Eisler, Riane: Kelch und Schwert (MATRIARCHAT)
Riane Eisler berichtet, wie neue wissenschaftliche
Datierungsmethoden von Radiokarbondaten sowie die Dendrochronologie im
Zusammenhang mit jüngeren Ausgrabungen ein ganz neues Bild auf die
geschichtliche Periode nach der Altsteinzeit geworfen haben. Demnach scheinen
die Ursprünge des geistigen Lebens von weiblicher Vorrangstellung, Ehrfurcht
vor dem Leben und dem Glauben an die Wiedergeburt geprägt zu sein. In
Übereinstimmung mit Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen wie Fritjof
Capra, Humberto Maturana oder David McClelland beschreibt Eisler religiöse
Traditionen, die sich über Tausende von Jahren erstreckten.
Die neuen Erkenntnisse berechtigten zur Hoffnung. Wenn es
vor Jahrtausenden bereits eine egalitäre Gesellschaft gegeben habe, die
friedlich und kooperativ zusammenlebte, könne es uns vielleicht gelingen, die
alten Kräfte wieder zu mobilisieren und die dazwischenliegenden Jahrtausende
der Aggressionen zu überwinden. Diese Variante der Rückbesinnung auf
Partnerschaft und Toleranz könnte uns vor der endgültigen atomaren Vernichtung
der Erde bewahren, meint Eisler.
Natürlich könne unsere Vergangenheit nicht unsere Zukunft
sein. Aber in welcher Richtung solle es weiter gehen? Dominatorisch oder
partnerschaftlich? Die Vorstellung vom Universum als alles spendende Mutter
habe sich über die antike Kunst und Mythologie bis in unsere Zeit erhalten.
Auch die Geschichte von Jesu Geburt, Tod und Auferstehung weise Ähnlichkeiten
mit früheren Mysterienkulten auf, in deren Mittelpunkt eine göttliche Mutter
und ihr Sohn/Gefährte stünden.
Das traditionelle gesellschaftliche Herrschaftsmodell gehe
von Patriarchaten oder Matriarchaten aus, in denen jeweils eine Hälfte der
Menschheit durch die andere beherrscht werde. In diesem Kontext sei die
neolithische Kultur fälschlich als Matriarchat bezeichnet worden. Das neue
Partnerschaftsmodell basiere jedoch auf Gleichberechtigung und sähe
Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht als Unter- oder Überlegenheit an,
sondern es werde heute als das ursprüngliche Ziel der kulturellen Evolution
betrachtet.
Nach dem Umbruch vom egalitären zum dominatorischen System
hätten Männer Jahrtausende hindurch das Schwert geführt, es sei das Symbol der
Männlichkeit schlechthin gewesen. In den prähistorischen Gesellschaften dagegen
habe die lebensspendende und -erhaltende Macht, symbolisiert durch den Kelch,
die höchste Verehrung genossen. Es seien jedoch nicht die Männer das
Grundproblem, sondern ein soziales System, welches die Macht des Schwertes zum
Ideal erhebe.
Alle neueren Bewegungen in der Folge der Aufklärung träten
für soziale Gerechtigkeit ein, wie der Feminismus, die Friedens- und
Umweltbewegung. Das könne als ein Zustreben auf die Transformation vom dominatorischen
zum partnerschaftlichen System gewertet werden. Die Wurzeln unserer globalen
Krisen reichten zurück zu jener fundamentalen Umwälzung in der Frühgeschichte,
nach der die lebenserhaltenden und -fördernden Techniken in den Hintergrund
wichen zugunsten derjenigen, die darauf abzielten, zu zerstören und zu beherrschen.
Doch das Herrschaftsmodell scheine mittlerweile seine
logischen Grenzen erreicht zu haben, und seine althergebrachten Prinzipien
würden von vielen Frauen und Männern abgelehnt. Die Transformation von der
Herrschaft zur Partnerschaft wäre eine Alternative und Rückbesinnung auf die
egalitären Gesellschaften unserer Vorfahren in der Steinzeit.
Die weiblichen Statuetten der Völker des Neolithikums seien
zusammen mit ihren Felsmalereien wichtige Zeugnisse des geistigen Lebens in der
Steinzeit. Sie bewiesen Ehrfurcht vor dem Mysterium des Lebens und dem des
Todes. Sie belegten den Glauben an die Wiedergeburt und bezeugten den Versuch,
die Vorgänge in der Natur unter Kontrolle zu bekommen als Ausdruck des Willens,
das Leben nach dem Tode fortzusetzen.
In altsteinzeitlichen Begräbnisstätten habe man häufig
Kauri-Muscheln gefunden. Sie glichen „dem Portal, durch das ein Kind die Welt
betritt“ und schienen als lebensspendendes Symbol mit einer weiblichen Gottheit
assoziiert worden zu sein. Auch die Anordnung der vagina-förmigen Muscheln um
die Gestorbenen herum weise auf das Ziel des Rituals hin, ihnen die Rückkehr
durch das Tor des Lebens zu erleichtern.
Diesen Kulthandlungen läge auch die Vorstellung zugrunde,
dass die Quelle menschlichen Lebens zugleich der Ursprung allen pflanzlichen
und tierischen Lebens sei - die große Muttergöttin als Alles-Spenderin. Aus
ihrem Schoß gingen die Menschen hervor, in ihn kehrten sie wieder ein, um
danach erneut aus ihm hervorzugehen. Der Tod sei damit tröstlich und habe allen
Schrecken verloren.
Durch ein männliches Vorurteil seien steinzeitliche
Wandmalereien bisher als Jagdszenen interpretiert worden, selbst wenn sie
tanzende Frauen darstellten. Doch habe die Göttin auch als Herrin von Tieren
und Pflanzen gegolten, die sie hervorbrachte. Daraus resultierten die häufigen
Darstellungen natürlicher Motive. Von den konservativen Archäologen seien
jedoch weibliche Formen der Anbetung entweder völlig ignoriert oder als bloße
männliche Sexualobjekte abgetan worden. Fischgrätenmuster seien als
Waffendarstellungen betrachtet worden, doch neueren Forschungen zufolge handele
es sich dabei um Pflanzen, Äste und Blätter.
Auch die Darstellung von weiblich-tierischen Mischwesen, die
frühere Autoren als Monstrositäten abgetan hätten, würden jetzt als Teil eines
frühen Kults angesehen, in dem unsere Vorfahren universelle Fragen nach dem
Woher und Wohin der Menschen zu formulieren suchten. Sie repräsentierten erste
Erkenntnisse des Ichs in seinem Verhältnis zur Natur sowie das Gefühl von
Ehrfurcht vor dem Mysterium, dass das Leben aus dem Leib der Frau hervorgehe.
Die Beweisstücke für diese über Tausende von Jahren sich
erstreckende religiöse Tradition seien erst nach dem Zweiten Weltkrieg
ausgegraben worden und hätten noch keinen Eingang in unsere Schulbücher
gefunden. Es handele sich um die Periode nach der Altsteinzeit, in der unsere
Vorfahren in den ersten agrarischen Gemeinschaften sesshaft geworden seien.
Alle jene Stätten, an denen erste große gesellschaftliche Fortschritte erzielt
wurden, hätten jedoch eines gemeinsam: Gott war eine Frau.
Für den überwiegend friedlichen Charakter dieser
kunstliebenden Völker spreche der Umstand, dass massive Befestigungsanlagen
sowie Hieb- und Stichwaffen völlig fehlten. Aus den Grabbeigaben gehe hervor,
dass Frauen und Männer gleichrangig waren, und viele Anzeichen sprächen für
eine matrilineare Orientierung, d.h. dass Abstammung und Erbe durch die Mutter
weitergegeben worden seien.
Nach der bisherigen Interpretation unserer kulturellen
Evolution scheine es eine geradlinige Progression von „primitiven“ zu sog.
„zivilisierten“ Menschen gegeben zu haben. Diese Sichtweise habe sich aber als
bloße Projektion des noch immer vorherrschenden dominatorischen Paradigmas
erwiesen. Nur alle dominatorischen Gesellschaften hätten eine wesentliche
Eigenschaft gemeinsam: Sie eroberten, töteten und herrschten.
Ein scharfer Kontrast neolithischer Völker zur Kunst
späterer Epochen läge darin, dass idealisierende Darstellungen bewaffneter
Macht, Grausamkeit und Gewaltherrschaft fehlten. Es gebe keinerlei
Darstellungen von „edlen Kriegern“ oder Schlachtenszenen, keine „heldenhaften
Eroberer“, die ihre Gefangene in Ketten legten, noch irgendwelche anderen
Beweise für Sklaverei. Ebenso fehle jeder Hinweis darauf, dass mächtigen
Herrschern anlässlich ihres Todes weniger mächtige Menschen geopfert worden
seien, um sie ins Jenseits zu begleiten.
In der neolithischen Kunst trügen weder die Göttin noch ihr
Sohn/Gefährte jene Sinnbilder der Macht wie Speere, Schwerter oder Donnerkeile;
Symbole eines Herrschers, der Gehorsam erzwinge, indem er töte und verstümmele.
