GEIST UND GEHIRN - Die Evolution des Denkens
a) Überblick
Was ist eigentlich Geist? Eine
Funktion des Gehirns oder eine nicht-materielle Seinsweise? Benutzt der Geist
das Gehirn zum Denken, oder umgekehrt? Gibt es geistige Strukturen in der
Natur, die das Gehirn erst hervorgebracht haben? Der menschliche Geist scheint
abhängig von der Gehirntätigkeit zu sein und mit dem Gehirntod zu verschwinden.
Doch reicht er nicht während seiner Existenz in eine ideelle Ebene hinein,
deren Gesetzmäßigkeiten von der Gehirnphysiologie völlig unabhängig sind?
Fragen dieser Art sind wohl grundsätzlich nicht zu beantworten. Man kann sich
ihnen aber in einer Analogie nähern.
Ein Computer funktioniert nicht
ohne Programm, ebenso kann die Software nicht unabhängig von der Hardware
existieren. Ein Programm kann jedoch in jedem Computer zum Laufen gebracht
werden. Auf die menschliche Seele bezogen wäre das eine Art Reinkarnation. Doch
solange die Software nicht in der Hardware installiert ist, "läuft"
sie nicht. Sie existiert nur auf dem Papier oder im Kopf ihres
"Schöpfers".
Der Inhalt einer Software besteht
aus Tabellen, Ziffern, Textkolonnen, letztlich aus Sinn. Was weiß die Hardware
von diesem Sinn? Ein Computer kann Symbole (Buchstaben und Zahlen) erfassen,
errechnen und darstellen. Doch die Interpretation der Ergebnisse erfordert ein
kritisches Bewusstsein. Wird eine Maschine jemals in der Lage sein, die Vor-
und Nachteile von Entwicklungstrends zu beurteilen, die Poesie der Lyrik zu
erkennen oder zu unterschieden, ob ein Gemälde genial oder nur kitschig ist?
Die Bedeutung erschließt sich nur
dem reflektierenden Geist. Bisher schienen Kybernetiker der Ansicht zu sein,
das Denken bestehe nur aus Logik. Und Bewusstsein stelle sich von selbst ein,
das sei nur eine Frage der Komplexität von Schaltkreisen. Tatsächlich werden
die algorithmischen Abläufe von Computern viel schneller, besser und exakter
erledigt als von menschlichen Gehirnen.
Doch in jüngster Zeit setzt sich
die Erkenntnis durch, dass menschliches Bewusstsein mehr ist als analytisches
Denken. Die in der Vergangenheit so verachteten Funktionen der rechten
Hirnhälfte wie Emotionalität oder ganzheitliches, synthetisches, bildhaftes
Erkennen werden in der Psychologie erforscht, Gefühle und Intuitionen als
Erkenntnisinstrumente ernst genommen.
C.G. Jung erwähnte schon vor
Jahrzehnten das kollektive Unbewusste als eine Ebene der menschlichen Psyche,
die uns alle miteinander verbindet. Im anglo-amerikanischen Sprachraum werden
Studien zur außersinnlichen Wahrnehmung betrieben, die signifikante Ergebnisse
erzielen. Vielleicht ist es prinzipiell möglich, Bewusstsein in einer Maschine
zu erzeugen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der vor allem die
Erforschung unserer eigenen Möglichkeiten erfordert.
Das uralte Leib-Seele-Problem der
Philosophie befasste sich mit der Frage, ob die "Seele" unsterblich
sei oder mit dem Körper sterben müsse. Im Falle ihrer Unsterblichkeit müsste
sie sich vom Körper unterscheiden. In ursprünglichen Mythologien waren das
Denken und das Sein eins mit dem Kosmos, es gab noch keine Individuen im
heutigen Sinn.
In der griechischen Antike wurde
das Denken nach außen projiziert in die Götter, die stellvertretend für die
Menschen ihre Konflikte austrugen. Die Vorsokratiker haben schon über die Natur
und ihre Prinzipien nachgedacht. Platon erklärte später: "Was wir erkennen
können, sind nur Phänomene. Hinter diesen Erscheinungen stehen die ewigen
Ideen, sie verkörpern das wirkliche Sein. Das ist für uns prinzipiell unerkennbar,
das heißt, unser Denken unterliegt der Täuschung." Damit war praktisch der
Dualismus von Denken und Sein etabliert.
Aristoteles wandte sich dagegen
und meinte, die (göttlichen) Ideen liegen in den Lebewesen. Die Seele wird zwar
durch einen anderen bewegt (Gott ist der "unbewegte Beweger"), aber
sie bewegt auch selbst, besitzt also einen gewissen Freiheitsgrad. Um es auf
einen Nenner zu bringen: Platon zufolge war zuerst Gott da, der schuf die
Menschen; und Aristoteles würde sagen: Zuerst war der Mensch - der schuf sich
seine Götter. Das kann man natürlich analog auf den Geist und die Materie
beziehen.
Descartes zweifelte prinzipiell,
er hielt alles für eine Täuschung. Nur das Ich war über jeden Zweifel erhaben:
"Ich denke, also bin ich." Descartes war gleichzeitig auch Mathematiker
und führte den Nullpunkt ins Koordinaten-System ein, und zwar durch eine
willkürliche Setzung. Von dort aus kann man sich nach oben, unten, links,
rechts, vorn und hinten bewegen, um die Welt mathematisch zu beschreiben. Das
entspricht seiner philosophischen Setzung des "Ich" als Individuum.
Das "Ich" ist der Ausgangspunkt für alle Erkenntnis. Damit war der Rationalismus
begründet, der das Sein und die Welt vom Denken her bestimmte. Hier befindet
sich das Ich, und draußen steht ihm die Welt gegenüber.
Die Gegenposition wurde durch
David Hume und den Empirismus vertreten. Er sagte: "Alle Erkenntnis kann
ich nur aus der Erfahrung beziehen. Das Denken allein kann gar nichts
erkennen." Später hat Kant die beiden Positionen vereinigt, was zum
deutschen Idealismus führte. Kant verlegte beides, das Denken und das Sein,
völlig in das Subjekt. Es gibt bei ihm zwar noch das "Ding an sich",
das unsere Wahrnehmung affiziert, aber es ist für uns prinzipiell unerkennbar.
Kant vollzog die sogenannte
Kopernikanische Wende im Denken, als er postulierte: "In der Erkenntnis
schreiben wir der Welt ihre Gesetze vor, indem wir unsere Erkenntnisstrukturen
in sie hineinlegen. Wir können die Welt nur mit Hilfe unserer apriorischen
Kategorien erkennen. Die sind angeboren und schon vor jeder Erfahrung da."
Hegel trieb den Gedanken auf die
Spitze, indem er das Ding an sich auch noch in das Subjekt verlegte. Bei ihm
affizieren uns die Dinge nicht einmal mehr, sondern der Verstand gibt sich
seinen Gegenstand selbst. Nicht nur den Gegenstand, sogar das Ich geben wir uns
selbst. Das ist ein aktiver Prozess, eine bewusste Handlung. Der Baum, den wir
zu sehen glauben, ist nicht in der Welt, sondern in uns. Bei Kant ist es noch
der Baum persönlich (das Ding an sich), der die Projektion in uns auslöst,
durch die Vermittlung der Sinnesorgane. Aber bei Hegel geschieht diese
Vermittlung auch durch uns selbst.
Auch der heutige Konstruktivismus
besagt: Wir haben nur eine Projektion des Baumes im Kopf, die wir betrachten.
Sie wurde verursacht durch das Sonnenlicht, das vom Baum reflektiert wird und
ein Abbild des Baumes auf unsere Netzhaut überträgt. Dieses Abbild wird
elektromagnetisch codiert und durch die Nervenbahnen ins Gehirn transportiert.
Dort wird der Code entschlüsselt und die Projektion eines Baumes aufgebaut. Den
Baum selbst können wir nicht in unseren Kopf holen, er ist für uns unerreichbar.
Konrad Lorenz hält dagegen, unsere
Kategorien seien ein Produkt der Evolution. Sie sind zwar ontogenetisch apriori
(vor der Erfahrung da), aber phylogenetisch aposteriori (nach der Erfahrung
da). Beim Individuum sind sie natürlich angeboren, aber letztlich sind sie ein
Produkt unserer stammesgeschichtlichen Erfahrungen. Wir denken deshalb in
Quantitäten, weil es in der Welt Mengen gibt. Und wir denken deshalb in
Qualitäten, weil es draußen Eigenschaften gibt. Das gleiche gilt für die
Kategorien der Kausalität und der Modalität.
Der Zugang zum Leib-Seele-Problem
erfolgt durch zwei unterschiedliche Denkrichtungen: Der Monismus kennt nur eine
einzige absolute Substanz. Geist und Materie werden als verschiedene Aspekte
dieser Substanz angesehen. Der Dualismus geht von zwei Substanzen aus, die sich
gegenüber stehen.
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Aristoteles
formulierte einen Hylemorphismus: Danach verhalten sich Geist und Materie
zueinander wie Form und Substanz. Sie bilden eine untrennbare Einheit, die nur
begrifflich oder im Tod aufgelöst werden kann.
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Weitere
typische monistische Positionen werden von Hegel, Fichte und Schopenhauer
vertreten. Nach ihrer Auffassung ist alles Geist. Materie unabhängig vom Geist
gibt es nicht.
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Ähnlich argumentiert auch der moderne
Konstruktivismus: Er betrachtet die Welt als Produkt des Bewusstseins, aktiv
(wenn auch nicht willentlich) vom menschlichen Gehirn konstruiert.
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Dagegen
steht der radikale Materialismus, ebenfalls eine monistische Position: Alles
ist Materie, Geist gibt es nicht.
