Die KRITISCHE THEORIE (Adorno, Horkheimer, Fromm, Habermas)

 

Historischer Hintergrund

 

Das Frankfurter Institut für Sozialforschung wurde 1923 von Weil, Pollock und Horkheimer als private Stiftung gegründet, um Unabhängigkeit von Universitäten und staatlichen Reglementierungen gewährleisten zu können. Das wissenschaftliche Interesse galt zunächst einer Analyse der bürgerlichen Gesellschaft und der Aufarbeitung der Marx'schen Theorie, die damals aus der akademischen Diskussion ausgespart blieb und von der Arbeiterbewegung nur verkürzt und dogmatisch angewandt wurde.

 

Als erster Schwerpunkt wurden Marx' Erkenntnisse über die immanente Entwicklung der kapitalistischen Akkumulation (Anhäufung von Kapital) modifiziert, denn die geschichtlichen Verhältnisse hatten sich inzwischen verändert. Unter der Leitung von Horkheimer verschob sich 1931 der Schwerpunkt von den ökonomischen Aussagen auf den sozialphilosophischen Gehalt der Marx'schen Theorie, die aus ihrer 'ökonomischen Borniertheit' herausgehoben werden sollte.

 

Die weitere Arbeit galt einer umfassenden Kritischen Theorie der Gesellschaft, die das gesellschaftliche Individuum als Produzent der Geschichte begriff und sein Bewusstsein in den Mittelpunkt philosophischer Sinnreflexion und empirischer Forschung stellte.

 

1933 wurde das Institut von den Nationalsozialisten wegen 'staatsfeindlicher Tendenzen' geschlossen, da es sich hier um marxistische Intellektuelle von größtenteils jüdischer Abstammung handelte. Nach der Emigration der meisten Mitglieder wurde das Institut 1934 in New York neu errichtet. Die Zeitschrift für Sozialforschung erschien dort noch bis 1940 in deutscher Sprache. In Paris wurden empirische Untersuchungen zu "Autorität und Familie" veröffentlicht, weitere Studien zum "Autoritären Charakter" und über das "Vorurteil" erschienen in den USA, bis das Institut 1950, wieder unter der Leitung Horkheimers, in Frankfurt neu eingerichtet wurde.

 

Danach etablierte sich die Kritische Theorie durch Jürgen Habermas unter der Bezeichnung "Frankfurter Schule" als umfassende Sozialphilosophie, deren Formulierungen in die verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen Eingang fanden. Sie bildeten u.a. auch den gesellschaftstheoretischen Hintergrund für die Studentenunruhen 1968. Aus dieser Zeit resultieren neue Erziehungsideale wie "Erziehung zur Mündigkeit", "Selbstbestimmung", "Verantwortung" und "Emanzipation", die in die verschiedenen Erziehungskonzeptionen eingingen. Die Frankfurter Schule diente als Grundlage für eine alternative Pädagogik, deren Wurzeln bis in die 60er Jahre zurückzuverfolgen sind.

 

Die Kritische Theorie ist ein wissenschaftliches Verfahren, das sich selbst als gesellschaftlich produziert begreift und Theorien mit universalen Wahrheitsansprüchen kritisch gegenüber steht. Ihre Ursprünge liegen einerseits in der Aufklärung, deren anthropologische Grundannahmen nach Brezinka gekennzeichnet sind durch den Glauben an die Güte der menschlichen Natur, an die Machbarkeit der Persönlichkeit, an die Fähigkeit zu unbeschränkter Selbstbestimmung, an Konflikte als Mittel zur Förderung der Vernünftigkeit und daran, dass die Menschen auf Heilsvermittler angewiesen sind.

 

Es zeigen sich aber auch Parallelen zu Schleiermacher, der in seinen "Pädagogischen Schriften" 1826 die damals vorherrschenden Erziehungsvorstellungen folgendermaßen kritisierte: "Sagen wir, die Erziehung soll die heranwachsende Jugend so ausbilden, dass sie tüchtig ist und geeignet für den Staat, wie er eben ist, so würde dadurch nichts anderes geleistet werden als dieses, die Unvollkommenheit würde verewigt und durchaus keine Verbesserung herbeigeführt werden."

 

Hauptsächlich steht die Kritische Theorie jedoch in der Tradition des Marx'schen Dialektischen Materialismus, der davon ausgeht, dass die Formen des Zusammenlebens, des Denkens und der Vorstellungen der Menschen in einer Gesellschaft davon abhängen, wie sie ihre Reproduktion regeln, wobei die Arbeit als Aneignung der äußeren Natur des Menschen eine zentrale Rolle spielt.

 

In seiner Kritik der Politischen Ökonomie analysierte Marx die historischen Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die aus den gesellschaftlichen Produktionsbedingungen entstünden. Im Gegensatz zu den personalen Herrschaftsverhältnissen der Feudalgesellschaft sah er den Ursprung der Herrschaftsverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft in deren spezifischem Tauschverhältnis begründet, das zwar formal gerecht sei, aber durch die unterschiedliche Bewertung der Ware Arbeitskraft und des Geldes zu Ungleichheiten führe. Die Ware sei zwar einerseits konsumierbar, andererseits aber auch Träger sozialer Produktionsverhältnisse und der Beziehungen der Menschen untereinander.