Statt dessen bezeugten eine Fülle von Natursymbolen Ehrfurcht und Staunen vor
der Schönheit des Lebens. Das zentrale religiöse Symbol sei eine gebärende Frau
statt eines sterbenden Gekreuzigten gewesen. Leben und Lebensfreude, nicht Tod
und Todesangst hätten in jener Gesellschaft und ihrer Kunst eine dominierende
Rolle gespielt.
Die Göttin sei in allen frühen agrarischen Gesellschaften
verehrt und in ihren verschiedenen Erscheinungsformen als Mutter, Schöpferin
oder Mädchen dargestellt worden, im kleinasiatisch-südosteuropäischen Raum
ebenso wie in Thailand, oder später in Mittelamerika in der Inkarnation als
Vogel- oder Schlangengöttin mit regenspendenden und milchgebenden Motiven. Dies
alles sei Teil unseres kulturellen Erbes, obwohl diese Erkenntnis bisher kaum
Eingang in unsere Lehrpläne gefunden habe. Es habe die Grundlage geformt, auf
der alle späteren Kulturen aufbauten.
Einen Grund für die lange Verschleierung dieser Umstände
sieht Eisler in der Gepflogenheit der „Gelehrten“, die Anbetung der Göttin
nicht als Religion, sondern als „Fruchtbarkeitskult“, und die Göttin selbst als
„Erdenmutter“ zu apostrophieren. Doch in prähistorischen Zeiten seien Leben und
Religion identisch gewesen, sie hätten gemeinsam die damalige Weltanschauung
ausgedrückt. Das Oberhaupt der heiligen Familie sei eine Frau gewesen - die
große Mutter, Himmelskönigin, die Göttin in ihren verschiedenen Funktionen.
Aber auch die männlichen Mitglieder dieses Pantheons seien göttlich gewesen, im
Gegensatz zu der heiligen Familie des Christentums, in der die einzige Frau
eine Sterbliche sei.
Aufgrund der zunehmenden Belege, dass die oberste Gottheit
der Menschen über Jahrtausende eine Frau gewesen sei, hätten die Gelehrten auf
ein Matriarchat geschlossen und angenommen, dass Frauen über die Männer
geherrscht hätten. Doch die These der weiblichen Vorherrschaft scheine sich
nicht zu bestätigen, sondern der archäologische Befund deute auf eine egalitäre
Gesellschaft hin, deren Erbfolge matrilinear war. Frauen hätten als
Priesterinnen und Oberhäupter der Sippen zwar Führungsrollen inne gehabt, doch
fehle jeder Hinweis darauf, dass Männer unterdrückt worden seien.
Dieser scheinbare Widerspruch wird von der Autorin auf die
Ausweglosigkeit kultureller und linguistischer Vorurteile zurückgeführt, die
untrennbar mit dem dominatorischen Paradigma verbunden seien, dass menschliche
Beziehungen zwangsläufig in eine Hackordnung passen müssten, in der es ein Oben
und ein Unten gebe. Als Beispiel wird die Beziehung zwischen Mutter und Kind
angeführt: Hierarchisch gesehen sei die Mutter dem Kind zwar überlegen, doch
werde ein Kind deshalb nicht als minderwertig betrachtet. Männer und Frauen
seien gleichermaßen Kinder der Göttin gewesen, und dies Verhältnis sei durch
die Mutter als Sippenoberhaupt repräsentiert worden.
Die weibliche Vorrangstellung sei jedoch nicht mit
Unterdrückung, Privilegien und Angst einher gegangen, sondern vielmehr mit
Verantwortung und Liebe. Jene Gesellschaft könne keineswegs matriarchalisch
genannt werden. Da sie ebenso wenig patriarchalisch gewesen sei, biete sich als
Alternative eine partnerschaftlich strukturierte Gesellschaft an, in der
Unterschiedlichkeit nicht mit Unter- und Überlegenheit gleichgesetzt wurde.
Wie die Voreingenommenheit zu grob verzerrten Bildern der
menschlichen Evolution und Entwicklung der Zivilisation geführt habe, zeige
sich am Beispiel der Entdeckung einer technologisch so fortgeschrittenen und
gesellschaftlich komplexen Kultur wie der minoischen auf Kreta in der Mitte
dieses Jahrhunderts. In dieser Zivilisation sei das ganze Leben durchdrungen
gewesen von glühender Verehrung für die Göttin Natur, Ursprung aller Schöpfung
und Harmonie. Dies habe zu Friedensliebe und zur Verachtung aller Tyrannei
geführt. Persönlicher Ehrgeiz scheine unbekannt gewesen zu sein, denn nirgends
seien Hinweise auf die Künstler zu finden. Es existierten auch keine Berichte
über die Heldentaten einzelner Herrscher, sie seien nicht einmal in Statuen
oder Reliefs verewigt worden.
In den Städten Kretas habe es keine militärischen
Befestigungsanlagen gegeben. Die ungeschützten Häuser und Villen hätten
keinerlei Hinweis auf kriegerische Auseinandersetzungen gezeigt. Das
unterstütze die Hoffnung, dass ein friedvolles Zusammenleben der Menschen keine
utopische Träumerei sein müsse, sondern möglich sei. Auch die Respektierung
unseres Einsseins mit der Natur gewänne heute zunehmend an Bedeutung als
Voraussetzung für das ökologische Überleben. Macht müsse nicht zwangsläufig
gleichgesetzt werden mit Herrschaftsanspruch, Zerstörung und Unterdrückung. In
Kreta habe jede Spur von kriegerischen Triumphen, Erniedrigung und
Abschlachtung von Feinden als Manifestationen männlichen Stolzes und gedankenloser
Grausamkeit gefehlt.
Die prä-patriarchalische Kultur des alten Kreta habe auch
faszinierende Hinweise auf die Ursprünge vieler Wertvorstellungen geliefert.
Die Überzeugung, eine Regierung möge die Interessen des Volkes repräsentieren,
scheine lange vor der sogenannten Geburt der Demokratie im klassischen
Griechenland auf Kreta eine Vorläuferin gehabt zu haben. Das heute als aktuell
diskutierte Verständnis von Macht als Verantwortung statt Herrschaft erscheine
ebenso als Wiederkehr einer vergangenen Weltsicht aus der Vergangenheit.
Die Behauptung, ein Staat erfordere einen hierarchischen
Aufbau, kriegerische Einstellung („Verteidigungsbereitschaft“) sowie die
Unterjochung der Frau, sei nicht mehr aufrecht zu erhalten. Auf Kreta, dessen
Reichtum, hohes künstlerisches und handwerkliches Niveau und blühender Handel
geradezu legendär seien, sei auch die Einführung neuer Technologien und
zunehmender Spezialisierung in keiner Weise mit einer Verschlechterung des
Status der Frau einher gegangen.
Die Kreter schienen ihre Aggressivität nicht zuletzt durch
ein freies, ausgeglichenes Sexualleben reduziert zu haben. Im Verbund mit ihrer
Begeisterung für Sport, Spiel und Tanz, ihrer Kreativität und Lebensfreude, habe
offensichtlich auch die liberale Einstellung zur Sexualität zu der friedlichen
und harmonischen Atmosphäre beigetragen, von der das Leben durchdrungen gewesen
sei. Feminine Tugenden wie Friedfertigkeit und Einfühlungsvermögen hätten hohes
gesellschaftliches Ansehen genossen, und die zentrale Rolle der Frau sei so
auffällig, dass sie kaum von einem Wissenschaftler ignoriert werden könne.
Trotzdem seien Darstellungen weiblicher Diskussionen anfangs
von den Archäologen noch als „Weiberklatsch über gesellschaftliche Skandale“
abgetan und damit das Offensichtliche der vorherrschenden Ideologie angepasst
worden. Die hervorragende gesellschaftliche Rolle der Frauen und ihre aktive
Beteiligung an allen öffentlichen Aspekten seien auf eine Abwesenheit der seereisenden
Männer zurückgeführt worden.
Das Spätpaläolithikum habe vor 30.000 Jahren begonnen, die
landwirtschaftliche Revolution vor 10.000 Jahren. Der Untergang der kretischen
Zivilisation liege erst 3.200 Jahre zurück. In dieser Zeitspanne habe die
Technologie noch der Verbesserung von Lebensqualität gedient. Auf dem Gebiet
der Nahrungsmittelproduktion seien enorme Fortschritte erzielt worden, ebenso
in der Baukunst und Stadtplanung. Die Entwicklung der Web- und Nähkunst habe
das Tragen von Tierhäuten und Fellen abgelöst, und die Künste hätten eine
Hochblüte erlebt.