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Der Behaviorismus, eine psychologische Bewegung
des 20. Jahrhunderts, reduziert den Geist auf das Verhalten der Menschen.
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Der
Epiphänomenalismus behauptet, Geist sei nur eine Begleiterscheinung neuronaler
Vorgänge, aber nicht deren Ursache.
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Nach der Identitätstheorie ist Geist eine
Funktion des Gehirns, die erst auf einer gewissen Organisationshöhe auftritt.
Seelische und geistige Bewusstseinszustände sind Zustände von Neuronen.
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Eine
typische dualistische Position ist der Parallelismus: Geist und Gehirn existieren
unabhängig voneinander, verlaufen aber synchron. Die Übereinstimmung wurde bei
der Schöpfung durch Gott für alle Zeiten festgelegt (Leibniz).
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Die
Korrespondenztheorie geht von zufälligen Korrelationen aus.
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Neben dem
monistischen gibt es auch einen dualistischen Epiphänomenalismus, der
postuliert: Das Gehirn steuert den Geist, und zwar ohne Rückwirkung.
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Dagegen
steht der Animismus: Danach ist alle Materie durch den Geist belebt (Platon),
er steuert auch das Gehirn.
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Der
Interaktionismus sieht Geist und Materie in aktiver Wechselwirkung miteinander
agieren (Descartes, Eccles, Ditfurth). Es bestehen allerdings unterschiedliche
Ansichten über die Dominanz und über den genauen Ort des Geschehens. Während
Descartes die Wechselwirkung kurzerhand in die damals neuentdeckte Zirbeldrüse
verlegte, sind es bei John Eccles die "liaisons areas". Auch die
Frage, wer die Ursache des anderen sei, ist für Eccles klar: "Der Geist
spielt auf dem Gehirn Klavier."
Geschlechtsspezifisches Denken
(aus psychologischer Sicht)
Der modernen Gestaltpsychologie zufolge
besteht unser Großhirn (Neocortex) aus zwei Hälften, der linken und der rechten
Hemisphäre. Die linke Hemisphäre produziert den rationalen Verstand. Sie denkt
logisch und geht dabei analytisch vor, sie plant und setzt Handlungsziele (gilt
als männlich). In der rechten Hemisphäre entstehen Intuitionen. Sie erkennt
ganzheitlich, bildhaft, emotional, sie bildet Synthesen und besitzt Humor (gilt
als weiblich). Beide Gehirnhälften arbeiten simultan und bringen unser
bewusstes Selbst hervor. Es spricht, denkt rational und bedient sich der
Intuition, um zu wissen.
Dieses Selbst ist dualistisch und
unterscheidet zwischen objektivem Denken und subjektivem Fühlen. Es bewegt sich
inmitten eines unaufhörlichen Stromes von Erfahrungen, die die Essenz des
menschlichen Seins ausmachen und als Erinnerungen abgespeichert werden. Von
diesem bewussten Selbst gehen Entscheidungen über Pläne und Ziele aus (links),
und es entwirft Werte und Normen (rechts), die vom Unterbewusstsein in die Tat
umgesetzt werden (nach Enid Hofman).
Beide Hemisphären sind
gleichermaßen für die Erkenntnisgewinnung erforderlich, sie gehen aber unterschiedlich
vor. Das primäre Gehirn (die rechte Gehirnhälfte) erkennt mit Hilfe der
Intuition bildhaft ganzheitliche Zusammenhänge. Das sekundäre Gehirn (die linke
Hemisphäre) erkennt Einzelheiten durch sukzessives Denken. Diese
schlussfolgernde Methode dauert länger und ist umständlicher, dafür aber
genauer.
Wenn wir wach sind, ist unsere
linke (rationale) Gehirnhälfte stets auf einen bestimmten Vordergrund
konzentriert, nämlich auf das, womit wir uns gerade beschäftigen, worüber wir
nachdenken, was wir sehen oder lesen. Gleichzeitig nimmt die rechte
(emotionale) Gehirnhälfte den gesamten Hintergrund ganzheitlich wahr, was aber
normalerweise nicht ins Bewusstsein dringt. Erst wenn etwas in diesem
Hintergrund unsere persönlichen Gefühle anspricht, zieht die rechte Hemisphäre
unsere Aufmerksamkeit auf diesen Punkt.
Da wir jedoch seit Jahrtausenden
der Zivilisation auf eine rationale Dominanz und emotionale Unterdrückung
konditioniert sind, empfindet die linke Hemisphäre das als unerwünschte
Ablenkung und lässt diesen Impuls oft nicht zu. Er wird dann ins Unterbewusstsein
verdrängt und dort abgespeichert. Mehrere solcher verdrängten Impulse bilden
einen unbewussten Energiekomplex, der sich als körperliche Funktionsstörung
seinen Weg ins Bewusstsein erzwingen kann. Deshalb ist es wichtig, die
emotionalen Impulse stets zuzulassen und sie bewusst zu machen, um gesund zu
bleiben und ganzheitliche Erkenntnisse zu gewinnen (nach Marilyn Ferguson).
Kant propagierte in seiner „Kritik
der Urteilskraft“ noch die emotionale Verdrängung zugunsten von
Pflichterfüllung und rationalen Moralvorstellungen. Die "Gefühle" ordnete
er verächtlich weiblichen und sogar tierischen Bereichen zu. In seiner „Kritik
der Urteilskraft“ lässt er lediglich ein „ästhetisches Empfinden“ für Schönheit
und Erhabenheit zu, wie es wohl seinem Zeitgeist entsprach.
Doch teilte er schon in seiner
„Kritik der reinen Vernunft“ das „menschliche Gemüt“ in drei Bereiche ein, die
er „Sinnliche Wahrnehmung“, „Verstand“ und „Vernunft“ nannte. In ähnlicher
Weise geht die heutige Gehirnforschung von verschiedenen Bewusstseinsstufen
aus, die unterschiedlichen Gehirnregionen zugeordnet werden können. Diese
Gehirnregionen sind im Laufe der Evolution nacheinander entstanden und heute
alle gleichermaßen beim Menschen präsent.
Vom Auftreten der ersten
Mehrzeller bis zu den Amphibien erstreckte sich die Entstehung von Stammhirn
und Kleinhirn, welche die Körperfunktionen steuern und sinnliche Wahrnehmungen
ermöglichen. Oberhalb dieser ältesten Gehirnteile entwickelte sich bei den
Wirbeltieren in der Auseinandersetzung mit ihrer archaischen Umwelt das
Zwischenhirn (Limbisches System), in dem die Instinktprogramme fest installiert
sind, die wir als Gefühle wahrnehmen. Dort wird der Sitz unseres Unterbewusstseins
vermutet. Über dem Limbischen System wölbte sich später bei den Primaten das
Großhirn (Neocortex), das bewusstes Denken ermöglicht.
Alle Daten, die uns durch die
Sinnesorgane von der Außenwelt übermittelt werden, durchlaufen zuerst unsere alten
Gehirnteile in der o. g. Reihenfolge, werden also erst durch die Instinkte
bewertet und als Erinnerungen im Unterbewusstsein abgespeichert, bevor sie ins
Bewusstsein gelangen und dem Denken zugänglich werden. Wenn wir nicht stets
alle Eindrücke in Frage stellen, laufen wir Gefahr, von Jahrmillionen alten
Vorurteilen geleitet zu werden.
Quantentheorie und Mystik
Einige Quantentheoretiker
versuchen nachzuweisen, dass der Geist die Materie erst konstituiert. Ein
Quantenobjekt (z.B. Elektron) stellt sich entweder als Welle oder als Teilchen
dar, ist also entweder Energie oder Materie. Man kann nur seinen räumlichen Ort
oder den Bewegungsimpuls messen, beides zusammen zu bestimmen ist unmöglich.
Die Messung bedeutet jedoch einen Eingriff in das Gefüge, sie verändert seinen
Zustand. Durch die Beobachtung bricht die Wellenfunktion zusammen, und das
Objekt materialisiert sich an einem bestimmten Ort.
Daraus leiten einige Physiker
(Capra, Goswami) die Annahme ab, dass ein Objekt im Weltgefüge von Raum und
Zweit ohne einen bewussten Beobachter nicht existiert. Quantenwellen existieren
in einem transzendenten Bereich der Möglichkeiten, und die Teilchen manifestieren
sich erst auf unsere Beobachtung hin. Das Bewusstsein ist die Schaltstelle, die
die Welle zum Kollabieren bringt und sie in der Welt der Manifestationen zu
einem immanenten Teilchen werden lässt.
Dieser angenommene transzendente
Bereich wird im Fachjargon "Nichtlokalität" genannt. Dort
kommunizieren die Teilchen miteinander, ohne raum-zeitliche Signale
auszusenden. Der daraus postulierte monistische Idealismus sieht im Bewusstsein
die Grundlage allen Seins. Sowohl geistige Phänomene als auch die Welt der Materie
werden auf Quantenebene vom Bewusstsein bestimmt. Geist und Materie sind im
Bewusstsein enthalten, das eine universelle Einheit bildet.
Als Bestätigung der
quantentheoretischen Postulate werden die Erfahrungen großer Mystiker
angesehen, deren Universalität durch zahlreiche Schriften aus unterschiedlichen
Kulturen belegt wird. Alle berichten von der gleichen meditativen Erfahrung von
Bewusstsein als einer alles verbindenden Einheit. Platon beschreibt eine transzendente,
archetypische Ideenwelt, aus der alle materiellen und geistigen Phänomene
hervorgehen. Die religiösen Schriften Indiens berichten vom Licht des Brahman,
des universalen Bewusstseins, dem Urgrund allen Seins. In der buddhistischen Philosophie
ist die Rede von einem materiellen Bereich und dem Reich der Ideen. Jenseits
dieser beiden Sphären liegt das Licht des Bewusstseins. Es ist frei von allen
Wahrnehmungen und Vorstellungen.
