Der MYTHOS (Seelenleben der Kinder und Frühmenschen)

 

Archetypen sind Bilder der kollektiven Seele. Sie erscheinen uns symbolisch verschlüsselt im Traum. Um sie richtig zu verstehen, müssen wir die Symbole entschlüsseln. In der menschlichen Entwicklungsgeschichte formierten sich die Archetypen zu komplexen Mythen, das sind die Geschichten unseres Seelenlebens. Der Psychoanalytiker und Jung-Schüler Erich Neumann vergleicht den Frühmenschen mit dem heutigen Kind und fand heraus, dass beide die Welt mythologisch erfahren, das heißt durch ihre eigenen archetypischen Bilder, die sie auf die Welt projizieren.

 

C. G. Jung, Begründer der analytischen Psychologie, verglich als erster die persönliche Entwicklung eines Individuums mit der kollektiven menschlichen Entwicklungsgeschichte. Dabei fand er viele Parallelen, aber auch Unterschiede. Während die persönliche Ich-Struktur überwiegend bewusst im Gedächtnis gespeichert wird, erstreckt sich die kollektive seelische Entwicklung unserer Spezies über einen viel längeren Zeitraum und spiegelt sich in den Archetypen, Mythen und Märchen wider. Beide Bewusstseinsstrukturen, die persönliche und die kollektive, folgen den gleichen Gesetzmäßigkeiten, so dass man von einer auf die andere schließen kann.

 

Voraussetzung dafür ist eine rezeptive Einstellung, also eine unbestimmte Empfangsbereitschaft, schwebendes Bewusstsein und das Loslassen jeglichen zielgerichteten Wollens. Dann bekommen wir spontane Antworten, die nicht vom Bewusstsein erfunden sind. Wenn wir in der Erwartung einer Situation ausharren, schaffen wir das innere Klima für die „transzendente Funktion“ (Jung). Aus dem Unbewussten steigt etwas empor, um unser Problem zu lösen und uns den Weg zu zeigen. Die transzendente Antwort kann auch aus einem synchronistischen Ereignis bestehen, das den gleichen Inhalt besitzt wie unser psychisches Problem, und deshalb oft wie ein Wunder anmutet.

 

Die Entwicklung des Bewusstseins geht einher mit dem In-Erscheinung-Treten des Unbewussten, seiner Archetypen und Symbole. Dabei vollzieht sich der Weg vom unbewussten Erleben und Erleiden zum bewussten Begreifen und Abbilden eines Archetypus in Stufen. Zunächst erscheinen unbewusste Inhalte in Symbolen der Unanschaulichkeit (z.B. Boreas, der Gott des Windes, der nicht sichtbar ist und nur an seinen Wirkungen erkannt wird). Auf der nächsten Stufe haben wir es mit Tiergestalten und schwer entschlüsselbaren Bildparadoxien zu tun. Schließlich wird der Archetypus als differenziert gestaltete Figur sichtbar (Jung).

 

Mythos Mutter

 

Für Neumann entstand das menschliche Bewusstsein in der Auseinandersetzung mit der Mutter. Das Kind erfährt an seiner Mutter zunächst den Archetyp der Großen Mutter, von dem es in jeder Beziehung abhängt, nicht die objektive Wirklichkeit der persönlichen Mutter. Ebenso erfährt der Frühmensch keine Wetterlagen, sondern gefährliche göttliche Schicksalsmächte im Donner und Blitz, die er zu besänftigen sucht. Die Wichtigkeit des Regens für das Überleben führte zu Fruchtbarkeitsritualen, die das Leben der Frühkulturen fast völlig dirigierten.

 

Das menschliche Leben wird anfangs viel mehr vom Unbewussten als vom Bewusstsein bestimmt, viel mehr von den archetypischen Bildern als von Begriffen, mehr von Instinkten als von den Willensentschlüssen des Ich, und der Mensch ist mehr Teil seiner Gruppe als einzelnes Individuum.

 

Sowohl das Kind als auch der Frühmensch trennen noch nicht zwischen Subjekt und Objekt. Die archetypischen Symbole enthalten bewusste und unbewusste Elemente gleichzeitig, was uns heute irrational erscheint. Da sich die Bildrepräsentation des Unbewussten parallel zum menschlichen Bewusstsein entwickelte, zeigen sich in den Symbolen immer die Merkmale der Ursprungssituationen. Das Symbol deutet nur an und setzt das Bewusstsein in Bewegung. Doch kann es durch den Begriff allein nicht verstanden werden, dazu sind zusätzlich Gefühl und Intuition erforderlich.

 

Bevor sich die Gestalt der Großen Mutter im Bewusstsein etablierte, trat eine Fülle von ihr zugehörigen Symbolen auf, die sich zunächst zum allgemeinen Symbolkreis des „Großen Mütterlichen“ formierten. Es gab eine Vielheit von Figuren, die sich als Göttinnen, Feen, Dämoninnen, Nixen, Huldinnen oder Unholden in den Mythen, Religionen und Märchen der Menschheit manifestierten. In diesem Ur-Archetyp des Großen Mütterlichen waren die Gegensätze noch nicht auseinander gelegt, er enthielt positive und negative Eigenschaften nebeneinander.

 

Freundlichkeit und Furchtbarkeit erfahren Frühmenschen und Kinder als Einheit, während im Laufe der Bewusstseinsentwicklung die gute und die böse Göttin (Mutter) als verschiedene Mächte angesehen wurden. In der Frühphase des Bewusstseins war ihre Darstellung oft monströs und ungeheuerlich. Es entstanden chimärenhafte, aus Tier und Mensch zusammen gesetzte Wesen, deren Vieldeutigkeit erst später zu eindeutigen Bildern wurde. Der „Uroboros“, die sich selbst in den Schwanz beißende Schlange, ist das Symbol des psychischen Anfangszustandes, in dem das Bewusstsein und das Ich des Menschen noch klein und unentwickelt waren.

 

Im Symbol der kreisförmigen Schlange sind männliche und weibliche, bewusste und unbewusste Elemente als Gegensätze vermischt. Im Chaos sind die Ureltern noch vereinigt, erst später lösen sich die Figuren der Großen Mutter und des Großen Vaters heraus. Das sich entwickelnde Bewusstsein gliedert sich in drei Schichten: das Unbewusste, das Bewusstsein und die Welt. Im Uroboros erfährt das zur Ursprungs-Situation gehörende kleine Ich mütterlich Schützendes und tötend Aggressives gleichzeitig am selben Objekt. Es erfährt das Verschlingende als weiblich und das Bewusstseins-Unterstützende als männlich (Neumann).

 

Auch nach der Differenzierung enthält der Mutterarchetypus noch männliche Determinanten. Die Große Mutter ist gut-böse und vereint positive und negative Attribute, sie besteht aus der „guten Mutter“ und der „furchtbaren Mutter“. Zwischen die Welt und das Unbewusste schiebt sich das Bewusstsein. Zu ihm gehört das Ich als Zentrum. Es kann mit dem Unbewussten direkt oder indirekt kommunizieren: direkt durch symbolische Bilder, wenn ein Archetyp im Traum oder in einer Vision auftaucht; indirekt über deren Projektion auf die Welt, wenn z.B. ein Dämon in der Welt gesehen wird, als lebender Geist eines Baumes o.ä.

 

Die Welt ist hauptsächlich eine Projektionsebene der Psyche, auf der die inneren Bilder erfahren werden, vorzugsweise als Gottheiten. Sie werden als Außen und als wirklich erlebt. So ist die Schreckensfigur der Gorgo, deren Anblick zu Stein erstarren macht, eine Projektion der furchtbaren Mutter; die Weisheit spendende Sophia eine Repräsentation der guten Mutter; und die Gestalt der Isis, die beide Züge in sich vereinigt, ein Archetyp der Großen Mutter. Der Zusatz „groß“ steht für eine Verallgemeinerung, eine kollektive oder göttliche Überhöhung der Einzelperson.

 

Der Elementarcharakter des Weiblichen besteht darin, alles aus ihm Entstandene festzuhalten. Alles aus der Frau Geborene gehört ihr; auch wenn es selbständig wird, bleibt es ihr untertan. Darin sieht Neumann ein typisches Merkmal des Matriarchats. Solange ein Kind unselbständig und abhängig ist, dominiert in dem kleinen, unentwickelten Ich das Unbewusste. Es erfährt dann das positive Weibliche im Schutzgeben, Nähren und Wärmen, das negative Weibliche im Verstoßen, Vorenthalten und Entbehren lassen.

 

Zwischen dem Ich und dem Unbewussten gibt es eine psychische Gravitation - eine Tendenz des Ich, in den ursprünglichen, unbewussten Zustand zurückzufallen. Diese Trägheitstendenz wird schwächer, je stärker das Bewusstsein energetisch geladen ist, und je mehr Wille und Libido dem Ich zur Verfügung stehen. Energetisch gesehen zieht die größere Masse des Unbewussten die kleinere Masse des Bewusstseins an. Ist das Bewusstsein stark genug, können sich seine Inhalte aufrecht erhalten. Aber beim Absinken seiner Feldspannung dominieren die unbewussten Komplexe und Archetypen, und symbolisches Geschehen wird sichtbar.

 

Deshalb äußern sich Depressionen meist in Libidoverlust, Lustlosigkeit, Willensschwäche, Konzentrationsschwäche und Lebensmüdigkeit. Es erscheint die Symbolik des Verschlungenwerdens, der Nacht, des schwarzen Abgrundes, der Hölle, der Ungeheuer usw. Dies ist die Symbolik der furchtbaren, verschlingenden Mutter, deren energetische Ladung so groß ist, dass ihr der Ich-Komplex nicht gewachsen ist und verschlungen wird. Eine Gegenbewegung besteht in der Bewusstmachung der Bildsymbolik durch das Ich, das nun seinerseits die unbewussten Elemente verarbeitet, „verdaut“ und dabei gestärkt wird.

 

Im Mythos wird das Bewusstsein durch den männlichen Helden repräsentiert, der mit dem verschlingenden (weiblichen) Ungeheuer kämpft. Beide Geschlechter erleben das Bewusstsein als männlich und das Unbewusste als weiblich, sagt Neumann. Das Ich sinkt immer wieder zurück ins Unbewusste oder kreist als Trabant um das Große Weibliche. Diese Bewusstseinsstufe drückt sich oft in Tiersymbolen aus, weil die Instinkte und Triebe noch völlig unter der Herrschaft der Großen Mutter stehen. Erst allmählich entsteht ein Ansatz von Individualität, beim Kind ebenso wie beim Frühmenschen, und damit eine Konflikt-Spannung zwischen dem Ich und dem Unbewussten.