Die menschliche Abstammung sei über die Linie der Mutter
verfolgt worden. Die Stammesmütter hätten Anbau und Verteilung der Feldfrüchte
verwaltet, die als gemeinsames Gut betrachtet worden seien. Der gemeinsame
Besitz der wichtigsten Produktionsmittel habe zu einer kooperativen sozialen
Organisation geführt. Frauen und Männer hätten gleichermaßen für das
Allgemeinwohl gearbeitet. Die überlegene Körperkraft der Männer sei nicht die
Basis gesellschaftlicher Unterdrückung oder organisierter Kriegszüge gewesen,
und es sei auch nicht zu einer Konzentration des Privateigentums in den Händen
der Stärksten gekommen. Maskuline Werte hätten nicht über feminine triumphiert.
Die vorherrschende Ideologie sei gynozentrisch gewesen: In
ihrem Mittelpunkt hätte die Frau gestanden, repräsentiert durch eine Gottheit
in weiblicher Gestalt. Symbolisiert durch den weiblichen Kelch als Quelle allen
Lebens hätten die hervorbringenden, nährenden und kreativen Kräfte der Natur -
und nicht die Kräfte der Zerstörung - die höchsten Werte dargestellt.
Der kulturelle Niedergang der neolithischen Gesellschaft
habe in Kleinasien wie im Alten Europa im fünften vorchristlichen Jahrtausend
begonnen mit der ersten Welle von Invasoren aus der Peripherie der damals
bekannten Welt. Diese Nomadenstämme aus den kälteren, unwirtlichen Randgebieten
im Nordosten hätten neue Weideplätze für ihre Herden gesucht und Unruhen in
vielen Gebieten verursacht. Gleichzeitig seien große Naturkatastrophen wie
Erdbeben und Überflutungen aufgetreten, die Verwüstungen und Erschütterungen
nach sich zogen.
Die dadurch geschwächte agrarische Bevölkerung habe von den
nachfolgenden Invasionswellen der „Kurganvölker“ leicht überrannt und erobert
werden können. In dieser Zeit sei die bemalte Keramik verschwunden. Die
Zerstörung sei voran geschritten, es habe eine Periode kulturellen Niedergangs
und der Stagnation begonnen, die schließlich zu einem völligen Stillstand der
zivilisatorischen Entwicklung geführt habe. Zweitausend Jahre seien vergangen,
ehe mit Sumer und Ägypten zwei neue Hochkulturen entstanden seien.
Dank einer immer größeren Zahl zur Verfügung stehender
Radiokarbondaten ließen sich im prähistorischen Europa große Bevölkerungsverschiebungen
durch Einfälle von steppenbewohnenden Hirtenvölkern nachweisen. Die
Kurganvölker gehörten der indogermanischen oder arischen Sprachgruppe an.
Beherrscht von mächtigen Priestern und Kriegern, hätten sie ihre männlichen
Kriegs- und Berggötter mitgebracht und mit der Zeit in den von ihnen eroberten
Gebieten ihre Ideologien und Lebensweisen durchgesetzt.
Andere nomadische Invasionen hätten aus semitischen Stämmen
bestanden, die aus den Wüsten im Süden kamen und Kanaan eroberten (heute
Palästina). Ebenso wie die Indoeuropäer seien sie ein kriegerisches, von einer
Krieger- und Priesterkaste (dem levitischen Stamm des Moses) beherrschtes Volk
gewesen, hätten einen aggressiven Kriegs- und Berggott mit sich gebracht und
den Völkern in den von ihnen eroberten Gebieten ihre Ideologie und ihren Lebensstil
aufoktroyiert.
Beide Eroberer hätten ähnliche gesellschaftliche Strukturen
aufgewiesen: ein soziales System, in dem Männerherrschaft, Männergewalt und
eine hierarchische und autoritäre Organisation dominierten. Materieller
Wohlstand sei bei ihnen nicht durch die Entwicklung neuer
Produktionstechnologien, sondern durch effektivere Zerstörungstechnologien
geschaffen worden. Friedrich Engels gelte als der erste, der die Verbindung
zwischen Männerherrschaft, Entstehung von Hierarchien und einer auf dem Privateigentum
basierenden Klassengesellschaft hergestellt habe. Er habe bereits einen Zusammenhang
zwischen dem Wandel vom matrilinearen zum patrilinearen System und der
Entwicklung der Kupfer- und Bronzeverarbeitung zu einer effektiveren Waffenherstellungsmethode
gesehen.
Aufgrund neuer Datierungsmethoden wisse man aber heute, dass
die Männerherrschaft nicht mit dem Übergang von der Jäger- und
Sammlergesellschaft zu Ackerbau- und Viehzuchtbetreibern begann, sondern erst
viel später, im Laufe der sich über Jahrtausende hinziehenden Infiltration der
Hirtenvölker in den fruchtbaren Gegenden, in denen der Ackerbau bereits
betrieben wurde. Kriege seien ein wesentliches Instrument bei der Verdrängung
des Partnerschaftsmodells durch das Dominatormodell gewesen.
Die Höhlenzeichnungen aus dieser Zeit belegten, dass nun das
Schwert als Symbol für die Macht der Kriegsgötter angebetet wurde. Eisler führt
die Verdrängung der Göttin und mit ihr die Degradierung aller Frauen zu
männlichem Besitz auf die Invasionen in den entwickelten Kulturzonen zurück und
nicht auf die den Männern dämmernde Erkenntnis, dass auch sie bei der
Fortpflanzung eine Rolle spielten.
Der tiefgreifende Normenwandel habe aus zwei völlig
verschiedenen Ideologien resultiert: Die wirtschaftliche Basis der Alten
Europäer sei der Ackerbau gewesen, die der Indoeuropäer die nomadische Vieh-
und Weidewirtschaft. Das alte Glaubenssystem habe den agrarischen Zyklus von
Geburt, Tod und Wiedergeburt beinhaltet, verkörpert durch die schöpferische
Allmutter. Waffendarstellungen seien unbekannt gewesen. Die Kurgan-Ideologie
habe dagegen männliche, heroische Krieger-Gottheiten verherrlicht, Dolch und
Streitaxt seien ihre vorherrschenden Symbole gewesen. Oft seien die
Kriegsgötter allein durch Waffen repräsentiert worden, die an ihrer Stelle
angebetet wurden.
Die Anfänge der Sklaverei stünden in enger Verbindung mit
jenen bewaffneten Invasionen. Frauen gehörten ebenso zur Beute wie Schafe,
Rinder und Esel, so dass die weibliche Bevölkerung oft aus unterschiedlichen
Völkern stammte. In den Gräbern dieser Zeit seien erstmalig neben grobknochigen
männlichen Skeletten die Gebeine geopferter Frauen, Sklavinnen oder Konkubinen
gefunden worden. Vielweiberei sei an der Tagesordnung gewesen. Die Grabstätten
gäben Hinweise auf Beherrschungs- und Zerstörungstechnologien ebenso wie auf
eine Strategie der ideologischen Vernichtung oder Übernahme: Männer hätten sich
bedeutende religiöse Symbole angeeignet, welche die von ihnen unterdrückten
Völker zur Verehrung der Göttin benutzten, wobei eine Umkehrung der religiösen
Bedeutung stattgefunden habe.
Jahrtausende alte Traditionen seien verstümmelt, Städte und
Dörfer zerstört worden, die bemalte Keramik ebenso verschwunden wie Schreine,
Fresken, Skulpturen und Schriften. Dafür sei eine neue Symbolik aufgetaucht:
der bewaffnete Mann zu Pferde. Stammeshäuptlinge hätten sich den Reichtum der
Allgemeinheit angeeignet und ihn mitsamt ihrer Frauen, Kinder, Tieropfer und
Waffen mit ins Grab genommen. Dagegen sei jetzt auch die übrige Kultur der
frühen Europäer als friedfertig und demokratisch klassifiziert worden, aufgrund
neuer Ausgrabungen aus den sechziger und siebziger Jahren sowie der Neuordnung
alter Funde nach dendrochronologisch kalibrierten Radiokarbondaten.
Jede neue Invasionswelle habe neben äußerer Verwüstung auch
weitere kulturelle Verarmungen hinterlassen. Es habe nur noch wenige Nischen
gegeben, in denen die alte Lebensweise erhalten geblieben sei: im heutigen
Rumänien und Transsylvanien beispielsweise. Unzählige Menschen seien ermordet,
versklavt oder vertrieben worden. Das Ergebnis seien Bevölkerungsverschiebungen
gewesen, die sich wie Kettenreaktionen fortgepflanzt hätten. Die neuen
patrilinearen, hierarchischen Gesellschaften hätten zwar viele Technologien der
alten Völker übernommen, seien aber in kultureller Hinsicht längst nicht so
fortgeschritten gewesen wie die Kulturen, an deren Stelle sie traten. Die
Kunstwerke seien jetzt von auffälliger Uniformität und qualitativ minderwertig
gewesen.
In allen Städten und Dörfern seien Befestigungen entstanden,
und befestigte Herrensitze oder Bergfestungen hätten begonnen, die alten
offenen Siedlungen zu ersetzen. Die beherrschende und zerstörende Macht des
Schwerts habe Zug um Zug die Vorstellung von Macht als lebensspendender und
nährender Kraft ersetzt. Die stärksten und rohesten Männer seien an die Spitze
des hierarchischen Systems getreten, gleichzeitig seien Frauen, deren Symbol
der lebensspendende Kelch war, auf einen Status der Produktion und Reproduktion
reduziert worden, wobei Männer die Kontrolle ausübten.