 

Diese Zusammenhänge seien jedoch nicht transparent, sondern die Gesellschaftsmitglieder hätten falsche Vorstellungen von ihrer Realität. Deshalb gelte es, den Ursprung der Ungleichheit zu enthüllen. Diese Aufforderung zur Transparenz wurde von Adorno aufgegriffen und ging als Hauptpostulat in die Kritische Theorie ein.

 

Des weiteren ließen sich Horkheimer, Marcuse und Fromm von der Psychoanalytischen Theorie Freuds beeinflussen, deren individualpsychologischen Erkenntnisse von ihnen auf die Massenphänomene der Gesellschaft übertragen wurden, um das Verhältnis Individuum - Gesellschaft auf die subjektiven Aspekte hin zu untersuchen und die Bedingungen für eine Emanzipation des Subjekts zu erforschen.

 

Bei der Analyse des historischen Hintergrundes der Kritischen Theorie zeigen sich erste Parallelen zur Alternativschul-Pädagogik, deren Ursprünge ebenfalls in der Aufklärung angesiedelt werden (Behr). Auch sie bezieht sich auf die Psychoanalytischen Modelle Freuds, insbesondere auf die Entwicklungspsychologie, und sie beschäftigt sich ebenfalls mit den Marx'schen Thesen über die gesellschaftlichen Produktionsprozesse, hauptsächlich jedoch mit der Primär- und Sekundärsozialisation.

 

Autorität und Familie

 

Nach den Ermittlungen der Kritischen Theorie ist die Familie bis in ihre innerste Struktur hinein gesellschaftlich vermittelt (Institut für Sozialforschung 1956), und zwar durch eine doppelte Dynamik: Einerseits besorgt sie die Reproduktion der menschlichen Charaktere, wie sie das gesellschaftliche Leben erfordert, andererseits bietet sie ihnen Schutz gegenüber den Belastungen durch die Arbeit. Die Familie fungiert somit als Vermittlungsagentur zwischen Gesellschaft und Individuum, wenn sie auch dem naiven Bewusstsein als Insel inmitten der gesellschaftlichen Dynamik erscheinen mag, als Residuum des verklärten Naturzustandes. Dieses irrational-naturwüchsige Element wird jedoch durch die Vergesellschaftung und Rationalisierung zunehmend zurückgedrängt.

 

Die Familie wird heute nicht nur von außen, sondern auch von innen her angegriffen: Die lückenlose Integration in die Tauschgesellschaft erfordert Verzicht und Kontrolle der menschlichen Triebe und Bedürfnisse. Diese verdrängten Triebe wenden sich ihrerseits wieder destruktiv gegen die Familie, denn die ungleichgewichtig verteilte Zuwendung von emotionaler Fürsorge der kompetenten Mitglieder gegenüber den Schutzbedürftigen passt nicht in den Mechanismus der Tauschgesellschaft und erscheint hier als Ärgernis.

 

Andererseits wird die Familie aufgrund der Ausgrenzung emotionaler und irrationaler Momente aus der Arbeitswelt von den Individuen wieder idealisiert, denn durch die Rationalität der Arbeitsabläufe und die damit verbundenen kontrollierten Affekte wächst das Bedürfnis nach einem Raum, in dem spontane emotionale Äußerungen akzeptiert werden. Durch die spezifische Arbeitsteilung und die entsprechende Bewertung der einzelnen Familienmitglieder innerhalb der Familie werden die Normen der Tauschgesellschaft jedoch in die Familie transponiert und setzen sich bis in die einzelnen

Charakterstrukturen fort.

 

Der familiäre Binnenraum und die Welt der Produktion sind folglich dialektisch miteinander verknüpft. Medien der Charakterbildung sind die vorgezeichneten Interaktionen innerhalb der Familie und die psychischen Verarbeitungsweisen dieser Erfahrung.

 

Fromm erläutert das folgendermaßen: Für den Bauern ist jedes neu ankommende Kind eine potentielle Arbeitskraft. Aufgrund der Klassensituation ist das Verhältnis des Bauern zu seinem Sohn durch Feindseligkeit und die Tendenz der Ausbeutung geprägt, da alle zur Verfügung stehenden Menschen und Güter maximal ausgenutzt werden müssen. Nur der Tod des Vaters kann den Sohn davon befreien, Objekt der Ausnutzung zu sein, und ihn als Entschädigung dafür selbst zum Herren machen. Dieses Verhältnis der Todfeindschaft bestimmt die Atmosphäre und die Reaktion in der Gesamtentwicklung der heranwachsenden Söhne.