 

In der Übergangsphase dominiert der Todescharakter des Mütterlichen über das „jünglingshaft ohnmächtige Ich“, führt Erich Neumann weiter aus und fällt damit in die einseitig männliche Sichtweise zurück, obwohl er für sich in Anspruch nimmt, für beide Geschlechter zu sprechen. Das Große Weibliche gebiert und dirigiert das ganze Leben des Ich und nimmt es auch in seinen Ursprungs- und Todesschoß wieder zurück. Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, symbolisiert das gleichzeitige Zeugen, Gebären und Verschlingen.

 

In der Eigenerfahrung erlebt „das Weibliche“ seinen Charakter in der Schwangerschaft und Geburt, behauptet Neumann und gesteht der Frau keine persönliche Sicht- und Empfindungsweise zu: Offenbar bezieht sie ihre Existenzberechtigung nur durch den Sohn. Von der weiblichen „Schöpferischkeit“ ist das Männliche allerdings „numinos beeindruckt“, sagt er. Die Blutwandlungs-Mysterien der Frau bestehen seiner Meinung nach in der Menstruation, der Schwangerschaft und der Milchproduktion. Sie prägen das Leben des Weiblichen bis in seine Tiefen hinein.

 

Neumann weist darauf hin, dass die Entwicklung des Bewusstseins nicht dem naiven historischen Geschichtsverlauf entspricht, in dem die europäisch-christliche Menschheit sich selbst als den End- und Höhepunkt der Schöpfung angesetzt hat. Psychologisch gesehen ist die Monolithkultur in England und Frankreich viel früher anzusetzen als die Monumente Ägyptens, obwohl sie zeitlich später stattfand. Während die „Drachenkampfmythologie“ des erwachenden Bewusstseins in Griechenland zwischen 1.500 und 500 v.u.Z. angesiedelt ist, hat sich in Ägypten der analoge Prozess lange vor 3.300 abgespielt.

 

In der Vorzeit herrschte das Unbewusste über ein schwaches Bewusstsein. In der Moderne dagegen gibt es eine produktive Verbindung von Unbewusstem und Bewusstsein. Die Entwicklung des Einzelmenschen verläuft analog zur kollektiven Entwicklung der Menschheit. In beiden Fällen beginnt die Entwicklung des Bewusstseins mit einer „matriarchalen“ Stufe, in der die Große Mutter und das Unbewusste dirigieren, und in der sich das erwachende Bewusstsein von der Vorherrschaft dieser unbewussten Prozesse befreit. Das (männliche) Streben zum Licht hat sich als stärker erwiesen als die (weiblichen) Verdunkelungskräfte (Neumann).

 

Der Sohn-Geliebte (Entwicklung des Ich)

 

Wenn wir die Beweggründe der Frühmenschen verstehen wollen, können wir auch unsere eigene individuelle Entwicklung betrachten. Da sich die Seele aus dem kollektiven Unbewussten speist, kann von einem analogen Prozess individueller und kollektiver Entwicklung ausgegangen werden. Das kollektive Unbewusste wird beherrscht vom Mutterarchetypus der archaischen Großen Göttin, die als allmächtig, allenthaltend und allerfüllend angesehen wurde. Dagegen erscheint die Ich-Struktur immer in Bildern des Männlichen.

 

In den Mythen und Religionen fast aller Kontinente taucht die Gestalt des „Sohngeliebten“ auf. In der nordischen Mythologie ist der Sohngeliebte der Frühlingsgöttin Ostara gleichzeitig ein Hase, ein starkes männliches Fruchtbarkeitssymbol. Die ägyptische Göttin Isis diente mit ihrem Sohn, dem Horus, als Vorbild für die christliche Maria mit dem Jesuskind. Der griechische Liebesgott Eros wird meist als Knabe dargestellt und gilt als Sohn der Liebesgöttin Aphrodite, die bezeichnenderweise den Kriegsgott Ares liebte. Wie kam es zu diesem Mythos des Sohngeliebten?

 

Sicher gab es in der menschlichen Frühgeschichte auch Inzest. Schließlich wurden alle Triebe als göttingegeben angesehen und durch keine Moral eingeschränkt. In den relativ kleinen Sippen konnte es nicht ausbleiben, dass Väter auch ihre Töchter begatteten, zumal die Funktion der Vaterschaft wahrscheinlich nicht bekannt war. Die Mutter spielte mit dem Sohn, war er doch etwas Männliches, das verfügbar war und von ihr abhing. Er war er ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie infiltrierte ihn mit dem Glauben an ihre Göttlichkeit und ließ sich von ihm verehren.

 

In jedem Individuum, ob männlich oder weiblich, mischen sich die Gegensätze. Aus diesem Spannungsverhältnis geht die Persönlichkeit hervor. Doch vor jeder Wahrnehmungsdifferenzierung liegt die totale Symbiose mit der Mutter. Es ist eine vollkommene Abhängigkeit von der mütterlichen Zuwendung, die für den männlichen Säugling den „primären Eros-Charakter der Urbeziehung“ besitzt (Erich Neumann). Die mütterliche Weltordnung bestimmt die Gemeinsamkeit, analog dazu ist der mythische Sohngeliebte das ohnmächtige Spielzeug der Großen Göttin.

 

Doch wie kommen individuelles Bewusstsein und Ich-Identität zustande? Der mythologische Begriff „Große Mutter“ weist auf eine komplexe psychische Situation des Ich hin, das noch völlig in der Symbiose aufgeht und sich seiner selbst nicht bewusst ist. Sein Bewusstsein ist identisch mit dem der Mutter. Erst im Alter von etwa zwei Jahren tritt sporadisch Ich-Identität auf (Neumann). Das Ich ringt um Bewusstsein und klammert sich an die Realität, um die eigene Identität zu festigen. Es ist ständig in Gefahr, wieder auf die primitive Stufe der Symbiose zurückzufallen.

 

Neumann beschreibt den Sohn einseitig in der Opferrolle. Doch kann der Inzestwunsch nicht auch von ihm ausgegangen sein? Dazu zwei drastische Beispiele: „Mama, er wird schon wieder steif!“ beklagte sich der kleine Sohn einer Patientin beim Schmusen. Daraufhin wurde nicht mehr geschmust. Auch in Tierherden kann beobachtet werden, wie heranwachsende Söhne versuchen, ihre Mütter zu besteigen. Der männliche Trieb scheint generell stärker zu sein als der weibliche. Ist das genetisch bedingt oder eine soziale Konstruktion? War das in der Frühzeit auch so?

 

Männer und Frauen sind allein durch ihre Körperfunktionen unterschiedlich konditioniert, das gilt für die Frühzeit ebenso wie für die Gegenwart. Während Frauen den Akt praktisch immer vollziehen können, müssen Männer erst stimuliert werden. Das wirkt sich behindernd auf die weibliche Sexualität aus und erklärt auch weibliche Koketterie und Wohlverhalten. Im Patriarchat können Männer ihre Sexualität jederzeit ausleben, Frauen dagegen nicht. Wenn ihre Männer müde sind, krank oder lustlos, egoistisch oder alt, verreist oder im Krieg oder gestorben, wird ihre Unerfülltheit zum Dauerzustand.

 

Andererseits kann sich die weibliche Sexualität negativ auf die Kindesbetreuung auswirken und die Symbiose stören, wenn die Mutter plötzlich andere Prioritäten verfolgt als das Wohl ihres Sohnes. Er wird vielleicht zeitweise vernachlässigt, wodurch er Ängste entwickelt und schlimmstenfalls einen Hass auf die Mutter empfindet. Der abhängige kleine Sohn (auch die Tochter) versteht den Grund ihrer geistigen oder körperlichen Abwesenheit nicht und fühlt sich allein gelassen. Wenn es mit Nahrungsentzug einhergeht, können sogar Todesängste auftreten.

 

In archaischen Frauengruppen wurde dieses Phänomen durch die kollektive Kinderbetreuung aufgefangen. Es waren immer Mütter da, um die Kleinen zu versorgen. In patriarchal organisierten Stammesgesellschaften wird die sexuelle Aktivität für stillende Frauen oft mit einem Tabu belegt. Da sich die Stillzeit bis zu mehreren Jahren ausdehnen kann, befinden sich Mütter die meiste Zeit auf dem Abstellgleis. Wenn zudem noch die Schwangerschaft als unrein gilt, führen sie ein geradezu asketisches Leben. Dagegen erzielen die matriarchalen Frauengruppen immer einen Ausgleich zwischen mütterlichen und kindlichen Interessen.

 

Nach der Religions- und Symbolforscherin Brigitte Romankiewicz kam die archaische Große Göttin völlig ohne Sexualität und männliches Gegenüber aus. Sie trug das Weibliche und das Männliche gleichermaßen in sich und verfügte damit über die gesamte schöpfungsnotwendige Gegensatzspannung. Alle Geschöpfe, die im Himmel und auf der Erde Gestalt annahmen, waren ihre Kreaturen. Dazu gehörte auch ihr Sohn. Doch als er sich aus der „dunklen Herrschaft des mutterarchetypischen Verhängnisses“ emanzipieren wollte, lief er schließlich dem „furchtbaren Vater“ in die Arme, der „seine Kinder frisst“ (Romankiewicz).

 

Individuell wird die Mutter als „gute“ oder als „furchtbare“ Mutter erfahren. Übertragen auf das Gottesbild der Frühmenschen wird von hier aus die Übermacht der Muttergöttin klar: Sie ist die Quelle allen Schicksals. Leben oder Tod, Jagdglück oder Versagen, Erntesegen oder Naturkatastrophe entspringen ihrem Wohl- oder Übelwollen. Entweder Liebe und Freigebigkeit oder gleichgültige Grausamkeit. Kein Wunder, dass sich der Mensch (!) ein väterliches Gottesbild ersinnt, meint Romankiewicz und übersieht dabei ebenso wie ihre männlichen Vordenker völlig die Tatsache, dass es auch Töchter gibt, die anders sozialisiert sind.

