uns verloren in der Welt der Natur, von der wir
innerlich abgeschnitten seien.
Zeichen
und Symbole
Matriarchale Kultur sei noch nicht
vollständig verschüttet, allerdings seien die Bruchstücke durch die patriarchale Zivilisation zerstückelt und verzerrt. Um die
Relikte wieder zusammenfügen, bedürfe es eines präzisen theoretischen
Hintergrunds und einer unvoreingenommenen Neuinterpretation. Dann könne ein
Gesamtbild der menschlichen Kulturentwicklung erlangt werden, in das auch der
schöpferische Anteil der Frauen integriert sei.
Historiker mit ihrem verengten, juristisch geprägten Begriff
von Geschichte, der auf Urkunden als Quellen basiere, nähmen mündliche
Überlieferungen nicht ernst, und schriftliche Überlieferungen in Form von
Zeichen und Symbolen könnten sie nicht lesen. Mündliche Überlieferungen seien
Traditionen, Erzählungen, Gesänge, kultische Rituale, in der Gegenwart
ethnografisch gut belegt. Schriftliche Überlieferungen existierten als Zeichen
(typisierte Formen mit konkreter Bedeutung) und Symbole (Bilder, die Sinn
transportieren).
Es gebe sie seit der Altsteinzeit, so dass feststehe: Die
Menschheit besitzt seit der Altsteinzeit Schrift. Auch die ägyptischen
Hieroglyphen gälten seit ihrer Entzifferung als Schrift. Das widerspreche der
verbreiteten Ideologie, dass die Schrift erst erfunden wurde, als Männer zu
herrschen begannen. Geschichte beginne nicht mit Herrscherdaten, Eroberungsberichten
und schriftlichen Heldentaten als Selbstrechtfertigung des Patriarchats, wie
uns die heute noch gültige patriarchale Geschichtsfälschung
weismachen wolle. Es habe schon vorher Hochkulturen gegeben.
Mündliche
Überlieferung sei in matriarchalen Kulturen
wohl organisiert. Die Schamaninnen und Priesterinnen (später Schamanen und
Priester) hätten die gesamte kulturelle Überlieferung des Volkes auswendig
gelernt, um die Ursprungsmythen, Sagen, historischen Ereignisse und sakralen
Gesänge bei Stammesfesten vorzutragen (heute noch in Korea, China und
Indonesien). Die Schamaninnen waren das Gedächtnis und die Identität ihres
Volkes. In Europa noch bekannt als Weise Frauen, wurden sie in der Neuzeit von
staatlichen, kirchlichen und wissenschaftlichen Machtinstitutionen als Hexen
ermordet und damit die matriarchalen Wurzeln der
oralen Tradition Europas ausgelöscht.
Die Sippenmutter habe bei täglichen Totenspeisungen
den Ahnenkult gepflegt und dabei in ihren Gebeten die gesamte matrilineare Genealogie memoriert, alle Namen der Ahnfrauen
und Mutterbrüder der weiblichen Linie. Bei Initiationen oder Bestattungsfeiern
habe sie alle Ahnen angerufen und zum Fest eingeladen. Das Memorieren des
Stammbaums sei eine spirituelle Handlung, in der sich die Hoffnung auf
Wiedergeburt der einzelnen Clanmitglieder spiegele, die nur dann möglich sei,
wenn ihre Namen nicht in Vergessenheit gerieten.
Die Geschichte einzelner Clans summiere sich zur Geschichte
des königlichen Clans bis zur Geschichte eines ganzen Volkes. Die Königinmutter
verehre alle verstorbenen Königinmütter vor ihr als Ahninnen, der König verehre
alle verstorbenen Könige als seine Amtsvorgänger. Bei den Zeremonien stünden
die Sängerinnen neben Königinmutter und König und rezitieren im Sprechgesang
die ehrwürdige Tradition. Die Genauigkeit werde dabei vom Volk ständig
überprüft. Bei den Akan-Völkern würden Hofsänger, die
einen Fehler machten, getötet. Insofern sei die öffentlich überwachte orale
Tradition genauer als schriftliche Quellen, die gefälscht werden könnten.
Kinder lernten sie ganz nebenbei.
Symbolische
Überlieferungen durch sakrale Handlungen seien z.B. die Mysterienfeste
der Jahreszeiten. Die in Kultdramen aufgeführten Dispute zwischen Gottheiten
seien äußerst komplex und quasi Philosophie, Geschichtsbuch und Bauernkalender
in einem. Später seien sie von patriarchalen
Wissenschaftlern ausgegrenzt und abgewertet worden. Doch nur durch den
Vergleich von praktizierten Mythen mit antiken Schriften habe z.B. Bachofen das
Mutterrecht bei den vorgriechischen Völkern des mediterranen Raumes nachweisen
können.
Auch Evans und Schliemann hätten Mythen sozialhistorisch
gelesen und dadurch Knossos und Troja gefunden. Solche Pionierarbeiten seien
geeignet, unser rudimentäres und verfälschtes Geschichtsbild zu revidieren. -
Die matriarchale Mythologie sei von den patriarchalen Herren aufgezeichnet und dabei verfälscht
worden, um die neuen Versionen als Herrschaftsmittel zu benutzen. Erst die
Eroberer hätten den Völkern Schrift und Kultur gebracht, behaupteten sie.
Philosophen hätten tiefsinnige Gedanken der matriarchalen
Tradition aufgegriffen, patriarchal uminterpretiert
und als eigene Weisheiten ausgegeben.
Seit Europa die gesamte Welt zu kolonialisieren begann,
verbreite die christliche Mission die kulturzerstörerische
Methode der schriftlichen Verzerrung oraler Überlieferungen weltweit. Während
der Epoche der Romantik seien die letzten europäischen Mythen und Sagen aus matriarchaler Überlieferung von Nationalisten verschriftlicht worden. Die Gebrüder Grimm hätten
Volkssagen gesammelt, sie im Sinne ihrer bürgerlichen, frauenfeindlichen Moral
patriarchalisiert und als „Märchen“ ausgegeben.
Sie hätten damit eine neue Wissenschaft begründet: die
Germanistik. Seitdem existierten z.B. die Frau-Holle-Mythen nur noch in Form
verniedlichter, moralisierender Geschichten. Als Märchen seien sie nicht mehr
geschichtliche Quellen früherer Kulturen, sondern fielen unter die Kategorie
der unwahren, erfundenen Anekdoten, von Literaten und Psychologen
patriarchalisch gedeutet. Die Schrift als patriarchales
Herrschaftsmittel habe ihren Geist pervertiert.
Abstrakte
Zeichen als Träger von Gedanken gebe es seit der Altsteinzeit, sie
würden zu kultischen Zwecken gebraucht. Die älteste Schrift habe man in
altsteinzeitlichen Kult-Höhlen der Ile-de-France
gefunden, sie bestehe aus Punkten und Strichen, von Marie König entziffert. Es
handele sich um räumliche und zeitliche Orientierungsangaben, die für die
Sammlerinnen und Jäger zum Auffinden von Pflanzen und Tieren bedeutsam waren.
Da Himmel und Erde Göttinnen gewesen seien, besäße das Orientieren durch
Himmelsrichtungen und das Ablesen der Zeiteinteilung auch religiösen Charakter.
Die Ordnung des Raumes richtete sich nach dem Viererprinzip
der Himmelsrichtungen, die Ordnung der Zeit erfolgte nach dem Dreierprinzip und
sei von den drei Mondphasen abgeleitet. Da der Menstruationszyklus der Frauen
dem Mondzyklus folge, sei das Dreieck bald als weibliches Zeichen und der Mond
als weibliches Symbol verstanden worden. Es sei in Zehntausenden von weiblichen
Figuren dokumentiert, dass der Frauenkörper als symbolischer Mittelpunkt der
Welt mit ihren Prozessen von Tod und Wiedergeburt gegolten habe.
Viele dieser Figuren trügen Schrift, sie seien mit Punkten,
Strichen, Spiralen und Netzen bedeckt. Man habe sie in Italien, Schweden,
Dänemark und der Schweiz gefunden. Wenn auf dem Kopf und auf dem Schoß das
Zeichen für Weltordnung stünde, könne das so gelesen werden, dass die Ordnung
der Welt aus dem Geist der Frau hervorgehe und aus ihrem Schoß erhalten werde.
Durch die Zahlen Vier und Drei würden die Göttinnen als Schöpferinnen der Raum-
und Zeitordnung ausgewiesen. Zusätzliche Vogel- oder Schlangenköpfe symbolisierten
ihre Macht über Himmel und Unterwelt.
Verblüffend sei, dass die abstakten Zeichen aus der Alt- und
Jungsteinzeit in der ganzen Welt dieselben seien. Sie kämen übereinstimmend in
Europa, Afrika, dem vorderen Orient, Ostasien, Nord- und Südamerika und
Australien vor. Noch heute gebe es Völker, z.B. Tuareg
und Berber, deren Frauen sie magisch verwendeten. Man habe die Zeichen als
Schmuck auf Kronen, Gewändern und Gebrauchsgegenständen, an Höhlenwänden,
Megalithsteinen und Grabanlagen gefunden.
