SPRACHPHILOSOPHIE (Wittgenstein, Heidegger, Adorno)

 

 

Philosophie ist: Sagen, was sich nicht sagen lässt, sagt Adorno. Für Wittgenstein bedeuten die Grenzen der Sprache die Grenzen der Welt: Was man nicht sprechen kann, ist nicht.

 

Wittgenstein sagt: Die Welt ist alles, was der Fall ist. Wahrheit ist das Bestehen von Sachverhalten. Wir machen uns Bilder von den Tatsachen. Diese Bilder entsprechen den Gegenständen der Welt. Das logische Bild einer Tatsache ist der Gedanke. Wahrheit besteht in der Identität von Welt und Denken.

 

Nur Sätze haben Sinn. Der Gedanke ist ein sinnvoller Satz. In seiner Abbildtheorie verbindet Wittgenstein Welt und Gedanken durch Sprache. Sie weisen dieselbe Struktur auf. Alles, was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen. Und worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Philosophie, Religion und Mythik können keine sinnvollen Sätze aussagen.

 

Ein Satz ist ein Modell der Welt, die ihrerseits aus der Gesamtheit aller Sachverhalte besteht. Einzelne Aussagen entsprechen den Bausteinen der Welt, und elementare Sätze sind das linguistische Korrelat eines atomaren Sachverhalts. Die Bilder des Denkens sind ebenfalls Modelle der Wahrheit. An der Grenze des Modells beginnt die Wirklichkeit.

 

Heidegger fragt nach dem Was. Was ist Philosophie? Was heißt denken? Was bringt uns zum Denken? Die Was-Frage der Philosophie ist die Frage nach dem Wesen. Heidegger fragt ontologisch nach dem Sein alles Seienden in der Was-Frage. Die Wissenschaften befassen sich dagegen mit dem funktionellen So-Sein in der Wie-Frage. Sie denken nicht, sie rechnen. Deshalb müssen sie ontologische Voraussetzungen treffen, die sie nicht selbst untersuchen können.

 

Dasein ist, was der Mensch denkt. Das Dasein ist seine geschichtliche Vergangenheit. Es ist schon im Voraus ausgelegt. Die Sprache beherrscht uns durch festgelegte Begriffe und eine dogmatische Grammatik. Ein Wort verweist auf das andere, nicht ich. Letztlich entscheiden Kontext und Grammatik über den Sinn.

 

Heidegger sucht etwas, das über Sprache hinausgeht. Etwas bringt mich zum Denken. Denken ist Denken im Übergang zu einem anderen Anfang. Das ursprüngliche Denken sucht einen Unterschied. Die vollkommene Differenz liegt im dionysischen Erschrecken.

 

Die Logik erfüllt die Welt, sagt Wittgenstein. Die Grenzen der Logik sind also die Grenzen der Welt. Das denkende Subjekt, das sinnvolle Sätze bildet, gehört jedoch nicht zur Welt. Es ist eine Grenze (das Auge sieht sich selbst nicht). Der Sinn der Welt muss also außerhalb der Welt liegen, denn: In der Welt gibt es keinen Wert.

 

Auch die Ethik ist transzendental. Es kann keine sinnvollen Sätze der Ethik geben, und die Sprache der Ethik ist das Schweigen. Ethik und Ästhetik sind eins. Die Sprache der Ästhetik ist also auch das Schweigen. Sinnvolle Sätze sind nur über das Wie möglich: über die Mechanik der Welt. Doch das Wie ist für das Ewige gleichgültig. Das Ewige (Gott, die Kunst) offenbart sich nicht in der Welt.

 

Das Dass der Welt ist das Mystische: Gegenwart und Unmittelbarkeit, gegeben in der Anschauung und dem mystischen Gefühl. Nur das Dass dieses Gefühls ist aussagbar. Doch die Probleme des Lebens bleiben unberührt von dem, was sagbar ist (von der Logik). Es gibt keinen Sinn des Lebens.

 

Der Sinn des Lebens ist nicht zu sagen und nicht zu zeigen, aber er zeigt sich selbst, und zwar in der Unmittelbarkeit. Das Gefühl ist, aber es ist nicht zu sagen. Gott ist jenseits und abstrakt.