 

Brigitte Romankiewicz schildert die individuelle Persönlichkeitsbildung der Menschen traditionell aus männlicher Sicht. Danach ist das Ich eine empirische, aus der Erfahrung stammende Erwerbung des individuellen Daseins und entwickelt sich aus den Zusammenstößen von inneren Anlagen mit der äußeren Umwelt. Zur Verdeutlichung zitiert sie die alchemistische Metapher des Königssohns, der in der Tiefe des dunklen Meeres liegt und ruft. Das väterliche Element liegt darin, das Ich aus dem weiblichen Unbewussten herauszuführen und auf die Realitätsebene zu heben.

 

Das Ich ist eine Inkarnation des Kindes, das den Auftrag hat, den Entwurf des Selbst in der Realität zu verwirklichen. Wenn das Ich aus der unbewussten Gesamtheit seiner Anlagen heraustritt, entwickelt es sich zum Bewusstseinszentrum und beginnt, zwischen Innen und Außen zu vermitteln. Dennoch ist das Ich keine Einheit, sondern die Summe vieler Faktoren. Seine Einzelkomponenten sieht Romankiewicz am besten repräsentiert durch die Götter der Antike, die ständig die Menschen beeinflussten.

 

Das im Inneren rufende Ich ist auf eine äußere Instanz angewiesen und benötigt einen Lehrer, der ihm hilft, sich gegen Fremdes entweder abzugrenzen oder es zu integrieren. Sobald sich das kindliche Ich von der Mutter unterscheidet, kann diese undifferenzierte Bindung überwunden werden durch das Heraustreten, Abstandgewinnen und Neuordnen. Dieses strukturierende Prinzip ist das Väterliche. Falls der Vater fehlt und das männliche Prinzip nur durch die Mutter erlebt wird, dominiert das Mütterliche so sehr, dass es den Archetypus der allein herrschenden, auf kein Männliches angewiesenen Muttergöttin annimmt (Romankiewicz).

 

Dieses archaische Mutterbild verweigert dem Werdenden den Geleitschutz ins Leben hinaus und kann ihm keine Selbständigkeit zubilligen. Für die seelische Befindlichkeit des Kindes und des späteren Erwachsenen wird die Welt in diesem Fall völlig unberechenbar. Alle glücklichen Momente tragen den Keim des Grauens in sich, weil die gute Mutter jederzeit zur furchtbaren Mutter werden kann, vor der keine Rettung möglich ist, denn es gibt ja kein wirksames Anderes außerhalb ihrer Weltordnung.

 

Das Ich wird dann durch keine dritte Position gestärkt, es herrscht allein das launische Gesetzt der archaischen mütterlichen Weltordnung. Das Mütterliche wird nicht durch eine gleichrangige Kraft auf seinen Platz verwiesen und eingegrenzt, sondern füllt Himmel, Hölle und Erde aus, was es unmenschlich und dämonisch macht. Diese Welt der verschlingenden Affekte muss stets durch Gutsein des Kindes gnädig gestimmt werden. Das bedeutet Verzicht auf jede Autonomie; nur im Erfüllen der mütterlichen Bedürfnisse liegt eine gewisse Sicherheit: „Wenn ich es ihr recht mache, kann mir nichts geschehen.“

 

Der Vater hat die Aufgabe, die Mutter menschlich zu machen. Doch tritt er oft als despotische Personifikation der öffentlichen Moral auf, als Miniaturausgabe von Gottvater, meist launisch, unsicher und infantil. Er füllt den Raum des Anderen mit überhöhten Idealen, Autoritätshörigkeit und rigoroser Ablehnung der Triebnatur des Menschen sowie der Instinktebene überhaupt. Sein Weltbild scheint nur Moral und Pflicht zu enthalten. Die Triebebene wird bekämpft und als Feindbild abgespalten, und mit ihr die eigene Unreife, Schwäche und Verführbarkeit. Doch erhält alles Verbotene gerade durch die Ausgrenzung unbewusst eine überhöhte Energie.

 

Hier entsteht ein durch die Gesellschaft gebilligter Bereich, der eine Selbstbehauptung gegenüber der Macht der Mutter erlaubt. In der Maske des Vaters kann sie überwältigt werden, ohne die kindliche Sehnsucht nach Rückkehr in den Mutterschoß aufzugeben. Wer keine Reife zulässt, sondern Sicherheit im Schoße gesellschaftlicher Regeln sucht und seine eigenen Wünsche in kollektive Feindbilder umleitet, identifiziert sich mit dem Vater und entwickelt eine patriarchale Haltung: „Wenn ich es ihm recht mache (dem Amt, dem Gesetz, der Pflicht, der öffentlichen Meinung, der Tradition), kann mir nichts geschehen.“

 

Diese Verschmelzung widerspricht aber der Selbst-Verwirklichung, die das Ich in die Wege leiten soll. Dennoch ist die Vater-Identifikation ein notwendiger Schritt für die Ich-Entwicklung. In der patriarchalen Gesellschaft spaltet sie die Große Mutter in eine gute und eine verhexte, dämonische weibliche Figur. Doch so lange der Ich-Wille das Mütterlich-Natürliche als negativ und verachtenswert betrachtet, will er es beherrschen und manipulieren. Die Folgen sind letztlich Kriminalität, Verantwortungslosigkeit oder Flucht in die Sucht.

 

In diesem Milieu herrscht eine unterschwellige Rachsucht allem Weiblichen gegenüber, die sich auch auf das Natürliche und die eigene Körperlichkeit bezieht. Wird diese Natur ständig unterdrückt und verachtet, bricht sie als „Schicksalsmacht“ hervor, die das Individuum plötzlich hinterrücks überfällt (Romankiewicz).

 

Mutter und Tochter (eine symbiotische Beziehung)

 

In der Wissenschaft wird die menschliche Entwicklung immer aus männlicher Sicht dargestellt. Es gibt wenige Autor/innen, die sich dessen überhaupt bewusst sind, und wenig Literatur, die auf die tatsächlichen Ursprünge menschlicher Kultur zurückzugreifen versucht. Alle gängigen Frauenbilder betreffen ja den Frauentypus im Patriarchat, also der letzten ca. 5.000 Jahre. Um die Gedankenlosigkeit zu überwinden, mit der Psycholog/innen den Frauen männliche Motive unterstellen, ist es dringend erforderlich, die realen Bedingungen zu analysieren.

 

In matriarchalen Gesellschaften wurden die Töchter sicher anders geliebt als die Söhne. Da sie das gleiche privilegierte Geschlecht besaßen, verkörperten sie eine Verlängerung des weiblichen Selbst. Sie verfügten ebenfalls über schöpferische Kreativität und begriffen die Zusammenhänge von Natur und Geist viel schneller als die Söhne. Die Töchter waren dazu ausersehen, die mütterliche Nachfolge anzutreten und wurden um ihrer selbst willen geliebt und geachtet. Sie besaßen Subjekt-Qualitäten, während die Söhne die Objekte der Erziehung darstellten.

 

Im gegenwärtigen Patriarchat ist das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter oft gespannt und vom Kampf um die Gunst des Mannes und Vaters gezeichnet. Die meisten Frauen sind immer noch fügsam, nachgiebig und im Durchschnitt einen Kopf kleiner als die Männer. Sie unterscheiden sich auch optisch sehr von ihnen, nicht nur durch die Geschlechtsmerkmale, als hätten sie eine andere Evolution vollzogen. Wahrscheinlich sind sie das Produkt patriarchaler Selektion, die sanfte, widerspruchslose Weibchen bevorzugte. Ebenso verkörpern wohl auch die aggressiven, kämpferischen Männer das Ergebnis einer Zuchtauswahl.

 

Wie sah es denn früher aus, bevor Evolution, willkürliche Selektion und Frauenverbrennungen das weibliche Bild veränderten? Die Amerikanerinnen Marilyn Boynton und Mary Dell suchten ursprüngliche Frauenbilder in den alten Mythen und stießen dabei auf den Demeter-Mythos. Sie fanden heraus, dass der Name „Demeter“ auf eine Zeit zurückgeht, in der Mutter und Tochter gemeinsam als eine Göttin verehrt wurden. Diese doppelte Demeter symbolisierte die Erneuerung des Lebens. Die Toten wurden Demetreioi genannt, die Menschen Demeters, denn die Göttin, die alle Dinge zum Leben erweckte, nahm sie nach ihrem Tod wieder in ihren Schoß auf.

 

Der Mythos ist älter als Homers Hymne an Demeter (7. Jahrhundert v.u.Z.) und entstand lange vor der Ausbildung der jüdisch-christlichen Gottesvorstellung von Vater und Sohn. Ursprünglich verehrten die Menschen Demeter gleichzeitig als Mutter und als Tochter. Erst später wurde das Mädchen Persephone zu einem eigenständigen Wesen: zur Tochter. Ihre Zuständigkeiten spezialisierten sich: Demeter wurde zur Göttin der fruchtbaren Kornfelder, während ihre Tochter Persephone das aufsprießende Getreide symbolisierte. Beide waren eng miteinander verbunden.

 

Demeter lehrte die Sterblichen das Pflanzen, Kultivieren und Ernten von Getreide. Diese Tätigkeiten wurden von Frauen ausgeführt, da man glaubte, ihre Fruchtbarkeit übertrage sich über ihre Hände auf die Getreidefelder. Die Frauen lernten, die Samen direkt in die Erde einzubringen, damit sie von den Geistern der Toten befruchtet werden konnten. Im Frühjahr zog Göttin Demeter die Pflanzen aus der Erde an die Oberfläche, um die Lebenden zu ernähren. Im Herbst wurde das geerntete Getreide in Gruben unter der Erde aufbewahrt, wie im Mutterschoß.

 

Im Mythos begegnete Persephone auf dem Feld einmal den Geistern der Toten und, beschloss sie, zu ihnen in die Tiefe zu gehen, um die dort lebenden Seelen zu beschützen und sie auf ihrem Kreislauf zurück ins Leben zu begleiten. Während sie in der Unterwelt damit beschäftigt war, die Seelen der Toten zu erneuern, war die Erdmutter Demeter untröstlich über den Verlust ihrer Tochter. In ihrer Trauer zog sie alle Kraft aus den Pflanzen zurück, so dass die Felder unfruchtbar wurden und eine kalte Decke sich über die Erde ausbreitete.