In nordamerikanischen Felsen zeugten „Newspaper-Rocks“
von der Kommunikation der Hopi-Indianer. Jeder
vorbeiziehende Clan habe seine Route eingeritzt und gewusst, wo sich die
anderen Clans befanden. Auch die Schriften der keltischen und germanischen
Stämme gingen auf matriarchale Wurzeln zurück. Die Ogham-Schrift bestehe aus in Holzstöcke geritzten Kerben.
Ebenso wie Knotenschnüre seien sie leicht zu transportieren und für Botschaften
geeignet.
Runen seien als Buch-Staben beim
Orakel in die Luft geworfen und ihre Anordnung beim Fallen von Priesterinnen
gedeutet worden. Als der Kriegsgott Odin mit den erobernden germanischen
Stämmen nach Mitteleuropa kam, habe er die weibliche Orakelkunst der Runen
vereinnahmt. Sie sei später von den römischen Kolonialherren durch die
lateinischen Schrift ersetzt worden.
Bilderschriften
und Symbole überschritten die Grenze von Schrift, da sie in einem
einzigen Bild ein ganzes Weltverständnis ausdrückten. Sie dienten dazu, den
Priesterinnen das Memorieren zu erleichtern. Bilderschriften seien von
„primitiven“ Völkern gegenüber ihren Herrschern noch lange verdeckt tradiert
bzw. als Verteidigungshaltung bewusst wieder eingeführt worden, nachdem das
Christentum sie verboten hatte. Ähnlich in Tibet, wo die Kriegerfürsten dem
Volk ihren starr dogmatischen Lamaismus aufgezwungen hätten. In China seien sie
zum Herrschaftsmittel der Kaiser geworden.
Die Tierbilder in altsteinzeitlichen Höhlen seien keineswegs
Jagdszenen, sondern symbolisch zu verstehen. Würden Stierhörner falsch herum
dargestellt, gälten sie als Mondsicheln und seien eine Zeitangabe. Die
ägyptische Göttin Hathor trüge sie in allen Darstellungen auf dem Kopf, und das
Szepter in der Hand. Die Göttin Isis werde immer mit
einem Thronsitz auf dem Kopf und dem Lebenszeichen Ankh
in der Hand abgebildet. Ohne Kenntnis der Mythen könnte man die Symbole leicht
als künstlerische Gestaltungen missverstehen.
In diesem Sinne sei ein einziges Bild ein ganzes Buch. Die
Clans seien nach Pflanzen oder Tieren, sog. Totems benannt. Aus Holz
gearbeitete Totempfähle stünden bei den Indianern Nordamerikas in jedem Dorf.
Auf ihnen seien bis zu acht Tiersymbole übereinander geschnitzt, sie
repräsentierten die Namen aller im Dorf lebenden Clans. Nichts an ihnen sei
zufällig, sondern Abbild einer Weltordnung. Herausgelöst aus ihrem Kontext
könnten sie nicht mehr gelesen werden, in ihrer Zerstückelung degenerierten sie
zu sinnleeren Formen.
Es sei daher unerlässlich, den kultischen Hintergrund zu
erschließen und das dazugehörige weltanschauliche System zu erforschen. Die
Vielschichtigkeit des lebendigen Prozesses müsse jeden Versuch sprengen, ihn zu
chiffrieren und aufzuschreiben. Deshalb werde Verschriftlichung
immer wieder zurück genommen und flössen die Inhalte in den Strom mündlicher
Überlieferung zurück. Rituale und Mysterien könnten nicht aufgeschrieben
werden, weil sie lebendig seien und in jedem Kultfest kreativ erneuert würden.
Das
Labyrinth sei kretischen Ursprungs und aus dem Grundsymbol des Kreises
hervorgegangen, der nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet war und der Gestirnsbeobachtung
diente. „Labrys“ bedeute die Doppelaxt der
Mondsicheln. Als die Mondbeobachtung komplexere Formen verlangte, seien aus
einfachen Steinkreisen große Plätze geworden, in denen die Mondbahn durch zwei
gegenläufige Spiralen dargestellt wurde, eine einwärts und eine auswärts
verlaufende. Der Mond wandere scheinbar spiralförmig links herum um die Erde,
bis er gegenüber der Sonne voll aufgehe, dann bewege er sich scheinbar
spiralförmig rechts herum, bis er in Sonnennähe als Neumond verschwinde.
Die Spirale sei zum „Triskel“, der
dreifachen Spirale weiter entwickelt worden und habe allmählich die
Labyrinthform angenommen. Im Gegensatz zu den Scheinlabyrinthen mit Sackgassen
gebe es im echten Labyrinth nur einen Weg in Pendelbewegung, und das
Zentrum werde von den Tanzenden immer erreicht. Sie ahmten die Bewegungen der
Gestirne nach und bildeten komplexe Konstellationen ab. Riesige Labyrinthe
seien in den matriarchalen Gesellschaften des
vorderen Orients und des östlichen Mittelmeerraumes als Ausdruck der
spirituellen Verbundenheit von Mensch und Kosmos entstanden.
Troja, eine Schwesterstadt von Knossos, habe entweder selbst
ein Labyrinth besessen, oder der gesamte Stadtgrundriss sei eine Labyrinthform
gewesen, wie auch bei der uralten Stadt Jericho (9.000 v.u.Z.). Die meisten
Labyrinthe Europas seien später von patriarchalen
Religionen zerstört oder mit Monumenten der neuen Götter überbaut worden. Rom
habe das Labyrinthmuster als Münzaufdruck verwendet und seine Spiritualität zum
Zeichen von Geld und Besitz degeneriert. Dennoch konnten nicht alle Labyrinthe durch
christliche Missionare ausgerottet werden, weil es zu viele davon gegeben habe.
Die christliche Kirche habe das Labyrinth als heidnisch
verteufelt, teilweise aber auch vereinnahmt und zum Teufelstanzplatz erklärt,
in dessen Mitte der Gehörnte sitze, also der Satan. Es habe jetzt nicht mehr
das heilige Universum verkörpert, sondern die Sünde. Erlösungsheischende Mönche
hätten den Gang durch das Labyrinth zu einem Büßerweg gemacht. Im Inneren des
Labyrinths habe Christus den Teufel besiegt und damit die Menschen aus dem
Gefängnis der Erbsünde heraus geführt.
In der Renaissance sei mit dem „Griechische Heidentum“ auch
das Labyrinth wieder entdeckt und nun als europäische Klassik hoch geschätzt
worden. In Form von Heckenlabyrinthen, Lustgärten mit Pavillon oder Hasch-mich-Spielplätzen sei es von allem Inhalt entleert
worden und seine Bedeutung in Vergessenheit geraten, was allerdings sein
Überleben im Patriarchat ermöglicht habe. Die ursprünglich sakrale Symbolik der
Liebe sei damit völlig profaniert, säkularisiert, willkürlich ästhetisiert und
der Beliebigkeit preisgegeben.
Zum berühmten Labyrinth von Knossos sei die patriarchale Version der Mythe
von „Ariadne und Theseus“ überliefert. Sie besage: Theseus, ein Königssohn aus
Athen, sei nach Kreta gesegelt, an Bord 7 Jünglinge und 7 Jungfrauen, die König
Minos als Sühne für einen Mord verlangt habe. Auf
Kreta sollten sie dem Ungeheuer Minotauros geopfert
werden, das im Labyrinth von Knossos hause. Doch die kretische Prinzessin
Ariadne habe sich in Theseus verliebt und ihm ein Wollknäuel geschenkt, um aus
dem Labyrinth zu entkommen.
Theseus habe im Labyrinth den Minotauros
erschlagen, sei mithilfe des Fadens wieder heraus gekommen, habe König Minos erschlagen und sei mit Ariadne auf sein Schiff
entwichen. Auf der Insel Naxos habe er sie
ausgesetzt, doch sie sei vom Gott Dionysos getröstet worden. Theseus sei mit
den geretteten Jünglingen und Jungfrauen nach Hause gefahren, habe aber
vergessen, das vereinbarte weiße Segel zu hissen. Sein Vater, König Ägeus, habe ihn tot geglaubt und sich ins Meer gestürzt,
das seitdem das Ägäische Meer heiße.
Die matriarchale Version nach
G.A.: Die Minoische Kultur sei in ihrer letzten Phase durch eine Katastrophe
erschüttert worden: den Vulkanausbruch von Thera,
1525 v.u.Z. Durch ihn seien die Küstenstädte Kretas überflutet und die
Handelsflotte zerstört worden. In dieser geschwächten Situation seien die
Kreter von frühpatriarchalen Hellenen überrannt und
kolonialisiert worden. Bei Plutarch heiße es: „Ariadne
war die Herrin von Kreta.“ Dann sei König Minos der
von ihr ausgewählte Heroskönig mit einer Amtszeit von 4 Jahren gewesen.
Der Minotauros, auf den Theseus
traf, könne König Minos selbst mit Stiermaske gewesen
sein, kein Ungeheuer mit dem Leib eines Mannes und dem Kopf eines Stiers. Der
heilige König in Gestalt des Stiers sei ein Symbol für die männliche Kraft. Er
sei nicht im Labyrinth gefangen, sondern habe Ritualtänze auf diesem heiligen
Platz ausgeführt. Überliefert sei der Hörnertanz des heiligen Stiers und der
Himmelskuh. Die Kette der Tanzenden sei bei den nächtlichen Kultdramen im
Labyrinth mit einem Seil verbunden gewesen.