 

Die Kunst sagt, aber was sie sagt, sagt sie nicht in der Kunst selbst, sondern es zeigt sich zwischen den Zeilen. Ein Kunstwerk ist das begrifflose An-Sich. Es drückt sich zwar in Worten aus, sagt aber den Begriff nicht im Wort. Das Wahre zeigt sich nicht im Begriff.

 

Adorno unterscheidet zwischen diskursiver Erkenntnis, die sich auf alle sinnvollen logischen Sätze bezieht (die Welt), und nicht-diskursiver Erkenntnis, die sich auf Kunstwerke bezieht (das Ewige). Die Schönheit zeigt sich darin, aber unbegreiflich.

 

Der Philosophie bleibt nichts anderes übrig, als dieses Rätsel zu denken, also auf das Kunstwerk zu zielen. Das vom Kunstwerk Verborgene (der Begriff) zeigt sich begrifflos, ähnlich wie im Vexierbild: Etwas erscheint, und durch sein Erscheinen entzieht es sich.

 

Das Kunstwerk verbirgt etwas, das sich zeigt. Doch durch sein Erscheinen wird es verborgen. Es lässt sich nicht fassen. Die Philosophie der Kunst ist das Dechiffrieren des Begrifflosen mithilfe des Begriffs.

 

Die Wahrheit kommt im Kunstwerk sinnlich zur Erscheinung. Doch Kunstwerke bedürfen auch des Begriffs. Philosophie dagegen ist ohne Sinnlichkeit. Der Künstler ist ein Medium für die Kunst, während der Philosoph ein Medium für das Denken ist.

 

Die Wahrheit ist das Paradoxe bei Adorno. Sie liegt in der Identität des Verhüllens und Enthüllens. Bei Kierkegaard ist Gott das Paradoxe. Bei Nietzsche ist Gott tot. Dionysos kommt nie an. Vielleicht kommt er aber doch an, nur in veränderter Gestalt. Ein Ausweg liegt in der Kunst.

 

Für Adorno sind nur naturwissenschaftliche und umgangssprachliche Sätze sinnvoll. Ihr Sinn ist die Funktionalität, die sich zeigt. Philosophie ist: Sagen, was sich nicht sagen lässt. Sie muss mit dem Begriff den Begriff übersteigen. Das Kunstwerk jedoch hat den Begriff "Begrifflos".

 

Der Begriff ist das Abschneidende dessen, was an der Sache sie selbst ist, das Abschneidende ihrer Sachhaltigkeit und des Seins des Seienden. Adorno geht es um die Sachlichkeit einer einzelnen Sache, während Heidegger auf das Sein an sich rekurriert, auf das alles Seiende reduziert werden kann.

 

Kommentar: Dieser kurze Überblick über die gegenwärtige Situation der Philosophie basiert auf den Untersuchungen von Dr. Thomas, die er 1996/97 in einem Seminar in Braunschweig mit dem Titel "Wittgenstein-Adorno-Heidegger: Denken-Wahrheit-Sprache-Absolutes" vorgestellt hat.

 

Nach diesen Ausführungen scheint die Philosophie, zumindest im Bereich der Sprachlogik, an ihrem Ende angelangt zu sein. Sprache kann keine Antworten auf die Was-Frage geben, und Begriffe sind nicht geeignet, etwas über das Wesen der Dinge auszusagen. Im Gegenteil, der Begriff schneidet gerade das Wesen einer Sache ab: ihr Sein.

 

Ein Ausweg wird in der Kunst gesehen. Das Kunstwerk spricht begrifflos, seine Wahrheit kommt sinnlich zur Erscheinung. Diese Wahrheit liegt in der Identität des Verhüllens und Enthüllens. Doch Kunst ist keine Philosophie, und begriffloses Denken scheint unmöglich.

 

Die Philosophie kann nichts Sinnvolles aussagen. Sinnvolle Sätze können nur über die Mechanik der Welt gebildet werden. Begriffliches Denken beschränkt sich auf den Bereich einer Naturwissenschaft, die auf Technik reduziert wird. Aber das Wie ist für das Ewige gleichgültig.