 

Doch eines Morgens durchbrachen Krokusblüten die Erde und wuchsen aus dem Schnee. Ein warmer Frühlingswind wehte, und die Vögel sangen: Persephone kommt zurück! Als ihre Tochter aus der tiefen Höhle emporstieg, lief Demeter ihr voller Freude entgegen, umarmte sie und tanzte ausgelassen mit ihr über die Felder. Bis heute hielt sich in Griechenland der Brauch, im Winter mit Demeter um ihre Tochter zu trauern, und sich im Frühling über Persephones Rückkehr zu freuen.

 

Boynton/Dell betrachten diesen alten Mythos als einen ersten Bericht über den weiblichen Individuationsweg, die Entwicklung zum eigenen Selbst. Er stellt unsere innere Reise dar, die wir nicht allein unternehmen können. Wir müssen uns zuerst an unsere gemeinsame Vergangenheit erinnern, an die Geschichte unserer Mütter und Großmütter. Mit dieser kollektiven Erfahrung können wir den weiteren Weg allein gehen. Auf unserer Reise gelangen wir irgendwann an einen fremden Ort: Es ist das Unbewusste. In diesem dunklen Nichts finden wir das unbekannte Selbst.

 

Das Kind in uns verlockt uns mit seinem Vertrauen, seiner Unschuld und Neugier zum Weitergehen. Die Mutter in uns dagegen sorgt sich und geht nur widerwillig in die fremde, bedrohliche innere Landschaft - ins unbekannte Selbst. In dieser Phase unserer Reise ziehen wir uns oft von der Gesellschaft zurück und benötigen viel Zeit für unser Innenleben. Vielleicht weinen wir viel und fühlen uns zu erschöpft für das aktive Leben mit seinen vielen Aufgaben, erläutern Boynton/Dell.

 

In unserer westlichen Kultur fühlen wir uns besser, wenn wir etwas tun. Es sind unsere Taten, die uns Anerkennung bringen. Bleiben wir jedoch allzu lange im Tätigkeitsmodus, nimmt die Zustimmung der anderen eine zu große Bedeutung an und beherrscht am Ende unser ganzes Leben. Manchmal müssen wir uns ausruhen, uns in uns selbst zurückziehen, um mit dem Kern unseres Wesens statt mit unseren Taten in Berührung zu sein. Wie Demeter warten wir dann auf die Rückkehr unseres Tochter-Selbst. Wir konzentrieren uns auf unsere Mitte und harren am Ort, an dem der Abstieg in die Unterwelt (das Unbewusste) begann, auf die Rückkehr unserer Energie.

 

Diese Energie ist es, die uns motiviert zu wachsen, zu handeln und uns schöpferisch zu betätigen. Viele von uns werden von klein auf angehalten, für andere zu sorgen, und bemerken lange Zeit nicht, dass sie ihr kindliches Selbst verloren haben. Obwohl sie den Wunsch hegen, das zu werden, was sie sein könnten, sträuben sie sich gleichzeitig gegen eine Änderung, da sie sich vor dem Unbekannten fürchten. Dann brauchen sie eine äußere Führerin, die ihnen den Weg zurück zur inneren Weisheit zeigt und sie bei ihrem Abstieg in die Unterwelt sowie beim Wiedereinstieg in die Oberwelt unterstützt.

 

Wenn wir aus der Unterwelt empor steigen, sind wir verändert, unsere Persönlichkeit hat sich erweitert. Durch die innere Vereinigung unserer Demeter- mit der Persephoneseite sind wir stärker und kreativer geworden. Wir haben uns von der Abhängigkeit zur Mutter gelöst und müssen uns nicht mehr ständig bemühen, ihr zu gefallen. Unsere Beziehung zu ihr steht auf einem erwachsenen Niveau, und wir haben sie davon erlöst, uns ständig zu umsorgen und wie ein Kind zu behandeln. Die Reise der Individuation war ein Erfolg.

 

Im alten Mythos gab Demeter ihrer Tochter Mohnblumen mit auf den Weg. Sie schläferten Persephone ein und zeigten ihr, wie sie sich in einen Trancezustand versetzen konnte, um ins Unbewusste zu gelangen. Weiter bekam sie von der Mutter Weizengarben, die sie nahe am Herzen trug. Sie dienten ihr als seelische Nahrung, weil sie darin die Liebe ihrer Mutter fühlte. Außerdem erhielt sie eine Fackel, um ihr den Weg zu erhellen. Sie ist ein Symbol für alle Frauen, die den Pfad schon vor ihr gegangen sind.

 

In einer späteren, patriarchalen Version des Demeter-Mythos ist Persephone die gemeinsame Tochter von Zeus und seiner Schwester Demeter und trägt den Namen Kore (Mädchen). Ihr eigener Vater Zeus verliebte sich in sie. In der Gestalt einer Schlange kroch er in sie hinein und befruchtete seine Tochter. Sie gebar Zagreus, der Zeus’ Nachfolger werden sollte. Dieser zeigte jedoch kein Interesse mehr an Kore. Jetzt verliebte sich sein Bruder Hades, Gott der Unterwelt, in sie. Da sie nicht freiwillig mit ihm in die Unterwelt gehen wollte, entführte er sie.

 

Zeus billigte Persephones Vergewaltigung durch Hades. Aus Verzweiflung und Wut darüber ließ Demeter kein neues Leben mehr auf der Erde wachsen. Da verfügte Zeus einen Kompromiss: Vier Monate im Jahr musste Persephone in der Unterwelt mit Hades zusammen leben, die restlichen acht Monate durfte sie auf der Erde bei ihrer Mutter verbringen. Die vier Monate in der Unterwelt stellen die unfruchtbare Zeit auf der Erde dar, wenn Demeter traurig ist. Wenn ihre Tochter wieder bei ihr ist, blühen und gedeihen alle Früchte auf der Erde.

 

Das väterliche Prinzip

 

Mythen spielen zwar in grauer Vorzeit, sind aber bedeutsam für unsere Gegenwart und Zukunft. Da sie das psychische Geschehen in den Raum außerhalb des Subjekts verlegen, sind sie eine ergiebige Quelle bei dem Versuch, etwas über psychische Motivationen, Archetypen und ihre grundlegenden Muster zu erfahren. In diesem Fall benutzt Brigitte Romankiewicz die griechische Götter-Mythologie, um die Entwicklung des väterlichen Prinzips und seine Bedeutung für uns zu klären.

 

Leider folgt sie ausschließlich den patriarchalen Versionen der Göttersagen und schildert somit den traditionell männlichen Standpunkt, wie wir ihn von Hesiod und aus der Philosophie kennen. Dort bezieht sich die Vaterfigur immer auf den Sohn; Töchter scheinen nur als Opfer zu dienen. Allerdings verfügt Romankiewicz über eine gewisse weibliche Empathie und kann sich in die „väterliche Motivation“ gut eindenken. Deshalb wird die konservative Psychologin hier erwähnt, zumal weiblich orientierte Mythologie aus der Antike und der Zeit davor kaum (noch) zu finden ist.

 

Der altgriechische Dichter und Sänger Hesiod versuchte in seiner „Theogonie“ (700 v.u.Z.), den Götterhimmel neu zu ordnen und dem patriarchalen Weltbild anzupassen. Auf dieser Grundlage und in Verbindung mit Romankiewiczs männlich-philosophischer Interpretation entwickelte sich „das Väterliche“ folgendermaßen: Am Anfang herrschte das Chaos. Aus dem Chaos entstanden Gaia (die Erde), Tartaros (die Unterwelt) und Eros (die Liebe). Gaia gebar einen Sohn: Uranos (der Himmel). Später paarte sie sich mit Uranos und gebar die zwölf Titanen, die ursprüngliche Naturgewalten repräsentieren.

 

Das griechische Ur-Elternpaar bestand also aus Gaia, der Mutter Erde, und Uranos, dem gestirnten Himmel, der ersten patriarchalen Vaterfigur der griechischen Mythologie. Sie repräsentierte das Nächtliche (Unbewusste), und er das helle Tagesbewusstsein. Der strahlende Uranos kam allnächtlich zur Begattung und vereinigte sich mit den „unteren“ Schichten der dunklen Weiblichkeit. Die daraus sich unablässig mehrenden Kinder hasste er und vergrub sie in Gaias Leib (der Erde). Damit verdammte er sie zur Umnachtung und ließ sie nicht ans Licht der Bewusstheit gelangen.

 

Darin sieht Romankiewicz eine barbarische Verdrängungstechnik als Resultat eines infantilen, unverantwortlichen Lustprinzips auf dem Niveau der primären Triebebene. Uranos ist seiner Aufgabe nicht gewachsen, Mitverantwortung für die Produkte seiner Zeugungskraft zu übernehmen. Der Vater muss erst noch werden, wobei Gaia ihn aber schon als Gleichen behandelt und nicht mehr als Sohngeliebten, wie ihre Vorgängerinnen Ischtar und Kybele es mit ihren männlichen Entsprechungen noch taten.

 

Uranos steht für ein elitäres Selbstverständnis, das alles Kleine, Unentwickelte verachtet. Für Romenkiewicz ist das eine Analogie zu den Unterdrückungsstrategien der historisch bekannten feudalistischen Herrschaftssysteme. Er betrachtet es als unter seiner Würde, dieses Unbeholfene bei seinen Anfangsschritten zu begleiten und die Mühsal des Alltäglichen auf sich zu nehmen. Da es nicht erhaben daherkommt, sondern geduldige Anteilnahme und mitfühlenden Beistand braucht, wird dieses für nicht lebenswert erachtete Sein mit Nichtachtung gestraft und verbannt, bis es plötzlich zurückschlägt.

 

Der kalte, kontrollierende und anonyme „furchtbare Vater“ verachtet alles Primitive als „niedere Natur“, zu der er vor allem das Weibliche und das Kindliche zählt. Das hindert ihn aber nicht, sich zur Steigerung der eigenen Großartigkeit barbarischer primitiv-männlicher Mittel zu bedienen (Romankiewicz). Das uranische Prinzip ist losgelöst von allen Verpflichtungen und will absolute Freiheit, das bedeutet stets Willkür. Als humanistische Idee muss sich die Freiheit jedoch an menschliche Bedingtheiten binden, an das Weibliche und das Kindliche, sonst bleibt das Väterliche unentwickelt und an seine infantile Selbstherrlichkeit gebunden.