 

Eine solche Situation lässt sich zwar kaum auf die gegenwärtige Situation von Familien übertragen, aber sie verdeutlicht die Verknüpfung der Hypothesen: Die soziale Lage bestimmt den Wert der Familienmitglieder. Die Liebe tritt zurück, da die ökonomische Sichtweise dominiert. Im Bewusstsein seines zukünftigen Herrentums schickt sich der Sohn in die Gehorsamsforderung und Ausbeutung seiner Arbeitskraft. Diese Atmosphäre charakterisiert die alltäglichsten Interaktionen in der Familie und formt den Charakter des Sohnes, der allmählich einen dieser Lage entsprechenden Sozialcharakter annimmt.

 

Fromm bezieht diese Situation später auch auf die Proletariersituation des 19. Jahrhunderts und vergleicht sie mit der Familiensituation einer Arztfamilie und der eines Postbeamten. Nach Meinung der Kritischen Theorie bringen die verschiedenen Typen von Familien (Bauern-, Arbeiter-, Angestellten-, Beamten- und Akademikerfamilien) die gleichen Sozialcharaktere hervor, da ihre Sozialisationsprozesse nach dem gleichen Muster ablaufen, so dass die sozialtypische Charakterstruktur der Bevölkerung die individuelle Verschiedenheit übertrifft. Der dadurch entstehende 'autoritäre Charakter' ist besonders zur Unterwerfung unter Autoritäten disponiert und hat sein Fundament in einer besonderen Zurichtung seiner Triebstruktur.

 

Der autoritäre Charakter

 

Die Disponierung der Individuen zur Unterwerfung unter Autoritäten wird mit ideengeschichtlichen, ökonomischen und sozialpsychologischen Argumenten begründet. Schon Luther soll eine Bereitschaft im Menschen propagiert haben, gegen gesellschaftliche und kirchliche Autoritäten nicht zu opponieren, auch wenn deren Legitimität nicht einsichtig war. Die Anerkennung von Autoritäten wurde als religiöses Gebot, Naturnotwendigkeit oder Sachzwang postuliert. Im klassisch-bürgerlichen Idealfall verbindet sich der Machtanspruch des Vaters mit seiner lebenserhaltenden ökonomischen Funktion; in der Religion wird er zur natürlichen Weltordnung.

 

Nach der Kritischen Theorie zwingt die väterliche Autorität dem Kind ein äußerstes Maß an Triebunterdrückung und Pflichterfüllung ab. Dieser Konflikt kann allerdings durch Identifikation und durch Übernahme der väterlichen Forderungen in das kindliche Über-Ich gelöst werden, wenn das Kind anstrebt, wie der idealisierte Vater selbst zu werden. Es genügt jedoch nicht, bloß gehorsam zu sein, sondern es muss auch gehorsam sein wollen: "Fürchten und Lieben" gebot Luther gleichzeitig, Schonungslosigkeit gegen sich und andere. Die Unterordnung unter die herrschenden Autoritäten wurde vom Bürgertum auch aus dem Gebrauch der Vernunft, wie Kant in seinem kategorischen Imperativ der Pflicht prinzipiell formuliert, abgeleitet. Wer es nach bürgerlichem Ideal zu etwas bringen wollte, musste es den anderen recht machen lernen.

 

Fromm erläutert den Mechanismus, mit dem die Diskrepanz zwischen den beschränkten Befriedigungsmöglichkeiten einerseits und den überschießenden Triebansprüchen andererseits in angepasster Weise bewältigt wird, mit Hilfe von Freuds psychoanalytischem Modell: Der spezifische Charaktertypus der bürgerlichen Gesellschaft besitzt ein mächtiges Über-Ich, das ein nur schwach ausgebildetes Ich beherrscht, und dessen Es (Triebe) daraufhin nur noch masochistisch orientiert sein kann.

 

Die im Über-Ich internalisierte familiäre Autorität steht in ständiger Interaktion mit den gesellschaftlichen Autoritäten und wird dadurch gefestigt und den gesellschaftlichen Bewegungen angepasst. "Das Verhältnis Über-Ich : Autorität ist dialektisch. Das Über-Ich ist eine Verinnerlichung der Autorität, die Autorität wird durch Projizierung der Über-Ich-Eigenschaften auf sie verklärt und in dieser verklärten Gestalt wiederum verinnerlicht. Autorität und Über-Ich ist die verinnerlichte äußerliche Gewalt, die äußere Gewalt wird so wirksam, weil sie Über-Ich-Qualitäten enthält." (Fromm).

 

"Es gehört gewiss zu den schwersten Erschütterungen im kindlichen Leben, wenn es allmählich sieht, dass die Eltern in Wirklichkeit den eigenen Anforderungen nur wenig entsprechen. Aber indem es durch die Schule und später durch die Presse usw. neue Autoritäten an die Stelle der alten setzt, und zwar solche, die es nicht durchschaut, bleibt die ursprünglich erzeugte Illusion von Moralität und Autorität bestehen. Dieser Glaube an die moralische Qualität der Macht wird wirkungsvoll durch die ständige Erziehung zum Gefühl der eigenen Sündhaftigkeit und moralischen Unwürdigkeit ergänzt. Je stärker das Schuldgefühl und die Überzeugung eigener Nichtigkeit ist, desto heller strahlt die Tugend der Oberen. Der Religion und strengen Sexualmoral kommt die Hauptrolle bei der Erzeugung der für das Autoritätsverhältnis wichtigen Schuldgefühle zu." (Fromm).