Die taoistischen Symbole Yin und
Yang bezeichnen das weibliche und das männliche Prinzip, wobei das helle
männliche Yang für die transzendente (geistige) Welt steht und das dunkle
weibliche Yin die immanente (materielle) Welt darstellt. Die jüdische Kabbalah
beschreibt eine transzendente Realität und eine immanente "Welt der
Trennung". In mystischer Meditation gibt sich alles als eins zu erkennen.
Im christlichen Kulturkreis gehören die transzendente und immanente Welt -
Himmel und Erde - zum täglichen Vokabular. Das Bewusstsein - der Urgrund allen
Seins - ist in unserem Geist, unserer Seele und unserem Körper.
Auf diesen Lehren des Mystizismus
beruhen alle großen Religionen wie Buddhismus, Christentum, Islam, Taoismus
oder Hinduismus. Gefährlich sei es allerdings, die mystischen Lehren zu
vereinfachen, damit sie für das Gros der Menschen verständlich werden. Die
direkte mystische Erfahrung eines alles verbindenden, Einheit herstellenden
Bewusstseins wird dann durch die Idee von Gott ersetzt. Aber Gott, der Schöpfer
der immanenten Welt, wird in der Vorstellung des gewöhnlichen Menschen zu einem
mächtigen himmlischen König, der die Erde beherrscht. Dogmen sollen zur
Erleuchtung führen. Das sei eine Verballhornung und Verunglimpfung des transzendenten
Bewusstseins (Goswami).
Im Westen sei der Einfluss des
Mystizismus relativ gering. Monotheistische Religionen judäisch-christlichen
Ursprungs hätten die Volksseele beherrscht, weil es eine mächtige Hierarchie
von Religionsvermittlern so wollte. Inzwischen finde jedoch eine Entlarvung der
Unlogik dualistischer Religionen statt. Der Dualismus von Welt und Gott scheint
der wissenschaftlichen Prüfung nicht mehr standzuhalten. Leider neige man dazu,
gleich alle ethischen Grundsätze über Bord zu werfen, auch jene Werte, die nach
wie vor gültig und nützlich seien.
b) Die Evolution des Denkens
Abbilder durch Sinnesorgane (Vom
Objekt zum Subjekt)
Zwei Texte gehen diesem voraus: In
der "Kosmologie" wurde dargelegt, wie mehrere Sternengenerationen die
heute bekannten Elemente hervorbrachten, die sich im Verlauf der chemischen
Evolution auf der Erde zu Makromolekülen zusammenfügten. In der
"Evolution" wurde beschrieben, wie sich diese Makromoleküle zu
lebendigen Organismen entwickelten. In der vorliegenden Übersicht werden
verschiedene Ansätze zur Entwicklung von Gehirn und Geist vorgestellt.
Am Anfang aller Wahrnehmungsorgane
stand der Reiz, sofern er eine Gefahr von Außen darstellte oder für das
Überleben relevant war. Nur in diesen beiden Fällen wurde die Außenwelt
zugelassen. Denn das Ziel der Evolution war nicht die Abbildung der Welt an
sich, sondern die Information der Organismen über jene Eigenschaften ihres
Milieus, die für sie biologisch bedeutsam waren (Lorenz).
Zum Überleben unerheblich ist für
unsere Spezies z.B. die Wahrnehmung des Magnetismus, der Gravitationswellen,
der Relativität von Zeit und Raum, des Spins der Elektronen oder der Neutrinos,
die uns ununterbrochen durchqueren. Bei dem, was ein Organismus von seiner
Umwelt lernt, handelt es sich um grobe Vereinfachungen, wie wir z.B. an den
optischen Täuschungen erkennen können.
Für Konrad Lorenz ist die Evolution
ein Vorgang der Erkenntnis, denn jede Anpassung an eine bestimmte Gegebenheit
der äußeren Realität bedeutet, dass Informationen über sie in das organische
System aufgenommen wurden. Auch in der Morphogenese (Formbildung) entstehen
Bilder der Außenwelt: So bilden die Flossen- und Bewegungsformen der Fische die
hydrodynamischen Eigenschaften des Wassers ab. Das Auge ist, wie Goethe schon
sah, ein Abbild der Sonne, d.h. ein Ergebnis ihrer physikalischen
Lichteigenschaften.
Unser Erkenntnisapparat ist ein
Ding der realen Wirklichkeit, das in Auseinandersetzung mit ihr und in
Anpassung an sie seine Form erhalten hat. Deshalb entspricht alles, was dieser
Erkenntnisapparat uns über die Wirklichkeit mitteilt, etwas Wirklichem
(Lorenz).
Das neu entwickelte Nervensystem
ermöglichte den Lebewesen die Empfindung von passiv erlittenen Reizen durch den
unmittelbaren Eingriff der Umwelt selbst in den Organismus (siehe
"Evolution"). Verletzungen riefen z.B. einen Schmerz hervor, auf den
mit entsprechenden Rückzugsmaßnahmen reagiert werden konnte. Der Tastsinn
ermöglichte jedoch noch keine Rückschlüsse auf die Qualität der Außenwelt.
Darauf spezialisierte sich erst später der Gesichtssinn.
Das Sehen diente zur Erlangung von
Informationen durch die Rezeption elektromagnetischer Wellen aus der Außenwelt,
während der Hörsinn auf Schallwellen als mechanische körperliche Berührung des
Trommelfells reagierte, die durch atmosphärische Druckwellen vermittelt wurden.
Das Ohr als differenziertes Empfangsorgan forcierte wiederum die Entstehung
entsprechender Sendeorgane wie Kehlkopf und Stimmlippen.
Durch die zunehmende Komplexität
und Differenziertheit der Reizverarbeitung wurde jedoch die biologische
Relevanz allmählich in den Hintergrund gedrängt, so dass eine reine Information
entstand, ein erstes Abbild der Welt. Das bedeutete eine Umkehr der Rollen,
eine Verselbständigung des Organismus gegenüber seiner Umwelt. Das Objekt
entwickelte sich zum Subjekt.
Allerdings war es nicht die Welt
selbst, die es wahrnehmen konnte, sondern nur ihr Abbild in den eigenen
Sinnesorganen. Dieser Weg verläuft noch heute vom Reiz über zuständliche
Gefühle bis zu den gegenständlichen Vorstellungen, in denen sich die Welt für
uns abbildet. Die Evolution der Sinnesorgane erfolgte jedoch ursprünglich allein
aus biologischer Ursache.
Der Ursprung unserer Augen ist bis
zu den Einzellern zurückzuverfolgen. Die Selektion begünstigte damals
pflanzliche Einzeller, die einen roten Punkt aufwiesen, der aus einer
Pigmentansammlung bestand und einen Schatten ins Innere des durchsichtigen
Körpers warf. Dieser Schatten fiel bei jeder Umdrehung des Organismus einmal
auf die Wurzel der Geißel, wodurch sich deren Aktivität änderte.
Sie entwickelte das Bestreben,
sich parallel zum einfallenden Licht auszurichten, woraus eine positiv
phototaktische Reaktion resultierte. Der durch den Pigmentfleck verursachte
Schatten ermöglichte es dem Organismus, stets zum Licht hin zu schwimmen, was
für sein Überleben unentbehrlich war, da er sich ja durch Fotosynthese
ernährte.
Unsere heutige Netzhaut ist aus
den gleichen Carotinoiden aufgebaut wie dieser Pigmentfleck. Die Sehzellen
stammen also von den Geißelzellen der ältesten Lebewesen ab. Sie haben sich
heute zu den Stäbchen und Zapfen der Netzhaut formiert.
Bei den Mehrzellern entstand
damals eine Konzentration der lichtempfindlichen Zellen am vorderen Ende des
Organismus, wo Rezeptoren für Außenweltreize am dringendsten benötigt wurden.
Dabei zeigte sich, dass jene Lebewesen im Vorteil waren, die zwei symmetrisch
angeordnete Augenflecken besaßen. Das ersparte die überflüssigen Drehungen, um
sich nach einer Licht quelle auszurichten, und ermöglichte eine gezielte
Vorwärtsbewegung. Diese Lebewesen waren gegenüber ihren Konkurrenten im Vorteil
und vererbten das Prinzip "zwei Augenflecken am Vorderende" weiter.
Durch die frontale Anordnung der
Sehzellen ergab sich aber auch eine erhöhte Verletzungsgefahr, so dass sich die
beiden Augenflecken im Laufe von Generationen einsenkten und zu Augenbechern
wurden. Je tiefer die Becher lagen, umso präziser musste ein Lichtstrahl
einfallen, um eine Information zu erzeugen, die sich dann immer weiter
differenzierte. Das Becherauge war ein Lichtrezeptor, der nicht nur hell und
dunkel unterschied, sondern auch Bewegungen registrierte, die als Schatten die
Sinneszellen der Innenwand hintereinander reizten.
Um der Gefahr einer Verstopfung
durch entgegenkommende Gegenstände zu begegnen, begann sich die Öffnung des
Augenbechers langsam zu verengen. Es formte sich eine Hohlkugel, die einen
zufälligen Nebeneffekt aufwies: Eine 'camera obscura' war entstanden, in der
sich die Außenwelt abbildete, indem das eintreffende Lichtstrahlbündel die
Objekte der Außenwelt auf die Rückwand der Innenseite projizierte.
Dieser Effekt war nicht
beabsichtigt worden, sondern durch die Gesetze der Physik entstanden. Das
Vorgehen der Evolution ist nach Meinung der Evolutionstheoretiker völlig
planlos und geschieht auf der Basis einer immer erst nachträglich erfolgenden
Fehlerkorrektur.