Die Göttin sei zur Gemahlin männlicher Gottheiten geworden,
die nun den höchsten Rang eingenommen hätten. Die soziale und ideologische
Struktur habe sich weit mehr am Tod als am Leben orientiert. In Kreta seien die
Gottheiten des späteren olympischen Pantheons (Zeus, Hera, Athene u.a.) jedoch
schon Jahrhunderte vor ihrer nächsten Erwähnung bei Hesiod und Homer verehrt
worden. Die Menschen jener entsetzlichen Zeiten erlebten den Himmel, der einst
Wohnsitz einer wohlwollenden Göttin gewesen sei, als von unmenschlichen und
übernatürlichen Kräften erobert, die im Bunde mit ihren brutalen Repräsentanten
auf Erden standen.
In der Epoche zwischen 1500 und 1100 v.u.Z. habe sich nicht
nur die Herrschaft des göttlich geweihten starken Mannes endgültig
durchgesetzt, sondern auch die Natur sei zur gleichen Zeit in ein ungewöhnlich
intensives Chaos gestürzt. Der Mittelmeerraum sei von einer ganzen Serie
gewaltiger Vulkanausbrüche, Erdbeben und Springfluten heimgesucht worden.
Gleichzeitig seien von Norden her die Dorer immer weiter nach Südosteuropa
vorgedrungen, bis schließlich Griechenland und Kreta unter dem Ansturm der eisernen
Waffen gefallen seien.
Am Ende dieser Epoche hätten sich die verschiedensten Völker
feindlich gegenüber gestanden. Die Welt schien in Stücke gefallen zu sein, und
verzweifelte Flüchtlingsströme hätten sich nach Süden ergossen, um die dortigen
Kulturen zu überschwemmen. In Assyrien habe das Ausmaß der Barbarei einen
vorläufigen Höhepunkt erreicht. Friede und Harmonie seien zu Mythen und
Legenden einer längst versunkenen Zeit geworden, bevor die Menschheit in eine
gewaltsame Transformation gestürzt sei.
Heute, Jahrtausende später, scheine eine zweite
Transformation bevorzustehen: zurück von der dominatorischen in eine
partnerschaftliche Gesellschaft. Doch heute verfügten wir über so umfassende
Zerstörungstechnologien, dass die ganze Erde vernichtet werden könnte, wenn
nicht rechtzeitig ein Wandel in friedlichere Gesellschaftsformen gelänge.
Hesiod habe ca. 600 v.u.Z. von einem „goldenen Geschlecht“
berichtet, das vor langer Zeit „wie Götter“ gelebt habe, das Herz ohne Kummer
hatte und kein Unheil kannte. Danach sei ein „viel geringeres silbernes“
gekommen, das wieder durch ein drittes „aus Erz“ ersetzt worden sei, wild
strotzend von Kraft. Die historische Identität der Bronze- und
Eisengeschlechter mit den archäischen und dorischen Eindringlingen indoeuropäischer
Herkunft gelte als unumstritten. Hesiods Darstellung des Goldenen Zeitalters,
bisher als reine Phantasie abgetan, wird von Eisler auf die Geschichte des
minoischen Kreta zurückgeführt, ebenso wie das von Platon beschriebene
Atlantis.
Der biblische Mythos des Garten Eden könne ebenfalls eine
allegorische Beschreibung des Neolithikums darstellen, in der Frauen und Männer
erstmals den Boden bearbeiteten und somit den ersten „Garten“ schufen. In der Geschichte
von Kain und Abel spiegele sich die reale Konfrontation zwischen Hirtenvölkern
(symbolisiert durch das Schafsopfer Abels) und einer bäuerlichen Bevölkerung
(symbolisiert durch die von Kain dargebotenen, von Gott zurückgewiesenen
„Früchte des Feldes“) wider. Die Vertreibung aus dem Paradies reflektiere den
einschneidenden Kulturwandel von Friede und Partnerschaft zu männlicher
Dominanz und Herrschaftsdenken.
In mesopotamischen Inschriften und Legenden „wimmele es
geradezu“ von Hinweisen auf eine Göttin als höchste Gottheit, im alten
Testament sei von einer „Himmelskönigin“ die Rede, gegen deren Wiedererstarken
die Propheten zu Felde gezogen seien. Auch in der frühsumerischen Religion
hätten Göttinnen eine vorrangige Position eingenommen. Ebenso gingen die
humaneren Sitten und Gesetze - wie etwa die Forderung, Bedürftige seien von der
Gemeinschaft zu unterstützen - auf die Ära der partnerschaftlichen
Gesellschaften zurück. Die Verehrung der Göttin als Gesetzgeberin lasse auf ein
differenziertes Rechtssystem schließen, in dem sumerische Priesterinnen
Streitigkeiten schlichteten.
Auch heute noch sei die Auffassung weit verbreitet, der
Krieg sei der „Vater der Dinge“, und ohne das Blutvergießen und die
Grausamkeiten seit der Zeit der Sumerer und Assyrer hätte es keinen technologischen
und kulturellen Fortschritt gegeben. Die Friedfertigkeit der „Wilden“, die vor
unseren „ältesten Zivilisationen“ die Erde bevölkerten, gelte als ein Zeichen
für Rückständigkeit und mangelnde Intelligenz, die nichts von bleibendem Wert
habe hervorbringen können.
Das heute vorliegende Quellenmaterial, die Ergebnisse neuer
archäologischer Ausgrabungen sowie eine Vielzahl alter Mythen und Legenden
deuteten jedoch auf eine andere Wirklichkeit hin. Danach seien praktisch alle
materiellen und sozialen Technologien, auf denen unsere Zivilisation aufbaut,
schon vor Einbruch der dominatorischen Gesellschaft entwickelt worden - und
dies sei eines der bestgehüteten historischen Geheimnisse. Die Menschen der
Alten Gesellschaft seien jedenfalls der Meinung gewesen, sie hätten „die
Geschenke der Zivilisation“ allein der Göttin zu verdanken.
Auch im Hinblick auf noch ältere Zeiten, in denen unsere
Primaten-Vorfahren sich zu Menschen entwickelten, beginne die Wissenschaft das
alte Evolutionsmodell vom „Mann als Jäger“ zu revidieren. Die ersten Werkzeuge
der Menschen hätten offensichtlich nicht zum Töten von Beutetieren und menschlichen
Konkurrenten gedient, sondern die Entwicklung eines leistungsfähigeren Gehirns
werde vielmehr auf die Nahrungsmittelbearbeitung zurückgeführt. Zumindest
würden bei den heutigen Primaten die Werkzeuge häufiger von Weibchen als von
Männchen benutzt. Bei der Evolution unserer Art scheine also nicht so sehr der
Mann als Jäger, sondern auch die Frau als Sammlerin eine entscheidende Rolle
gespielt zu haben. Unser neues Bild von der Vergangenheit zeige nicht nur
jagende und tötende Männer, sondern vor allem auch Mütter und Kinder, die
miteinander teilten.
Ebenso werde die Domestizierung von Pflanzen und Tieren, als
grundlegendste aller materiellen Technologien, den Frauen zugeschrieben. Auch
in heutigen Sammler- und Jägergesellschaften seien normalerweise Frauen, nicht
Männer mit der Nahrungsmittelherstellung betraut. Töpferei, Web- und Spinnkunst
seien gleichermaßen von Frauen erfunden worden. Weiblichkeit sei schon in sehr
alten Zeiten mit Gerechtigkeit, Weisheit und Intelligenz assoziiert und mit
dementsprechenden Göttinnen in Verbindung gebracht worden. Das gleiche gelte
für die Assoziation der Göttin mit der Schlange, was die Heilkunst und die
Weissagung betraf.
Selbst die Erfindung der Schrift habe wahrscheinlich
feminine Wurzeln. Zumindest sei in Sumer und Indien die Göttin als Erfinderin
von Tontäfelchen, Schreibkunst und des ersten Alphabets angeführt worden, so
dass die Anfänge der Schrift vermutlich weit ins Neolithikum zurückreichten und
nicht, wie bisher angenommen, um 3.200 v.u.Z. anzusiedeln seien. Neue
wissenschaftliche Datierungsmethoden hätten auch nachgewiesen, dass die
ältesten Schriftkulturen bereits zwischen 5.300 und 4.000 v.u.Z. existierten.
Die erste rudimentäre Form einer linearen Schrift stelle
Welterklärungsvorstellungen aus jener Zeit dar.
Scheinbar seien wir alle falschen Legenden aufgesessen über
eine Zeit, in der in Wahrheit Friede und Wohlstand geherrscht habe und noch
kein männlicher Gott verfügte, die Frau habe dem Manne untertan zu sein.
