Glück oder Hedonismus?

(Der Begriff GLÜCKSELIGKEIT in der Philosophie)

 

Was ist Glück? Diese Frage beschäftigt die Menschen seit Jahrtausenden. Während Boethius im Kerker auf die Hinrichtung wartete, schrieb er, das Glück sei die Abwesenheit von Wünschen. Die Stoiker sahen das Glück in der „Apathie“, der Freiheit von Affekten. Nach Schopenhauer widerspricht das Glück sogar dem Wesen des Menschen. Für Hegel ist Glückseligkeit allein Gott vorbehalten.

 

Gibt es eigentlich geschlechtsspezifische Unterschiede im Glücksempfinden? Definiert sich das „männliche“ Glück wirklich nur über Entsagung und Askese? Tatsächlich scheinen Männer "Glück" als Zustand nicht zu antizipieren oder wahrzunehmen, sie legen allerdings viel Wert auf Macht und Anerkennung. Dagegen deutet die Matriarchatsforschung nach Göttner-Abendroth darauf hin, dass "weibliches" Glück darin bestand, im Einklang mit der Natur zu leben und ausgleichende Gerechtigkeit in der Sippe zu üben. Bedeutet Glück für Frauen Harmonie und Balance, für Männer die Durchsetzung ihres Egos?

 

Glück kann offenbar nicht als ein konstanter Zustand angesehen werden, sondern bezeichnet eher den höchsten Punkt auf fortlaufenden Sinuskurven wechselnder Stimmungen. Menschliche Empfindungen sind so organisiert, dass auf ein Streben jeweils die Sättigung folgt, die bald in Überdruss umschlägt und langsam absinkt bis zu einem Punkt des Mangels, der wieder ein neues Streben zur Folge hat usw. Kontinuierliche Euphorie ist unmöglich, denn ohne emotionale Tiefen könnten wir die Höhen nicht als solche erkennen und empfänden sie nur als Langeweile.

 

Die philosophische Glückseligkeitslehre

 

Die philosophische Glückseligkeitslehre (Eudämonismus) strebt Eudämonie an: das Wohlbefinden des Dämons, der Seele in uns. Es ist ein Zustand der Freudigkeit und Befriedigung. Aufgabe sittlichen Strebens ist es, wahres Glück zu spenden und zu mehren. Dagegen ist der Hedonismus eine materialistische Haltung, die auf der Hedonie beruht: Das Glück des Menschen besteht in der Lust, dem Genuss und Vergnügen. Hedonismus, Genießertum oder Ästhetizismus finden sich meist in Zeiten der Dekadenz, während in aufbauenden Zeiten das Glück des Einzelnen im Werk, in der Leistung, der Arbeit fürs Ganze liegt (Hartmann).

 

Der philosophische Glücksbegriff beruht auf der menschlichen Glücksfähigkeit, die von Besitz und Schicksal weitgehend unabhängig ist und durch das Streben nach Glücksgütern nicht erreicht werden kann. „Das wirkliche Glück kommt immer von anderer Seite, als man es meint. Es liegt da, wo man es nicht sucht. Es kommt immer als Geschenk und lässt sich dem Leben nicht abringen oder abtrotzen. Es liegt in der Wertfülle des Lebens, die immer da ist. Es öffnet sich dem, der den Blick auf diese Wertfülle einstellt, d.h. auf die primären Werte. Es flieht den, der gebannt nur auf das begleitende Gefühl, den Glückswert hinschaut“ (Hartmann).

 

Es wäre fatal, das Glück nur in äußeren Werten suchen zu wollen. So haben auch die ersten "Glücksforscher" im antiken Griechenland sich überwiegend mit dem Leid beschäftigt, ohne das offensichtlich kein Glück möglich ist, da es sich erst in der Auseinandersetzung mit ihm konstituiert. Während der Philosoph Boethius im Kerker auf die Hinrichtung durch seinen einstigen Freund, den Kaiser Theoderich, wartete, schrieb er in seinem Buch "Trost der Philosophie", dass das Glück als die Abwesenheit von Wünschen anzusehen sei.

 

Schon die Stoiker waren der Auffassung, dass für ein gelungenes Leben nicht äußere Glücksgüter wie Reichtum und Erfolg ausschlaggebend sein könnten, weil der Einzelne kaum Einfluss darauf habe, sondern beständiges Glück im Inneren der Seele zu suchen sei. Empfindungen wie Lust, Trauer, Ehrgeiz, Zorn, Leidenschaft oder Angst ketten uns an die äußere Welt. Wir sind ihnen unterworfen und "erleiden" sie passiv. Um daher dauerhaft glücklich zu werden, müsse der Mensch lernen, sich nicht vom "Pathos" beherrschen zu lassen. Der stoische Weg zum Glück liegt in der "Apathie", womit nicht Gleichgültigkeit, sondern die Freiheit von Affekten gemeint war.