 

Durch den masochistischen Charakterzug verschafft die Unterwerfungsbereitschaft dem Individuum sogar Befriedigung, und zwar in doppelter Hinsicht: Als Befreiung von Angst bzw. Gewährung von Schutz durch Anlehnung an eine gewaltige Macht einerseits und als Erfüllung der eigenen Wünsche nach Größe und Stärke durch das Aufgehen in der Macht andererseits. Dabei werden Misserfolge entweder religiös als Schuld oder naturhaft als mangelnde Begabung erklärt.

 

Nach Fromm war diese patriarchalische Autorität zwar gerechtfertigt, als sie den Angehörigen noch Schutz und Wärme gewähren konnte. Heute verliert der Begriff des Erben jedoch seinen Sinn, ebenso wie die Autorität über die Töchter, die sich ihren Unterhalt inzwischen selbst verdienen können. Durch die Krisis der Familie wird nun dem Familienoberhaupt "die Rechnung präsentiert" für die rohe Unterdrückung der schwächeren Frau und der Kinder; auch für ökonomisches Unrecht, wie die Ausbeutung hauswirtschaftlicher Arbeit, ebenso für alle Triebverzichte, welche es den Familienmitgliedern auferlegte, ohne sich zu rechtfertigen und ohne spätere Entschädigung gewähren zu können.

 

Die Familienautorität kann heute weder Lebensunterhalt zuverlässig garantieren noch das Individuum gegen die übermächtige Umwelt ausreichend schützen. Deshalb ist die heutige familiäre Krise hauptsächlich durch die schrumpfende Autorität des Vaters gekennzeichnet.

 

Faschismus

 

Die Vertreter der Kritischen Theorie betrachten den Faschismus nicht als historische Entgleisung, sondern als in der Struktur der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft latent angelegt. Der beschriebene autoritäre Charakter schuf die Voraussetzungen für den totalitären Staat der Nationalsozialisten. "Nicht einbrechende Gangster haben in Deutschland die Herrschaft über die Gesellschaft sich angemaßt, sondern die gesellschaftliche Herrschaft geht aus ihrem eigenen ökonomischen Prinzip heraus in die Gangsterherrschaft über." (Horkheimer).

 

Die ökonomischen Grundlagen für die Entwicklung des autoritären Staates liegen nach Marcuse in der Wandlung der kapitalistischen Gesellschaft vom Handels- und Industriekapitalismus der freien Konkurrenz zum modernen Monopolkapitalismus, in dem die veränderten Produktionsverhältnisse "eine alle Machtmittel mobilisierende starke Staatsgewalt forderten." "Es ist der Liberalismus selbst, der den totalautoritären Staat aus sich heraus 'erzeugt' hat: als seine eigene Vollendung auf einer höheren Stufe der Entwicklung. Der total-autoritäre Staat bringt die dem monopolistischen Stadium des Kapitalismus entsprechende Organisation und Theorie der Gesellschaft." (Marcuse).

 

Das Interesse der Großunternehmen steht einerseits im Widerspruch zu den gesamtgesellschaftlichen Reproduktionserfordernissen, andererseits ist die Existenz der Großunternehmungen erforderlich, um einen allgemeinen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern.

 

In dieser Phase finden die gesellschaftlichen Prozesse an der ökonomischen Basis ihre Entsprechung in der Organisation des Staates, der zentral und autoritär eingreifen muss, um alle gesellschaftlichen Widersprüche und Interessenkonflikte der sozialen Gruppen und Klassen zu integrieren. Diese autoritäre Staatsform bedeutet das Ende von historisch entwickelten Vermittlungsinstanzen (parlamentarisch-demokratisches System), die nach Horkheimer bislang eine dem Kapitalismus immanente Herrschaft verhindert hatten.

 

1975 hat Adorno als oberstes Erziehungsideal postuliert, dass Auschwitz sich nicht wiederholen dürfe. "Man spricht vom drohenden Rückfall in die Barbarei. Aber er droht nicht, sondern Auschwitz war er; Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die ihren Rückfall zeitigen, wesentlich fortdauern. Das ist das ganze Grauen. Der gesellschaftliche Druck lastet weiter, trotz aller Unsichtbarkeit der Not heute (Adorno).

 

Traditionelle und Kritische Theorie

 

1937 wurde Horkheimers Aufsatz "Traditionelle und Kritische Theorie" veröffentlicht, in dem er die Position der Kritischen Theorie in Abgrenzung zur traditionellen Theorie formulierte. Im wesentlichen geht es ihm um die Erkenntnis, dass Wissenschaft zwar eine gesellschaftliche Tätigkeit ist, aber von den Wissenschaftlern als individuelle Tätigkeit verstanden wird. Deshalb ist es erforderlich, dass die Kritische Theorie über die Produktionsbedingungen von Theorie und Wissenschaft reflektiert, um die Zusammenhänge transparent zu machen.