Männerherrschaft und männliche Gewalt seien keineswegs unvermeidlich oder ewig
gültig, und der angeblich utopische Traum von einer friedlichen Welt
gleichberechtigter Menschen erweise sich als durchaus reale Zukunftschance.
Allerdings gebe es auch Hinweise auf Menschenopfer aus dieser Zeit, die als
Versuch gedeutet würden, den universellen Ablauf zu beeinflussen. Die Kunst des
Neolithiums werde oft als irrational bezeichnet, weil die Darstellung von Wesen,
die aus Märchen, Horrorfilmen oder Science fiction zu entstammen schienen,
einen großen Raum einnehme.
Besser sei jedoch die Beschreibung dieser Kunst als eine
prä-rationale Weltanschauung, die im Gegensatz zu unserer empirischen Denkweise
einem intuitiven, phantasiereichen und mythischen Bewusstsein entspringe.
Allerdings seien die friedlichen Steinzeitmenschen keineswegs nur
rechtshirnige, von Göttern besessene Automaten gewesen, und das linkshirnige,
logische Bewusstsein sei auch nicht erst in der Folge von Invasionen und
Naturkatastrophen entstanden, mit denen sie sich auseinandersetzen mussten.
Vielmehr deute die höchst komplizierte Architektur mit ihren sanitären
Einrichtungen, der blühende Handel, die Sternenkunde sowie das nautische Wissen
der Kreter auf eine rege Nutzung beider Hirnhälften hin.
Dieser Umstand habe auch dazu geführt, dass in den
prähistorischen, partnerschaftlich orientierten Gesellschaften technische
Fortschritte dazu dienten, das Leben angenehmer zu gestalten. In dieser
Beziehung seien sie unserer modernen High-Tech-Gesellschaft weit überlegen
gewesen, in der jedes Jahr Millionen von Kindern zum Hungertod verurteilt
seien, während gleichzeitig Milliarden Dollar für immer ausgefeiltere
Tötungsmethoden ausgegeben würden. In diesem Kontext gewinne die Suche nach
verlorengegangenen Geisteshaltungen oder mystischer Weisheit eine ganz andere
Perspektive.
Die ausbeutende und unterdrückende Ideologie unserer Zeit
stehe in krassem Gegensatz zur Empfindung einer Einheit mit der Natur, in der
alle lebende Materie ein einziges kompliziertes, durch viele Querverbindungen
miteinander verwobenes Lebenssystem bilde. Die Bevorzugung der tröstenden
Vorstellung einer Göttin als gebende und nährende Mutter im Gegensatz zu einer
strafenden männlichen Gottheit werde untermauert durch die Hartnäckigkeit, mit
der über Jahrtausende hinweg die Jungfrau Maria verehrt werde.
Das neue Wissen um den tatsächlichen Verlauf unserer
kulturellen Evolution stelle eine enorme Herausforderung für das herrschende
System dar, und es gebe massive Bestrebungen, es zu unterdrücken. Überhaupt
liege Informationsunterdrückung in der Dynamik der dominatorischen
Gesellschaft, und die von Intellektuellen unternommenen Versuche, die Realität
einer dominatorischen Weltsicht anzupassen, wiesen auf eine weit in die
Vorgeschichte zurückreichende Tradition, wie zahlreiche Beispiele aus der
Archäologie zeigten. Die Feder habe sich als ebenso mächtig erwiesen wie das
Schwert.
Der altgriechische Dichter Aischylos habe Apollo verkünden
lassen, dass Kinder nicht mit ihren Müttern verwandt seien, da diese ja das
Kind nicht zeugten, sondern nur den eingesäten Samen austrügen. Damit sei Orest
freigesprochen worden, der mit seinem Muttermord nun kein Sippenmitglied geschädigt
hatte, und gleichzeitig sei den Frauen eine Lektion erteilt worden zu einer
Zeit, in der heftige Auseinandersetzungen zwischen matriarchalischen und patriarchalischen
Kulturen getobt hätten.
Ausgerechnet Athene, die in der Nachfolge der Göttin stand,
habe das Urteil ausgesprochen, und ganz Athen habe in der Orestie miterleben
können, wie die zu einer älteren Göttergeneration gehörigen Furien,
Schicksalsgöttinnen oder Eumeniden schließlich nachgaben und die neue Ordnung
bestätigten, nach der Muttermord kein gotteslästerliches Verbrechen war, weil
keine matrilineare Beziehung mehr existierte.
Zur Ablösung der partnerschaftlich orientierten sozialen
Organisation durch eine dominatorische, die sich auf Gewalt und Zwang stützte,
seien grundlegende Veränderungen erforderlich gewesen. Durch Manipulation von
Informationen sei die menschliche Realitätsvorstellung und -verarbeitung völlig
transformiert worden, mal brutal und vorsätzlich, mal subtil oder
unwissentlich. Dazu hätten Bücherverbrennungen und die Ermordung von Häretikern
ebenso gehört wie öffentliche Inquisitionen und Exekutionen. Die repressive
Konditionierung habe sowohl die Kindererziehung als auch die Gesetzgebung
beeinflusst.
Die Staatsmacht habe nur noch den ausbeutenden männlichen
Eliten gedient. Hinter den Priestern, die bei den Menschen Angst vor den neuen
Gottheiten verbreiteten, hätten Armeen, Gerichte und Henker gestanden. Die
Menschen hätten lernen sollen, den Göttern und ihren irdischen Repräsentanten
zu gehorchen, so willkürlich, ungerecht und grausam sie sich auch ihrer Macht
über Leben und Tod bedienten.
Lesbare oder hörbare Informationen hätten nichts anderes als
die öffentlich sanktionierten Meinungen vermittelt. Mythen, Rituale und Lieder
aus früheren Zeiten seien immer mehr verdreht und verfälscht worden. Priester,
Liederdichter, Poeten und Schreiber hätten sie in Geschichten verwandelt, von
denen sie glaubten, dass sie Gnade vor den Augen ihrer Herren finden würden.
Die ständige Anpassung und Umformulierung sei Bestandteil eines Prozesses der
Normenveränderung gewesen, der dazu geführt habe, dass eine männerbeherrschte,
gewalttätige und hierarchische Gesellschaftsordnung mit der Zeit nicht nur als
normal, sondern als die einzig richtige aufgefasst worden sei.
Das Umschreiben heiliger Geschichten und die Neufassung von
Gesetzestexten seien in Mesopotamien, Kanaan, Judäa und Israel hauptsächlich
das Werk von Priestern gewesen. Das Alte Testament sei von einer Gruppe
jüdischer Priester bereinigt und ergänzt worden, was heute von Religionswissenschaftlern
als Verschwörung bezeichnet werde. So habe es ursprünglich in der Genesis
geheißen, dass Frau und Mann gleichzeitig von Gott erschaffen worden seien. Die
Erschaffung Evas aus Adams Rippe sei eine nachträgliche Änderung gewesen.
Die Schlange als eines der Hauptsymbole der Göttin sei in
der griechischen Mythologie zu einem neuen Machtsymbol des Zeus geworden. Doch
seien auch die zahlreichen Schlangentötungen in Legenden als Symbole für die Zerschlagung
der alten Macht anzusehen. Im alten Testament führe der Rat der Schlange und
seine Befolgung durch Eva zur ewigen Verdammnis der Menschheit. Hier werde
symbolisch der weibliche Prototyp (Eva) in der Nachfolge der Göttin für ihre
Missachtung eines göttlichen (männlichen) Befehls bestraft.
Wie der Baum der Erkenntnis sei auch der Baum des Lebens in
der älteren Mythologie ein Symbol der Göttin gewesen. Die göttliche Weisheit
und Offenbarung sei durch eine Priesterin (Sibylle) verkündet worden. Dass der
göttliche Emporkömmling Jehowa Eva verboten habe, Früchte vom heiligen Baum der
Erkenntnis zu essen, erscheine in diesem Licht wie ein Sakrileg. Aus dem
gehörnten Stier als Träger prophetischer Weisheit sei der hufetragende Teufel
geworden und damit ein weiteres Symbol der Göttin zur Verkörperung des Bösen
herangezogen worden, verbunden mit der Beschuldigung der Frau, für alles Übel
der Welt verantwortlich zu sein.
Die furchtbaren Konsequenzen von Evas Ungehorsam hätten als
unmissverständliche Warnung der Frauen gegolten, am Kult der Göttin festzuhalten.
Da sie als Frau viel enger mit der Göttin verbunden gewesen sei als Adam, habe
Eva auch viel härter bestraft werden müssen. Sie sollte nun für alle Zeit von
diesem rachsüchtigen Gott beherrscht werden und von seinem Repräsentanten auf
Erden - dem Mann. Sowohl die Verteufelung der Schlange als auch die Assoziation
der Frau mit dem Bösen hätten der Diskreditierung der Göttin gedient. Legenden
aus dieser Zeit berichteten von der Ermordung oder Vergewaltigung der Göttin
oder ihrer Degradierung zur Ehefrau.
Mit der Entfernung von Frauen aus ihren ehemaligen
Positionen in Macht und Verantwortung sei es noch nicht getan gewesen.