 

Im Mythos bringt Gaia zur Rettung ihrer Kinder den „grauen Stahl“ hervor und macht daraus eine Sichel mit scharfen Zähnen. Die Sichel ist ein altes Mondsymbol aus dem weiblichen Machtbereich. Das Hervorbringen des grauen Stahles deutet darauf hin, dass auch die Metallurgie und Schmiedekunst ursprünglich weibliche „Erfindungen“ waren, wie auch die keltischen Mythen berichten. Die gezähnte Sichel verweist auf die archaische männliche Kastrationsangst vor der „gezähnten Vagina“. Sie führt in den verschlingenden Abgrund (das Unbewusste) und ist heute noch in afrikanischen Kultmasken gegenwärtig.

 

Zur Bestrafung des Vaters bittet Gaia ihren jüngsten Sohn, den Titanen Kronos (römisch: Saturn) um Hilfe, der ihm mit der Sichel die Genitalien abtrennt. Aus den Blutstropfen des entmannten Vaters, die zur Erde geweht werden, entstehen die Erinnyen: weibliche Rachegeister. Das männliche Werkzeug des Himmels jedoch fällt ins Meer. Als sich das Sperma mit dem Meer vermischt, sammelt sich weißer Schaum, aus dem Aphrodite geboren wird. Nach dieser ozeanischen Empfängnis entsteigt sie als ausgewachsene Göttin der Liebe und Schönheit den Wellen.

 

Es bedeutet einen weiteren Bewusstseinsschritt, wenn der Sohn dem nächtlich erscheinenden Vater mit der Sichel das zeugende Glied abtrennt, ihn entmachtet und anschließend selbst die höchste Position im Himmel einnimmt. Danach paart sich Kronos mit seiner Titanenschwester Rhea und zeugt die olympischen Götter Hestia, Demeter, Hera, Hades, Poseidon und Zeus. Doch auch er versucht, seine Kinder aus dem Weg zu räumen. Da ihm geweissagt wurde, er werde ebenfalls durch einen starken Sohn gestürzt, verschlingt er jedes Kind unmittelbar nach der Geburt.

 

Damit wird Kronos zum Vater- und Kindesmörder. In diesem Stadium besteht das väterliche Prinzip immer noch in seiner negativen Ausprägung als Vernichtungsdrohung. Doch Rhea überlistet ihn und rettet ihren Sohn Zeus vor dem Verschlucken, der dann seinen Vater entthront und selbst zum mächtigsten Herrscher über alle Götter wird. Anschließend bringt Zeus seinen Vater dazu, seine Geschwister wieder zu erbrechen. Mit ihnen kämpft er gegen die Titanen, besiegt sie und sperrt sie in die Unterwelt des Tartaros. Die drei Brüder teilen die Welt neu unter sich auf: Zeus gewinnt den Himmel, Poseidon das Meer und Hades die Unterwelt.

 

Die Schwestern Hestia, Demeter und Hera verfügen gemäß der patriarchalen Weltanschauung über keine Eigentumsrechte. Zeus dagegen tritt nun als Lichtgott auf und bringt das helle Tagesbewusstsein sowie die Befreiung von den dunklen Schicksalsmächten der affektiven Zwänge. Indem er den Vater und dessen brutalen Machtwillen überwindet, befreit er sich gleichzeitig aus der Mutterabhängigkeit. Da Zeus die Macht mit seinen Brüdern teilt, erweist er sich als würdig, die Herrschaft und Vaterschaft zu übernehmen. Doch fehlt ihm noch der weibliche Weisheitsaspekt. Daher heiratet er zuerst seine Schwester Metis, die Göttin der Weisheit.

 

Um sie zu verinnerlichen, frisst er sie und birgt sie im eigenen Leib, wo sie ihm „Gutes und Böses bedenken“ soll. Das neue Bewusstsein hat damit auch die als weiblich angesehene Moral integriert. Zeus nimmt nun seine Schwester Hera zur Gattin, betrügt sie und zeugt im Zuge seiner sexuellen Eroberungen die nächste Göttergeneration: Artemis (Göttin der Jagd), Apollon (Gott der Sonne), Athene (Göttin der Weisheit), Persephone (Göttin der Unterwelt), Hermes (Götterbote), Ares (Kriegsgott), Hephaistos (Schmiedegott) und Dionysos (Gott der Ekstase).

 

Brigitte Romankiewicz führt die Entstehung des väterlichen Prinzips auf die Göttertrilogie Uranos/Kronos/Zeus zurück, die für die Ur-Motivationen „überhebliche Arroganz“, „Wille zur Macht“ und schließlich „vertrauensvolles Teilen“ stehen. Zeus könnte jetzt eigentlich ein verantwortungsvoller Vater sein. Dass er es trotzdem nicht schafft, ist allgemein bekannt. - Jean Shinoda Bolen hält dagegen die gesamte hellenische Mythologie für eine Verherrlichung des Göttervaters Zeus und ein Loblied auf die Eroberungen griechischer Helden bei der Unterjochung matriarchaler Völker.

 

Und was wurde aus Gaia? Nach Bolen wurde die Große Göttin in ihre Einzelfunktionen zersplittet und ihre Kräfte in die Gestalten der griechischen Göttinnen aufgeteilt. Dennoch ist die archaische Urgöttin zeitlos und existiert immer noch als Archetyp im kollektiven Unbewussten. Sie wurde nicht nur als Schöpferin, sondern auch als Zerstörerin des Lebens verehrt, die für die Fruchtbarkeit und die destruktive Gewalt der Natur gleichermaßen verantwortlich war. In ihrem furchterregenden Aspekt besaß sie die Macht, das von ihr Erschaffene wieder zu zerstören, indem sie die Welt verschlang.

 

Die selbstbefruchtende Göttin

 

Für die Psychologin Brigitte Romankiewicz sind Archetypen vorbewusste Faktoren, die psychische Vorgänge zu gewissen Bildern anordnen. Sie enthalten sowohl individuelle als auch kollektive Elemente; man findet diese Urbilder im persönlichen Unbewussten ebenso wie in alten Mythen. Ihrer Ansicht nach repräsentiert gerade der griechische Götterhimmel die verschiedenen Aspekte der menschlichen Seele viel anschaulicher als spätere monotheistische Religionen, da das Ich kein Monolith ist, sondern ein Konglomerat von verschiedenen Komponenten.

 

Auf der Suche nach den Ursprüngen des Bewusstseins stieß Romankiewicz auf einen frühgriechischen Schöpfungsmythos und übersetzte ihn „aus der Bildersprache des Mythos zurück in die psychologische Anordnung, die ihn hervorgerufen hat“. Danach herrschte am Anfang „die Göttin aller Dinge“: Eurynome, eine All-Göttin, welche die innere und äußere Weltordnung bestimmte. Alle dingliche Schöpfung war latent in ihr enthalten und wartete nur auf ihre „Zusammenziehung“. Die Göttin erhob sich aus dem Chaos: das heißt aus der Unbewusstheit. Sie verkörperte die unumschränkte Macht eines weiblichen Gesetzes: dem der Psyche.

 

Außer ihr gab es noch kein Anderes, Nicht-Weibliches, keinen männlichen Gegenpol, der einen Fortschritt aus dem matriarchalen Bewusstsein heraus ermöglichen würde. Die archaische Göttin trennte das Meer vom Himmel und tanzte einsam auf den Wellen. Durch diesen Schritt in die Dualität unterschied sie den (männlichen) Himmel vom (weiblichen) Meer. Sie selbst verkörperte die (mütterliche) Erde, so dass inzwischen drei der Elemente vorhanden waren, die zur Schaffung eines Neuen benötigt wurden: Luft (Geist, Himmel), Wasser (Meer) und Erde.

 

Das fehlende Element des zeugenden Feuers wurde durch die Bewegungen ihres Tanzes hervorgerufen. Indem sie sich hin und her bewegte, von oben nach unten tanzte, entstanden Raum, Zeit und Energie, die zur Erhitzung führte und das schöpferische Feuer entzündete. Hinter der tanzenden Göttin erhob sich ein Wind als etwas Neues und Eigenes, mit dem das Werk der Schöpfung beginnen konnte. Der Wind ist eine Kraft aus dem Geist- und Luftraum und ein Bild des männlichen Archetypus auf einer noch unanschaulichen Stufe.

 

Der Ur-Wind kam aus dem Norden und besaß die patriarchalen Eigenschaften der Kälte und Strenge. Viele Vatergötter haben ihren Sitz im Norden, auch Jahwe. In der Antike wurden Winde gern als geflügelte Jünglinge dargestellt, die auf Muschelhörnern bliesen, welche als phallisch-zeugende Attribute verstanden werden können. Die Göttin wandte sich um und rieb den Nordwind zwischen ihren Händen. Das „Hinter-sich-Schauen“ zeigt das Erfassen einer bewussten Wahrnehmung: Das matriarchale Bewusstsein begreift die Existenz eines Anderen und stellt eine körperliche Verbindung her.

 

Der Wind verdichtete sich unter ihrer reibenden Bewegung zur Schlange. Die Begriffe Reiben, Sich-winden, Wurm und Schlange stammen aus der gleichen indogermanischen Sprachwurzel. Die Schlange repräsentiert das zeugende Phallisch-Männliche und ist ein Symbol der bewegenden schöpferischen Energie. Die Göttin tanzte immer wilder, bis sich die Schlange um ihre göttlichen Glieder schlang und sich mit ihr paarte. So wurde sie vom Nordwind schwanger. Eurynome nahm die Gestalt einer Taube an, ließ sich auf den Wellen nieder und legte das Welt-Ei.

 

Dazu begab sie sich auf die Stufe eines Tiersymbols, das hinter der menschlichen Symbolik rangiert. Es ist eine Regression, obwohl die Taube eine Wandlungsgestalt der Großen Göttin darstellt und später im Christentum den Heiligen Geist repräsentiert. Die Schlange wand sich um das Ei und brütete es aus, bis es aufsprang. Aus ihm fielen all die Dinge, die da sind: Sonne, Mond, Planeten, Sterne, die Erde mit ihren Bergen und Flüssen, Bäumen und lebenden Wesen. Nach matriarchaler Auffassung ist die Welterschaffung ein reiner Naturvorgang. Die schöpferische Vernunft kommt erst viel später ins Weltbild.