Da sie den Eroberungen durch einfallende Kriegerkönige nicht
mit Waffengewalt begegnen konnten, hätten die Sakralköniginnen oft den
Eindringling zur Heiligen Hochzeit eingeladen und versucht, ihn in die matriarchale Kultur zu integrieren, um das Schlimmste zu
verhindern. Doch habe die Methode nicht immer zum gewünschten Erfolg geführt,
weil sich die neuen Könige nach Ablauf ihrer Amtszeit nicht mehr absetzen
ließen. Durch diese Verbindungen seien Übergangskulturen entstanden, die noch matriarchale Züge aufwiesen.
In matriarchalen Kulturen habe es
auch Vorgänger-Nachfolger-Kämpfe gegeben. Für den neuen Heroskönig sei es eine
Heiratsaufgabe gewesen, den alten König zu besiegen. Damit habe er die Liebe
der Sakralkönigin und das Amt des Königs für die folgende Periode gewonnen.
„König Minos“ sei kein individueller Name, sondern
der Titel der regierenden Heroskönige von Kreta.
Die Insel Naxos sei dem Gott
Dionysos geweiht. „Dionysos Zagreus“ sei ebenfalls
kein Individualname, sondern Titel der Heroskönige von Ostkreta. Vielleicht
habe Ariadne den Verbündeten zu Hilfe gerufen und ihren Retter Dionysos Zagreus zum neuen König Minos von
Kreta gewählt. Theseus sei nach Hause gefahren, und nachdem sein Vater ins Meer
gestürzt war, neuer König von Athen geworden. Seine Regierungszeit sei so von
Gräueltaten geprägt, dass er von den Athenern mit Schimpf und Schande ins Exil
gejagt wurde.
Das Labyrinth habe sich im zentralen Innenhof des Palastes
von Knossos befunden. Dort seien die großen Mysterienfeste gefeiert worden wie
das Initiationsfest im Frühling, bei dem der Heilige König von der
Sakralkönigin eingesetzt wurde, die Heilige Hochzeit im Sommer, bei der sich
die beiden Repräsentanten vereinigten, das Todesfest im Herbst, bei welchem der
Heilige König starb und seine Reise durch die Unterwelt antrat, sowie das Fest
der Wiedergeburt im Winter, bei dem ein neues königliches Kind zur Welt kam.
Der Gang ins Zentrum des Labyrinths zur Heiligen Hochzeit
lasse den Heroskönig die ekstatische Liebe mit der Sakralkönigin erleben. Gehe
er beim Todesfest ins Innere, finde er dort seinen Tod. Werde darin ein
königliches Kind geboren, trete das Licht des wiedergeborenen Lebens aus dem
Zentrum des Labyrinths in die Welt. Das Labyrinth sei ein Symbol für den Schoß
der Frau. Die große Göttin könne aus dem Hellen ins Dunkel führen, vom Leben in
den Tod, aber auch aus der Dunkelheit zum Licht und vom Tod wieder ins Leben.
„Ariadne“ sei der Titel der Sakralkönigin von Knossos,
gleichzeitig der Name der kretischen Himmelsgöttin. Das Sternbild „Krone der
Ariadne“ sei nach ihr benannt. Bei den Kelten hieße „Arianrhod“
„Silbernes Rad“ und beziehe sich auf den sich drehenden Sternenhimmel. Die
ägyptische Himmelsgöttin Nut verkörpere ebenfalls den Kosmos. Als älteste und
größte Gottheit der ägyptischen Mythologie gelte sie als eine die Erde
überspannende schöne Frau, deren Leib mit Sternen übersät war. Hathor, ihre
Tochter, sei die Mondgöttin. Sie habe weiße Kuhhörner als Symbol für die Mondsicheln
getragen.
Nut gebäre den Sonnenstier und nähre ihn mit ihrer Milch
(Milchstraße), bis er zum Heroskönig herangewachsen sei. Dann wähle sie ihn als
Partner für die Heilige Hochzeit. Der Heros als Stier habe vermutlich auch in
Kreta die Sonne verkörpert, analog zum ägyptischen Sonnengott Re, dem goldenen
Stier der Nut. Ariadne sei die kretische Version der Nut, dafür sprächen die
weißen Kuhhörner im „Palast“ von Knossos sowie die Farben seiner Etagen: Weiß,
Rot und Schwarz. Die Kreter seien durch ihren Kult mit der ägyptischen
Mythologie, Astronomie und Mathematik eng verbunden gewesen.
Die ägyptische Kultur habe sich von der Jungsteinzeit bis
zur Römischen Kolonialzeit über 10.000 Jahre hinweg entwickelt. Sie wurzele im
archaischen Matriarchat, sei im Alten Reich immer noch matriarchal
organisiert gewesen und habe im Mittleren Reich mehrere Übergangsformen erlebt.
Erst im Neuen Reich seien Pharaonen als brutale Eroberer aufgetreten. Im Alten
Reich sei der große Territorialstaat Ägypten entstanden, in diese Zeit falle
auch der Beginn der schriftlichen Überlieferung. Doch trotz des beginnenden
Zentralismus sei es noch eine sakrale Kultur gewesen, keine absolutistische Herrschaft.
Bei Ausgrabungen von Siedlungen habe sich eine dominante
Stellung der Königinmutter und der Schwester des Königs erwiesen. Der Thron sei
matrilinear vererbt worden, von der Mutter auf die
Tochter. Die Königinmutter und die Königsschwester hätten den Pharao als
Regenten für die äußeren Angelegenheiten aus der nächsten Verwandtschaft
gewählt: Bruder, Neffe oder Cousin. Die Königin sei das Abbild der Göttin
Hathor, ihr Titel „Haus des Horus“ gelte ihrer
sakralen Repräsentanz. Die Verhältnisse Himmelsgöttin und Sonnenheros seien
eine klassisch matriarchale Anordnung, die sich auf
der Erde durch die Königin und den Pharao wiederholte.
Inzwischen gäben auch männliche Forscher zu: „Die Bedeutung
der Frauen wächst, je weiter man in die frühen Hochkulturen zurückblickt.“ „In
der kretischen und etruskischen Öffentlichkeit spielten Frauen eine bedeutende
Rolle.“ „Im sumerischen Recht besaßen sie eine starke Position.“ „In Sparta gab
es Polyandrie (Vielmännerei) im Königshaus, auch im frühen Athen findet man
Ähnliches.“ „In der neolithischen Welt weisen viele Indizien auf eine große
Bedeutung der Frauen im kulturellen und religiösen Bereich hin.“ Doch seien
ihre Interpretationen immer noch falsch, meint G.A..
Wenn Frauen im kultischen Bereich dominierten, bedeute das
keine getrennte, machtlose Sphäre, denn es gab keine Trennung von sakral und
profan. Kultische Handlungen seien die zentralen, und kultische Ämter die
höchsten gewesen. Frauen hätten als Tänzerinnen und Priesterinnen die
wichtigsten Funktionen ausgeübt. Tausende von Figuren von der Alt- bis zur
Jungsteinzeit zeigten Göttinnen auf Berggipfeln und in Gebärhaltung, kleinere
männliche Gestalten daneben. Wir sollten Mythen wie das Göttin-Heros-Muster
als geistigen Hintergrund der Kulturen endlich ernst nehmen, um zwischen
sakralen Gesellschaften und „militärischen Regimes mit Frauenkulten“ zu unterscheiden.
Heute entsprächen die Heldinnen in Kunst und Literatur dem patriarchal definierten „Wesen der Frau“. Diese hass- und
angstbesetzten Klischees dienten der moralischen Indoktrinierung und richteten
sich gegen die stärkste Kraft freier Frauen: ihre Erotik. Diese werde im
Christentum unterdrückt, abgewertet, dämonisiert und in unfreie Bahnen von
Zucht, Ehe und Fortpflanzung gelenkt. Die Moral spalte die Frauen auch
untereinander in die „Guten“: Mütter, Keusche und Heilige, und die „Bösen“:
Huren, Hexen und Selbstbewusste. Die Frau sei entweder aufopfernde Dienerin
oder verführerisch und verdorben.
In Wagners „Tannhäuser“ kämpften zwei Frauen um einen
Helden. Die Göttin Venus verkörpere die sinnliche Erotik, die Jungfrau
Elisabeth die entsagende Liebe bis zum Tod. Tannhäuser weile erst in der
Liebesgrotte der Venus und huldige ihrer Liebe statt der keuschen Hohen Minne.
Die Göttin lebe im Venusberg mit tanzenden Nymphen, anmutigen Grazien und
musizierenden Faunen. Doch der Kirche gelte sie als teuflisch, ihre Umgebung
als Hölle, der Kontakt mit ihr sei Sünde schlechthin. Als Tannhäuser im
Sängerkrieg davon singe, erzürne er die Christen so sehr, dass es ihn fast das
Leben koste.