 

Ist das Wie tatsächlich für das Ewige gleichgültig? Ist Naturwissenschaft wirklich nicht mehr als bloße Mechanik? Muss sie ontologische Voraussetzungen treffen, die sie nicht untersuchen kann? Nach Heidegger kann sie nichts über das Wesen der Dinge aussagen.

 

Doch in letzter Zeit haben die Naturwissenschaften Ergebnisse erzielt, die offenbar eine philosophische Relevanz besitzen. In der Relativitätstheorie, der Quantenphysik und der evolutionären Erkenntnistheorie wurden Erkenntnisse über die Begriffe Raum, Zeit, Kausalität und Identität gewonnen, die das Wie zu übersteigen scheinen und in das Was übergehen. An der Grenze zwischen Sprachlogik und Erkenntnistheorie können empirische Ergebnisse vielleicht auch ontologisch gedeutet werden.

 

Hier könnte ein Ausweg aus dem Dilemma der Philosophie liegen. Wenn empirische Aussagen einerseits sinnvoll sind und andererseits etwas Neues über philosophische Kategorien aussagen, könnten von einer Kooperation zwischen Philosophie und Naturwissenschaften neue Akzente für das Denken erwartet werden.

 

Nach Peter Möller weicht Wittgensteins Spätphilosophie so sehr von seiner Frühphilosophie ab, dass zwischen Wittgenstein 1 und Wittgenstein 2 unterschieden werden muss. So kritisierte Wittgenstein 2 sogar den Wittgenstein 1 in seiner Annahme, die von ihm behandelten Fragen endgültig gelöst zu haben.

 

Der frühe Wittgenstein untersuchte die Sätze nach Wesen, Form und Wahrheit. Danach sind Sätze Bilder der Wirklichkeit, so wie wir sie denken. Sätze der Logik sind Tautologien und eigentlich sinnlos. Wittgenstein behauptet, Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit, und zwar Sprachkritik. Die Philosophie will er in eine Wissenschaft von der Sprache umwandeln. Problematische Sätze müssen einem klar werden, dann hören sie auf, problematisch zu sein.

 

Philosophische Probleme gibt es eigentlich gar nicht. „Die meisten Sätze und Fragen, welche über philosophische Dinge geschrieben worden sind, sind nicht falsch, sondern unsinnig. Wir können daher Fragen dieser Art überhaupt nicht beantworten, sondern nur ihre Unsinnigkeit feststellen. Die meisten Fragen und Sätze der Philosophen beruhen darauf, dass wir unsere Sprachlogik nicht verstehen.“

 

Sprache und Denken sind unauflösbar miteinander verbunden, und da Philosophieren Denken bedeutet, muss Philosophieren Sprachanalyse sein. Philosophische Probleme verstehen bedeutet grundsätzlich, die Funktionsweise der Sprache verstehen.

 

Die Welt ist für Wittgenstein 1 nicht die Gesamtheit aller Dinge, sondern aller Sachverhalte und aller Beziehungen. In wieweit die Dinge selbst zur Welt gehören, bleibt jedoch unklar. Die Abbildtheorie der Erkenntnis besagt: Die Bedeutung eines Wortes besteht in seinem Bezugsgegenstand. Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit und zeigt die logische Form der Wirklichkeit. Die Bedeutung eines Namens ist sein Gegenstand.

 

Wahrheit ist die Übereinstimmung der Strukturen der Wirklichkeit mit der Struktur eines Satzes. Es gibt einfache und komplexe Sachverhalte. Ihnen entsprechen einfache und komplexe Sätze. Die Wirklichkeit kann in ihre atomaren Einzelheiten zerlegt werden, und zu jeder dieser atomaren Einzelheiten kann ein wahrer atomarer Satz gebildet werden. Damit engt Wittgenstein 1 die Sprache auf ihre deskriptive Funktion ein. Sie soll ausschließlich das Bestehen oder Nichtbestehen von Sachverhalten beschreiben. In dem Zusammenhang gibt es sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze.

