Geschichte der STADTBIBLIOTHEK WOLFSBURG

 

Schon im Gründungsjahr der "Stadt des KdF-Wagens" 1938 war die Schaffung einer eigenen Bücherei gefordert worden. Die zuständige Volksbüchereistelle für die Provinz Hannover erstellte ein Gutachten, ermittelte die Kosten und genehmigte das Vorhaben. Grundlage der öffentlichen Gebäudeplanung war die Belegschaftszahl des Volkswagenwerkes zuzüglich ihrer Familien. Sie wurde um eine entsprechende Zahl von Erwerbstätigen in Handel, Handwerk und Verwaltung sowie deren Angehörigen erhöht und hing direkt von der Produktionsmenge des Werkes ab.

 

Der Baubeginn war für 1940 vorgesehen; doch traten durch den Krieg erhebliche Verzögerungen ein. Zunächst musste ein Verwaltungsgebäude in der Fallerslebener Straße als Standort der neuen Stadtbücherei dienen, das im Oktober 1942 frei wurde. Über die staatliche Volksbüchereistelle erwarb die Stadtverwaltung einen Literaturbestand von 1.500 Bänden. Am 2. März 1943 konnte die Stadtbücherei mit einem ausleihfertigen Bestand von 2.172 Büchern eröffnet werden, die noch mit der Hand signiert waren. Von einer Eröffnungsfeier wurde wegen der schweren Kriegsjahre und mangelnder Einrichtung abgesehen. Arbeitstische mussten Büchereimöbel und noch nicht vorhandene Regale ersetzen, und Neuankäufe wurden aus Kreisen der Bevölkerung getätigt.

 

Noch im gleichen Jahr wurde ein Kinder-Lesesaal eingerichtet, dessen Besuch von Anfang an sehr rege war. Allerdings sind die Kinder beim Lesen oft durch Fliegeralarm gestört worden. Im Oktober 1943 wurden Jugend-Lesestunden angeboten, die ein "außerordentlich großes Interesse" fanden. Die Jugendlichen mussten teilweise wieder nach Hause geschickt werden, weil die Räume einfach nicht ausreichten. Ende 1943 war der Buchbestand auf 4.430 Bände angewachsen, die Leserzahl betrug 485 Personen bei 6.779 ausgeliehenen Büchern.

 

Im Jahr 1944 wurde das Gebäude bei einem Luftangriff getroffen, und die Bücherei zog in das Haus der Stadtwerke um. Im September 1945 musste sie "vorübergehend wegen Überprüfung der Buchbestände" geschlossen werden. Vermutlich hing die Schließung mit der Aussortierung von NS-Literatur nach den Entnazifizierungsrichtlinien der Alliierten zusammen. Als Ersatz wurde im November 1945 die Zweigstelle am Steimker Berg in einer Privatwohnung wiedereröffnet. Diese Nebenstelle der Bücherei war bereits 1943 in der Verwaltungsbaracke "Unter den Eichen" eingerichtet worden, musste dann jedoch der Besatzungsarmee weichen. Die Besatzungssoldaten hatten indes die Mitnahme eines Großteils der Möbel erlaubt.

 

Die Wiedereröffnung der Hauptbücherei erfolgte 1946 in der Schillerstraße, doch war es infolge Materialmangels vorübergehend nicht möglich, neue Leser aufzunehmen, da keine Leserkarten mehr zur Verfügung standen. Im Dezember 1947 konnte die 1945 ausgegliederte Musikbücherei wieder integriert werden, deren Notenbestand im Krieg angeblich von den amerikanischen Besatzungstruppen zur Ofenheizung benutzt worden war. Die Lesegebühr betrug damals pro Buch und Woche 0,20 RM, von Kindern bis zu 17 Jahren sowie Kriegsversehrten und Unterstützungsempfängern wurden keine Gebühren erhoben. Die Lesekarte kostete 1 RM jährlich. Um dem hohen Verlust von Büchern entgegenzuwirken, der vor allem über die "russische Grenze" stattfand, wurde jedem Leser, der über keinen festen Wohnsitz in Wolfsburg verfügte, ein Pfand von 20 RM abverlangt.