 

Im Selbstbewusstsein des bürgerlichen Gelehrten wird die Theorie total "aus dem wissenschaftlichen Betrieb abstrahiert" und nicht als "Theorie der menschlichen Existenz" bedeutsam, sondern nur "in der abgelösten Sphäre" betrachtet, obwohl sie unter historischen Bedingungen erzeugt worden ist. Der Zusammenhang wissenschaftlicher Tätigkeit mit allen übrigen Tätigkeiten in der Gesellschaft, mit der Arbeitsteilung der kapitalistischen Produktionsweise, wird nicht durchsichtig (Horkheimer).

 

Wissenschaft ist jedoch die "Art und Weise, wie sich die Gesellschaft mit der Natur auseinandersetzt" und daher ein Moment des gesellschaftlichen Produktionsprozesses einer arbeitsteilig produzierenden Gesellschaft. Diese Teilung der Arbeit in geistige und körperliche Arbeit ist die Ursache für die historische Entwicklung der Wissenschaft als einer "abgelösten Sphäre".

 

Im Bereich der Naturwissenschaften, besonders der Technik, ist der industrielle Arbeitszusammenhang deutlich, während er bei den Geisteswissenschaften nicht unbedingt ersichtlich ist. In der Auseinandersetzung des Menschen mit der "inneren Natur" erscheinen die theoretischen Produktionen der traditionellen Theorie als objektive Wahrheiten, die vom Gelehrten in "begriffliche Ordnungen" eingegliedert und durch Experimente erhärtet werden.

 

Nach Horkheimer lässt sich jedoch das, was "zur Änderung alter Klassifikationen oder zum Entstehen neuer den Anlass bildet" keineswegs nur aus der logischen Situation ableiten. Die neue Definition hängt "auch von Richtung und Zielen der Forschung ab, die aus ihr selbst weder zu erklären noch gar letztlich einsichtig zu machen sind."

 

Gerade die Art der Beobachtung und Gewichtung der vorgefundenen Tatsachen ist das Resultat der modernen Produktionsweise. Damit befindet sich Horkheimer in Übereinstimmung mit einer neueren philosophischen Strömung: Die abstrakten Begriffe enthalten keine Wahrheiten, sondern sind Ausdruck des gesellschaftlichen Gesamtzustandes. Wissenschaftliche Ergebnisse bedürfen der Interpretation und sind letztlich nur grammatischen Definitionen (Wittgenstein) bzw. menschliche Übereinkünfte (Hofstätter).

 

Die Kritische Theorie will die unerkannte Parteilichkeit aufgrund nicht reflektierter gesellschaftlicher Zusammenhänge durchbrechen und die wechselseitige Abhängigkeit von Theorieproduktion und gesellschaftlicher Entwicklung durchsichtig machen. Das gleiche gilt für die wissenschaftlichen Methoden, die erst den Forschungsgegenstand konstituieren, und für die Formen der Erfahrung und des Denkens.

 

Außerdem will die Kritische Theorie die fachspezifische Isolierung und die damit verbundene Partikularisierung der Erkenntnis überwinden und die Gegenstände wieder in ihrem Realzusammenhang betrachten, wobei die Methoden der Gesellschaftswissenschaften dem geschichtlichen Charakter ihrer Erkenntnisgegenstände entsprechen müssen.

 

Nicht zuletzt will die Kritische Theorie die geforderte wissenschaftliche Wertfreiheit aufheben, da menschliche Erkenntnis niemals objektiv sein kann, sondern interessengebunden ist, und somit über die jeweilige Begründung von Wertentscheidungen reflektiert werden muss.

 

Die traditionelle Wissenschaft ist laut Horkheimer affirmativ, das heißt, sie erhält den historischen Stand der "Art und Weise, wie sich die Gesellschaft mit der Natur auseinandersetzt" in ihrer gegebenen Form. Sie reproduziert nur die gesellschaftlichen Verhältnisse und bewirkt keine Veränderung in bessere, gerechtere Zustände.

 

Die Welt ist nach Horkheimer etwas prinzipiell von Menschen gemachtes, "Produkt der allgemeinen gesellschaftlichen Praxis." Auch die wissenschaftliche Tätigkeit ist ein Teil dieser Praxis, und damit ist ein Wissenschaftler am Machen dieser Welt beteiligt, ebenso wie an der Gestaltung der Zukunft. Aus diesem Grund muss der Begriff von Theorie weiter entwickelt werden, denn die Berücksichtigung dieser Sachverhalte kommt der Wahrheit näher als eine Theorie, die über die historische und gesellschaftliche Bedingtheit aller Wahrnehmung nicht reflektiert.

 

"Die Tatsachen, welche die Sinne uns zuführen, sind in doppelter Weise gesellschaftlich präformiert: durch den geschichtlichen Charakter des wahrgenommenen Gegenstandes und den geschichtlichen Charakter des wahrnehmenden Organs." (Horkheimer).