Um ein Sehen von heutiger Qualität
zu ermöglichen, waren die Abbilder immer entweder zu dunkel (wegen zu kleiner
Öffnung) oder zu unscharf (bei größerer Öffnung). Der Ausweg aus diesem Dilemma
bestand in der Einführung einer Linse, die natürlich nicht bewusst angestrebt
worden war (Ditfurth: Die Evolution ist ja kein Physiker), sondern deren
Entwicklung begünstigt wurde durch Organismen, die zufällige Ansätze in dieser
Richtung aufwiesen und sich durch den daraus entstehenden Vorteil überproportional
vermehren und das Prinzip weitergeben konnten.
Um Verstopfungen der Augenhöhle zu
verhindern, verschloss sich die Öffnung schließlich ganz, indem sie sich mit
einem dünnen und durchsichtigen Häutchen überzog. Nun wurden individuelle Varianten
und Mutationen durch die richtende Kraft der Selektion zu den Linsen weiter
entwickelt, mit deren Hilfe wir heute die Welt sehen.
Der Sprung auf die psychische
Ebene, bewusstes optisches Erleben, ist völlig unbeabsichtigt aus den
Selektionsmechanismen hervorgegangen, nachdem die Entwicklung der Sinnesorgane zu
neunzig Prozent unterhalb der Bewusstseinsebene durch erzwungene Verbesserungen
aufgrund biologischer Notwendigkeiten stattgefunden hatte (Ditfurth).
Auch unser Geschmacksempfinden ist
ursprünglich keine psychische, sondern eine biologische Funktion, die anfänglich
dazu diente, giftige von genießbarer Nahrung zu unterscheiden, indem wir die
eine als bitter und die andere als süß empfinden. Diese Funktion entstand
ebenfalls schon zur Zeit der Einzeller mit ihren Zell-Membranen, die nur
passende Molekül-Strukturen hindurchließen.
Was dabei heute in unserem
Bewusstsein auftaucht, ist der Widerschein des biologischen Vollzugs. Dabei
können wir nicht einmal über unsere Empfindungen frei verfügen. Wir haben nicht
die Wahl, "bitter" angenehm und "süß" unangenehm zu empfinden.
Diese Entscheidung ist schon vor Jahrmilliarden gefallen.
Unsere Art zu sehen ist erst
dreißig Millionen Jahre alt und nur auf Säugetiere beschränkt. Fische,
Amphibien, Reptilien und Vögel unterliegen dem sogenannten Gewöhnungseffekt,
der bewirkt, dass ausschließlich Bewegungen wahrgenommen werden können.
Feststehende Objekte verschwimmen, und ihre Impulse werden nach einiger Zeit
nicht mehr durch die Nervenzellen weitergeleitet. Sie können nur dann wieder
erkannt werden, wenn das Tier durch ruckartige Kopfbewegungen eine
Re-Aktivierung der gesamten Netzhaut bewirkt, die eine neue Reizkonstellation
verursacht.
Ähnliche Phänomene zeigen heute
unser Selbst-Bewusstsein und die Konzentrationsfähigkeit. Sie sind keineswegs
immer präsent, sondern nur zeitweise vorhanden und Ermüdungserscheinungen unterworfen.
Sie müssen manchmal sogar mit Mühe zurückgeholt werden, weil sie sich uns immer
wieder entziehen wollen. Der Geist hat gerade erst begonnen, sich in unseren
Gehirnen zu manifestieren und ist dort durchaus noch nicht voll etabliert
(Ditfurth).
Die beschränkte Auswahl aus dem
Repertoire aller sichtbaren Objekte ist das Ergebnis einer Selektion, die sich
nur auf die Abbildung von Bewegungen beschränkte, was allein für das Überleben
wichtig war, da es sich nur hierbei um potentielle Feinde oder Beute handeln
konnte. Die primäre Funktion ist das Bewegungssehen, nicht das Abbilden der
Welt.
Durch den Gewöhnungseffekt war
eine neue Form der Auswahl entstanden: Aus den Eigenschaften der Umwelt wurden
jene herausgegriffen, die eine Veränderung anzeigten. Erstmals wurde jedoch
nicht Materie in das Zellinnere transportiert, sondern Information.
Unsere Sehbahn endet
bezeichnenderweise in einem archaischen Hirnteil, dem Zwischenhirn, das ein
bewusstes Erleben noch gar nicht erlaubt. Erst durch die nachträgliche
Erschaffung einer Großhirnrinde mit ihrem sekundären Sehzentrum ist die
Verarbeitung des Abbildes, das als Nebeneffekt entstanden war, ermöglicht
worden. Deshalb gehen viele Evolutionstheoretiker davon aus, dass das zufällig
entstandene Abbild die Hauptursache für die Entstehung des Großhirns war.
Dieses Organ bot die Chance, die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu nutzen.
Vegetative Syndrome des Stammhirns
(Bewusstlose Erkenntnisse)
Vor anderthalb Milliarden Jahren
begann die Entwicklung des Gehirns als eine Fortsetzung der nervlichen
Organisation, die bis zu den Mehrzellern zurück zu verfolgen ist. Die
zunehmende Kompliziertheit der Umweltbedingungen forcierte die Bildung eines
zentralen Nervensystems, das alle Verhaltensleistungen steuerte. Der selektive
Druck führte dann zu einer mächtigen Konzentration von Steuerungsinstanzen, wobei
jeder Evolutionsschritt durch eine neue Einrichtung gekennzeichnet war, die am
vorderen Pol des ZNS eine Superstruktur bildeten: das Gehirn.
Als erstes entwickelte sich der
Hirnstamm als unterstes und ältestes Sediment aus den Ganglien der
Nervensysteme. Von dort aus werden auch heute noch alle vegetativen Funktionen
gesteuert. Über dem Stammhirn entstand später das Zwischenhirn mit seinen auf
die Außenwelt gerichteten Programmen. Als vorläufig letzte Stufe wölbt sich
beim Menschen das Großhirn über alle älteren Hirnteile. In ihm sind Intelligenz,
Reflektionsvermögen und das Bewusstsein lokalisiert.
Der altersgemäßen Schichtung des
Gehirns entspricht auch die zeitliche Abfolge seiner Funktionen: Vegetative
Regulation im Stammhirn, Verhaltensprogramme im Zwischenhirn und Wahrnehmung
einer objektiven Außenwelt im Großhirn. Dieser Evolutionsprozess von der
Kontrolle einiger lebenswichtiger Funktionen bis zur Sammlung und Bewertung von
Daten aus der Umwelt wiederholt sich prinzipiell in der individuellen Entwicklung
unseres Gehirns: der Gehirnontogenese (nach Seitelberger).
Die Präsenz vegetativer Funktionen
und psychischer Phänomene in dem gleichen Organ verdeutlicht, dass sich die
letzteren aus den ersten entwickelt haben müssen. Für Ditfurth ist "in
keinem Augenblick der Evolution die psychische Dimension das Ziel der
aufeinanderfolgenden Einzelschritte gewesen" ... "die Evolution"
... "verläuft unbewusst." "Dass sie nicht ins Chaos führt, ist
allein eine Folge der Struktur der Materie."
Die vegetativen Programme des
Stammhirns regulieren als homöostatische Regelkreise den Blutdruck, die
Körpertemperatur, den Wasserhaushalt, die Nahrungsverwertung und Energiebilanz
sowie Notfallfunktionen, z.B. Abwehrreaktionen beim Eindringen körperfremder
Eiweißverbindungen. Die Reize aus der Umwelt, die solche komplexen Syndrome
auslösen können, sind auf dieser Stufe noch die Umwelteigenschaften selbst.
So wird z.B. das Zentrum für
Wärmeregulation durch Temperaturveränderungen aktiviert, das Fresszentrum durch
den Zuckergehalt des Blutes usw. Bei plötzlicher Kälte wird durch das Stammhirn
das sogenannte Fröstelsyndrom ausgelöst. Das Zittern der Muskeln bewirkt dann
eine Temperaturerhöhung, das Zusammenziehen der Haut verhindert weitere
Abkühlung, und die Gänsehaut ist eine Erinnerung unseres Stammhirns an die
Zeit, als wir noch einen Pelz trugen, dessen Aufplusterung ebenfalls der
Wärmeerhaltung diente.
Der Reiz löst auf dieser Stufe
noch keine Wahrnehmung aus, sondern es ist die Außenwelt selbst, die in den
Organismus eingreift, wobei sie allerdings schon ihren Abdruck im Stammhirn
hinterlässt, die Andeutung eines echten Abbildes. Es bildet sich die
Umwelteigenschaft, der die Anpassung gilt, aber nicht als Gestalt ab, wie die
Flosse eines Fisches oder der Flügel eines Vogels, sondern als Funktion.
Die Bewegungen dieser Flossen und
Flügel werden nämlich durch das Stammhirn koordiniert und finden dort ihren
entsprechenden Niederschlag. Dabei handelt es sich immerhin schon um eine Art bewusstloser
Erkenntnis ganz spezieller Reize.
Durch ihr Leben im Wald und auf
den Bäumen wurde das Verhalten der Primaten mehr als das aller anderen Arten
enzephalisiert (zentral gesteuert). Dementsprechend entwickelten sie ein
ausgesprochen visuelles Verhalten mit binokularem stereoskopischen Sehen,
genauer Hand-Auge-Koordination und Farbsehen. Das zentrale Riechhirn übernahm
Funktionen, die mit der Emotion, Motivation und dem Gedächtnis in Beziehung
stehen.
Als sich die Gruppe der Hominiden
von den Hominoiden abzweigte, die Wälder verließ und sich dem Leben sozialer
Jäger in einer offenen Landschaft anpasste, benötigte sie ein qualifiziertes
Gehör- und Lautgabesystem zur Verständigung mit den Gruppenmitgliedern. Diese
anpassungsmäßige Produktion einer Elementarsprache tauchte vor vier Millionen
Jahren auf und war ursprünglich weniger der Auslösung sozialer Aktionen
gewidmet als der Mitteilung von Realität. Mit der Bildung der betreffenden
Strukturen im Gehirn ermöglichte die Sprache als nächsthöhere Funktion nun auch
die Kognition.