 

Wer auf Karriere und Erfolg setzt, legt sein Leben in die Hand des Zufallsglücks, der Fortuna, das durch stetiges Auf und Ab gekennzeichnet ist. Er darf sich nicht beklagen, wenn es ihm plötzlich schlecht geht. Auch Schopenhauer erkannte, dass das Leiden weniger aus dem Nichthaben hervorgeht als aus dem Habenwollen. Allerdings sieht er beim Stoizismus einen Widerspruch in dem Anspruch, leben zu wollen, ohne zu leiden. Wenn sich nämlich das Leiden nicht mehr weg philosophieren lässt, bleibt nur noch der Selbstmord, um ihm zu entgehen.

 

Den stoischen Weisen vergleicht Schopenhauer mit einer hölzernen Marionette, deren vollkommene Ruhe und Zufriedenheit dem Wesen der Menschheit geradezu widerspricht. Im Gegensatz dazu stehe der Heiland des Christentums im Zustand des höchsten Leidens voller Wahrheit und Erhabenheit vor uns. Die Voraussetzung für den vom Stoizismus erstrebten unerschütterlichen Gleichmut sei letztlich die Erkenntnis, dass der Weltlauf völlig unabhängig von unserem Willen geschehe, was einzig die Empfehlung nahe lege, unsere Wünsche so zu regulieren, dass sie mit dem Lauf der Welt nicht mehr kollidieren.

 

Aus der Auffassung, das Leiden resultiere aus einem Missverhältnis zwischen unseren Wünschen und dem Weltlauf, ergebe sich folgerichtig, dass eines dieser beiden geändert werden müsse. Daher müssten wir wohl oder übel unseren Willen dem Lauf der Dinge anpassen. Das Ergebnis sei Abhärtung und Unempfindlichkeit gegen die Streiche des Schicksals. Bei der Konzentration auf die eigene Person werde jedoch die Dürftigkeit des Lebens selbst nicht thematisiert. Es geht Schopenhauer in seinem Buch "Die Welt als Wille und Vorstellung" nicht um die banale menschliche Sorge um sich selbst, oder darum, das Schlimme tapfer zu ertragen, sondern um den Menschen als metaphysisches Wesen, dem das Dasein allgemein zur Frage geworden ist.

 

Wer in therapeutische Tröstungsformen verfalle, erkenne den leidenden Menschen nicht in seiner Größe und Einmaligkeit an. Jede Ethik richte sich nur an die Vernunft des Menschen, könne aber nicht das Wollen selbst abschalten, ohne ihn in seinem Wesen einzuschränken. Es sei der elementare Wille, der das Handeln der Menschen bestimme, nicht die vernünftige Erkenntnis (Freud spricht später vom unbewussten Trieb).

 

Während für Descartes das Glück einem tugendhaften, vernünftigen Leben entspringt und kosmopolitisch-universell gedacht werden muss, verwirft Hobbes generell alle Glücksideen als andauerndes Fortschreiten von einer Begierde zur anderen. Locke definiert Glück als das Gute, was Zufriedenheit hervorruft, und legt damit den Grund für das von Hutcheson propagierte Prinzip des größtmöglichen Glücks für die größtmögliche Zahl an Menschen. Fichte dagegen sieht den Sinn des Lebens darin, Würdigkeit zum Glück zu erlangen. Für Hegel ist Glückseligkeit allein Gott vorbehalten.

 

Demnach wäre jeder, wie der Volksmund weiß, seines Glückes eigener Schmied. Mit der Verpflichtung des Menschen auf sich selbst und seine Vollkommenheit müsse er jedoch nicht zwangsläufig egoistisch werden, schrieb Mendelssohn, sondern im Gegenteil, "wir werden glückseliger, wenn wir alles, was um uns ist, glückselig machen können." Eine solche altruistische Haltung hielt er für eine elementare menschliche Eigenschaft, ähnlich dem Selbsterhaltungstrieb. Mit dieser Aussage hat Mendelssohn das Glück von einem individuellen Zustand auf die kollektive Stufe gehoben.

 

Kant sieht in der Glückseligkeit als Naturzweck die Befriedigung aller Begierden. Das sei jedoch moralisch nicht gerechtfertigt, da die Ethik dadurch von Neigungen abhängig werde. Nur ein vernunftgemäßes Leben ermögliche die Übereinstimmung mit sich selbst, und Selbstgenügsamkeit mache unabhängig vom Glück. Diese stoische Fundierung der deutschen Moralphilosophie wird auch durch Wolff, Reimarus und Garve vertreten. Die Werke Lessings, Gottscheds, Gellerts und Nicolais beschäftigen sich exemplarisch mit dem tugendhaften Handeln und den Verstößen dagegen. Danach wird Apathie nur durch die Tugend ermöglicht. Das Ziel ist Vollkommenheit, und deren Ergebnis Glückseligkeit.