 

Der Gegensatz der Kritischen Theorie zum traditionellen Begriff von Theorie resultiert überhaupt nicht so sehr aus einer Verschiedenheit der Gegenstände als der Subjekte. Entscheidend ist der Gebrauch, der von wissenschaftlichen Einsichten gemacht wird; die existentielle Bedeutung, die sie für das erkennende Subjekt haben. Die Verschiedenheit liegt im Engagement und in der Betroffenheit durch die wissenschaftlichen Resultate. Der kritische Wissenschaftler erforscht nicht nur seine Objekte, sondern fühlt sich außerdem für ihre Veränderung verantwortlich. Das Ziel kritischen Denkens ist eine vernünftige gesellschaftliche Organisation, d.h. die Überwindung der Klassengegensätze und Ungerechtigkeiten.

 

Zur Verfolgung dieses Zieles ist ein praktisches Interesse an der gesellschaftlichen Situation erforderlich, das vor allem im Proletariat erzeugt werden kann, da hier der Widerspruch zwischen bürgerlichen Idealen und der materiellen Situation sich am deutlichsten zeigt. Gleichzeitig wird dieses Interesse in der Auseinandersetzung mit dem zukünftig Möglichen gebildet, wobei einfache Parteinahme nicht genügt, denn "auch die Situation des Proletariats bildet in dieser Gesellschaft keine Garantie der richtigen Erkenntnis." (Horkheimer).

 

Die Theorie der kommunikativen Kompetenz

 

Hegel postulierte, dass sich Individuen nur durch das gegenseitige Zugeständnis von Entwicklungsmöglichkeiten bilden können. Sie konstituieren sich erst im Prozess gegenseitiger Anerkennung. Dieses sittliche Verhältnis der Subjekte zueinander wurde in der Kritischen Theorie zum regulativen Prinzip für das theoretische und praktische Verhalten.

 

Die Begründung des regulativen Prinzips wurde von Habermas weiterentwickelt, indem er es mit der idealen Sprechaktstruktur der Rede in Zusammenhang brachte und damit zeigte, dass die Gleichverteilung der Entfaltungsmöglichkeiten eine ideale Sprechsituation innerhalb einer herrschaftsfreien Kommunikation erfordert.

 

Eine ideale Sprechsituation, die allerdings nur kontrafaktisch existiert und annäherungsweise erreicht werden kann, erfordert u.a. die Zurechnungsfähigkeit der Subjekte und die symmetrische Verteilung von Kommunikationschancen. Diese Idealisierung dient als Maßstab der Kritik an den faktischen Sprechsituationen, in denen nur verzerrte Kommunikation stattfinden kann. Damit erhält die Idee einer zukünftigen Gesellschaft durch Habermas eine kommunikationstheoretische Fassung.

 

In seiner Theorie der kommunikativen Kompetenz werden die universalen Bedingungen möglicher Geltungsansprüche identifiziert: Die Sätze müssen verständlich sein, die Aussagen wahr, die Intentionen wahrhaftig und die Äußerungen richtig sein. Es genügt jedoch nicht, diese vier Geltungsansprüche nur zu erheben, sondern ihre rechtmäßige Anerkennung durch alle beteiligten Subjekte ist die Basis jeder Verständigung.

 

Die argumentative Prüfung der problematisierten Geltungsansprüche erfolgt im gemeinsamen Diskurs, in dem ein Konsens herbeigeführt werden soll. Der "wahre Konsens" wird sich dabei "kraft des besseren Argumentes" durchsetzen, was allerdings nur unter den Bedingungen der "idealen Sprechsituation" möglich ist (Habermas).

 

Diese Idee der idealen Sprechsituation hat Mollenhauer aufgegriffen, um daraus Legitimationen von Erziehungszielen und pädagogischen Handlungsnormen zu formulieren, weil damit die Bedingung der Möglichkeit gegeben ist, Geltungsansprüche zu problematisieren und zu einem "wahren Konsens" zu gelangen.

 

Dabei muss die ideale Sprechsituation für das Erziehungshandeln real antizipiert werden, wenn durch Erziehung "diskursfähige und konsensfähige" Subjekte hervorgebracht werden sollen. Die herrschaftsfreie Verständigung kann allerdings nur in Form einer kontrafaktischen Unterstellung erfolgen. Der Erwachsene muss gegenüber dem Heranwachsenden so tun, als ob dieser die gleichen Chancen habe, Sprechakte zu wählen, und als ob er das vernünftige Subjekt schon sei, das er erst werden will.

 

Die Interaktion des Erwachsenen mit dem Kind wird also dadurch legitimiert, dass er den individuellen Bildungsprozess des Erwerbs kommunikativer Kompetenz fördert; er muss jedoch die Verantwortung vor der "Idee der Kommunikationsgemeinschaft" stellvertretend für das Kind wahrnehmen. Erwerb der "Vernunft" wird nicht durch autoritative Belehrung oder konditionierende Verhaltenssteuerung gefördert, sondern durch teilnehmende Einübung in Diskurse. Der Diskurs ist die letzte Legitimationsbasis für Lernzielentscheidungen (Mollenhauer).