Zur Buße müsse er nach Rom pilgern. Er bekomme aber keine
Vergebung vom Papst, und sein dürrer Pilgerstab wolle nicht grünen. Erst
Elisabeths Fürbitte bei Gott rette ihn in letzter Minute, koste sie aber beide
das Leben. Im Tod beginne sein Pilgerstab zu grünen, ein Zeichen, dass er trotz
seiner Todsünden Gottes Gnade erlangt habe. Die asexuelle Jungfrau opfere gern
ihr Leben für Tannhäusers Seelenheil. Sie besitze
zwar keine eigene Individualität, kämpfe aber gegen eine andere Frau: die Göttin
Venus.
Die Lektion sei deutlich: Eine „gute“ Frau identifiziere
sich mit den von Männern gemachten Werten und lebe nur für den Mann. Da alles
um ihn kreise, zeige sie auch keine Solidarität mit einer anderen Frau, sondern
sei automatisch deren Gegnerin. Das Mittelalter sei jedoch gar nicht so
christlich gewesen, wie später angenommen wurde. Das Volk habe seine
heidnischen Kulte der Erdgöttin und der Frühlingsgöttin Holda gepflegt. Weise
Frauen, später als Hexen ermordet, hätten sich an alten Kultstätten diesen
Bräuchen gewidmet.
Der „Venusberg“ sei der Hörselberg
bei der Wartburg in Thüringen gewesen, einer der etwa hundert noch bekannten
„Frauenberge“. Im Mittelalter sei an diesem historischen Kultplatz offenbar der
Venuskult gefeiert worden, den die Spielleute noch im 13. Jahrhundert gepriesen
hätten. Sie hätten allerdings eine andere Version von Wagners Geschichte
gesungen: Papst Urban als unversöhnlicher Greis habe Tannhäuser den dürren
Pilgerstab gegeben und ihm damit jede Möglichkeit verwehrt, Gottes Gnade zu
erlangen.
Da habe sich Tannhäuser vom hasserfüllten Papst und der
„reinen Magd Maria“ getrennt und sich für Venus entschieden. Am dritten Tag
habe sein Pilgerstab (männliches Symbol) wieder gegrünt, aber nicht durch die
sich opfernde Jungfrau - diese nekrophile Auffassung
von Liebe käme in der Originalfassung überhaupt nicht vor. Papst Urban aber sei
wegen seines Fehlspruchs „ewiglich verloren“. Gott habe das Stabwunder für die
Liebe von Venus und Tannhäuser gewirkt, die nach Volksmeinung offensichtlich
eine gottgefällige Kraft darstelle.
Auch in Wagners „Parsifal“ kehre eine uralte erotische
Symbolik wieder, die der Komponist nicht gekannt habe. Der mittelalterliche
Dichter Wolfram von Eschenbach, auf den er sich berufe, habe sie noch gekannt,
obwohl auch er die keltisch-walisischen Parzival-Legenden mit christlicher
Symbolik und patriarchaler Moral überlagerte. In den
Legenden sei der Gral das Symbol für die Göttin Erin,
Personifikation des Landes Irland. Sie überreiche den unerschöpflichen Kelch,
der ihren Leben schenkenden Schoß bedeute, dem von ihr gewählten Heiligen
König, der daraufhin Irland für ein mythisches Jahr regiere.
Der Gralsspeer sei ein phallisches Symbol: Nur der von der
Göttin auserwählte Heroskönig könne ihn tragen. Parzival sei so ein Heros, und
seine Suche nach dem Gral gelte der Göttin. Er lerne die Bedeutung von Gral und
Speer kennen und löse seinen Onkel mütterlicherseits, Amfortas,
als Heiligen König ab. Eine klassisch matriarchale
Geschichte. Bei Wolfram von Eschenbach werde der Gral jedoch zum christlichen
Abendmahlskelch uminterpretiert, und der Speer gerate zu einem Martergerät aus
der Leidensgeschichte Christi.
Wagners Opernversion sei die patriarchalste:
Parsifal komme als „reiner Tor“ ins Gralsschloss, dessen Bewohner ein „reiner“
Männerbund seien, die zölibatär wie katholische Priester lebten. Als einzige
Frau tauche die venushafte Verführerin Kundry auf, die Amfortas zum
„Sünder“ mache. Aber Parsifal widerstehe ihr und erlöse Amfortas
von seiner „sündigen Wunde“. Nachdem Kundry die Pose
der reuigen Sünderin angenommen und Parsifal sie durch die Taufe aus dem
Heidentum befreit habe, sinke sie ihm sterbend zu Füßen.
Der Gral sei jetzt reine Männersache, ebenso wie die Rituale
einer katholischen Messe bis heute von keiner Frau ausgeführt werden dürften.
Dass die Männer bei Wagner nie etwas mit einer Frau zu tun hatten, sei das
Kriterium ihrer „Reinheit“. Dieses zynische, menschenverachtende Askese-Ideal
einer Mönchsgemeinde sei eine bürgerlich-patriarchale
Neuerung. Eine „gute“ Frau komme auch vor, aber nur als Schatten im
Hintergrund: Parsifals Mutter Herzeleide, die ihren Sohn gebäre, großziehe und
dann durch den Tod abtrete. Überhaupt müssten Frauen immer sterben, egal ob gut
oder böse.
Kundry sei der Inbegriff der „Hexe“. Sie
reite wie eine Amazone, trage einen Schlangengürtel, sei klug und zauberkundig,
kenne viele Länder und alle heilenden Pflanzen. Sie vertrete die hochstehende sarazenisch-arabische
Kultur mit ihren schwarzen Haaren und Augen. Doch bei Wagner dürfe sie nur am
Boden liegen und stammeln wie ein Tier, als Heidin sei sie von vornherein
sündig und verrückt. Damit werde die Pathologie patriarchaler
Religionen auf die Frau projiziert. Ebenso wie Herzeleide werde sie als dumm
geschmäht - im Patriarchat gälten Frauen prinzipiell als dumm, egal ob gut oder
böse.
Wenn zur Verrücktheit und Dummheit der „schwachen Weiber“
noch „das Böse“ träte, würden sie „Hexen“ und „Buhlinnen des Teufels“, anmutige
Mädchen würden zum „schönen Geteufel“, ihr Liebesgarten
zum „Höllengrausen“ und das Lachen verboten. Parsifal lerne, dass alle Freude
„das Böse“ und die langweilige mönchische Gralswelt mit dem mumienhaften Vater
„das Gute“ sei. Er lerne nicht, dass die Liebe zur Göttin das oberste Gesetz
der Welt sei, weil sie aus ihrer Erotik alles Lebendige erschaffe. Nur in
diesem Fall käme die Taube zu Recht herab, die seit Urzeiten das Symbol der
Liebesgöttin sei.
Entstehung
des Patriarchats
Der Umwandlungsprozess von matriarchalen
zu patriarchalen Strukturen sei nicht linear
verlaufen, sondern sehr verschieden je nach Land, Volk und Zeit. Bei den gesellschaftlichen
Verschiebungen müsse ein ganzes Bündel von Ursachen berücksichtigt werden. H. Göttner-Abendroth bietet eine plausible Erklärungsskizze
als Möglichkeit für die Entstehung von Herrschaft in Westasien / Europa zur
Zeit der großen Völkerwanderungen um 3.000 bis 2.000 v.u.Z.
Diese Phase sei geprägt durch wiederholte Wanderungswellen indoeuropäischer Völker, die - von Osten kommend - die
großen matriarchalen Stadtkulturen im Vorderen Orient
und im östlichen Mittelmeerraum erreichten. Solche „katastrophischen
Wanderungen“ würden ausgelöst durch verheerende Naturkatastrophen wie Austrocknung
oder Überflutung riesiger Landgebiete, bedingt durch die allmähliche Verschiebung
der Erdachse und die damit verbundenen Wechsel von Eiszeiten und Warmzeiten.
Um „geordnete Wanderungen“ handele es sich, wenn
altsteinzeitliche Sammlerinnen und Jäger den Zügen des Wildes folgten, oder
wenn sich eine jungsteinzeitliche Tochtersippe von der Muttersippe trennte, um
eine neue Ackerbau-Siedlung zu gründen. Solange genügend freies Land vorhanden
sei, führten solche Wanderungen nicht zu veränderten Sozialformen. Doch um
3.000 bis 2.000 v.u.Z. müsse eine Klimaveränderung in Zentralasien zur
Versteppung und Verwüstung riesiger Gebiete geführt haben. In der Wüste Gobi
habe es vorher viel Wasser, blühende Städte und satte Anbaugründen gegeben.
Den großen Völkern, die dort lebten, sei der Boden verdorrt
und versteppt. Ihr aussichtsloser Kampf ums Überleben in einem immer
unwirtlicher werdenden Land müsse Generationen gedauert haben, habe aber
allmählich zum Zusammenbruch der matriarchalen
Ackerbaukultur geführt. Um zu überleben, waren sie zur Auswanderung gezwungen.
In der Not tendierten Gesellschaften dazu, von höheren Formen auf einfachere
zurückzufallen - diese fielen auf das Niveau der Altsteinzeit zurück und wurden
wieder zu Steppenjägern.
Immer mehr habe nun die Tätigkeit der Männer dominiert, mit
ihren Waffen Nahrung zu herbeizuschaffen, während die Frauen wohl noch versucht
hätten, kümmerliche Pflanzungen aufrecht zu erhalten. Vermutlich seien ganze
Völker auf diese Weise westwärts und südwärts getrieben worden, wobei ihr
Gesellschaftsgefüge sich desintegrierte.