 

Das Bebrüten zur energetischen Reifung der Dinge besorgte nun der Vater, allerdings auf Geheiß der Mutter. Diese Schöpfungsgeschichte verdeutlicht das Ringen des frühmenschlichen Ich um Bewusstsein und um Bilder, welche die inneren Vorgänge erfassen können. Bemerkenswert ist hier der weibliche Ursprung aller Dinge. Daraus ist zu ersehen, dass nicht nur das Männliche, sondern auch das Weibliche immer in Gefahr ist, wieder auf eine primitivere Stufe zurückzufallen. Deshalb müssen Bewusstsein und Unbewusstes, Männliches und Weibliches in ein ausgeglichenes Verhältnis zueinander kommen (Romankiewicz).

 

Der Braunschweiger Philosoph Claus-Artur Scheier bietet eine ganz andere Erklärung an. Für ihn ist das Denken weder männlich noch weiblich, sondern „immer schon“ Produktionsdenken gewesen. Die klassische Logik und die Philosophie unterliegen dem geschichtlichen Wandel, führt er aus, und damit dem jeweils vorherrschenden Geschlechterverhältnis. Dieses Verhältnis änderte sich im Verlauf der kulturellen Evolution mit dem Wandel der Produktionsverhältnisse.

 

Da das Denken seiner Ansicht nach immer Produktionsdenken war, so ist auch das Geschlechterverhältnis von der Produktion her bestimmt. Das war schon in der Frühzeit so, da die wichtigste Produktion, die Produktion von Kindern, bereits mit Machtsteigerung einherging, sagt Scheier und stülpt damit dem Matriarchat seine männliche Machtorientierung über. Allerdings gibt er zu, dass das Weltauslegungsmuster „vom Anfang bis zu den frühen Hochkulturen“ weiblich akzentuiert gewesen ist, und die „Gallionsfigur des Matriarchats“ war die Große Muttergöttin.

 

In der Vorgeschichte - präziser mit Beginn der Sesshaftigkeit der Menschen - wurde die Leben und Ackerfrüchte spendende Natur als Muttergöttin verehrt. Die Frauen besaßen als Gebärerinnen einen hohen Rang, und es überwogen daher matriarchale Gesellschaftsformen. Mit zunehmender Bedeutung der materiellen Erzeugung sowie der biologischen Zeugung durch den Mann (die wurde im Patriarchat dem Mann allein zugeschrieben) wurden die Gottheiten patriarchal uminterpretiert und alles Weibliche aus der Welt der Ratio verbannt.

 

Die weiblich ausgerichtete Weltordnung wurde von männlichen Deutungsmustern abgelöst, als die menschliche Reproduktion nicht mehr auf das Gebären, sondern auf das Zeugen zurückgeführt wurde (Scheier). Die ursprüngliche göttliche Trinität (Göttin des Himmels, der Erde und der Unterwelt) wurde patriarchalen Vorstellungen angepasst.

 

Mit dem technischen Fortschritt nahm auch die Differenzierung zu und damit die Polarisierung der Geschlechterverhältnisse. Im Industriezeitalter dominierte das „technoide männliche Ich“ und konstituierte sich als Herrschaftsträger, meint Scheier. Die in der „Epoche des Geistes“ (13. bis 18. Jahrhundert) zwischenzeitlich zu beobachtende schrittweise Auflösung des Patriarchats war damit gestoppt. Das männliche Primat wurde erst wieder im 20. Jahrhundert zur Disposition gestellt.

 

Im Industriezeitalter bezog sich die Produktivität auf die Herstellung von Waren mit Hilfe von Maschinen. Im heutigen medialen Zeitalter geht es um geistige Erzeugnisse, die von Menschen vorwiegend am Computer produziert werden. Die Mediengesellschaft der Postmoderne mit ihrem Rückgang der Bedeutung materieller Produktion bietet eine Chance für beide Geschlechter, sich vom Produktionsdenken zu lösen, um gemeinsam und gleichwertig zu agieren (Scheier).

 

Weibliche Dreifaltigkeit

 

Erich Neumann berichtet: In der frühzeitlichen Kunst des Mittelmeerraumes wird oft eine nackte Göttin neben einem bekleideten Mädchen dargestellt. Manchmal steht auch eine nackte Tochtergöttin vor der bekleideten Muttergöttin. In Syrien wird die Mutter-Tochter-Genealogie dadurch hervorgehoben, dass die Tochter auf dem Kopf der Mutter steht. Auch auf mykenischen Siegeln wird die von einem oder zwei Mädchen begleitete Göttin abgebildet. Der Doppelaspekt der Mutter-Tochter-Verbindung wird ebenso in den häufig auftauchenden Kuh-Kalb-Plastiken deutlich.

 

Die Große Göttin wurde durch Priesterinnen bei den Menschen vertreten. Bei den heiligen Stierspielen auf Kreta wurden die Priesterinnen von Epheben verehrt, das sind junge Männer, die in Frauenkleidern auftreten durften. Das Zentralsymbol dieses Kultes, die Doppelaxt, wurde jedoch nur von Priesterinnen und Königinnen getragen. Wir kennen die Sohngeliebten und Epheben sowohl aus der Mythologie als auch von den Fresken und Siegeln Kretas, auf denen Männer nur selten vorkommen, außer als Krieger, die einen Schild mit dem Bild der Großen Mutter tragen.

 

Die griechischen Göttinnen Demeter und Persephone sind die bekanntesten Repräsentantinnen der Mutter-Tochter-Einheit. Sie finden sich auf zahlreichen Reliefs, auf denen Persephone erwachsen und ebenbürtig ihrer Mutter Demeter entgegentritt. Sie stehen sich auch als Frucht und Blüte gegenüber und gehören in ihrer Wandlung von der einen in die andere wesensmäßig zusammen. Die Göttinnen mit der Blüte und der Frucht schauen sich lächelnd an und sind kaum voneinander zu unterscheiden. In früheren Darstellungen steht die Mutter als Herrin der Pflanzen und Tiere im Hintergrund, und die junge verführerische Tochter im Vordergrund.

 

Auch Erich Neumann bezieht sich also in seiner Darstellung der frühzeitlichen Mutter-Tochter-Beziehung auf den Demeter-Persephone-Mythos. In den Mysterien von Eleusis findet die Einheit der Mutter- und Tochtergöttin ihre höchste Ausprägung, erklärt er. Der Kerninhalt dieser Rituale besteht im Widerfinden der Tochter durch die Mutter sowie ihrer Wiedervereinigung. Neumann sieht darin die Wiederherstellung der matriarchalen Einheit und ein Rückgängigmachen des männlichen Raubes und der Vergewaltigung Persephones durch Hades mit Hilfe von Zeus.

 

Als Ebenbild der Großen Gottheit ist das Weibliche verbunden mit der schöpferischen Natur und gleichzeitig mit dem kulturschaffenden Prinzip. Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter charakterisiert die menschliche Urbeziehung und bildet den Kern aller Frauengruppen. Diesem Weiblichen ist das Männliche ein Fremdes, das von außen kommt und die Tochter der Mutter gewaltsam wegnimmt. In den Eleusinischen Mysterien ist die Trennung von Mutter und Tochter das zentrale Geschehen. Raub, Vergewaltigung und Todeshochzeit sind die zentralen Motive.

 

Persephone wurde zwar von Hades geraubt, blieb aber freiwillig in der Unterwelt und war in einer früheren Version des Mythos selbst die Göttin der Unterwelt. Ihr Verweilen beruht auf der Faszination der Tochter durch das Männliche und durch die Sexualität (Neumann). Das spiegelt sich im Symbol des Granatapfels wider. Dieser symbolisiert den weiblichen Schoß und in der Fülle seiner Kerne dessen Fruchtbarkeit. Als Persephone von Hades überlistet wird, davon zu kosten, hat sie die Hochzeit mit ihm vollzogen, wenigstens für einen Teil des Jahres.

 

Ihr Wiederauftauchen aus der Erde (ein archetypisches Frühlingsmotiv) bedeutet die Wiedervereinigung mit dem Mutterprinzip. Das erste Mysterium von Eleusis ist das der unendlichen Erneuerung des Weiblichen, indem die Tochter mit der Mutter identisch und selbst zur Mutter wird. Das zweite Mysterium ist die Geburt eines Sohnes. Damit geschieht ein Wunder: Auch das Männliche ist ein Erzeugnis des Weiblichen und war in ihm enthalten. Daher ist es der Mutter untergeordnet und bleibt immer, auch als Geliebter und Mann, ihr Sohn als ein Werkzeug der Fruchtbarkeit.

 

Die Frucht der Persephone ist ein ganz besonderer Sohn, nämlich der Licht- und Feuersohn, das göttliche Kind. Das strahlende Männliche wird von der Frau als Feuer erfahren, das sie in ihrem Haus hütet. In sich selbst empfindet sie das „Erdfeuer“, das vom Mann immer wieder „herausgebohrt“ werden muss. In diesem Sinne ist die weibliche Libido ein im Weiblichen ruhendes Feuer, das vom Männlichen in Bewegung gesetzt wird. Nach Neumann wurde die Feuererzeugung in vielen Mythologien als sexueller Akt aufgefasst, bei dem das Feuer aus der Frau „geboren“ wird. Es tritt auch als verderbliche Macht auf, die das Männliche verbrennt.

 

Dem weiblichen Erdfeuer gegenüber stehen die Lichtsöhne als Sterne und Sonne. Sie befruchten das mütterliche Dunkel, aus dem sie entstanden sind. Der matriarchale Mutter-Sohn-Inzest vollzieht sich aber auch auf geistiger Ebene, denn Feuer und Licht sind ebenso geistige Symbole, die heute noch im katholischen Ritus auftauchen. Das Mysterium des Mutter-Sohn-Inzestes bildet den Hintergrund jeder geistigen Erfahrung der Frau, da sie „im zeugenden Licht immer den Sohn erkennt“ (Neumann). Diese kreative Bedeutung des göttlichen Sohnes zieht sich durch alle Mythen, bis hin zu Christus, dem Bräutigam seiner Mutter, der Maria-Kirche.