 

Antiautoritäre Erziehung

 

Obwohl die Kritische Theorie niemals als Erziehungstheorie konzipiert wurde, sind viele ihrer Problemstellungen auch für Erziehungs- und Bildungsprozesse relevant und demzufolge von einigen Pädagogen für das pädagogische Handeln und seine Ziele, für die Auswahl der Thematik und für die Methoden erziehungswissenschaftlicher Forschung verarbeitet worden.

 

Dabei muss allerdings grundsätzlich gefragt werden, welche Erwartungen in der Praxis an eine Theorie gestellt werden können, und welche Beziehungen überhaupt zwischen Praxis und Theorie bestehen. Es ist scheinbar ein Missverständnis, praktische Hinweise von einer solchen Theorie zu erwarten, ohne dass ihre ursprünglichen Ansprüche zum Teil verloren gehen. Der Begriff Praxis ist ebenso weit gefächert wie der Begriff Theorie, es gibt eine Praxis für die Schule, eine Praxis für die Lehrer und eine solche für die Schüler.

 

Theorie kann nicht summarisch umgesetzt werden. Um ein alternatives Schulsystem von der Kritischen Theorie her zu etablieren, sollten unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten untersucht werden, um eine für Erziehungsansprüche adäquate Ebene zu finden. Außerdem muss evaluiert werden, wie Schüler in solchen Alternativschulen die Praxis erfahren, besonders in Grenzbereichen wie z.B. der Leistungskontrolle und -beurteilung.

 

Mollenhauer hat vier Interpretationshypothesen formuliert als Annahmen darüber, welche Theoreme der Kritischen Theorie in welcher Hinsicht für die Pädagogik von grundsätzlicher Bedeutung sein könnten:

 

1. Die Kritische Theorie betrachtet den Begriff Bildung nicht nur als Entfaltung angeborener Anlagen, sondern als ein Produkt gesellschaftlicher menschlicher Tätigkeit, das den Bildungsprozess des Einzelnen formt.

 

2. Die Kritische Theorie präzisiert den bürgerlichen Begriff der Mündigkeit als eine historisch normative Kategorie, die als Bildungsziel in ihrer Historizität ideologiekritisch reflektiert werden muss, ebenso wie auch die Forderung der Selbstbestimmung als ein zu erreichender Zustand, der über die bürgerliche Gesellschaft hinausweist, während die reflektierende Pädagogik selbst nur einen Teilbereich der gesellschaftlichen Praxis repräsentiert.

 

3. Die von der Kritischen Theorie geforderte kritische Distanz, unter der alle historischen Institutionen und Werte unter dem Aspekt ihrer Änderbarkeit betrachtet werden müssen, wirft ein Problem für die pädagogische Theorie auf: Das Kind muss einerseits mit dem historisch gegebenen kulturellen Bestand vertraut gemacht werden und soll andererseits lernen, sich diesem kulturellen Material gegenüber distanziert zu verhalten, um sich produktiv, auf das zukünftige Neue hin, mit seiner Gegenwart auseinandersetzen zu können.

 

4. In der gegenwärtigen Form der bürgerlichen Gesellschaft muss jede Lebensäußerung innerhalb der kapitalistischen Ökonomie als Moment des ganzen gesellschaftlichen Zusammenhangs betrachtet werden. Das reflektierende Subjekt ist ebenso wie der Gegenstand des Erkennens an den geschichtlichen Zusammenhang gebunden, durch welchen die Wahl der Themen und der Methoden bestimmt werden.

 

Nach Mollenhauer ist vor allem die Methode der Kritischen Theorie von erziehungswissenschaftlicher Bedeutsamkeit. Sie besteht aus den 3 Bearbeitungsformen "geschichtliche Deutung des Objekts", "philosophische Reflexion der Kategorien, die zur Deutung des Objekts verwendet werden" und "erfahrungswissenschaftliche Kontrolle der Aussagen, die durch Deutung und Reflexion gewonnen werden."

 

Für die pädagogische Forschung bedeutet die wissenschaftliche Vorgehensweise der historischen Analyse, kategorialen Reflexion und empirischen Kontrolle, dass der Bildungsprozess als Ganzes ein Gegenstand empirisch kontrollierter Erfahrung ist (das kindliche Bewusstsein, seine Einstellungen und Handlungsweisen, die Beziehung zu Erwachsenen, die Erwartungen und sozialen Bedingungen).

 

Die Momente dieses Bildungszusammenhanges besitzen eine Bedeutung im Kontext geschichtlich gewordener Verhältnisse und bieten daher die Möglichkeit einer kalkulierbaren geschichtlichen Zukunft. Sie sind durchsetzt mit normativen Entscheidungen, die zwar geschichtliche Besonderheiten sind, aber auch eine prinzipielle Komponente aufweisen (Mollenhauer).