Möglicherweise hätten die jagenden Männer sich von den zurückbleibenden Clans
der Frauen, Kinder und Alten gelöst, die mit ihrer Ackerbautechnik zu überleben
versuchten, aber untergingen.
Als ungeordnete Jägerhorden mit einer zusammengebrochenen
Sozialstruktur, die aus Not zur Brutalisierung tendierten, hätten die Männer
die Gebiete der hoch entwickelten Stadtkulturen an den großen Flüssen
Westasiens erreicht. Deren Fülle und Reichtum müsse ihnen wie das „gelobte
Land“ erschienen sein. Sollten sie nun zurückkehren in ihre Steppen und Wüsten
und wieder hungern? Oder sollten sie ihre Waffen jetzt gegen Menschen richten,
um in den Besitz dieser Reichtümer zu kommen und zu überleben?
Im Existenzkampf werde die zweite Wahl vorgezogen, vermutet
G.A., so dass vielleicht erstmals Menschen im organisierten Krieg ums Überleben
gekämpft hätten. Die friedlichen Stadtkulturen seien auf solche Überfälle nicht
vorbereitet und zur leichten Beute für die kriegerischen Horden geworden, die
in purer Existenznot zur Brutalität griffen. Es hätte wohl auch friedliche
Ansiedlungen und Koexistenzen gegeben, doch wenn Welle auf Welle entwurzelter
Völker ins fruchtbare Gebiet drängte, minimierten sich friedliche Lösungen.
Die ersten Zweischichtenstaaten seien entstanden, bestehend
aus einer kleinen Gruppe fremder Herrscher und einer großen Gruppe
einheimischer Unterworfener. Um sich in diesem System der Herrschaft von
Wenigen über Viele zu halten, seien die mit Waffengewalt herrschenden
Kriegerkönige gezwungen gewesen, weitere Methoden einer Herrschaftstechnologie
zu entwickeln. Mit ihren Erzwingungsstäben (Militär, Beamte, Richter) hätten
sie die gesamte fremde Kultur vereinnahmt und ihre Erfindungen sich selbst zugeschrieben.
Die Etablierung der Herrschaft sei ein mühsamer Prozess
gewesen, der in der europäischen Geschichte Jahrtausende eingenommen hätte. Die
Gewalt habe sich immer gegen Frauen gerichtet, die Trägerinnen der matriarchalen Kultur. Die Herrscher hätten Frauen immer
mehr diskriminiert, ihre Clans zerschlagen, sie vergewaltigt und in die patriarchalen Sippen verschleppt, vom gesellschaftlichen
Leben abgespalten, sie ihrer Kinder beraubt und auf ihre Gebärfunktion
reduziert. Die Frauen hätten sich erbittert, aber vergeblich gewehrt.
Die indoeuropäischen Horden von dekulturierten Sekundärjägern, die aus Not zu Kriegern
geworden waren, seien sicher nicht schon als Patriarchen in den alten Kulturgebieten
angekommen, hätten sich aber im Lauf des Jahrhunderte währenden Umbruchs zu
ihrer eigenen Rettung dazu entwickeln müssen. Allmählich habe sich in diesem
Prozess wohl auch ihr Bewusstsein verändert: Von einem verwahrlosten und
verzweifelten Haufen hätten sie sich zu patriarchalen
Herren verwandelt, die stolz auf ihre neue Lebensart waren.
Im Lauf der Jahrtausende sei die Herrschaftstechnologie
immer raffinierter verfeinert worden und habe alle Kontinente der Erde
erreicht. Die weltweite Ausbreitung des Patriarchats habe in den letzten 4.000
bis 5.000 Jahren fortwährendes Chaos hervorgebracht wie Kriege, Eroberungen,
Unterdrückungen, Revolutionen und Bürgerkriege, nur mühsam gesteuert von den
jeweils Herrschenden. Das Patriarchat habe sich in seiner relativ kurzen
geschichtlichen Phase als äußerst unruhig und instabil erwiesen, wovon die
rasch wechselnden „Weltreiche“ mit ihrem hohen Verbrauch an Menschenleben
zeugten.
Dass sich eine derart zerstörerische Gesellschaftsform
weltweit durchsetzen konnte, liege nicht am „höheren Geist“, wie die
Herrschenden behaupteten, sondern daran, dass friedliche Völker, die nach den
Prinzipien von Gleichheit und natürlicher Autorität organisiert seien, keine
Mittel hätten, sich gegen die Übermacht der Herrschaftstechnologie zu wehren.
Nachdem sich patriarchale Strukturen erst einmal
etabliert hatten, übten die militärisch straff organisierten Völker Druck auf
ihre Nachbarn aus. Patriarchate hätten permanent ihre Nachbarvölker bedroht,
sie erobert und ihre alten Sozialordnungen zerstört.
Die Selbstverteidigung habe matriarchale
Völker gezwungen, selbst militärische und strategische Mittel anzuwenden, um
ihren Widersachern gewachsen zu sein. Solche Widerstandsstrukturen und
Befreiungskriege hätten die friedliebenden Gesellschaften von innen verändert, patriarchale Muster hätten sich latent eingeschlichen:
Zuerst sei die Bedeutung der Frau gesunken, die in der Regel nicht zur
Kriegerkaste gehörte. Sie sei allmählich zum schutzbedürftigen Wesen mutiert.
Je größer der Druck von außen, desto wichtiger seien Häuptlinge und Krieger
geworden, um den Kampf um die Autonomie auszufechten.
Schließlich sei das unterlegene Volk von den Siegern
patriarchalisiert und seine eigene Geschichte ausgelöscht worden. Falls es
jedoch gesiegt habe, wäre das nur durch eine ebenso straffe militärische
Organisation wie die der Aggressoren möglich gewesen. Diese Struktur sei jetzt
etabliert, der befreiende Führer hätte seinen eigenen legalen Kriegs- und
Erzwingungsstab um sich geschart und ihn aus „Sicherheitsgründen“ behalten
wollen. Mit ihm habe er nun sein eigenes Volk regieren können, und die alte
Gesellschaftsordnung auf dem Boden der Gleichheitsprinzipien habe aufgehört zu
existieren.
Heute habe die lebensverachtende Tendenz des
Herrschaftsprinzips gigantische Ausmaße angenommen. Angesichts der Bedrohung
der Welt durch ausgefeilte Waffentechnologien, räuberische
Wirtschaftskolonialisierung und skrupellose Naturzerstörung brauchten wir
dringend Alternativen, wenn wir uns aus der patriarchalen
Barbarei lösen wollten. Matriarchale Kulturen könnten
uns Anregungen liefern, da sie den Umgang mit Mensch und Natur vollendet
kultiviert hätten. Leider sei die soziale und kulturelle Intelligenz matriarchaler Frauen vom strategischen Geist patriarchaler Herren verdrängt worden.
Alle Argumente, die im Patriarchat etwas Positives sehen,
könnten leicht entkräftet werden, z.B. die Schöpfungen des männlichen Geistes,
die Entstehung des Individualismus oder die Erfindungen der Technologie. Diese
Entwicklungen seien hauptsächlich für lebensfeindliche Zwecke genutzt worden.
Dichten und Denken, Individualität und Technik habe es zu allen Zeiten gegeben.
Oft werde behauptet, das Patriarchat sei naturgegeben und habe sich von selbst
entwickelt. Das sei falsch. Im Gegenteil, Herrschaft müsse erst etabliert sein,
bevor die komplizierten Maßnahmen ergriffen werden können, sie zu festigen.
Individuelle Vaterschaft habe erst unter Herrschaftsdruck
abgesichert werden können. Zur Erkennung der Vaterschaft gehöre die
Vereinzelung, Einsperrung und lebenslange Monogamie der Frauen. Dazu benötige
man einen Erzwingungsstab, der geeignet sei, die Mehrheit des Volkes zu
unterdrücken, incl. der entsprechenden religiösen Ideologien. Solche gegen die
Natur gerichteten Vorkehrungen seien die längste Zeit der Menschheitsgeschichte
unbekannt gewesen und erst zu Beginn der Eisenzeit mit dem Patriarchat aufgetreten.
Bis zum Ende der Jungsteinzeit hätten natürliche Prinzipien
gegolten wie Egalität unter den Menschen, Gleichheit zwischen den
Geschlechtern, sexuelle Freiheit für alle, und sie gälten in den
Rückzugsgebieten noch heute. Dies ließe aber das Erkennen von Vaterschaft nicht
zu. Als weiterer Grund werde oft angeführt, der Ackerbau habe die physische
Kraft des Mannes erfordert und deshalb zum Patriarchat geführt. Dagegen spräche
die ethnologische Tatsache, dass matriarchale Frauen
keineswegs das schwache Geschlecht sind.
Auch die Kapitalbildung und Entstehung von Privateigentum
werde oft als Ursache für die patriarchale
Entwicklung genannt. Doch sei in matriarchalen
Gesellschaften eine Besitzansammlung bei einzelnen Personen gar nicht möglich
gewesen. Die Mitmenschen hätten das verhindert durch Intervention, Ermahnung,
Prügel und Verteilung des Besitzes an Bedürftige. Das Argument der höheren
Arbeitsteilung setze stillschweigend voraus, dass matriarchale
Gesellschaften primitiver gewesen sein müssten.