Entscheidend für die
Gehirnentwicklung waren auch die körperliche Aufrichtung, die Fortbewegung
durch die Beine, wodurch die Arme für das Ergreifen, die Zubereitung der
Nahrung und für die Erzeugung von Werkzeugen frei gemacht wurden. Mund und
Gesicht waren von der Fressfunktion entlastet und für die kommunikative Funktion
verfügbar. In wechselseitiger Beeinflussung und unter enormem selektiven Druck
entwickelten sich virtuelle körperliche Befähigungen und die Leistungsfähigkeit
des Gehirns.
Verhaltensprogramme im
Zwischenhirn (Artspezifische Erfahrung)
Im Zwischenhirn existieren keine
Verbindungspunkte zur Aktivierung einzelner Muskeln im Körper, wie im
Stammhirn, sondern geschlossene Schaltkreise von Nervenbahnen, deren Erregung
jeweils bestimmte Verhaltensmuster zur Folge hat. Zur Bewältigung der Aufgaben
eines Zwischenhirnwesens wie Futtersuche, Körperpflege, Verteidigungsreaktionen
oder Fortpflanzung stehen artspezifische Instinkte zur Verfügung.
Das sind angeborene Erfahrungen,
die im Zwischenhirn gespeichert und weitervererbt werden, und die in
stereotypen Situationen stets das gleiche Ablaufschema gestatten, so dass sie
den damit ausgerüsteten Lebewesen bei gleichbleibender Umwelt bessere
Überlebenschancen gewähren.
Diese Verhaltensprogramme stehen
in Form materieller Zellverbindungen zur Verfügung. Sie beruhen ebenfalls auf
dem Prinzip der Regelkreisfunktion, einem Lernprogramm, das den synergetischen
Mechanismen der Selbstorganisation entspricht. Diese Regelkreise wurden durch
die Selektion laufend verbessert, so dass ihre Besitzer praktisch außerstande
sind, sich zu irren oder einen Fehler zu machen.
Die Instinkte sind das Ergebnis
der evolutionären Bemühungen, mit der Anpassung der äußeren Form auch die
Weiterentwicklung der Reaktionsmöglichkeiten voranzutreiben, die dadurch in
wechselseitiger Beziehung stehen. Es handelt sich bei diesem Phänomen um einen
Akt bewusstlosen Lernens der Art innerhalb von Jahrzehntausenden, das es den
einzelnen Individuen erspart, mühsame und verlustreiche Lernprozesse jedes Mal
zu wiederholen, wie z.B. das Fliegenlernen der Jungvögel. Sie können es von
einem Augenblick zu anderen, wenn die Wachstumsphase ihres Gehirns abgeschlossen
ist.
Im Zwischenhirn ist vermutlich das
Unterbewusstsein angesiedelt. Es kann oft trotz größter Mühe nicht ins
Bewusstsein gehoben werden. Das Zwischenhirn scheint (vielleicht aufgrund
mangelnder Komplexität der Schaltungen) nicht geeignet, ein Bewusstsein zu
erzeugen. Nach C.G. Jung kann sich das Unbewusste aber bildhaft oder symbolisch
verschlüsselt offenbaren. Diese "Bilder der Seele" entstammen dem
"kollektiven Gedächtnis" und repräsentieren die innere Ansicht der
Instinktprogramme (s. "Archetypen"). Sie werden uns in Träumen
gewahr, andere Methoden des Zugangs sind z.B. Meditation, Hypnose oder Drogen.
Der Unterschied dieser
Verhaltensprogramme des Zwischenhirns im Vergleich zu den vegetativen Programmen
im Hirnstamm besteht darin, dass nun kein spezifischer Reiz mehr den Schlüssel
darstellt, der den Programmablauf in Gang setzt, sondern bestimmte Signale aus
der Umwelt, die durch Zeichen übermittelt werden. Jedes Zwischenhirnzentrum ist
dabei aber von jedem vegetativen Zentrum insofern abhängig, als dieses
Prioritäten setzt, die eine Anpassung an die wechselnden Anforderungen der
Umwelt gewährleisten.
Bei Kälte z.B. dominiert das
Fröstelsyndrom vor dem Balzverhalten. Die Steuerung erfolgt durch sog. Schwellen,
das sind innere Bereitschaften der Lebewesen, die je nach Mangel oder Sättigung
herauf- oder herabgesetzt werden und dabei entweder höhere Programme blockieren
oder, nach erfolgtem Energieausgleich, freigeben. Dieser Mechanismus
gewährleistet die vordringliche Behandlung der elementarsten Bedürfnisse.
Das Niveau dieser inneren
Schwellen wird durch Hormone gesteuert, die ihrerseits von der Umwelt abhängig
sind. So wird z.B. die Produktion von Sexualhormonen im jahreszeitlichen
Rhythmus ausgelöst, was die Geburt der Nachkommen in einer günstigen Jahreszeit
sicherstellt und damit deren Überlebenschance erhöht. Es ist also immer noch
die Umwelt selbst, die sämtliche Aktivitäten der Zwischenhirnwesen steuert.
Auf der Ebene des Zwischenhirns
mit seinen optischen und akustischen Fernsinnen macht sich die Umwelt aber
nicht mehr durch direkte Eingriffe in den Organismus bemerkbar, sondern durch
ihnen vorausgehende Informationen, die eine mögliche Konfrontation ankündigen.
Die Bedeutung dieser Signale bedarf der Auslegung durch Erfahrung, welche auf
dieser Stufe noch überindividuell und angeboren ist. Dabei verlagert sich die
Aktion von der Oberfläche des Organismus hinaus in die Umwelt selbst. Der
Organismus reagiert vorwegnehmend auf Reize, die noch gar nicht physisch
eingetroffen sind.
Die Existenz solcher
Verhaltensprogramme impliziert, dass ein Abbild der Umwelt bereits im Gehirn
vorhanden ist, bevor das Individuum dieser Welt begegnet. Das Zwischenhirn ist
eine Abbilde-Einrichtung der Umwelt nach artspezifischen Merkmalen, die die
objektive Welt in eine stark reduzierte subjektive Wirklichkeit umwandelt.
Solche Vorstellungen, die der
Realität je nach Hirnentwicklung nur mehr oder weniger entsprechen, existieren
früher als das Original. Sie sind ein Muster von Nervenverknüpfungen, mit einer
Hypothese über die Umwelt zu vergleichen. Wie erschreckend "wirklich"
diese Realität jedoch subjektiv sein kann, selbst wenn sie objektiv gar nicht
existiert, zeigen Hühnerexperimente des Verhaltensforschers Holst, der mit
Drahtsonden das aggressive Zentrum von Hähnen reizte.
Daraufhin wurde jedes Mal das
gleiche Programm "Angriff eines Bodenfeindes" abgespult, obwohl
dieser gar nicht vorhanden war. Die Hähne sicherten, sahen sich ängstlich um,
ihr Gefieder sträubte sich, sie stießen laute Alarmschreibe aus und griffen
schließlich einen Punkt auf der Tischplatte an, den sie in kurzen Sprüngen
immer wieder anflogen und mit Schnabelhieben attackierten, bis sie schließlich,
wenn der Reiz nicht nachließ, in blinder Panik davon flatterten.
Falls der Reiz jedoch rechtzeitig
abgebrochen wurde, plusterten sie sich auf und stießen einen Siegesschrei aus.
In ihrem Erleben hatten sie jeweils ein für sie real existierendes Wiesel
erlegt. - Da auch wir Menschen noch über ein gut funktionierendes Zwischenhirn
verfügen, müssen wir wohl unsere Vorstellungen von einer objektiven
Wirklichkeit drastisch revidieren. Inwieweit sie mit der tatsächlichen Realität
übereinstimmen, lässt sich durch die Wahrnehmung allein jedenfalls nicht
überprüfen.
Lorenz weist auf eine menschliche
Eigentümlichkeit hin, die uns veranlasst, nachts im Dunkeln "Gespenster"
zu sehen oder eine unbestimmte Angst "im Nacken" zu verspüren, die
uns als Projektion eines nächtlich jagenden Raubtieres eine zwar verblasste, aber
dennoch funktionierende urzeitliche Erfahrung unserer Vorfahren übermittelt.
Wenn der Gesichtssinn durch die Dunkelheit ausgeschaltet ist, versuchen
offenbar die archaischen Programme eines untergeordneten Hirnzentrums, sich
durchzusetzen.
Die Grenzen der paradiesischen
Geborgenheit eines Zwischenhirns, die weder durch Freiheit und
Entscheidungszwang, noch durch Irrtum und Schuld getrübt wird, zeigen sich
schroff, wenn in zweifelhaften Experimenten das Schlüsselsignal des Originals
manipuliert wird. Dann wird ein Küken, das ohne das arttypische laute Piepsen
auf sein Nest zustrebt, von der Henne als Feind wahrgenommen und tot gehackt,
während sie ein laut piepsendes ausgestopftes Wiesel bereitwillig unter ihre
Fittiche zu den anderen nimmt.
Der deutliche Nachteil dieser
konservativen Methode artspezifischen Lernens ist die individuelle
Lernunfähigkeit. Sie setzt eine absolute Stereotypie der Anforderungen voraus.
Deshalb können auch Vogeleltern nicht aufhören, Kuckuckskinder groß zu ziehen,
die vorher ihre eigenen Jungen umgebracht haben, und Igel versuchen immer noch
unbeirrt, sich gegen heranfahrende Autos durch Aufstellen ihrer Stacheln zu
verteidigen.