 

Die Geburt des Lichtsohnes, ob Horus, Osiris, Helios oder Dionysos, wurde stets am Tag der Wintersonnenwende gefeiert. Dieser Tag, an dem die Sonne von der Großen Mutter geboren wird, steht im Zentrum aller matriarchalen Mysterien. Die ältesten Darstellungen der Muttergottheit mit dem Sohn auf dem Schoß zeigen immer eine hinter der Mutter stehende Tochter. Die gebärende Jungfrau (die Mutter-Tochter-Einheit) wird schon früh mit der Ähre dargestellt, die das himmlische Sterngold symbolisiert. Die Geburt des Lichtsohnes, der den Geist repräsentiert, ist eine außernatürliche Geburt nach einer transpersonalen Empfängnis durch den Geist.

 

In vielen Mythen ist der Raub und die Tötung eines Mädchens eine Fruchtbarkeitsgarantie. Eine mythische Frau muss sterben, damit aus ihren toten Gliedern die Feldfrüchte sprießen können. Das ist die Grundlage des matriarchalen Königinnenrituals, in dem das Weibliche sich für die Fruchtbarkeit der Welt opferte. Im Demeter-Kult wurde das königliche Jahrespaar, der Hierophant und die Demeter-Priesterin, in einer Todeshochzeit gemeinsam getötet. Später wurde die Priesterin bzw. Königin als Repräsentantin der Großen Mutter nicht mehr geopfert, sondern nur ihr männlicher Partner, der jedes Jahr wechselte.

 

Der Höhepunkt der Eleusinischen Mysterien liegt darin, dass nach dem Trauern, Suchen, Irren und der Angst des Sterbens mit einem Gongschlag das Totenreich aufbricht, und Persephone aus der Unterwelt gerufen wird. Nach völliger Dunkelheit flammt plötzlich ein Meer von Fackeln auf, und der Ruf ertönt: Die Göttin hat ein heiliges Kind geboren. Dieses Kind ist identisch mit dem Zentrum des Labyrinths, mit der Schau des Heiligtums oder der goldenen Ähre. Die Todeshochzeit, Wiederfindung und Geburt entsprechen der weiblichen Wandlung vom Mädchen zur Frau. Der Tod des Mädchens mündet in die Geburt des Sohnes, des Lichtes und des Geistes.

 

Nachdem sich das Tochterprinzip mit dem Mutterprinzip vereinigt hat und den Bestand des Lebens auf der Erde garantiert, fehlt noch der dritte Aspekt zum Wandel des Weiblichen zum ewigen Licht: Die Vereinigung mit der weiblichen Geistseite, der Sophia. Daraus resultiert die unsterbliche Große Göttin der drei Welten: der Erde, der Unterwelt und des Himmels. Im Gegensatz zur männlichen Erleuchtung, die nur den Kopf betrifft und als Krönung oder Heiligenschein dargestellt wird, ist das Weibliche imstande, das Licht und den Geist zu gebären. Damit vollbringt es das Wunder, etwas völlig Andersartiges zu erschaffen (Neumann).

 

Das Entzücken der Frauen betrifft auch die eigene Auferstehung aus der Unterwelt ins Licht. Diese weibliche Lichtseite repräsentiert die Sophia. Als höchste Entfaltung der weiblichen Weisheit ist sie die Überhöhung der Mutter-Tochter-Doppelheit und damit die höchste Essenz, zu der sich das Leben wandeln kann. Im patriarchal-christlichen Raum wurde die Sophia von der männlichen Gottheit an die letzte Stelle zurück gedrängt. Dennoch überlebte sie in Philosophie, Kunst und Dichtung. Obwohl das Christentum immer um ihre Unterdrückung bemüht war, hat sich die weibliche Symbolik als Gefäß noch im Gral und im Abendmahlskelch erhalten.

 

Das Tauchbad der Taufe symbolisiert eine Rückkehr in den weiblichen Uterus, in das Ur-Ei des Anfangs. Dieses Ur-Ei ist das Ursprungssymbol der matriarchalen Welt. In ihm ist das All enthalten: das Chaos, die Materie und der Geist als Taube, die aus dem Ei schlüpft. Sie ist der Vogel der Großen Mutter und später der Heilige Geist. Auch die Schlange symbolisiert den Geist sowie den Sündenfall im Paradies, der zum Bewusstsein führte. Als Doppelschlange vereint sie alle Gegensätze in sich, und in Verbindung mit dem Äskulapstab steht sie noch heute im Dienst der Heilung.

 

Die tiefenpsychologische Forschung hat gezeigt, dass das Bewusstsein ein Sohn des Unbewussten ist, und dass die Entwicklung der Menschheit als Ganzes sowie der einzelnen Person in Abhängigkeit von den Geistkräften verläuft, die im Unbewussten schlummern. Das gilt für den modernen Menschen ebenso wie für den ursprünglichen. Das Unbewusste enthält eine nährende, schützende weibliche Kraft, die als tiefe Weisheit erlösend und richtunggebend wirkt und der männlichen Weisheit des Tagesbewusstseins unendlich überlegen ist (Neumann).

 

Es ist eine liebende Bezogenheit, mit der das Unbewusste reagiert, auf individuelle Probleme antwortet und die Seele rettet. Sophia ist eine mitfühlende, immer gegenwärtige und dauernd anrufbare Göttin; kein Gott, der in numinoser Ferne und vollkommener Abgetrenntheit für die Menschen unerreichbar ist. Die Geist-Mutter Sophia verströmt Nahrung und Weisheit zugleich. In der jüdisch-christlichen Entwicklung des Abendlandes wurde die weibliche Weisheitsfigur entthront und unterdrückt. Doch überlebte die Große Mutter in der Gestalt der Hexe, kehrte in der Renaissance als Madonna zurück und stieg in der Moderne wieder auf (Neumann).

 

In ihrem Mysterium erweisen sich Gott-Vater und Sohn, die sonst als himmlische Herren die erniedrigte Weiblichkeit nur gnadenweise zu sich erheben, als in ihr enthalten. Sie sind Inhalte ihres alles bergenden Leibes. In der christlichen Figur der „Anna-Selbdritt“ finden wir die mythische Einheit der Frauengruppe von Mutter, Tochter und Kind wieder: Sie enthält Demeter, Persephone und den göttlichen Sohn. Anna repräsentiert die Große Mutter, die in ihren Armen die Madonna mit ihrem Sohn hält.

 

In der abendländischen Entwicklung hat das patriarchale Moment das matriarchale immer überdeckt und fast ausgelöscht. Doch im asiatischen Bereich erwies sich die matriarchale Grundstruktur als so stark, dass sie die patriarchale Überlagerung relativierte und teilweise wieder rückgängig machte. Das lässt sich im Hinduismus ebenso nachweisen wie im abstrakten und naturfeindlichen Buddhismus. In Indien hat sich die Große Mutter ihren Platz als Großes Rundes zurück erobert. In Tibet symbolisiert die „weiße Tara“ die höchste Form der Geistvollendung.

 

Am Anfang steht die Vorzeitgöttin in der Dumpfheit ihres Elementarcharakters, am Ende die Tara mit dem sich öffnenden Lotos der seelischen Entfaltung, den sie der Welt schenkt. Mit ihren halb geschlossenen Augen ist sie der inneren Welt zugewandt, ein Bild des ewig erlösenden weiblichen Geistes (Neumann). Den Wipfel eines Trimurti-Baumes bildet der stolze und machtvolle Sonnenlöwe. Es ist der aus Tara geborene männliche Geist. Über ihm thront jedoch die Muttergöttin, umflammt von einer Gloriole des Geistkreises als Sinnbild der höchsten Erkenntnis.

 

Vom Großen Runden über die Herrin der Pflanzen und Tiere bis schließlich zur Geistgebärenden und nährenden Sophia offenbaren sich die Stufen der Selbstentfaltung des weiblichen Wesens seit der frühgeschichtlichen Welt. Gleichzeitig erscheinen sie in der lebendigen Wirklichkeit der modernen Frau, in ihren Träumen und Visionen, ihren Beziehungen und Persönlichkeitswandlungen. Die Große Göttin ist die Inkarnation des weiblichen Selbst, die Hintergrundmacht, welche auch heute noch die Seelengeschichte der modernen Menschen, besonders der Frauen, bestimmt.

 

Erdkröte und Sonnengott

 

In Mittel- und Südamerika entwickelte sich der Symbolbereich des „furchtbaren Weiblichen“ unabhängig von der Alten Welt. Trotzdem bestehen nach Erich Neumann „frappante Übereinstimmungen“ in den Ausprägungen. In Mexiko wurde die matriarchale Mondmythologie fast völlig von der männlichen Sonnenmythologie überlagert. In Peru wurde sie erst spät von der patriarchalen Inkakultur überdeckt. Dort trug jetzt ein Mondheld die Schlangen als Zeichen der Mondsichel, während in der kretischen Kultur die Doppelaxt von der Göttin getragen wurde.

 

Die Erdkröte war in Peru das Symbol der negativen Natur der Großen Göttin, die blutige Opfer forderte. Entsprechend ging es bei den Initiationsriten der Knaben immer um die Einweihung in die vom Weiblichen gebildeten Gefahren. Ebenso wie in der Alten Welt wurde auch hier die aufstrebende Bewusstseinsentwicklung mit dem Männlichen, und die rückschlingende Gefahr des Unbewussten mit dem Weiblichen identifiziert, daher war die Verteilung der Rollen gegeben. Sie bestimmte die soziale und religiöse Stellung der Geschlechter.

 

Die Unterwelt entsprach dem weiblichen Leib, der als Gefäß gedacht wurde, das die Lebewesen einsaugt und vernichtet, sie dann wandelt, neu aufbaut und wieder gebiert. Während die mexikanische Erdgöttin den Sonnenhelden verschluckte, galt die Nachtgöttin als Sonnengebärerin, ähnlich der Gorgo des Mittelmeerraums. Eine Variante des weiblichen Todesgefäßes war die Blutschale Mexikos, in der die den Opfern herausgerissenen Herzen der (männlichen) Sonne dargeboten wurden. Krebs, Schnecke und Schildkröte waren die Symbole des sich im Dunkel verbergenden weiblichen Mondes.