 

Weitere Neuanschaffungen konnten aus allgemeinem Papier- und Geldmangel erst 1949 vorgenommen werden. Nach der Entnazifizierung waren von über 5.000 Büchern offenbar nur 2.800 Exemplare erhalten geblieben, mit denen jedoch hohe Ausleihzahlen erzielt wurden. Darunter befand sich nicht nur Unterhaltungsliteratur, sondern auch viele "belehrende Bücher", da eine hohe Nachfrage nach Literatur aus allen Gebieten der Wissenschaft bestand. Die ungewöhnlich hohe Beanspruchung hatte zur Folge, dass die meisten Bücher zerlesen oder reparaturbedürftig waren und somit für den Leihverkehr ausfielen.

 

1950 stellte die Stadt 15.000 DM für Neuanschaffungen und 4.000 DM für die Instandsetzung der Bücher bereit. Die Stadtbücherei verfügte jetzt über einen Stamm von 4.000 eingetragenen Lesern. Bei einem Bevölkerungsstand von 27.000 Einwohnern entsprach dies einem Anteil von 15 Prozent. Der verfügbare Buchbestand entsprach jedoch im Jahr 1952 immer noch nicht dem ständigen Anwachsen der Ausleihzahlen, so dass ein Teil der Leserwünsche unerfüllt blieb. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage war besonders gravierend bei den Jugendbüchern.

 

Nach weiteren 5.000 DM durch einen Nachtragshaushalt war der Buchbestand 1954 auf über 10.000 Bände angewachsen. Aufgrund des Raummangels musste aber noch die Thekenausleihe praktiziert werden. Um dem Anspruch einer Bildungsbücherei mit Leserberatung gerecht zu werden, beschloss man, zuerst die Jugendbücherei in eine Freihandbücherei umzugestalten. Zu diesem Zweck bot sich eine frei gewordene Baracke der Volksschule in der Porschestraße an. Als nächste wurde die Zweigstelle am Steimker Berg 1954 auf Freihandausleihe umgerüstet, nachdem sie in die frühere Baracke des städtischen Jugendamtes am Bullenberg umgezogen war. Sie verfügte über mehr als 2.000 Bücher und versorgte auch die Stadtteile Laagberg und Alt-Wolfsburg mit Literatur. Die Ausleihen fanden in den dortigen Schulen statt.

 

Die Hauptbücherei zog im Februar 1955 in die geräumigere Baracke des Gesundheitsamtes am Schachtweg ein, die gerade frei geworden war, und stellte ihren Ausleihbetrieb ebenfalls auf Freihandausleihe um. Die neue Verkehrslage erwies sich als besonders günstig, da mehrmals am Tag alle Werksangehörigen vorbeiströmten. So konnte im Mai 1955 eine Ausleihzahl verzeichnet werden, die dreimal so hoch war wie die im vorjährigen Monat. Die Stadtbücherei verfügte zur Zeit über etwa 12.000 Bände bei einem Leserpotenzial, das "vorwiegend aus männlichen VW-Angehörigen" bestand. Das war durchaus repräsentativ, da Wolfsburg immer einen leichten Männerüberschuss zu verzeichnen hatte.

 

Im Oktober 1956 fanden die ersten Wolfsburger Jugendbuchtage mit Kasperletheater und einer Ausstellung von 600 Büchern statt, in deren Anschluss es zu zahlreichen Neu-Anmeldungen von Kindern und Jugendlichen kam. Der Gesamtbestand war inzwischen auf 16.680 Bücher angewachsen, die Ausleihziffer stieg auf 132.640 Bände, darunter 40 Prozent Jugendliteratur. Mit der Erhebung der Stadt Wolfsburg zum Stadtkreis war die Stadtbücherei aus der Aufsicht der Kreisbehörde in Gifhorn ausgeschieden. Nach ihrem Anschluss an den Deutschen Büchereiverband, nicht zuletzt aber auch wegen ihrer inzwischen beachtlichen Kapazität, wurde sie 1957 von der Süddeutschen Büchereischule als Ausbildungsbücherei anerkannt.