Technologische Fortschritte hätten zur Konsolidierung des hierarchischen
Systems gedient, wobei den Zerstörungstechnologien höchste Priorität eingeräumt
worden sei. Neue administrative Funktionen seien von den starken Männern der
Eroberervölker und ihren Nachkommen besetzt worden. Die Quantität der
materiellen Güter habe zugenommen, wobei die Verteilung jetzt hierarchisch
erfolgt sei. Der Hauptteil der Güterproduktion sei von den Männern an der
Spitze vereinnahmt worden, die Untertanen hätten sich mit dem Rest zufrieden geben
müssen.
In Kanaan sei der Prozess zur dominatorischen Gesellschaft
durch die Invasionen der israelitischen Stämme vorangetrieben worden. In der
Bibel werde die Göttin mit keiner Silbe erwähnt. Damit fehle eine weibliche
göttliche Autorität, die die Frauen schützen und Vergeltung fordern könne für
das Unrecht, das ihnen durch die Männer zugefügt worden sei. Nach dem
ausdrücklichen Willen Gottes habe die Frau dem Manne untertan sein müssen.
Ähnlich wie die Stämme der indoeuropäischen Invasoren, die Europa und
Kleinasien verwüsteten, sei auch die alte jüdische Stammesgesellschaft ein
rigoros männerbeherrschtes System gewesen.
Frauen hätten in den Gesetzen nicht als freie, unabhängige
Menschen figuriert, sondern als Privateigentum ihrer Väter oder Ehemänner,
denen es beispielsweise gestattet war, sie als Sklavin zu verkaufen. Bei
Verlust der Jungfräulichkeit habe ihnen die öffentliche Steinigung gedroht.
Diese Gesetze hätten als „gottgegeben“ gegolten und eine ökonomische Ordnung
repräsentiert, die dem Käufer der „Ware Frau“ bei Beschädigung das Recht
einräumte, sich ihrer zu entledigen.
Wieso hätten wir heute oft das unbestimmte Gefühl, dass
unser natürliches Rechtsempfinden nicht mit den Gesetzestexten übereinstimme?
Gut und Böse sei in einer dominatorischen Gesellschaft nicht dasselbe wie in
einer partnerschaftlichen. Aus verantwortungsbewusster Sicht sei die biblische
Moral bestenfalls nur kümmerlich entwickelt, schlimmstenfalls eine Pseudomoral,
bei der der Wille Gottes nichts weiter sei als ein Deckmantel für Grausamkeit
und Barbarei. Beispiel Mose, Kap. 31: „Mose wurde zornig und sagte zu den
Hauptleuten: So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle
Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind, aber alle Mädchen, die unberührt sind,
die lasst für euch leben.“
Selbst heute noch werde aufgrund einer weit verbreiteten
Systemblindheit der Wertverlust einer Frau nach dem Verlust ihrer „Reinheit“
oft nicht hinterfragt und als moralisch gerechtfertigt angesehen. Ebenso werde
von totalitären Machthabern linker oder rechter Gesinnung blinder Gehorsam
gefordert. Wissen gelte als Übel, Geburt sei schmutzig, der Tod heilig.
Ungehorsam gegen die Obrigkeit sowie eigene Vorstellungen von Gut und Böse
würden schon in der Bibel als schlimmste aller Verbrechen dargestellt, während
sie gleichzeitig die Ermordung von Menschen sowie die Zerstörung und Aneignung
ihres Besitzes toleriere.
Das Töten im Krieg sei göttlich sanktioniert, ebenso wie
Plünderung, Vergewaltigung und die Ausradierung ganzer Städte, während der Akt
des Gebärens den Anstrich von Unreinheit bekommen habe. Die Umkehrung der Werte
sei so radikal, dass die Realität buchstäblich auf den Kopf gestellt worden
sei. Doch trotz der Verbote und Verfluchungen durch Propheten und Priester sei
es nicht gelungen, die Große Göttin aus dem Bewusstsein der Menschen zu
verbannen. Jesus sei immer noch Sohn einer göttlichen Mutter und symbolisiere
durch seine Wiederauferstehung die Regeneration der Natur in jedem Frühjahr.
Wie einst der Sohn der Göttin auch ihr Gefährte gewesen sei, sei Christus in
der christlichen Mythologie der Bräutigam Marias als der Mutter Kirche.
Im Taufbecken spiegele sich noch der Kelch, das alte
weibliche Symbol des alles Leben bergenden Gefäßes, wobei die Taufe nach C.G.
Jung als Rückkehr zur mystischen Gebärmutter der Göttin angesehen werden könne.
Weihnachten sei traditionell die Wintersonnenwende gewesen - der Tag, an dem
die Göttin die Sonne gebiert. Trotzdem sei im christlichen Pantheon die nunmehr
einzige Frau als einzige sterbliche Figur auch zur Nebenfigur geworden. Das
zentrale mythische Bild der männerbeherrschten Religion sei nicht mehr die
Geburt des jungen Gottes, sondern Kreuzigung und Tod.
Immer mehr Bilder von christlichen Heiligen seien
entstanden, deren Körper sich unter fürchterlichsten Foltern und Qualen winden,
Märtyrer seien auf die ausgeklügeltste Art abgeschlachtet worden. Schmerzen,
Leiden und Tod nähmen jetzt in der Kunst die zentrale Stellung ein, die einst
der Verehrung der Natur und des Lebens vorbehalten gewesen sei, das
allgegenwärtige Thema sei der sterbende Christus am Kreuz. Der lebensspendende
Kelch sei im Bewusstsein der Menschen heute durch die tödliche Macht des
Schwerts ersetzt worden.
Die neuen archäologischen Entdeckungen hätten jedoch auch
gezeigt, dass die Vorstellungen einer von Grund auf niederträchtigen und
verdorbenen menschlichen Natur nicht gerechtfertigt seien, sondern dass unsere
kulturelle Entwicklung in der Frühzeit der Zivilisation vollkommen umgekehrt
worden sei. Die alte Lebensfreude und Naturverbundenheit, die Tugend,
miteinander zu teilen statt einander zu bestehlen, die Fähigkeit zu mitfühlender
Anteilnahme anstelle gegenseitiger Unterdrückung, und die Auffassung von Macht
als Verantwortung und nicht als Herrschaft - all diese Eigenschaften seien
nicht ausgestorben, sondern lediglich zusammen mit den Frauen auf einen untergeordneten
Rang verwiesen worden.
Die bisher geltende Lehrmeinung müsse revidiert werden, dass
die europäische Geschichte erst mit den frühesten Berichten über die indogermanische
Kultur eingesetzt habe (bei Homer und Hesiod), und dass wir unsere heutigen
Vorstellungen über Gerechtigkeit und Demokratie der Kultur des klassischen
Griechenland zu verdanken hätten. Es existierten zahlreiche Hinweise auf
weibliche Einflussnahme im alten Griechenland, so soll Sokrates von der Priesterin
Diotema unterrichtet worden sein, Pythagoras bei der Priesterin Themistoklea
Ethik gelernt haben und führende Männer nach Delphi gepilgert sein, um sich von
einer Priesterin namens Pythia Ratschläge zu den wichtigsten politischen Fragen
der Zeit erteilen zu lassen.
Auch in der Odyssee seien einige der stärksten Figuren
weiblichen Geschlechts, und Penelopes Freier, die durch eine Heirat mit ihr die
Macht Ithakas an sich reißen wollen, belegten die Tatsache, dass die matrilineare
Erbfolge selbst nach den archäischen Invasionen noch gegolten habe. Die
vorsokratische Konzeption vom Gleichgewicht der Gegensätze als Voraussetzung
sowohl für Wandel als auch für Stabilität scheine ebenfalls ihre Vorläufer in
der religiösen Mythologie der Göttin gehabt zu haben, in deren Mittelpunkt die
Spannung zwischen den Geschlechtern als Dynamik der Natur, und ihre periodische
Verjüngung durch die scheinbaren Gegensätze von Tod und Geburt gestanden
hätten. Die Göttin habe sowohl die Einheit als auch den Dualismus verkörpert.
Unser Demokratie-Verständnis gehe jedoch auf weit frühere
Zeiten zurück als das klassische Griechenland, in dem der größte Teil der
Bevölkerung, Frauen und Sklaven, vom politischen Leben ausgeschlossen worden
seien. Der Konflikt zwischen dominatorischen und partnerschaftlichen Strukturen
werde gut am Beispiel der Pallas Athene demonstriert: Sie sei immer noch die
Göttin der Weisheit gewesen und habe das alte Schlangen-Symbol inne gehabt.
Gleichzeitig sei sie aber auch Kriegsgöttin gewesen und habe Helm und Speer
getragen. Die Göttinnen unter Zeus seien immer noch mächtig gewesen. In Athen
habe es sogar Frauenbewegungen gegeben, in denen Lehrerinnen und Politikerinnen
sich für die Bildung von Athener Hausfrauen einsetzten.