 

Wenn ein Satz nur einen Sachverhalt beschreibt, ist eine ethische Aufforderung unsinnig. Deshalb lässt sich die Ethik nicht aussprechen, sondern nur „erschweigen“. Manches kann man sagen, anderes kann man nur zeigen, z.B. Logik, Ethik, Ästhetik, Ich oder Solipsismus. Wittgenstein selbst hält sich allerdings nicht an sein Gebot, sondern spricht viel über Dinge, die sich eigentlich nur zeigen lassen.

 

Psychologischen Vorgängen wie Glauben, Denken, Vorstellen, Träumen usw. liegen keine psychischen Substanzen zugrunde, also keine Seele. Alle diese Vorgänge sind aus objektiven inneren Bildern zusammengesetzte Sachverhalte. Aus dem Nichtvorhandensein einer psychischen Substanz schließt Wittgenstein 1: „Das denkende, vorstellende, Subjekt gibt es nicht.“ Die Logik ist der Schlüssel zu aller Erkenntnis. Jenseits dieser Grenze liegt das Mystische, Ich, Gott, Sinn der Welt usw.

 

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Die Philosophie ist nur eine Tätigkeit, die den Sinn der Sprache erklärt. Dies hat er mit seinem „Traktatus“ erledigt. Alle philosophischen Probleme sind nun gelöst bzw. als unsinnig entlarvt.

 

Später kehrte Wittgenstein langsam zur Philosophie zurück. Allerdings glaubt auch Wittgenstein 2, die Philosophie.erledigen zu können. Jetzt sagt er, Sprache kann kein Bild der Welt sein, da man durch Sprache keinen klaren Gedanken ausdrücken kann. Die Forderung nach Exaktheit geht in die Irre. Da Wörter mehrdeutig und vage sind, kann ihre Bedeutung nicht durch Logik ermittelt werden, sondern nur indem man erkennt, wie sie in den alltäglichen Situationen verwendet werden.

 

Die Grammatik ist von der Wirklichkeit unabhängig und kann von nichts außerhalb von ihr liegendes bestimmt werden. Diese Autonomie der Sprache hat er allerdings später faktisch wieder verworfen. War Wittgenstein 1 weitgehend ein Naiver Realist, so entwickelt Wittgenstein 2 konstruktivistische Auffassungen und wird anthropozentrisch. Wenn Wittgenstein 1 sagte: „Ein Wort steht für einen reales Ding“, so behauptet Wittgenstein 2: „Die Bedeutung eines Wortes zeigt sich in seiner Verwendung.“ Der Satz ist ein Instrument und sein Sinn ist seine Verwendung.

 

Philosophische Probleme entstehen jetzt dadurch, dass Wörter aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und unberechtigt in andere Zusammenhänge übertragen werden. Wittgenstein 2 will die Wörter von ihrer metaphysischen auf ihre alltägliche Verwendung zurückführen und damit philosophische Probleme zum Verschwinden bringen. Dazu zählt auch das Leib-Seele-Problem und der Solipsismus. Er zeigt damit aber nicht unbedingt die Unsinnigkeit einer philosophischen Frage auf, sondern nimmt nur Abstraktionsleistungen wieder zurück.

 

Nach Wittgenstein 2 ist ein Philosoph ein Therapeut, der philosophische Fragen wie Krankheiten behandelt. Er löst sie nicht, sondern bringt sie zum Verschwinden. Aussagen der 1. Person Singular haben keinen Wahrheitswert. Die Sätze „Ich bin müde, hungrig, habe Schmerzen, freue mich“ usw. haben alle keinen Wahrheitswert. Das Wort „Schmerz“ bezieht sich überhaupt nicht auf eine private Empfindung. Ein innerer Vorgang bedarf äußerer Kriterien.

 

Das Sprechen über innere psychische Vorgänge ist für Wittgenstein 2 ein Sprechen über äußeres Verhalten. Er steht damit dem Behaviorismus nahe, der ebenfalls behauptet, innere psychische Empfindungen gebe es gar nicht. Die Mathematik hält Wittgenstein für ein Kalkül. Der Mathematiker ist ein Erfinder, kein Entdecker.

 

 

Birgit Sonnek

 

August 2016

 

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