Der Zwischenhirn-Wirklichkeit
fehlt jegliche Konstanz, und ihren Objekten fehlt die Identität. Sie existieren
nur als Merkmalskombinationen, deren Änderung als übergangsloser Wechsel
zwischen verschiedenen Bedeutungen interpretiert wird.
Die starren Verhaltensrezepte
werden jedoch sofort wertlos, wenn sich die Umweltbedingungen ändern, auf die
sie zugeschnitten sind. Eine solche Katastrophe ist normalerweise mit dem
Aussterben der Art verbunden. Die Evolution nimmt rücksichtslos den Tod
ungeheuerer Mengen von Individuen in Kauf, deren Art zufällig etwas falsches
"gelernt" hatte. Übrig bleiben jeweils nur diejenigen, die durch den
Zufall einer passenden Mutation dem "Suchschema" der Selektion etwas
näher kommen als der Durchschnitt, wodurch sich langsam der Durchschnitt selbst
verschiebt, bis eine Art mit neuen Eigenschaften entstanden ist.
Prägung von Variablen
(Individuelles Lernen)
Allmählich begann die Selektion,
zunächst begrenzte individuelle Erfahrungen zuzulassen. Dabei entstand als
revolutionäre Neuerung die angeborene Fähigkeit, etwas ganz Bestimmtes zu
lernen, das nicht in der Erbanlage gespeichert war. Statt dessen wurde eine
Variable in das Verhaltensprogramm eingefügt, und zwar genau an der Stelle der
Nervenverdrahtung, die als Auslöser zum Abspulen eines jeweiligen Programms
diente.
Diese angeborene Variable wurde
jetzt durch eine individuelle Erfahrung inhaltlich "geprägt", und
zwar erstmals als sogenannte Nachfolgeprägung. Das bedeutet, dass junge
Nestflüchter in den ersten vierundzwanzig Stunden ihres Lebens die Möglichkeit
haben, sich das erste bewegte Ding einzuprägen, das ihnen begegnet. Normalerweise
ist das ihre Mutter, die sie von nun an auf Schritt und Tritt verfolgen. Ohne
diese Fähigkeit, ihre Mutter zu erkennen, wären ihre Überlebenschancen im
Freien drastisch reduziert (Lorenz).
Die Möglichkeit der Prägung
besteht allerdings nur in einer kurzfristigen sensiblen Phase, danach ist keine
Prägung mehr möglich. Gleichzeitig ist sie auch irreversibel. Ein Vergessen ist
nicht möglich. Diese nachträglich erworbenen Elemente im Instinkt unterscheiden
sich dann nicht mehr von den angeborenen.
Allerdings ist die Lektion nicht
beliebig, sondern es handelt sich ausschließlich um das Ausfüllen der
vorgegebenen Variablen als Zünder für den angeborenen Mechanismus eines ganz
bestimmten Verhaltensprogramms. Dabei geht es jetzt nicht mehr um die Erfassung
von allgemeinen Merkmalen, sondern um die Besonderheit eines konkreten
Individuums mit konstanter Identität: um die eigene Mutter. Die Prägung erfolgt
ganz plastisch durch die Veränderung bestimmter Eiweißkörper im Gehirn, den
Vorläufern unserer Gedächtnismoleküle.
Auch bei uns Menschen erfolgt die
Prägung bestimmter z.B. sozialer Verhaltensmuster noch im frühkindlichen Alter.
Wenn der Zeitpunkt verpasst wird, ist eine nachträgliche Korrektur nicht mehr
möglich. Die ersten Erfahrungen im Säuglingsalter hinterlassen ihre Spuren im
Gehirn, indem sie die Entstehung neuer Synapsen induzieren, also zusätzlicher
Schaltverbindungen zu benachbarten Hirnzellen. Komplexität erzeugt Bewusstsein.
Die jeweilige Anordnung dieser
Verknüpfungen bewirkt dann die individuelle Art, "die Dinge" zu sehen
und darauf zu reagieren, immer analog der ersten Erfahrung, und zwar ein Leben
lang. Diese Prägung ist so gravierend, dass z.B. Individuen, die in den ersten
Lebensmonaten nur senkrechte Linien zu sehen bekommen hatten, ihr Leben lang
unfähig waren, waagerechte Linien wahrzunehmen und deshalb Schwierigkeiten beim
Treppensteigen hatten.
Im ersten Lebensjahr wird in das
noch nicht ausgereifte Gehirn der soziale Input des Familienlebens eingeprägt.
Das bedeutet eine Spezialisierung des Neugeborenen für seine kulturelle und
soziale Umwelt. Soziales Lernen verdrängt somit die genetischen
Verhaltensinstruktionen der Zwischenhirn-Ära (Seitelberger).
In der letzten Phase der
Ausbildung des Zwischenhirns begann das Nervensystem, plastisch zu werden.
Unter dem Einfluss von individuellen Erfahrungen durch immer mehr Variable
änderte sich das Gehirn, es entstanden neue Querverbindungen, deren Verdrahtung
schließlich eine Komplexität von hundertfachem Ausmaß erreichte. Das Prinzip
der Variablen wurde zur Grundlage der Entwicklung des gesamten Großhirns, das
heute solche Ausmaße angenommen hat, dass es alle älteren Hirnteile überwuchert
und umschließt.
Dies ist die vorläufige Situation
der Gehirnentwicklung seit der ersten Verselbständigung archaischer Einzeller
ihrer Umwelt gegenüber, die dazu diente, die mühsam gewonnene Ordnung im Innern
angesichts des anorganischen Chaos der Umgebung zu bewahren. Energetische
Bedürfnisse hatten andererseits eine totale Abschließung unmöglich gemacht, so
dass nach dem Prinzip "so wenig Umwelt wie möglich" immer mehr
Informationen "aus Versehen" in den Organismus geraten waren.
Fernsinne befreiten dann das
Individuum vom Druck einer jederzeit drohenden aktuellen Auseinandersetzung mit
der Umwelt, bis ein Abbild der bedeutsamen Eigenschaften dieser Umwelt in das
Stammhirn projiziert worden war. Dessen Bedeutung hing jedoch von inneren
Bereitschaften ab, die wiederum durch die Umwelt ausgelöst wurden.
Die Reduktion der Welt war
Ausdruck einer evolutionären Ökonomie. Sie bedeutete eine Entlastung des
Individuums zugunsten seiner Überlebenschancen. Die Sinne waren noch nicht zu
objektiven Wahrnehmungsorganen entwickelt, sie filterten die bedeutsamen
Informationen heraus und unterdrückten die belanglosen. Derartige stereotype
Situationen wurden mit schablonenhaften Verhaltensprogrammen bewältigt.
Der willentliche Spielraum bzw.
die Freiheit des Individuums war gleich Null. Eine Bewertung erfolgte ebenfalls
nicht individuell, sondern lag fest in angeborenen Maßstäben. Das Stammhirn war
ein subjektives Abbild der Umwelt, eine fleischgewordene Hypothese, die
Materialisation eines Plans zu ihrer Bewältigung.
Die Starrheit der nervösen
Verknüpfungen ermöglichte nur Erfahrungen a priori (angeboren): Aus der Perspektive
des Individuums war das Abbild früher da als das Original. Der Organismus war
noch ein Teil seiner Umwelt, äußere Faktoren entschieden über die innere
Bereitschaft, gewisse Objekte in die Erlebniswelt aufzunehmen oder nicht. Die
Art galt mehr als das Individuum.
Die Überlebensstrategie auf dieser
Stufe setzte die Übereinstimmung von Gehirn und Wirklichkeit voraus. Das
selektive Auftauchen einer Variablen im angeborenen Verhaltensprogramm
ermöglichte dann eine begrenzte individuelle Erfahrung: Das Kennenlernen der
Mutter. Die Prägbarkeit dieses neuen Zellhaufens war auf eine kurze sensible
Phase beschränkt. Das bedeutete ihre feste Einbeziehung in ein angeborenes
Programm und die Möglichkeit der Austauschbarkeit der Objekte.
Die Wahrnehmung der Umwelt
beschränkte sich aber jetzt nicht mehr auf Signale, sondern erweiterte sich zum
ersten Mal auf beliebige Daten. Dadurch wurde die Einheit von Individuum und
Umwelt überschritten und die erste Andeutung von Freiheit eingeführt. Die
Erfahrung a posteriori (individuell) war mit der a priori (angeboren) nicht
mehr völlig identisch.
Intelligenz im Großhirn
(Apriorische Denk-Kategorien)
Das "Abbild der Welt",
das auf der Netzhaut entsteht, wird nicht als solches an das Zwischenhirn
weitergeleitet, sondern bereits in der Netzhaut erfolgt eine komplizierte
Verrechnungsarbeit. Ihr Ergebnis steckt in dem Anblick, in dem sich die Welt
uns darbietet.
Nach Seitelberger verrechnet der
"ratiomorphe Apparat" bereits die Wahrscheinlichkeiten eines Zufalls
(einzelnes Auftreten von Signalen) und die einer Gesetzmäßigkeit (häufiges
Auftreten), bevor sie ins Bewusstsein gelangen. Die Anpassung des
"kognitiven Apparates" an diese unterschiedliche Häufigkeiten
(Koinzidenzen) erfolgt durch Konservieren von Erfahrungen im Zwischenhirn,
woraus sich die angeborenen Reaktionsprogramme entwickeln.
Die Gestaltwahrnehmung beruht
ebenfalls auf dem Lernen von Koinzidenzen, nur dass hier simultane
(gleichlaufende) Korrelationen von Merkmalen verrechnet werden und dann jene
Merkmale konserviert werden, die am häufigsten koinzidieren (zusammen
auftreten). Die Fähigkeit, eine bestimmte Reihenfolge von Ereignissen zu
Kausalitäten zu verknüpfen, ist die Basis der Erkenntnis von Ursache und Wirkung.