Allerdings seien im Gegenzug von den Männern die Anliegen
der Frauen ins Lächerliche gezogen worden, wenn Aristophanes in „Lysistrata“
die Frauen aufrufe, die Männer bis zur Einstellung ihrer kriegerischen
Unternehmungen sexuell zu boykottieren. Noch weiter verbreitet als die Methode
der Trivialisierung sei jedoch die Praxis gewesen, verfügbare Daten über Frauen
einfach zu verschweigen. Während der ganzen Geschichtsschreibung habe alles,
was mit Frauen zusammenhing, als zweitrangig gegolten. Auch die systematische
Nichterwähnung der Frauen habe zur Aufrechterhaltung eines Systems gedient, das
auf der männlichen Überordnung beruhte.
Platos Gedanke über die Gleichstellung der Frau in Erziehung
und Ausbildung sei von dem aufgeklärten Philosophen Rousseau im achtzehnten
Jahrhundert noch als schockierend empfunden worden. Aristoteles dagegen habe
Frauen bezeichnet als von Natur aus dazu bestimmt, von Männern beherrscht zu
werden, wie Sklaven von freien Bürgern. Alles andere wäre ein Bruch mit der
natürlichen Ordnung gewesen.
Vor zweitausend Jahren habe Jesus die herrschenden Klassen
seiner Zeit - die Reichen und Mächtigen und die religiösen Autoritäten -
beschuldigt, das Volk von Palästina auszubeuten und zu unterdrücken. Er habe
universale Liebe gepredigt und gelehrt, dass die Bescheidenen, Demütigen und
Schwachen dereinst die Welt erben sollten. Er habe sich freimütig in
Gesellschaft von Frauen gezeigt und die spirituelle Gleichheit aller Menschen
verkündigt.
Die Obrigkeit habe ihn als einen gefährlichen Revolutionär
betrachtet, dessen radikale Ideen um jeden Preis zum Schweigen gebracht werden
mussten. Obwohl die Frauenbewegung keineswegs sein zentrales Anliegen gewesen
sei, habe er den Gedanken einer Befreiung der gesamten Menschheit verfolgt
sowie der Ersetzung männlicher Werte wie Härte, Aggressivität und Dominanz
durch weibliche wie Verantwortung, Mitgefühl und Fürsorge.
Jesus habe Frauen in die Schar seiner Anhänger aufgenommen
und sie ermuntert, aus ihren servilen Rollen auszubrechen und sich aktiv am
öffentlichen Leben zu beteiligen. Er habe auch Prostituierte mit Respekt
behandelt. Es habe eine weibliche Jüngerin mit Namen Tabea gegeben, die später
nicht in die offizielle Zählung seiner Apostel aufgenommen worden sei. Es habe
auch weibliche Prophetinnen gegeben, die später verschwiegen wurden, und einzelne
Briefe des neuen Testaments seien von Frauen verfasst worden.
In der frühchristlichen Bewegung habe Maria Magdalena eine
wichtige Rolle gespielt, und nach dem Tod Jesu habe sie zum engsten
Führungskreis der Bewegung gehört. In einem unterdrückten Dokument werde berichtet,
dass sie hartnäckig Widerstand leistete, als einige christliche Sekten jene
Hierarchie wieder einführen wollten, die Jesus in Frage gestellt hatte. Diese
Quelle sei jedoch nicht in die Textsammlung des Neuen Testaments aufgenommen worden.
Die Erkenntnis, dass eine auf Gewalt basierende Hierarchie
die spirituelle Entwicklung der Menschheit blockiere, hätte laut Eisler zu
einer fundamentalen Gesellschaftsveränderung führen können. Aber der Widerstand
des Systems habe sich auch für Jesus als zu stark erwiesen. Am Ende hätten uns
die Kirchenväter ein Neues Testament hinterlassen, in dem seine
fortschrittlichen Aussagen durch Hinzufügen entgegengesetzter Dogmen total
entkräftet worden seien.
Einige Dokumente aus der Frühzeit des Christentums seien
erst in jüngster Zeit gefunden worden, z.B. die 52 gnostischen Evangelien 1945
in Nag Hammadi. Tatsächlich hätten die Männer, die um 200 n. Chr. die Kontrolle
über die Kirche übernahmen, sämtliche Abschriften jener Texte zerstören lassen.
In diesen Schriften sei u.a. von der Möglichkeit die Rede, dass Menschen ohne
Hilfe der kirchlichen Hierarchie mit einer autoritären Priesterschaft, einem
Erzbischof oder Papst an der Spitze Zugang zu Gott finden könnten, und zwar
direkt durch Gnosis oder göttliches Wissen.
Aus diesen Schriften gehe auch hervor, dass Maria Magdalena
eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der frühchristlichen Bewegung gewesen
sei. Sie solle von Jesus inniger geliebt worden sein als alle anderen Jünger.
Nach seinem Tod habe sie den Mut gehabt, die Autorität des Petrus in Frage zu
stellen, der seine Führerschaft mit dem Anspruch begründet habe, dass nur er
über eine direkte Verbindung zu Gott verfüge. Neben seiner hierarchisch sich
entwickelnden Kirche habe es eine ganze Reihe von Sekten wie die der Gnostiker
gegeben, die in strenger Befolgung der Lehren Jesu Frauen strikt als
gleichberechtigt betrachteten und sie in ihre engsten Führungszirkel aufnahmen.
Diese Frauen hätten gelehrt, diskutiert, exorziert, geheilt
und getauft, was mit dem Bischofsamt gleichzusetzen sei. In der alten Tradition
der Göttin als Ur-Mutter hätten sie die Mutter als „mystisches und ewiges
Schweigen“ verehrt, als „Gnade, die allen Dingen vorausgeht“ und als
„unbestechliche Weisheit“. Der „Ur-Gedanke in dreierlei Gestalt“ werde mit den
weiblichen Tugenden Nachdenklichkeit, Intelligenz und Voraussicht beschrieben.
Der Text beginne mit den Worten: „Ich bin Protennoia, der Gedanke, der im Licht
wohnt ... Sie, die es schon gab, bevor das All entstand ... Ich rühre mich in
jeder Kreatur ... Ich bin die Unsichtbare Einzige im All ... Ich bin die Wahrnehmung
und das Wissen, und meine Stimme ist die des Gedankens. Ich bin die wahre Stimme.“
Eine andere gnostische Gruppe habe eine heilige Familie
angebetet, die aus einem göttlichen Vater und einer göttlichen Mutter bestand,
den Eltern eines göttlichen Wesens und der Menschheit. Andere hätten das
Göttliche als aus dem weiblichen und dem männlichen Prinzip zusammengesetzt
betrachtet, wieder andere betont, das Göttliche müsse androgyn sein. Auch sei
der Heilige Geist oft als weiblich bezeichnet worden. Danach sei Christus der
Vereinigung des göttlichen Vaters mit der göttlichen Mutter entsprungen.
Viele frühe Christen hätten die zeitgenössischen
Familienstrukturen von Römern und Juden verachtet, die beide gleichermaßen die
Frauen unterdrückten. Bibelwissenschaftler hätten mehrfach darauf hingewiesen,
dass das Frühchristentum sowohl von den jüdischen als auch von den römischen
Behörden als Bedrohung angesehen worden sei. Der Konflikt, der vor zweitausend
Jahren die Welt erschütterte, als Jesus sein Evangelium des Mitleids, der Gewaltlosigkeit
und der Liebe predigte, erscheine unter diesen Voraussetzungen in einem neuen
Licht.
Doch 200 Jahre nach seinem Tod sei bereits die Teilnahme von
Frauen am Gottesdienst verdammt worden. Gruppen, die Frauen in ihre
Führungszirkel aufnahmen, seien als Ketzer gebrandmarkt worden, und Timotheus
habe geschrieben: „Ein Weib lerne in der Stille mit aller Untertänigkeit. Einem
Weibe gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie des Mannes Herr
sei, sondern stille sei.“ Die Lehre vom frühen Christentum heiße heute
„Patristik“, die Wissenschaft von den Kirchenvätern. Darin sage Simon Peter:
„Lasst Maria uns verlassen, denn Frauen sind des Lebens nicht würdig.“ Und
Jesus habe geantwortet: „Ich selbst werde sie fortführen, um sie zum Manne zu
machen, so dass auch sie ein lebendiger Geist werden kann, der euch Männern
ähnelt. Denn jede Frau, die sich zum Manne macht, wird ins Himmelreich kommen.“
Wie schon andere Religionen, sei auch das Christentum
androkratisch umgepolt worden. Das Römerreich sei durch das Heilige Römische
Reich ersetzt worden. Dass Konstantin, der erste christliche Kaiser, seine Frau
bei lebendigem Leib kochen und seinen Sohn ermorden ließ, werde von
christlichen Historikern meist verschwiegen. Es sei dagegen zur Regel geworden,
dass die Kirchenführer Folter- und Todesstrafen über Abweichler von der „neuen
Ordnung“ verhängten. Um das Jahr 200 seien nahezu alle weiblichen Gottesdarstellungen
aus der orthodoxen Tradition verschwunden.