Diese Theorie der geradlinigen Höherentwicklung von
Gesellschaften sei pure Fiktion, denn dann hätten wir heute die vollkommenste
Gesellschaft in der Geschichte. Matriarchate mit ihren frühen Stadtkulturen (ab
9.000 v.u.Z.) hätten eine hohe Arbeitsteilung und Differenzierung aufgewiesen,
die bei den einfallenden Kriegerhorden nicht vorhanden war. Sie seien den frühpatriarchalen Krieger-Königstümern
in jeder Hinsicht überlegen, nur nicht im militärisch-strategischen Denken und
in nackter Waffengewalt. Wer sei nun primitiver?
Wir nähmen ununterbrochen patriarchale
Ideologie in uns auf, in Kindergarten, Schule und Studium, und hielten diese
Perspektive für die normale Welt. Sie reiche bis in unsere geheimsten Gedanken
und Gefühle, in jede Verhaltens- und Sprechweise. Es sei kaum möglich, diesem
geistigen Gefängnis zu entkommen, wenn keine andere Gesellschaftsform als das
Patriarchat bekannt sei. Erst die Erforschung nicht-patriarchaler
Denkweisen mache es möglich, einen Standpunkt außerhalb des Herrschaftssystems
zu gewinnen.
Die Matriarchatsforschung schaffe diese Distanz, führe aber
auch zu selbstkritischen Bewusstseinsveränderungen. Die Andersartigkeit würde
uns zeigen, wie weit wir patriarchale Normen
verinnerlicht hätten. Selbst in progressiven Kreisen und alternativen
Bewegungen sei es ein Fehlschluss zu meinen, Visionen einer neuen Gesellschaft
und Befreiungen jeder Art seien möglich, ohne das Mann-Frau-Machtgefälle
wirklich zu durchschauen. Doch führe eine Imitation patriarchaler
Muster im weiblichen Gewand zur Verdoppelung des Übels.
Patriarchale Ideologie ruhe auf drei
Säulen: Androzentrismus
(Dominanz des Mannes über die Frau), Anthropozentrismus (der Mensch/Mann ist der Mittelpunkt
aller Dinge) und Imperialismus (Herrschaftsverbreitung
über andere Völker). Sie gipfele im Grundsatz vom „ewigen Patriarchat“, das dem
Menschen angeboren sei. Dabei sei Herrschaft eine künstliche,
menschenfeindliche Konstruktion und benötige Erzwingungsstäbe (Soldaten,
Polizei, Justiz, Gefängnisse, Verwaltungsämter) zur gewaltsamen Durchsetzung
von Befehlen. Sie hätten sich heute zu hoch technisierten Kontrollapparaten
entwickelt.
Im Androzentrismus
definiere sich der Mann als das Gute, Geistige und die Norm dessen, was
„Mensch“ sei. Alles andere werde abgewertet. Die Frau gelte als das
Abweichende, Böse, Niedrige und Defiziente. Damit werde die Zerstörung matriarchaler und anderer Kulturen legitimiert. Auch
innerhalb des Patriarchats seien alle Bereiche, in denen Frauen noch eine
gewisse Souveränität bewahren konnten, zerstört und ihre Neubildung verhindert
worden.
Durch philosophische Wesensdefinitionen würden aus dem Fluss
der Ereignisse Entitäten herausgelöst, in Systemen neu geordnet und zu Dingen gemacht,
über die verfügt werden könne. Der geistige Vorgang des Abspaltens und
Abwertens erzeuge erst Hierarchie und rechtfertige Herrschaft. Im Frühpatriarchat
sei das Wesen der Frau als Chaos definiert worden, als verschlingende
Unordnung, die niedergerungen werden müsse, weil Frauen zusammen mit ihren
Brüdern und Söhnen noch matriarchale Gesellschaften
leiteten.
Bei Aristoteles sei das Wesen der Frau die bloße Materie,
das Ungeformte, in das der Mann/Gott als „erster Beweger“
die geistige Form einbringe. Die Frau sei die Ackerfurche, das Gefäß für den
männlichen Samen, in dem das kleine Menschlein bereits voll enthalten sei, so
habe man noch im 18. Jahrhundert geglaubt. Der Mann sei alleiniger Schöpfer und
Besitzer seiner Kinder. Der klassische Vaterschaftsbegriff verleugne sogar die
biologische Mutterschaft und reduziere die Frau auf die Pflegefunktion.
Bei Konfuzius sei das Wesen der Frau das Niedere, Dunkle,
Erdhafte, Schwache, Haltlose, Gemeine (YIN), das durch das Wesen des Mannes als
das Höhere, Lichte, Himmlische, Starke, Feste, Edle (YANG) im Zaum gehalten
werden müsse. Daran werde deutlich, wie Wesensdefinitionen als Herrschaftsinstrument
eingesetzt wurden. In katholischen Kreisen glaube man noch heute, die
gottgewollte Bestimmung der Frau sei, zu gebären. In der Psychologie gelte sie
als irrational ,emotional und defizient (Penisneid). Viele Frauen hätten das so
verinnerlicht, dass sie völlig männerfixiert seien, sich selbst aus der Sicht
des Mannes definierten und ihren Wert nur über ihn bezögen.
Die Folge willkürlicher Festschreibungen sei eine
Neurotisierung auf allen Ebenen der Hierarchie: Der Mann verdränge seine
Erfahrung, dass die Wirklichkeit seiner Projektion häufig widerspricht. Die unterdrückte
Frau sei unglücklich und wisse nicht, warum. Die Kinder wüchsen in einer
Scheinrealität voller Widersprüche auf. Erzeugt werde eine kranke Gesellschaft,
die Erlösungsreligionen und Massenmedien benötige, um aus der Realität zu
fliehen, sowie Scharen von Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeitern.
Anthropozentrismus
legitimiere die Herrschaft des Mannes über die Natur. Seit Platon und Aristoteles
seien Geist und Natur gespalten, wobei „Geist“ mit „Mann, Gott, Zivilisation“
gleichgesetzt und die „Natur“ zur toten Materie erklärt werde, die er erst
formen müsse. Dazwischen warteten die seelenlosen Frauen und Tiere darauf, von
ihm als Gebärerinnen bzw. Fleischlieferanten ausgebeutet zu werden. Im Christentum
sei der Mann/Mensch die Krone der Schöpfung, das Ebenbild Gottes, der ihn
aufforderte, sich die Erde untertan zu machen. Seitdem sei er damit
beschäftigt, sie auszuplündern und zu zerstören.
Andere Definitionen sähen den Mann als Macher, als Spieler
oder als Kameraden im Männerbund, aber nie als Naturwesen, denn damit würde er
zum manipulierbaren Objekt degradiert. Der Gott/Mensch sei ausschließlich der
weiße, erwachsene Mann, der alle anderen kolonialisiere und bewirtschafte. Die
Natur werde auf den bloßen Rohstoff, die ausbeutbare Ressource reduziert und
zur Ware verdinglicht, die sein Kapital vermehre. Dazu gehöre der gesamte
Erdball mit seinen Territorien, Bodenschätzen und Geschöpfen.
Ärmere Männer müssten ihre Arbeitskraft verkaufen, die
ebenfalls zur Ware werde. Frauenarbeit wie Gebären, Ernähren, Erziehen, Pflegen
und Heilen sei wertlos, weil gratis. Die weibliche Fähigkeit, Leben hervorzubringen,
sei als Naturressource gratis verfügbar und gelte deshalb als das Wertloseste.
Die Natur in ihrem lebendigen Zusammenhang von Pflanzen, Tieren und Menschen
werde zerstückelt und im Verwertungsprozess entseelt. Mechanisierte Arbeit sei
Kapital, und das Toteste sei das Teuerste, nämlich das Geld.
Natur gelte als geistlos. Der Geist/Gott sei transzendent,
omnipotent und omnipräsent. Er spiegele den
männlichen Allwissenheits- und Allmachtswahn. Geist werde als
instrumentalistisches Denken definiert (Intellekt), das zu operationalisierbarem
Handeln führe (Technik). Intellekt und Technik dienten der Naturbeherrschung.
Der Rest heiße Intuition und gelte nicht als Denken. Der Mann/Mensch projiziere
das Rohe, Ungeformte, Gewalttätige in die Natur und glaube sich dadurch von ihr
befreit. Als gefährliche Bestie sei sie jetzt die Gewalt-Täterin, nicht er.
Gewalttätigkeit könne so als natürlich betrachtet werden.
Das Ideal der operaitonalisierten
Intelligenz sei die künstliche Intelligenz. Simulation von Geist gelte selber
als „Geist“. Computer sollten ihre Väter und Erfinder sowie die gesamte
biologische Menschheit ablösen, dann sei die männliche Logik gerettet. Die
Freiheit des Individuums bestehe in der Verleugnung von Geburt und Tod, der
freie Mann sei unabhängig von Natur, Müttern und der eigenen Körperlichkeit.
Mit dieser Art von Individualismus könnten die perfekten Maschinen das Ideal
der Krone der Schöpfung endgültig verwirklichen. Es sei ein Todesprogramm,
Resultat einer nekrophilen Gesellschaft.
Die Opfer des Imperialismus
seien friedliche Gesellschaften, die zerstört oder unterdrückt würden.