 

1959 konnte zusätzlich zur Kinderbücherei die lange konzipierte Jugendbücherei am Schachtweg mit 3.000 Bänden ihren Betrieb aufnehmen. Hier wurde der erste Vorlesewettbewerb des Börsenvereins abgehalten. Gleichzeitig fand in der Hauptbücherei die Premiere der Schallplatten-Ausleihe mit 46 Platten statt. Diese Einrichtung fand ungewöhnlich regen Zuspruch und galt als sehr fortschrittlich, da man im übrigen Büchereiwesen die Schallplatten nur abhören, aber nicht ausleihen konnte. Parallel dazu wurde der Bestand an Musikliteratur in der Sachbuchabteilung ausgebaut. Eine weitere Premiere war 1959 die Eröffnung einer Ausleihe im Katholischen Altersheim in der Pestalozzi-Allee.

 

Als 1962 das von Alvar Aalto entworfene Kulturzentrum fertiggestellt war, übersiedelte die Hauptstelle der Wolfsburger Stadtbücherei mit 35.000 Bänden in das imposante Gebäude südlich des Marktplatzes und öffnete am 1. September 1962 in neuer Umgebung ihre Pforten. Sowohl Leserzahlen als auch Ausleihziffern stiegen durch die attraktive räumliche Umgebung steil an. 1964 wurde eine Patientenbücherei im Stadtkrankenhaus eingerichtet, die 1966 über einen Bestand von 1069 Bänden verfügte und jede Station einmal wöchentlich mit dem Bücherwagen versorgte.

 

Im Jahr 1971 empfahl die Kultusminister-Konferenz den Ausbau eines leistungsfähigen Bibliotheksnetzes, in dem alle Bibliotheken nach ihrer Kapazität auf lokaler und überregionaler Funktionsebene zusammenwirken sollten, um die aufgewendeten Mittel konzentriert und effektiv einzusetzen und dem ständig wachsenden Bedarf an Literatur gerecht zu werden. Schon seit 1969 hatte der Deutsche Büchereiverband Grundsätze und Normen für eine umfassende Rationalisierung des Bibliothekswesens entwickelt, die jetzt durch kommunale Gebietsreformen umgesetzt werden sollten.

 

Rationelle Arbeitsweisen erforderten eine zentrale Einrichtung zur Koordination von Lektorats- und Bestellvorgängen aller Zweigstellen. Auf der Basis einer einheitlichen Katalogisierung, Klassifikation und Statistik sollten auch Schulbibliotheken in dieses übergreifende System einbezogen werden. Der Einsatz von Fahrbibliotheken diente dazu, die Versorgung der Bevölkerung der Randzonen sicherzustellen.

 

In Wolfsburg führte die Gebietsreform zu einer Umstrukturierung und Expansion des gesamten Büchereisystems. Im Jahr 1972 wurden 2 Städte (Fallersleben und Vorsfelde) sowie 18 Dörfer eingemeindet. Während die Kosten- und Nutzenanalysen für die beiden Städte günstig ausfielen und einen Ausbau der örtlichen Büchereien nahe legten, um sie in das Stadtbücherei-Netz zu integrieren, waren die vorhandenen Gemeindebüchereien den Anforderungen des "permanenten Bildungsprozesses der Gesellschaft" nicht mehr gewachsen, mussten ihren Ausleihbetrieb vor Ort einstellen und wurden 1975 in die neu gegründete Fahrbibliothek integriert.

 

Auf der Grundlage von KGST-Gutachten und Bibliotheksplan erfolgte ab 1973 der weitere Aufbau und die Reorganisation des Wolfsburger Bibliotheksnetzes. Anhand von Bedarfsanalysen wurden diverse Zweigstellen in Form von Stadtteilbibliotheken zum Teil neu eröffnet, zum Teil weitergeführt oder vorhandene wegen geringer Nutzung geschlossen. Die Entstehung von Schulzentren erforderte die Neugründungen entsprechender Schulbibliotheken.