Insgesamt wird nur ca. 1 Prozent
aller von den Sinnen aufgenommenen Informationen an das Gehirn weitergeleitet,
da die Kanalkapazität des Nervenfasernetzes viel geringer ist als die
Aufnahmekapazität der Rezeptoren. Nach der Verarbeitung durch das Großhirn
erscheint nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Rezeption in unserem
Bewusstsein. Die Botschaft ist also nicht annähernd objektiv, sondern eine äußerst
beschränkte Auswahl, die durch die Struktur unseres Wahrnehmungsapparates
vorgegeben ist.
Selbst dabei entstehen noch
optische Täuschungen durch die Ökonomie der Verrechnungseffekte, die wir gar
nicht bemerken. Es ist unmöglich zu sagen, wie groß bei unseren Wahrnehmungen
der Anteil der Zutaten des Gehirns ist. Schon bevor wir zum ersten Mal die
Augen öffnen, liegt fest, was wir sehen werden: Gestalten, Kontraste, Konturen,
Bewegungen, räumliche Tiefe und Farben.
Die Tendenz zur Verdichtung von
Informationen kehrt sich jedoch um, sobald das Zwischenhirn erreicht ist, denn
die Masse des Großhirns überragt die des Zwischenhirns um ein vielfaches,
ebenso ist auch die Zahl seiner Nervenzellen und Leitungsbahnen bedeutend
höher.
Der Kapazität bis zum Zwischenhirn
entspricht die Strategie "Reduzierung der Umwelt auf Standardniveau"
im Interesse der Zuverlässigkeit aller Instinktprogramme. Die Entwicklung der
Variablen zum Großhirn gilt jedoch einer Abbildung der Welt, deren vorläufiges
Ergebnis unsere heutige Großhirnrinde ist. In ihr sind keine Programme
gespeichert, sondern sie ist vollkommen leer an Erfahrungen a priori.
Auf die Stufe der Integration
folgt nun die Analyse. Dazu werden die Daten auf einer Fläche ausgebreitet, die
heute so groß ist, dass die Hirnmasse nur stark gefaltet in unseren Kopf passt.
Im Laufe der Jahrmillionen entstanden durch Arbeitsteilung im Gehirn Gebiete
unterschiedlicher Spezialisierung, wie z.B. das optische Zentrum, Zentren für
das Sprach- und Hörvermögen sowie für die Bewegungsfähigkeit. Der vordere Teil
des Großhirns ist ein Sender, der hintere ein Empfänger.
In den Gebieten des Großhirns sind
jedoch nicht verschiedene Leistungen lokalisiert, sondern nur verschiedene
Verarbeitungsweisen. Während die linke Hemisphäre hauptsächlich über der
Zeitachse analysiert, beschränkt sich die rechte überwiegend auf eine Synthese
über den Raumdimensionen. Die linke Seite ist für die abstrahierende
Begriffsbildung, Klassifikation und Benennung zuständig, in der rechten erfolgt
das Erkennen und Produzieren räumlicher Gestalten, auch Melodien.
Seitelberger: Die linke Hälfte ist
vorwiegend auf logisch-analytische und sprachlich-syntaktische Funktionen
spezialisiert, während der rechten Hälfte die ganzheitlich-synthetischen und
musikalisch-assoziativen Funktionen der Gestaltbildung zugeordnet sind.
Gestaltbildung bedeutet die einzigartige Fähigkeit des Menschen, Gegenstände
des Denkens und Fühlens in ihren komplexen Beziehungen zu erkennen und zu einem
neuen Ganzen zusammenzufügen.
Intelligenz wird in der
Neurobiologie nicht mehr als isolierte spezifische Funktion definiert, sondern
als höhere Hirnleistung, die Teilleistungen wie Verständnis, Denken und
Lösungsproduktion beinhaltet. Sie basiert auf Vorbedingungen wie Lernfähigkeit,
Gedächtnis, Vorstellungskraft, Kenntnisstand und ist eingebettet in bewusste
Aktivitäten, z.B. Wahrnehmung, Sprache, Planen und Handeln.
Alle diese Fähigkeiten sind
begleitet von Bewusstsein und Emotionalität. Sie ermöglichen die Erkenntnis
einer objektiven Welt sowie eine kritische Selbstreflektion. Die Intelligenz
hat eine eigene Welt symbolischer Abstraktionen hervorgebracht, die dem Denken
und Sprechen zugrunde liegen und die Strukturen der menschlichen Kultur formen.
In ihrer kollektiven Seinsweise wird sie auch als "Geist" bezeichnet
(Seitelberger).
Eine höchstmögliche Adaption an
die Umwelt hatte die Evolution durch ihren Trend zur Spezialisierung erreicht,
der sich z.B. in der organischen Ausstattung aller Lebewesen manifestiert.
Diese Spezialisierung bedeutet aber bei instabiler Umwelt eine Sackgasse, aus
der keine weitere Entwicklung erfolgen kann. Deshalb lässt sich auf höherer
Entwicklungsstufe ein Trend zur Entspezialisierung konstatieren, der durch das
Gehirn als eines Organs mit höchster Lernfähigkeit repräsentiert wird.
Individuelles Lernen bedeutet
Offenheit, Flexibilität und damit verbesserte Anpassungsfähigkeit an eine sich
ändernde Umwelt, durch Modifizierung und Erweiterung des Handlungsspielraums.
Lernen ist primär kein kognitiver Prozess, sondern die Einverleibung von
Wirklichkeitsmustern in die nervösen Strukturen des Gehirns.
Der homo habilis besaß vor zwei
Millionen Jahren ein Gehirngewicht von 600 Gramm, der homo erectus erzielte vor
einer Million Jahren 1.000 Gramm, während die Neandertaler vor hunderttausend
Jahren 1.500 Gramm aufweisen konnten. Die gegenwärtige menschliche Spezies des
homo sapiens erschien vor etwa vierzigtausend Jahren als kosmopolitische Wesen
und besitzt ein mittleres Hirngewicht von 1.400 Gramm.
Die Intelligenz bestimmt sich also
nicht aus dem Gewicht und der Hirnmasse allein, sondern hauptsächlich durch die
Komplexität der nervösen Schaltungen. Die Abnahme des Hirngewichtes könnte
schon wieder auf eine neue evolutionäre Strategie hindeuten, da eine
Übereinstimmung unserer Denkstrukturen mit den Strukturen der Außenwelt nur
unzulänglich erreicht wurde, wie aus den zahlreichen Syllogismen, Paradoxien
und Antinomien unserer Logik zu ersehen ist.
Mit dem zunehmenden Trend der
Ent-Spezialisierung verblassen die spezialisierten genetischen Programme des
Zwischenhirns zugunsten individuell erlernter Programme im Großhirn. Die
Wahrnehmung vollzieht sich durch molekulare Prozesse der Erregung in den
Nervenzellen, der Erregungsleitung in den Fortsätzen, Dendriten und Axomen, der
Erregungsübertragung an den Synapsen, der Signalübertragung bis zur
Verarbeitung im Gehirn.
Seitelberger betont, dass sich das
Denken dieses komplizierten Apparates bedient, der selbst aber darin nicht zum
Vorschein kommt, und sich nicht darin erschöpft, im Unterschied zu allen
anderen Organen, wie etwa der Funktion der Leber, die durch bestimmte chemische
Vorgänge definierbar ist.
Das Gehirn kann grundsätzlich mit
Computern verglichen werden und entspricht, sicher nicht zufällig, der Funktion
der Hardware. Zur biologischen Informationsverarbeitung werden ihm
Informationen aus der Umwelt durch Sinnesorgane verschlüsselt in elektronischen
Signalfolgen zugeleitet, hier nach verschiedenen Kriterien geordnet und
vergleichend bewertet, um dann in passende Instruktionen transformiert als Verhaltensreaktionen
an den Körper und durch diesen an die Umwelt ausgegeben zu werden.
Diese Funktion kann nach den
Gesetzen der Informationstheorie betrachtet werden, die ebenfalls das
materielle Substrat von der Bedeutung einer Nachricht unterscheidet. Der Inhalt
von Informationen ergibt sich allein durch die Verknüpfung der Signale, beruht
also auf dynamischen Mustern der codierte Erregungsprozesse, auf Signalkonfigurationen
und Symbolstrukturen auf einer transmateriellen Ebene.
Die bewussten Vorgänge werden also
nicht vom Gehirn getätigt, sondern sie finden in ihm statt. Sie haben nur ihre
Korrelate (Parallelen) in den physiologischen Gehirnvorgängen. Doch das
Bewusstsein lässt nur die Verarbeitungsresultate erkennen, nicht die
physikalisch-chemischen Hirnprozesse. Bewusstsein und Hirnprozesse haben keine
konkrete funktionale Beziehung, sie existieren auf unterschiedlichen Ebenen und
interferieren nicht miteinander. Sie stehen im Verhältnis einer interdependenten
Komplementarität (Wechselbeziehung).
Computer arbeiten lt. Seitelberger
analog unseren Denkoperationen, wobei es ebenfalls nicht die Maschine ist, die
denkt, so wie es bei uns nicht das Gehirn ist. Sensitive Automaten sind heute
befähigt zu intelligenten Leistungen wie Selbstprogrammierung, Fehlerkorrektur,
Voraussagenprüfung, die wie beim Menschen aus Wirkungsnetzen,
Rückkopplungssystemen und zyklischen Verknüpfungen beruhen.