Patriarchate kämpften aber auch gegeneinander. Das „Recht des Stärkeren“ liege
in der Macht der stärkeren Waffe. Zwei klassische Thesen besagten: „Der Krieg
ist der Vater aller Dinge“ und „Alle Macht kommt aus den Gewehrläufen“. Der
politische und geistige Imperialismus manifestiere sich in der gewaltsamen Bildung
von Weltreichen und Weltreligionen. Es entstehe ein Teufelskreis der Zwänge
zwischen Herrschenden und Beherrschten, denn aus Herrschaft und Ausbeutung folge
Widerstand und soziales Chaos.
Die inneren Probleme würden dann durch künstliche
Feindbilder nach außen verlagert. Die Abwertung der „Anderen“ diene als
Rechtfertigung für Kulturzerstörung, Kolonialisierung, Missionierung und
Völkermord. Kriege und Schlachten zögen sich als Syndrom dieser kranken
Gesellschaftsordnung durch die vier- bis fünftausendjährige Geschichte des
Patriarchats. Zum geistigen Imperialismus gehörten sämtliche Weltreligionen wie
Hinduismus, Buddhismus, Zionismus, Christentum und Islam mit ihrer jeweiligen
Spaltung in Gläubige und Ungläubige und ihrer Überheblichkeit der Missionierung
Andersdenkender.
Die religiösen Ideologien ergänzten die
Herrschaftsideologie, indem sie andere Völker zu Barbaren deklarierten, womit
sie zur Eroberung und Kolonialisierung freigegeben seien. So habe das heute
noch idealisierte patriarchale Griechenland alle matriarchalen Völker des umliegenden Mittelmeerraumes als
„Barbaren“ und ihre Sitten als „Missstände“ erklärt. Die römischen Eroberer
hätten allen Völkern Europas ihre ‚Lex romana’ mit
perfekter Herrschaft auf staatlicher und familiärer Ebene gebracht, bis hin zur
Verfügungsgewalt des ‚Pater familias’ über Leben und
Tod von Sklaven, Kindern und Gattin.
Diese Struktur sei zementiert worden, als das römische
Christentum Europa missionierte. Heute diene die Ethnologie als
Hilfswissenschaft für die Kolonialisierung. Die untersuchten „Naturvölker“
gälten als Wilde mit einem Defizit an Denkvermögen und ohne jeglichen Geist.
Als „Unterentwickelte“ würden sie von Entwicklungshelfern in ein nicht
erwünschtes Patriarchat gezwungen. Kolonialismus geschehe immer zugunsten der
Weltwirtschaft des weißen Mannes und bedeute immer eine Bereicherung der
Wenigen durch Viele.
Missionierung sei stets verbunden mit Rassismus, der
ebenfalls durch Wesensdefinitionen verankert werde. Das „Wesen des Negers“ oder
das „Wesen des Indianers“ seien realitätsfremde Klischees, die von
Feindseligkeit und Verachtung zeugten. Die „primitiven“ Völker seien entweder
im Weg (bei der Eroberung Amerikas) oder als Menschenmaterial (Sklaven) zu
gebrauchen. Das schlimmste Beispiel sei der Begriff „Wesen des Juden“ im
Nationalsozialismus, der auf direktem Weg in die Gaskammern geführt habe.
Die weibliche Spiritualität sei von den frühpatriarchalen
Kriegerkönigen pervertiert und für ihre Herrschaftszwecke missbraucht worden.
Die große Muttergöttin sei zum neuen Vatergott verdreht worden, die liebevolle
Haltung zur Welt sei zum Sündenfall degeneriert und habe das Verbot von Lust
nach sich gezogen. Zugunsten des Monotheismus seien alle anderen Gottheiten
ausradiert, ihre alten Symbole aber dem neuen Gott zugeschrieben worden.
Herrschaft werde heute weltweit als „Gott, der Herr“ angebetet.
Das weltliche Pendant dazu sei der Monarch als Alleinherrscher,
unterstützt von der Priesterkaste. Er habe sich für die religiöse Legitimierung
seiner Macht mit Zwangsbekehrungen der unterworfenen Völker revanchiert.
Missionarischer Fanatismus nähre sich nicht aus religiöser Ethik, sondern aus
den Machtansprüchen der Weltreligionen. Wenn er sich zum Heiligen Krieg
steigere, werde der Gewaltcharakter des Imperialismus deutlich.
Die Basis patriarchaler Religionen
sei eine generelle Frauenfeindlichkeit und Naturverachtung. Die Frau sei unrein
und das Tor des Bösen, weil sie mit verdrängten Naturvorgängen wie Geburt und
Tod zu tun habe. Daher werde sie nicht zu religiösen Riten zugelassen. Nach matriarchalem Verständnis sei der Geist jedoch das die Natur
durchziehende Leben, das in der Materie seinen Ausdruck finde. Das Denken sei
eine den Menschen gegebene Naturfähigkeit, mit der sie die Komplexität der Welt
voll Achtung und Liebe widerspiegeln.
Die globalisierte Macht, die ökonomische Konzentration mit
Kirchen, die wie Großkonzerne agierten, die wissenschaftliche Vernetzung und
weltweite Kontrolle durch elektronische Medien stünden weitgehend im Dienst
militärischer, nicht humanitärer Ziele. Noch nie habe es so subtile
Herrschaftstechnologien gegeben wie heute. Doch der lebendige Prozess
menschlicher Entwicklung verlaufe nicht deterministisch, sondern in kreativen
Sprüngen. Wir könnten uns verweigern, könnten aus dem System fallen und damit
den notwendigen Paradigmenwechsel der allgemeinen Denk- und Lebensweise beschleunigen.
Wissenschaftliche Theorien und ihre Begriffe seien von patriarchalen Vorurteilen geprägt. Das Thema „Matriarchat“
sei bisher von der Institution Universität überhaupt nicht anerkannt worden.
Die Frankfurter Schule habe zwar das Verfahren der Ideologiekritik entwickelt,
die Situation der Frauen aber notorisch ausgelassen. Die Ideologiekritik sei
inzwischen von feministischen Forscherinnen für die Matriarchatsforschung
ergänzt worden um die Reflexion auf die Methoden und die Folgen der Wissenschaft,
die meistens ignoriert würden.
Göttner-Abendroth will die
Frauenforschung in den größeren Rahmen einer patriarchatskritischen Forschung
überführen und ihre Prinzipien auf die gesamte Gesellschaft anwenden: auf
Männer, Kinder, Alte und das Verhältnis zur Natur. Dabei geht es ihr letztlich
um die Sprengung des patriarchalen Interpretations-Monopols
für die Weltdeutung. Sie hofft, die Situation der Frauen damit grundlegender zu
verbessern als durch alle Gleichstellungs-Ideologien.
In patriarchaler Wissenschaft
werde Ideologie produziert, weshalb sie keine kritische, sondern das System
bestätigende Forschung sei. Das zeige sich besonders eklatant in der
gegenwärtigen Verwirrung der Ethnologie. Der Grund dafür liege nicht in der
Thematik, sondern im Geist der Forscher. Gerade bei der Erforschung nicht-patriarchaler Gesellschaften wimmele es von
Vorurteilen und Spekulationen der männlichen Ethnologen. Meist gehe es um die
ängstliche Frage: „Sind die Männer unterdrückt?“
Ethnologen machten den Fehler, sich an männliche
Gewährsleute zu wenden. Deshalb würden sie z.B. über Empfängnis, Geburt und
Verhütung gar nicht informiert. Die Frauen bekämen sie nur selten zu Gesicht,
da es unter deren Würde sei, mit fremden Männern zu sprechen. Europäische
Forscher brächten unbewusst ihre patriarchalen Muster
mit, die ihnen so natürlich erschienen, dass sie ihre eigenen Widersprüche
nicht mehr bemerkten. Wenn sie bei den fremden Völkern auf die Männer träfen,
nicht auf die Frauen, schlössen unbewusst auf die Dominanz des Mannes und
dieselbe Rolle der Frau wie bei uns.
Auf diese Weise komme die ethnologische Literatur zu ihren
Verzerrungen. Die Methode der Ideologiekritik helfe jedoch, die Sache von den
wechselnden Forschermeinungen und -bewertungen zu trennen. Die Situation habe
sich erst geändert, als kritische Ethnologinnen ausgesandt worden seien. Sie
hätten völlig andere Rituale, Sozialmuster und Weltinterpretationen entdeckt
als ihre männlichen Kollegen, weil sie bereit gewesen seien, die vorherrschende
Wissenschaftsideologie zu hinterfragen. Das hänge von einer selbstkritischen
geistigen Einstellung ab, die den meisten Männern offensichtlich schwer falle.
Es gebe viele Versuche, den Begriff „Matriarchat“ aus der
wissenschaftlichen Diskussion wegzulassen. Stattdessen würden verschleiernde
Ausdrücke benutzt, um die Existenz frauenbestimmter Gesellschaften zu leugnen.
Aus undurchschauter Ideologie und Angst vor Kritik seitens der Fachwelt würden
Ersatzbegriffe wie „gynaikostatisch“ oder „matrifokal“ erfunden, die in der Öffentlichkeit nicht
verstanden würden. Sie suggerierten, dass es Matriarchaten nur um die Mütter
gehe, dabei sei jeder Mutterkult eine Blüte des Patriarchats.