 

Die Schließung der Zweigstelle Steimker Berg ergab sich zwangsläufig durch einen Brand im Jahr 1970, bei dem 2.300 Bücher sowie alle Einrichtungsgegenstände und Karteien zerstört wurden. Die kurz zuvor renovierte Zweigstelle Danziger Straße wurde ebenfalls durch ein Großfeuer vernichtet, wobei 6.000 Bücher den Flammen zum Opfer fielen. Sie wurde jedoch wieder aufgebaut. Die Zweigstelle Laagbergschule musste ebenso wegen der Umstrukturierung aufgelöst werden wie die Bücherei im Katholischen Altersheim. Dagegen wurde im Jahr 1978 eine Schulbücherei im Berufsbildenden Zentrum gegründet, da Berufsschüler unter Wolfsburger Lesern stark unterrepräsentiert waren. Die Danziger Straße und das Katholische Altersheim werden heute mobil versorgt.

 

Im Jahr 1989 wurden seitens der Bibliotheksleitung unmittelbar nach der Grenzöffnung die ersten Kontakte zur Stadtbibliothek Halberstadt geknüpft, und noch vor 1990 entstand eine Partnerschaft beider Institutionen. - Im Lauf der Jahrzehnte hatten sich auch Wissenschaftliche Bibliotheken und Öffentliche Büchereien immer mehr angenähert, so dass die einstigen Grenzen zwischen diesen beiden Institutionen ebenfalls zunehmend ins Fließen gerieten. Nicht zuletzt durch quantitative und qualitative Verbesserungen war die Umbenennung von "Stadtbücherei Wolfsburg" in "Stadtbibliothek Wolfsburg" 1992 nur noch eine formelle Angelegenheit.

 

Im Jahr 1993 legte die Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände eine neue Zielbestimmung bibliothekarischer Arbeit vor, die in Fortführung des Bibliotheksplans 1973 auf vier Funktionsstufen den Grundbedarf, gehobenen Bedarf, spezialisierten und hochspezialisierten Bedarf im Zusammenwirken auf lokaler und nationaler Ebene definierte, wobei die Erfahrungen der letzten 20 Jahre in Ost und West als Fundament für eine gemeinsame Weiterentwicklung zugrundegelegt wurden. Diese Vorgaben lösten eine weitere Welle der Professionalisierung, Medienvielfalt und Bedarfsorientierung in den Wolfsburger Bibliotheken aus.

 

Seitdem ist die Effizienz des Wolfsburger Bibliotheksnetzes immer wieder einer kritischen Prüfung unterzogen worden. 1994 wurde die Patientenbücherei im Stadtkrankenhaus dem Medizinischen Fachbereich überantwortet. Die Zweigstelle Danziger Straße wurde im März 1994 geschlossen, ihre Bestände auf Aktualität überprüft und auf die übrigen Stadtteilbibliotheken verteilt. Ebenfalls aus Rentabilitätsgründen ging die Schulbibliothek der Berufsbildenden Schulen im Jahr 1996 in die Verantwortung der Schule über.

 

Ab 1996 erfolgte die Automation des gesamten Bibliotheksnetzes. Zettelkataloge wurden durch Online-Kataloge (OPACs) abgelöst. Die Übernahme nationaler Regelwerke (RAK, RSWK) sowie die Nutzung von Fremddaten vereinfachen die Arbeitsabläufe im Rahmen der Medien-Erschließung. Seit 1997 stehen in der Zentralbibliothek und seit 2001/2002 auch in allen Stadtteilbibliotheken öffentliche Internetplätze zur Verfügung. Ein Multimedia-Arbeitsplatz wurde im August 2001 in der Erwachsenenbibliothek in Betrieb genommen.

 

Das Wolfsburger Bibliotheksnetz besteht heute aus einer Zentralbibliothek mit Erwachsenen-, Kinder- und Musikbibliothek, vier Stadtteil- und vier Schulbibliotheken, einer kombinierten Stadtteil- und Schulbibliothek und einer Fahrbibliothek für die umliegenden Ortsteile. Nach den Anforderungen des Bibliotheksplans wird die erste Funktionsstufe der Grundversorgung durch die Stadtteilbibliotheken abgedeckt; die zweite Funktionsstufe des spezialisierten Bedarfs durch die Zentralbibliothek erfüllt. Damit ist eine flächendeckende und differenzierte Literaturversorgung der Wolfsburger Bevölkerung gewährleistet.

 

 

Birgit Sonnek

 

März 2003

 

 

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