 

So lange Erziehungsziele durch Tradition, Sitte und Religion legitimiert wurden, gab es keine Normativitätsprobleme. Erst durch das Zerbröckeln dieser Legitimationsbestände und die Suche nach neuen Begründungen entstand das Problem der Legitimation von Erziehungszielen, da alles Erziehungshandeln einen Vorgriff auf die Zukunft enthält und ohne normative Gerichtetheit nicht auskommt.

 

Für Adorno bleibt das Neue jedoch nur eine abstrakte Hoffnung, eine Leerstelle, die bestimmt ist durch die Negation dessen, was nicht mehr sein soll. Es ist nicht möglich, diesen besseren Zustand antizipierend zu beschreiben oder die Entwicklung zu prognostizieren. Trotzdem verzichtet die Kritische Theorie nicht auf eine praktische Handlungsorientierung, die sich an der "Idee einer künftigen Gesellschaft als der Gemeinschaft freier Menschen" orientiert. "Das bis heute gefesselte Bewusstsein ist wohl des Neuen nicht einmal im Bilde mächtig; es träumt vom Neuen, aber vermag das Neue selbst nicht zu träumen."

 

Das Verhältnis von Pädagogik und Kritischer Theorie ist insofern problematisch, als die Kritische Theorie wesentlich Kritik am Bestehenden übt, während die Pädagogik als Handlungswissenschaft positive Ziele und Mittel der erzieherischen Praxis formulieren muss.

 

Klafki entwickelte das Konzept einer kritisch-konstruktiven Erziehungswissenschaft, in der Hermeneutik und Empirie unter ideologiekritischer Fragestellung ineinander übergehen: Die sinnverstehende Auslegung von gesellschaftlich-geschichtlichen Bedingungen mündet in empirisch zu überprüfende Fragestellungen. Empirisch gewonnene Ergebnisse haben ihren Stellenwert in der hermeneutischen Ermittlung ihrer Bedeutung im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse. Auf dieser Grundlage wird eine Planung kritisch-verändernder Erziehungspraxis ermöglicht, die wiederum der empirischen Kontrolle unterworfen wird usw. (Klafki).

 

Blankertz stellte eine "Kritische Didaktik" vor und grenzte sie von überlieferten pädagogischen Erfahrungsschätzen ebenso ab wie von der technologischen Curriculumentwicklung. Er befürchtete, der Begriff "Chancengleichheit" werde im volkswirtschaftlichen Kontext missbräuchlich angewendet, und zwar in dem Sinne, dass die letzten Begabungsreserven ausgeschöpft werden sollten. Daraufhin entwickelte er didaktische Strukturgitter, die "weder Lerninhalte noch Lernziele, sondern Kriterien für deren Beurteilung" sein sollten (Blankertz), im Gegensatz zum Bildungsbegriff, in dem sich "unausgewiesene Ideologien konservieren konnten."

 

Nach Lenzen soll das didaktische Strukturgitter dem Lernenden helfen, jene kognitiven Strukturen aufzubauen, die er als mündiges Subjekt braucht, um selbstbestimmt handeln zu können. Lenzen unterscheidet zwischen Oberflächen- und Tiefenstrukturen. Die Oberflächenstrukturen werden von der Umwelt, den sozialen Gegebenheiten gebildet, während Tiefenstrukturen die kognitiven Denkstrukturen des Menschen sind. In einem wechselseitigen Transformationsprozess interagieren beide miteinander wobei die Transformation von Tiefenstrukturen in Oberflächenstrukturen "Handeln" bedeutet und die Transformation von Oberflächenstrukturen in Tiefenstrukturen "Lernen". Durch Lernen werden kognitive Strukturen im Individuum erzeugt und verändert, es wird also Wirklichkeit konstruiert (Lenzen).

 

Schon für Horkheimer bestand Erkenntnis nicht nur in der Konstruktion von Wirklichkeit oder in der Abbildung der vorgefundenen Umwelt, sondern in ihrer wechselseitigen Vermittlung. Im Erkenntnisprozess verändert das Subjekt die Wirklichkeit genauso wie sich selbst. Die soziale Umwelt (Oberflächenstruktur) ist das Ergebnis der generierenden Tätigkeiten aller Gesellschaftsmitglieder.

 

Die Umwelt ist also immer schon "fremdstrukturiert"; insbesondere ist nach Lenzen der Unterricht durch den Lehrer "fremdkonstituiert". Dieser transformiert nämlich die gesellschaftlichen Oberflächenstrukturen und die von den Schülern eingebrachten Oberflächenstrukturen in Unterrichtsstrukturen, und zwar über seine eigene kognitive Struktur.

 

Durch den Einbezug der Schüleräußerungen in die Unterrichtshandlungen definiert Lenzen die konstitutive Roller der Schüleraktivitäten, wobei die Schüler selber handeln und - handelnd - lernen. Damit wird der Unterricht als ein kommunikatives Geschehen begriffen, wobei das didaktische Strukturgitter den Anspruch erhebt, "für die zu erziehende Generation und damit für die Zukunft einer Gesellschaft Partei zu nehmen im Sinne der Realisierung des guten Lebens"(Lenzen).

 

 

Birgit Sonnek

 

September 2003

 

 

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