 

Erstaunlicherweise ist Glück scheinbar kein Thema der zeitgenössischen Philosophie. Die Psychotherapie dagegen orientiert sich nach wie vor am Glück des Einzelnen. Sie verfolgt dabei das Ziel, das Leiden beseitigen zu wollen, zum Besten für den Patienten. Damit wird jedoch nur versucht, das Leiden vom Leben zu trennen. Das scheint jedoch unmöglich zu sein und wohl auch nicht wünschenswert, da statt Glückseligkeit oft nur eine negative Form von Apathie erreicht wird.

 

Die moderne Glücksforschung

 

Die moderne Glücksforschung suggeriert:: Glück ist, wenn die Chemie im Kopf stimmt. Doch ist das eine ausreichende Erklärung? Werden da nicht die materiellen Abläufe mit einem geistigen Zustand verwechselt? Es läuft wohl immer auf eine Korrespondenz hinaus: Den materiellen Veränderungen im Gehirn korrespondieren mit bestimmten Gefühlszuständen (Glücklichsein), wobei der Geist die chemischen Reaktionen ebenso hervorrufen kann wie umgekehrt.

 

Hier ein Überblick über die biochemischen Botenstoffe des Glücks und Wohlbefindens (aus www.glücksforschung.de): Ob wir glücklich oder unglücklich sind, hängt von vier Botenstoffen ab. Vor allem von dem alles entscheidenden „Freudensaft“ zum Aufbau unseres Wollens (Motivation), der freudigen Erwartung, Vorfreude und Glücksgefühle. Dopamin spielt dabei die Hauptrolle, zusammen mit Noradrenalin und dem Hormon Adrenalin sowie den Endorphinen.

 

Die Endorphine (µ-Opioide) sind nicht nur unsere potentesten Schmerzkiller, die bei Verletzungen zur Schmerzunterdrückung ausgeschüttet werden, sondern auch die Botenstoffe für konsumierendes Mögen (liking) - im Gegensatz zum motivierenden Wollen (wanting) – von Vergnüglichem wie dem Genießen von Schokolade, dem Anschauen schöner Dinge und beim Sex. Serotonin ist unser alles durchdringender Stimmungsaufheller. Es vertreibt Angst, Kummer und Sorgen, dauerndes Grübeln und Pessimismus, macht zufrieden, satt und dadurch auch noch schlank.

 

Melatonin ist das natürliche Schlafmittel, Oxytocin das vertrauensbildende Hormon für Liebe, Sex, zwischenmenschliche Kooperationsbereitschaft und Großzügigkeit. Die Endocannabionide sind eng verwandt mit den Cannabionoiden (Wirkstoff des Haschisch), und werden vom Gehirn selbst produziert. Ähnlich wie die Endorphine und Opioide tragen sie zu unserem konsumierenden Mögen (liking) von Vergnüglichem bei und sind an unserem Glück und Wohlbefinden maßgeblich beteiligt (Mahler).

 

Die Antwort der Gehirnforschung

 

Der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther untersuchte das Verhältnis von Glück und Neurowissenschaften und kam zu dem Ergebnis: „Glück ist für mich … dieser wunderbare Zustand, etwas bereits verloren Geglaubtes in mir selbst wiederzufinden!“. In seinem Artikel „Die Suche der Hirnforscher nach dem Ort, wo das Glück entsteht“ resümiert er: Obwohl die Hirnforscher eigentlich am besten wissen müssten, was einen Menschen glücklich macht, sehen sie doch kaum glücklicher aus als andere.

 

Denn trotz größter Anstrengungen ist es ihnen bis heute nicht gelungen, das Glückszentrum oder den Glücksstoff im menschlichen Gehirn dingfest zu machen. Mehrfach schon haben sie geglaubt, sie hätten die Antwort gefunden. Doch sie waren auf der falschen Fährte, denn bei genauerer Betrachtung erwies sich das, was sie für den Ort oder den Botenstoff des Glücks im Gehirn gehalten hielten, doch als etwas anderes.

 

So implantierten Wissenschaftler einigen Versuchstieren Elektroden in ihren „Nc. accumbens" und gaben ihnen Gelegenheit, diese Gehirnregion durch einen Tastendruck selbst zu stimulieren. Das Gefühl, das die Tiere dabei erlebten, hielten die Hirnforscher zunächst für Glück. Denn die Tiere drückten die Taste so lange, bis sie vor Hunger, Durst oder Erschöpfung zusammenbrachen.