Das gleiche nicht mehr wissenschaftlicher Forschung, sondern
Taschenspielertricks. Im Sinne wissenschaftlicher Redlichkeit sei der Begriff
„Matriarchat“ angemessen. Das Wort „arche“ heiße
sowohl „Herrschaft“ als auch „Anfang“. G.A. schlägt deshalb vor, „Patriarchat“
mit „Herrschaft der Väter“ und „Matriarchat“ mit „Am Anfang die Mütter“ zu
übersetzen. Seit 1861 gebe es zahlreiche Publikationen zum „Mutterrecht“, aber
nur selten werde deklariert, dass es sich um Matriarchatsforschung handele.
Werde es ausgesprochen, setzten sofort Diskriminierungs- und Ausgrenzungsprozesse
seitens der Fachkollegen ein.
Matriarchatsforschung sei so lange tabuisiert gewesen, weil
sie den Zusammenbruch des patriarchalen Weltbildes
und den Beginn eines neuen Paradigmas in der Erkenntnis der
Menschheitsgeschichte bedeute. Viele Forscher beschrieben zwar matriarchale Strukturen, bezeichneten sie aber nicht als
solche oder schilderten sie als so defizient und dekadent, dass „die Männer
Trost im Alkohol suchen“ müssten. Selbst bei hervorragenden Forschern zeugten
zahlreiche Widersprüche von Vorurteilen und psychischen Blockaden.
Kritische Frauenforschung nehme ihren Ausgang in der
„Betroffenheit“, die sich aus der Selbsterfahrung des eigenen Leidens ergebe.
Die subjektiven Bedingungen würden zunächst intuitiv formuliert. Wenn sich die
eigene Situation mit der anderer Frauen decke, sei eine intersubjektive
Dimension gewonnen. Deren wissenschaftliche Formulierung führe zur
Herausbildung einer Theorie, die in den sozialen Zusammenhang zurück vermittelt
werden müsse. So führe die eigene Unterdrückung zum bewussten politischen
Widerstand.
Die neue Theorie werde dann mit einer Gesellschaftstheorie
verglichen, um die ermittelten Strukturen im größeren Zusammenhang
interpretieren zu können. Eine patriarchatskritische Sozialtheorie existiere
aber noch nicht, und auf etablierte Theorien könne wegen ihrer riesigen Auslassungen
nicht zurückgegriffen werden. Um Ideologiekritik zu üben, müsse selbst ein
wertender Standpunkt bezogen werden. Die impliziten Normen dazu stammten aus
der intuitiven Formulierung, sie müssten offengelegt und rational begründet
werden. Eine letztgültige wissenschaftliche Begründung sei aber nirgendwo möglich.
Patriarchatskritisches Forschen sei nötig im Sinne einer
universell aufgefassten Geschichte, um jene Sozial- und Kulturformen wieder ins
Bewusstsein zu bringen, in denen Frauen die tragende Rolle gespielt hätten.
Angestrebt werde eine tief greifende Korrektur und Umwertung der gesamten
bisher bekannten politischen Geschichte durch die neue ‚Theorie des
Matriarchats’. Die Schwierigkeiten bestünden in der Bruchstückhaftigkeit und
ideologischen Verzerrung des Materials sowie in der Grenzüberschreitung
herkömmlicher wissenschaftlichen Disziplinen wie Ethnologie, Anthropologie und
Archäologie.
In Korrelationshypothesen würden z.B. Ackerbau und
Familienstruktur gegenüber gestellt, Mythologie und Riten oder
Weltanschauung/Ritual und Ökonomie/Sozialordnung. Anhand der Vorurteile patriarchaler Matriarchatsforschung würden
Vorurteils-Typologien erstellt, z.B. leugnen, abwerten, resignieren,
projizieren, propagieren des Frauenbildes des weißen, europäischen
(christlichen) Mannes als allgemeingültiges und fortschrittliches Ideal. Das
neue Leitprinzip werde durch die Matriarchatspolitik an die Medien geleitet, um
das allgemeine Bewusstsein und die gesellschaftlichen Praxis zu verändern.
Da die Herrschenden ihre Pflicht nicht erfüllten, für eine
Aufhebung des leidvollen Zustandes zu sorgen, müssten Selbsthilfe-Strategien
für eine Humanisierung der Welt entwickelt werden. Es gehe um die
Wiedergewinnung eines Bildes der Frau mit ihren genuinen Fähigkeiten, das frei
sei von patriarchalen Deformationen, auch um ein
anderes Bild des Mannes, ohne seine Selbstdeformationen durch die hierarchisch
gegliederte Teilnahme an Herrschaft, sowie neue Bilder der Lebensalter und
Generationen.
Eine vollständige Definition von "Matriarchat"
könne nicht aus der Kulturgeschichte gewonnen werden, denn sie enthalte nur
noch Fragmente jener Gesellschaften. Patriarchale
Geschichte beschreibe immer Herrschaftsgeschichte, bzw. "Geschichte von
oben". Die "Geschichte von unten", die Perspektive der Frauen
und unteren Schichten, der Sub- und Randkulturen zeige ein anderes Bild.
Immerhin sei es dem Patriarchat nicht gelungen, die alten und langen matriarchalen Traditionen vollkommen zu zerstören. Wenn es
gelinge, diese Stränge zurück zu verfolgen und zu neu verknüpfen, gewännen wir
unser Erbe zurück und könnten das Patriarchat geistig und praktisch überwinden.
Allein die Begriffe „Konflikt“ und „Territorialität“ hätten
etwas mit dem Denken patriarchaler
Herrschaftszivilisation zu tun. In matriarchalen
Gesellschaften gäbe es keine blutigen Konflikte um Privateigentum, weil sie
Gemeinschaftseigentum hätten, und keine Eifersuchtsdramen, weil sie
Gemeinschaftsehen führten mit geregeltem Kontakt zwischen den Geschlechtern und
freien Liebesbeziehungen nach außen. Kriegerische Konflikte seien typisch für patriarchale Gesellschaften und ihren Privatbesitz an Land,
Geld und Frauen.
In Matriarchaten gäbe es dagegen Konflikte bei mangelnder
Wechselseitigkeit in der Güterverteilung, den Dienstleistungen und der
Kommunikation. Sie würden aber nicht durch Polizisten, Gefängnisse und Folter
gelöst, sondern es werde versucht, einen Konsens zwischen Gesellschaft und
Übeltätern herzustellen. Weitere Maßnahmen seien symbolische
Auseinandersetzungen oder Ausschluss aus dem Netz der Gegenseitigkeit. Dabei
könne es zum Auszug einer Gruppe und Neugründung einer Sippe kommen.
Der Begriff „Macht“ könne „Herrschaft“, aber auch
„natürliche Autorität“ bedeuten. Die Sippenmütter in Matriarchaten besäßen
natürliche Autorität, ohne Erzwingungsstäbe zu benötigen. Das bedeute Ratgeben
auf der einen Seite und freiwilliges Akzeptieren dieses Rates auf der anderen
Seite. Da natürliche Autorität auf Freiwilligkeit beruhe, könne das Befolgen
des Rates auch unterlassen werden. Natürliche Autorität erfordere Kompetenz und
Integrationsfähigkeit der leitenden Frauen, sowie Vertrauen auf Seiten der Sippe.
Das Vertrauen müsse in
Verwandtschaftsgesellschaften nicht erst hergestellt werden, denn die
Sippenmutter sei die Mutter aller anwesenden Töchter, Söhne und Enkel und würde
nicht gegen sie agieren. Die Kompetenz beruhe auf den Kenntnissen und
Erfahrungen der älteren Frauen und Männer, die jüngere Mitglieder der Sippe
noch nicht haben könnten. Integrationsfähigkeit sei die Gabe, Probleme zu
lösen, Verhandlungen zu führen, Menschen am richtigen Ort einzusetzen und sie
zu ihrem Recht und zur Weiterentwicklung zu führen.
Das Studium matriarchaler
Gesellschaftsformen könnte uns helfen, ganz spezifische Probleme zu lösen wie
die Isolation des Individuums, den Krieg zwischen den Geschlechtern, die Gewalt
gegen Frauen und Kinder, den Kampf der Generationen, die Verwahrlosung von
Kindern und Jugendlichen, das Elend alter Menschen, die Verbrechen aus Armut,
die weltweite Zerstörung der Natur durch das Ungleichgewicht von Reich und Arm
sowie die schrankenlose Macht weniger Männer, die unaufhörlich Kriege um
Ressourcen führten.
Frauen könnten bei den Veränderungen die
zentrale Rolle spielen. Doch blieben alle Bemühungen auf halbem Weg stecken,
wenn wir nicht eine Vision jenseits des Patriarchats hätten. Es gebe im
Matriarchat sehr konkrete und detaillierte Regeln, wie das menschliche
Zusammenleben bedürfnisorientiert, friedlich und gewaltfrei organisiert werden
könne. Diese Muster seien von großer sozialer Intelligenz geprägt. Das
Matriarchat sei die einzige wirklich egalitäre Gesellschaftsform, in der alle
Menschen den gleichen Respekt genössen.
Birgit Sonnek
Stand: April 2006
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