Für die Männer jedoch, die sich inzwischen des Christentums
zur Festigung ihrer Herrschaft bedienten, sei es unerlässlich gewesen, die
christliche Ideologie der androkratischen Gussform anzupassen. Die
Christianisierung der europäischen Heiden habe dem dominatorischen Grundsatz
erneut Geltung verschafft, dass allein Macht darüber entscheide, was Recht ist.
Es seien alle „heidnischen“ Tempel, Schreine und Idole systematisch zerstört
worden, und die alten griechischen Akademien, in denen „häretische“ Studien
getrieben wurden, geschlossen worden. Bis zur Renaissance habe es praktisch
keine künstlerischen Ausdrucksformen und keinerlei empirisches Wissen mehr gegeben,
die nicht den „Segen“ der Kirche hatten.
Die Vernichtung aller Informationen, die darüber hinaus
gingen, sei mit so systematischer Gründlichkeit erfolgt, dass sie sich über
Europa hinaus durchgesetzt habe. Im Jahr 391 hätten Christen unter Theodosius
die Bibliothek von Alexandria in Schutt und Asche gelegt. Angestiftet von dem
später heiliggesprochenen Bischof von Alexandria hätten christliche Mönche mit
Austernschalen die Philosophin Hypatia zerfleischt, eine der größten
Wissenschaftlerinnen der damaligen Zeit, die Männern Unterricht erteilt habe.
Paulinische Dogmen hätten behauptet, die Frau sei
minderwertig und zudem so gefährlich, dass sie einer strengen Kontrolle
unterworfen werden müsse. Das von Jesus entworfene Modell für das menschliche Zusammenleben,
das männlich und weiblich, reich und arm, Heiden und Juden vereinte, sei aus
der Praxis der Kirche getilgt worden. Nach wie vor hätten die Machthaber
behauptet, es sei ihr Ziel, das Evangelium der Liebe zu verbreiten. Doch was
sie mit ihren barbarischen Kreuzzügen, Hexenverfolgungen und Inquisitionen
sowie Menschen- und Bücherverbrennungen tatsächlich erreicht hätten, sei die
Verbreitung von Unterdrückung, Verwüstung und Tod.
So sei die gewaltlose Revolution Jesu, in deren Verlauf er
den Tod am Kreuz gefunden habe, in eine gewalttätige Schreckensherrschaft umgekehrt
worden. Das mittelalterliche Christentum mit seiner Verdrehung und
Pervertierung der Lehren Jesu sei ein moralischer Rückfall in die Barbarei
gewesen. Heutige Psychoanalytiker beschrieben patriarchalische
Gesellschaftsformen primär als sexuell repressiv. In diesem Licht gewänne auch
die beispiellose Herabwürdigung der Frauen zur „fleischlichen Quelle allen
Übels“ und in ihrer Folge die Hexenverbrennungen ihren Sinn.
Diese pathologische Misogynie werde oft als irrationales Hirngespinst
sexuell frustrierter Männer dargestellt. Aber die moralische Verdammung der
Frauen seitens der Kirche sei weit mehr als eine psychologische Schrulle
gewesen. Sie sei die Rechtfertigung der Männerherrschaft und eine Reaktion auf
immer wiederkehrende feministische Aufwallungen, die „des Vaters Autorität“
bedrohten.
Eisler weist darauf hin, dass ein ganzheitliches Studium der
Menschheit durch die selektive Geschichtsschreibung auch heute noch mit großen
Schwierigkeiten verbunden sei. Die jeweils herrschenden Gruppen hätten sich des
Fachs bemächtigt und weitgehend nur ihre eigene Geschichte aufgezeichnet. Erst
jetzt begänne man ernsthaft von der fehlenden weiblichen Hälfte Notiz zu
nehmen, weshalb auch erst jetzt eine vollständige Geschichts- und Evolutionstheorie
entwickelt werden könne, die die gesamte Menschheit berücksichtigt. Seit jenen
frühesten literarischen Verherrlichungen von Krieg, Hass und Rache, der Homer
seine Unsterblichkeit verdankt, würden literarische Werke von Frauen stets
ignoriert und kaum erwähnt.
Auch der von den Philosophen der Aufklärung propagierte
„rationale Mensch“ sei das ganze 19. und 20. Jahrhundert fortgefahren, seine
Mitmenschen bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu töten, zu unterdrücken,
auszubeuten und zu demütigen. Der Gipfel der Militarisierung sei im ersten
Weltkrieg erreicht worden, der Gipfel des systematischen Mordens im zweiten
Weltkrieg. Es habe ein geradezu zwanghafter „Maskulinismus“ geherrscht, der
alles „Weibische“ verachtete. Nach Auschwitz und Hiroshima sei das Credo der
Vernunft schließlich in Frage gestellt worden. Konnten alle diese
hocheffizienten Methoden der Massenvernichtung noch als Fortschritt deklariert
werden? Wie sollte man die effiziente Nutzung menschlichen Fetts zur
Herstellung von Seife rational erklären?
Weder Kapitalismus noch Kommunismus hätten gehalten, was sie
versprachen, da beide Systeme sich als dominatorisch und machtorientiert
entpuppt hätten. Auch andere Ideologien seien zum Kern des Problems, der Männerherrschaft
über die Frauen, nicht vorgedrungen. Die einzige Ausnahme bilde der Feminismus,
der das vorherrschende Modell zwischenmenschlicher Beziehungen und das Prinzip
gewaltgestützter Rangordnungen frontal attackiere. Doch sei jetzt überall vom
Ende des Liberalismus die Rede, und Realisten erklärten, eine freie,
gleichberechtigte Gesellschaft sei nie etwas anderes als ein utopischer Traum
gewesen.
Angesichts der sich mehrenden Anzeichen eines weltweit
drohenden Chaos flüchteten viele wieder in die Religiosität und den alten
androkratischen Glauben, dass das Leben auf Erden wenig, das Leben nach dem Tod
jedoch viel mehr wert sei. Man frage sich, ob Ungehorsam gegen Gott - und gegen
seine Repräsentanten auf Erden - nicht doch die ewige Verdammnis nach sich
ziehen werde. Die globale Bedrohung durch Atombomben und eine Weltanschauung,
die zum vorherrschenden System keine Alternativen biete, gewährten offenbar
keinen Ausweg. Nihilismus, Entsensibilisierung und Hoffnungslosigkeit mündeten
in die Dekadenz moderner Unterhaltungs-Industrie.
Doch es sei nicht die menschliche Natur und kein gnadenloses
Gottes- oder Naturgesetz, sondern das herrschaftliche Gesellschaftssystem, das
uns unerbittlich in einen Atomkrieg zu treiben scheine, das geradezu kategorisch
von uns verlange, alle technischen Neuerungen zur Erweiterung des
Vernichtungspotentials im Kampf um Macht und Einfluss einzusetzen. Die Wurzeln
dieser gegenwärtigen dominatorischen Exzesse lägen in den philosophischen
Werken von Burke, Schopenhauer und Nietzsche oder in Abhandlungen wie Hitlers
„Mein Kampf“.
Die brutalsten und repressivsten Diktaturen dieses
Jahrhunderts seien von rigider Männerherrschaft und einseitiger Bevorzugung
männlicher Werte geprägt. Doch die Protagonisten von Fortschritt,
Gleichberechtigung und Frieden seien merkwürdigerweise noch immer nicht in der
Lage, die Verbindung zwischen „Frauenfragen“ und der Durchsetzung freiheitlicher
Ziele zu erkennen. Es sei schlicht unmöglich, eine gerechte und
gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen, solange das dominatorische
Beziehungsmodell unangetastet bleibe. Es bereite offenbar Schwierigkeiten, die
Verbindung zwischen einem dominatorischen Beziehungsmodell und einem
herrschaftlichen Gesellschaftssystem zu sehen.
In jeder von einem Mann beherrschten Familie verinnerlichten
die Kinder eine repressive Beziehungsstruktur, die sich auch im Rassismus
manifestiere als einer Übertragung der Rolle des anderen Geschlechts auf die
Angehörigen einer anderen Rasse. Allein der Feminismus beanspruche, Gleichheit
und Freiheit für die gesamte Menschheit durchzusetzen. Friedensforscher wie
Fritjof Capra, Robert Jungk oder David Loye betonten inzwischen, dass zwischen
der Gleichberechtigung der Frauen und dem Weltfrieden ein untrennbarer
Zusammenhang bestehe. Sie forderten, feminine Werte wie Gewaltlosigkeit und
Fürsorge in die Führungsetagen der Manager einzubringen.
Immer mehr Männer und Frauen protestierten inzwischen gegen
eine dominatorisch strukturierte Gesellschaft und richteten ihre Rebellion auch
gegen eine Zerstörung der Umwelt und Erschöpfung der Ressourcen. Doch sollte
die Androkratie ihren Platz behaupten, werde sich die moderne Technik zu einer
ernsthaften Gefahr für das Überleben der Menschheit entwickeln.
März 2003
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