 

Später stellte man fest, dass es bei dieser Stimulation zu einer vermehrten Ausschüttung von Dopamin und endogenen Opiaten kommt. Im Gehirn der Tiere ging es so zu, als hätten sie gleichzeitig Kokain und Heroin eingenommen. Damit war klar: Der stimulierte Ort im Gehirn war nicht das Glückszentrum, sondern eher ein Lust- oder Suchtzentrum. Bei uns Menschen stellt sich dieser Zustand auch dann ein, wenn wir eine Herausforderung meistern, eine Gefahr überwinden oder ein Tennismatch gewinnen. Was dabei im Gehirn aktiviert wird, ist aber kein Glückszentrum, sondern das sogenannte Belohnungssystem

 

Zuletzt hofften die Hirnforscher, mit dem Serotonin den Botenstoff gefunden zu haben, der das Glücksgefühl im Gehirn verursacht. Denn Psychopharmaka, die die Freisetzung von Serotonin verstärken, helfen auf verschiedene Weise: Depressive fassen wieder Mut, Angstgestörte beherrschen ihre Angst, Zwanghafte ertragen mehr Unordnung und Stimmungsmuffel bleiben bei guter Laune.

 

In den USA heißt das Zaubermittel „Prozac“, und es wird täglich von Millionen Menschen als Glückspille zur Stimmungsaufhellung geschluckt. Das Präparat unterstützt das serotonerge System im Hirn, das für die Harmonisierung der Aktivität regionaler Netzwerke zuständig ist. Es wirkt wie eine große Kuscheldecke, die man über das Hirn legt. Wirklich glücklich wird man aber auch mit diesem Mittel nicht, sondern verliert nur die Selbstkontrolle. Wer übernimmt dann die Verantwortung für das Glück unserer Kinder? Dafür sind wir verantwortlich, nicht ihre Gehirne!

 

Genauso untauglich sind andere Drogen. Wer in einem Gefühl von innerer Harmonie zerfließen und dabei alle Selbstkontrolle verlieren will, müsste eigentlich ein Rauschgift einnehmen, das die Serotonin- Freisetzung massiv stimuliert: Ecstasy. Doch das damit erzeugte Glücksgefühl ist nur von kurzer Dauer. Zudem birgt der Konsum einer solchen Tablette die große Gefahr, dass das serotonerge System in Hirn heißläuft und degeneriert wird. Und ohne dieses System und seine harmonisierende Wirkung ist es unwahrscheinlich, dass der betreffende Mensch je wieder Glück empfinden kann. Drogen sind also eine Sackgasse.

 

Die Hirnforscher ähneln auf ihrer Suche nach dem Glückszentrum oder Glücksstoff in gewisser Weise Janoschs Tiger und Bär auf ihrer Reise nach Panama: Diese hatten ihr Glück erst dann gefunden, als sie nach ihrem anstrengenden Unternehmen wieder zu Hause angekommen waren. Was bei diesem glücklichen Nach-Hause-Kommen im Gehirn passiert, ist gar nicht so schwer zu erklären: Es hat etwas mit dem Stillen einer Sehnsucht zu tun. Deshalb sind wir immer dann am glücklichsten, wenn wir etwas sehnsuchtsvoll Gesuchtes, längst verloren Geglaubtes irgendwann im Leben doch noch wiederfinden.

 

Glück durch Musik

 

Für den Musikphysiologen Eckart Altenmüller ist Musik eine der Glücksquellen des Alltags, die bei Menschen Gänsehaut, Wohlgefühl und Trance auslösen kann. Derartige starke Erlebnisse sind mit einer Ausschüttung von Glückshormonen (Endorphinen) und Bindungshormonen (Oxytocin) verbunden, konstatiert er. Drei evolutionsgeschichtliche Grundlagen kann er dafür anführen: 1. Musik erleichterte das früher immer harte Leben durch Glücksgefühle 2. Musik vertiefte zwischenmenschliche Bindungen, unter anderem auch durch gemeinsame Bewegung und Tanz. 3. Musik war in den Urzeiten ein gefahrloses Gehörtraining, denn das Erkennen der in der Musik auftretenden neuen auditiven Gestalten wird oft durch Gänsehauterlebnisse belohnt. Dadurch wird auch die Gedächtnisbildung erleichtert. Vielleicht haben wir Menschen auf diese Weise gelernt, das Anschleichen des Höhlenlöwen vom harmlosen Geräusch eines sich im Unterholz sich versteckenden Kaninchens zu unterscheiden.

 

Und was sagt die Evolutionstheorie dazu? Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, sondern um zu lernen und bestimmte Aufgaben zu erfüllen (Voland).

 

 

Birgit Sonnek

 

Mai 2008

 

 

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