Entscheidend ist die Richtigkeit
des Ergebnisses, nicht die Mechanik seiner Gewinnung. Die Prozesse sind im
Gehirn ebenso wie im Computer den Randbedingungen logischer Gesetze
unterworfen. So wird z.B. in den USA versucht, durch die Vernetzung von
ungeahnten Mengen an Schaltelementen eine Komplexität zu erreichen, die eine
Selbstorganisation im Computer hervorbringen bzw. ein Bewusstsein erzeugen
soll.
Die Spezialisierung bestimmter
Gebiete der Großhirnrinde als Sehregion, Hörregion oder motorische Region
beruht nicht auf ihrer Funktionalität, sondern auf ihrer Organisation. Die
Arbeitsweise der Großhirnrinde ist an jeder Stelle prinzipiell die gleiche,
doch haben sich für bestimmte Programme örtlich differenzierte Module
entwickelt.
Ihre Dichte erlaubt eine Vielfalt
von differenzierten Verarbeitungsweisen der eintreffenden Informationen. Dabei
wird der primäre Erregungszustand eines Moduls an andere Nervenzellgruppen
weitergeleitet, von denen er nach erfolgtem Arbeitsgang modifiziert
weitergegeben oder auch zurückgespielt wird, um dann erneut bearbeitet zu
werden usw. Die Programme sind nicht an bestimmte Strukturen gebunden, sondern
können auf andere Modulgruppen übertragen werden, woraus die hohe Kompensationsleistung
des Gehirns bei funktionellen Störungen beruht.
Es fließen auch Informationen aus
der Gefühls- und Triebsphäre mit ein, so dass sich folgender Programmablauf
bildet: Input-Informationen aus Sinnesorganen bzw. Umwelt vermischen sich mit
den genetisch bedingten, im Gehirn fixierten Informationen der Gefühlswelt
sowie mit den individuell erworbenen Informationen in Form von molekularen
Erinnerungsspuren aus Lernprozessen.
Bewusstsein ist keine eigene
Funktion bestimmter Hirnareale und hat keine eigenen neurophysiologischen
Substrate. Seitelberger definiert Bewusstsein als die subjektive
Erscheinungsweise unserer Verhaltenssteuerung. Es ist eine von der Komplexität
der Vernetzung abhängige Qualität, und durch deren Struktur bedingt.
Die elementare Funktion von Reiz
und Reaktion wird auf einer höheren Ebene als Bewusstsein und Wahl erlebt, auf
bisher höchster Ebene als Wissen und Wollen. Im Bewusstsein ist die Totalität
einer Organismus-Umwelt-Beziehung subjektiv repräsentiert. Sie umfasst
gegenwärtig die äußeren Dimensionen der Welt und der Zukunft sowie die inneren
Dimensionen des Selbst. Die Frage, warum Lebewesen mit Bewusstsein ausgestattet
sind, also mit einer subjektiven inneren Erfahrungsweise, ist vom
naturwissenschaftlichen Standpunkt aus nicht zu beantworten.
Der Schmerz wird als Vorläufer des
Bewusstseins angesehen, der eine Warnung vor einer Gefahr bedeutet und deshalb
ein spezielles Sinnesdetail durch Bewusstsein verstärkt. Solche zunächst
ausgewählten Verstärkungen richteten sich im Laufe der Evolution auch auf
andere Relevanz-Sphären.
Zur Zeit gewährt unser Bewusstsein
einen Ausschnitt aus der physikalisch-energetischen Wirklichkeit, der von uns
zu einem objektiven Weltbild ausgestaltet wird. Das Ganze der Welt oder die Art
unserer Hirntätigkeit kommt jedoch nie zum Bewusstsein. Die Ausschnitte haben
als Evolutionsprodukt, zumindest ursprünglich, nur Überlebensrelevanz. Nach
Seitelberger ist Bewusstsein jedoch keine eigene Wesenheit, sondern eine durch
die Komplexität der Hirnleistungen hervorgerufene Qualität.
Die menschlichen Hirnprogramme
sind offen in dem Sinn, dass sie erst durch individuelle Erfahrungen
aktualisiert und strukturiert werden. Das Gedächtnis enthält die Struktur des
Zeitsinns mit seiner invarianten (eingleisigen) Richtung. Die Orientierung zeitlicher
Ereignisse als vorherige und nachherige ermöglicht das Erkennen von Gegenwart,
Vergangenheit und Zukunft und somit auch die Selbstreflexion auf die Endlichkeit
des eigenen Ichs.
Identität ergibt sich aus der
nicht teilbaren und nicht reproduzierbaren lebenslangen Struktur der
Nervenzellen. Die Gesamtzahl der Nervenzellen im Gehirn beträgt beim Menschen
gegenüber dem Affen das Dreifache, was mit dem parallelen Ausbau der
Verbindungen eine ungeheure Erhöhung der Strukturkomplexität bedeutet. Sie ermöglicht
eine einheitliche Gegenstandswahrnehmung in zeitlicher Orientierung.
Handeln heißt, Vorstellungen bzw.
abstrakte Modelle von Ereignisketten zu realisieren. Die Integration aller
Sinnesberichte auf der Abstraktionsebene lässt objektartige Konstrukte als
Vorstellungen entstehen, wobei die Dreidimensionalität durchaus analog der
dreidimensionalen Vernetzung von Nervenzellen verläuft.
Die Vorstellungskraft ist ein
nicht spezialisierter Sinn, der seine Objekte selbst hervorbringt und diese
Modelle von möglichen Situationen auswertet oder Prospektionen in die Zukunft
vornimmt. Durch diesen erweiterten Entscheidungshorizont wird den Menschen eine
unbegrenzte Anpassungsfähigkeit verliehen, die den Ausweg darstellt, durch den
sie die Sphäre des zufallsdeterminierten Evolutionsgeschehens verlassen können,
um ihren eigenen Weg zu finden (Seitelberger).
Selbstreflexion im Stirnhirn
(Menschliche Ethik)
Das Stirnhirn wurde früher als
"stumme Zone" bezeichnet und ist die entwicklungsgeschichtlich
neueste Errungenschaft, die uns Menschen tatsächlich von Tieren unterscheidet.
Während sich knospenartige Vorläufer des Großhirns schon bei Fischen und
Reptilien nachweisen lassen, bei Affen das Großhirn schon alle älteren
Hirnteile umhüllt, sind die beiden Lappen des Stirnhirns nur beim Menschen zu
finden, als Vervollkommnung des Prinzips der Variablen.
Das Stirnhirn kann nicht, wie das
Großhirn, in verschiedene Bereiche und Denk-Kategorien unterteilt werden. Es
dient als frei verfügbares Feld beliebiger Möglichkeiten des Verhaltens, die
nicht auf bestimmte Funktionen festgelegt sind. Ditfurth bezeichnet es als
"Organ unserer Freiheit".
Verletzungen an diesem Hirnteil
bewirken radikale Persönlichkeitsveränderungen. Das Reaktionsvermögen solcher
Patienten wird zunächst immer langsamer und umständlicher. Dann nehmen sie
immer weniger Anteil an ihrer Umgebung, bis sie schließlich gar keine Rücksicht
mehr zu kennen scheinen. Eigenschaften wie Taktgefühl, Selbstkritik, moralische
Empfindung oder Altruismus sind verschwunden.
Die entwicklungsgeschichtlich
letzte Kortikalisation des Gehirns besteht in einer Anhäufung von dichten
Verbindungen zwischen der frontalen Großhirnrinde (Stirnhirn) und dem
Zwischenhirn-Hypophysensystem, in dem die vegetativen Regulationen, Triebe und Gefühle
angelegt sind. Ihre Einschaltung in das modulare Verteilungssystem bedeutet die
Durchdringung der höchsten Hirnleistungen mit Informationen aus der
elementarsten Lebensschicht, andererseits auch die Kontrolle der Triebsphäre
durch den kognitiven Entscheidungsprozess.
Es gilt als ungeklärt, warum die
Evolution darauf verfiel, die ursprünglich nicht-bewussten Gefühle aus den
archaischen Hirnteilen im Großhirn mit Bewusstsein auszustatten und im
Stirnhirn als ethisches Empfinden wieder auftauchen zu lassen.
Geschlechtsspezifische
Denk-Unterschiede wurden bisher immer mit den beiden Hälften des Großhirns in
Verbindung gebracht: Linke Hemisphäre = analytische Logik = männliche
Eigenschaften; rechte Hemisphäre = intuitive Synthese = weibliche Eigenschaften.
Anhand der oben erwähnten Eigentümlichkeiten des Stirnhirns deutet sich eine
andere Differenzierung an: Großhirn = analytisch/synthetisches Denken =
männlich; Stirnhirn = ganzheitliche Reflexion = weiblich.
Die modalen Rindenfelder des
Stirnhirns nehmen jedoch einen relativ geringen Raum ein, während die
intermodalen Felder große Gebiete beanspruchen, denen keine spezifischen
Funktion zuzuordnen ist. In den Stirn- und Schläfenlappen wird die Integration
aller Informationen in Beziehung auf die Gesamtsituation vorgenommen.
In diesen Regionen dichtester
Verbindungen sind die Korrelate des Denkens, Planens und Handelns angesiedelt,
die bezeichnenderweise als menschliche Neuerwerbungen mit den Trieb- und
Gefühlssphären verbunden sind. Es handelt sich hier nicht mehr um eine
allgemeine Informationsverarbeitung, sondern um die Interpretation der
gewonnenen Informationen.
Der Input besteht hier aus dem
gesamten Ergebnis der Informationsverarbeitung durch das übrige Gehirn, die
Funktion ist eine assoziative Behandlung von Wirklichkeitsabstraktionen. Sie
ermöglicht objektive Erkenntnis aufgrund von sehr hohen
Klassifikationsleistungen, und die höchste Form begrifflicher Kristallisation
von Erfahrungen, die dem Denken und der Sprache zugrunde liegen.
März 2003
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Geist und Gehirn
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