 

Die Urgötter der Maya wurden als doppelgeschlechtlich angesehen. Am Anfang stand das Götterpaar „Herr und Herrin unseres Fleisches“ im dreizehnten und obersten Himmel, wobei der männliche Teil mit Himmel und Feuer, der weibliche mit Erde und Wasser assoziiert wurde. In den nordamerikanischen Mythen liegt der Vater-Himmel auf der Mutter-Erde. Die furchtbare Große Mutter mit ihrem Jünglingssohn spielte als Maismutter in Mexiko eine überragende Rolle. Sie war die Göttin der Wollust und Sünde, aber auch die große Gebärerin und Erneuerin der Vegetation (Nahrung) sowie die Göttin des Todes und der Unterwelt.

 

Ihr männlicher Begleiter war der Jaguar, ein Gott der fressenden Dunkelheit. In einem Urmythos trennte er die Erde vom Nachthimmel, indem er die Erdgöttin in zwei Hälften zerriss: in Himmel und Erde. Die zerrissene Erdgöttin schrie manchmal in der Nacht und verlangte nach Menschenherzen. Sie wollte nicht eher Früchte tragen, bis sie mit Menschenblut getränkt war. Der Feind der dunklen Macht des Jaguars war der Adler, ein Symbol der strahlenden Sonne. Die beiden trugen mythische Kämpfe zwischen Licht und Finsternis aus, bei denen der Sonnengott jeden Abend im Westen vom Erdungeheuer verschluckt wurde. Der östliche Sonnenaufgang zeugte dann vom Sieg des Helden.

 

Das Weltbild der Azteken war dadurch charakterisiert, dass hinter allem Lebendigen eine dunkle Unheilsmacht lauerte. Jede der vier Weltzeiten endete mit einer furchtbaren Katastrophe. Auch das Ende jedes Kalenderabschnitts von 52 Jahren war ein unheilvoller Zeitpunkt, an dem das Weltende erwartet wurde. An ihm wurden alle Feuer gelöscht und alle Geräte zerstört. Nach der glücklichen Überwindung dieses Gefahrenpunktes wurde Neujahr mit orgiastischem Jubel gefeiert und „das Feuer neu gebohrt“, was dem Sexualakt entspricht (Neumann).

 

Trotz der patriarchalen Überlagerung entdeckte Neumann häufig, dass die alten Frauen die inneren Angelegenheiten des Stammes regelten, während die Kriegsführer die äußeren lenkten, wie es auch in Nordamerika der Fall war. Das entspricht für ihn der ursprünglichen matriarchalen Situation, in der die Frauen- und Kindergruppen von alten Frauen geleitet wurden, während der kämpfende und jagende Männerbund vom Kriegerhäuptling beherrscht wurde. Auch die Krieger standen ursprünglich im Dienst der weiblichen Gottheit, um ihr Blutopfer zu bringen.

 

Die gesamte aztekische Politik diente der Kriegsführung, um Kriegsgefangene zu erbeuten, deren Opferung dem Kult des „Schlangenweibes“ diente, das nur mit Blutopfern befriedigt werden konnte und nur so seine Fruchtbarkeit hergab. Aus dem lebenden Körper der Geopferten wurden die Herzen herausgebrochen und der (männlichen) Sonne dargebracht, begleitet von Tänzen und Gladiatorenkämpfen. Diese grausamen Riten garantierten die Fruchtbarkeit der Erde und stärkten das männliche Sonnenbewusstsein.

 

Zum Bereich des furchtbaren Weiblichen gehörten die Nacht, der Abgrund, das Meer, die Wassertiefe, die Schlange, der Drache sowie der aufreißende Erdschoß. Auch die Gefahr des einbrechenden Wassers wurde mit dem negativen Unbewussten assoziiert. Die Göttin des Mondes war gleichzeitig die Göttin der Verderben bringenden Fluten und der Überschwemmungen. Der Brunnen ist nach Neumann überhaupt ein universelles Uterus-Symbol des Weiblichen, das Bäche und Ströme aus seinem Erdschoß gebiert.

 

Blutopfer und Zerstückelung befruchteten den Schoß der Erde, wobei die Stücke des Opfers feierlich auf die Felder verteilt wurden. Es wurde als Notwendigkeit betrachtet, das (weibliche) Leben durch Blut, Tod und Leichen zum Wiederaufsprießen zu bringen. Der Sohn der fruchtbaren Maisgöttin wurde meist phallisch dargestellt, oft auch als Obsidianmesser, bevor er unter dem Mond zerstückelt wurde. Die notwendige Durchgangsphase vom Tod zur Wiedergeburt bestand aus der Vernichtung des Lichtgottes, seiner Unterweltfahrt und der Geburt des neuen Tages.

 

Der Kult der Großen Mutter und der Opferung ihres Sohnes, der gleichzeitig ihr Befruchter war, bestand in der Jünglingszerstückelung oder Kastration des Maissohnes. Es war ein notwendiges Selbstopfer des Mondhelden, das zur Wiedergeburt führte. Auch Krieger wurden der Großen Göttin geopfert, wobei das Begatten und das Getötet-werden als synonym galten. Die Geopferten waren immer mit den Göttern identisch. In noch älteren Zeiten wurden in Fruchtbarkeitszeremonien die Töchter geopfert.

 

In Mexiko waren Frauen- und Mädchenopfer üblich. Jedes Jahr wurde ein junges Mädchen als Maisgöttin enthauptet. Die begleitenden Tänze und Scheingefechte ähnelten stark den Hochzeitsbräuchen, deren Grundlage die Hochzeit der Großen Mutter mit ihrem Sohn bildete. Der geopferte Sohn-Gott wurde mit der Haut des Maismädchens bekleidet, deren Tod auf diese Weise zur Geburt eines neuen Maissohnes führte. Im Mantel ihrer Haut vollzog sich sinnbildlich die Schwangerschaft und der Wandel des Weiblichen ins Männliche, das sich aus dem Blut des Opfers speiste.

 

Mutter und Sohn waren in diesem Fruchtbarkeitsmysterium identisch. Der Opfertod eines Gefangenen, der mit Scheinwaffen ausgestattet gegen voll bewaffnete Krieger antreten musste, war ebenso ehrenhaft wie der Tod einer Mutter im Kindbett. Auch sie galt als Heldin und geopferte Kriegerin, indem sie das sterbende weibliche und das sich erneuernde männliche Prinzip repräsentierte. Das Herausreißen des Herzens stand für das Aufbrechen des Maises. Der Verlauf der Sonne am Himmel symbolisierte den aufsteigenden Adler, von dessen Flug die Existenz der Welt abhing.

 

Der Sonnengott als Jünglingsgeliebter der Großen Mutter wurde auch als Türkisprinz bezeichnet. Er war der Gott des Morgens, der Zeugung und der Lebensmittel, ein typischer Liebes- und Vegetationsgott. Als Blumenprinz wurde er phallisch dargestellt und trug einen Stab mit aufgespießten Herzen, ähnlich dem Eros-Amor der Alten Welt. Er war der Geliebte der aztekischen Madonna, die ihn auch als Kind auf dem Arm trug. Urmutter und Jungfrau waren hier identisch. Die Mondjungfrau war die Göttin der Liebesfreuden, der Tänze und Gesänge, der Kunst, des Spinnens und Webens sowie die Patronin der Freudenmädchen.

 

Auch in Mexiko wurde die archetypische Hochzeit der Großen Mutter mit dem Sohn gefeiert, der als Licht-, Mais- oder Blumengott auftrat. Oft erschien neben der Muttergottheit eine jüngere, mit der Mutter identische Tochtergottheit. Die Mutter-Tochter-Maisgöttin besitzt deutliche Parallelen zur griechischen Demeter-Persephone-Mythologie. Diese Mutter-Tochter-Dualität des großen Weiblichen findet sich schon in den voraztekischen Tonfiguren. Im Frühling war der Blumengott der Geliebte der jungen Göttin; im Winter trat der Sohngott im Ballspiel gegen die alte Erdgöttin an.

 

Dann siegte die junge Frühlingsmacht über die alte Seite der Erdmutter. Ziel des Ballspiels war es, den Ball durch das Loch eines Steinringes zu treiben, was mit dem Geschlechtsakt gleichgesetzt wurde. Mutterinzest gehörte immer zum Wesen des Heldenmythos, wenn im Matriarchat der Jünglingsgeliebte der Großen Mutter erlag (Erich Neumann). Er wurde dann anerkennend als großer Ehebrecher sowie als Stier seiner Mutter tituliert. Des weiteren wurde ihm ein früher ehrenhafter Tod prophezeit.

 

Es gehörte zum sterbenden männlichen Prinzip, dass nicht nur der jugendliche phallische Adonis-Sohn, sondern auch der reife Krieger von der furchtbaren Mutter umgebracht wurde. Der aztekische Sonnen- und Kriegsgott wurde oft als geflügelte Schlange dargestellt. In dieser Form wurde er von einer Jungfrau-Mutter geboren, die ihn durch einen Federball vom Himmel empfangen hatte. Seine Aufgabe war es, als Befruchter und Kriegsführer möglichst viele Gefangene zu erbeuten, deren Opferblut die Fruchtbarkeit der Welt garantieren sollte.

 

Der Sohngeliebte war auch hier ein getöteter, gegessener und wieder auferstandener Korn- oder Maisgott. An seinem Fest wurden Brote aus dem Blut geopferter Kinder geknetet und feierlich verzehrt. Doch hinter dem Lichthelden lauerte immer die Welt der furchtbaren Mutter. Fruchtbarkeit, Phallusopfer, Kastration und Blut gehörten zum Symbolzusammenhang des Großen Weiblichen mit dem Sohn. In dieser Weltanschauung war jeder geborene Mann ein Krieger und ein Opfer, vom Weiblichen zum Opfern geboren.

 

Im Herausbrechen des Herzens sowie in der Kastration und Verstümmelung verkörperte der sterbende Gefangene das weibliche Prinzip des Gebärens. In der Haut der toten Maisjungfrau wandelte sich das Männliche zum Weiblichen. Als Höhepunkt dieser Entwicklung bezeichnet Neumann die Sakralformel „Ich und der Vater sind Eins“, nach der die symbolische Tötung der Großen Mutter vollzogen wurde, wodurch das Individuum sich von der Herrschaft des Großen Weiblichen befreite. Die Autonomie des Geist-Sonnen-Prinzips wurde vom himmlischen Vater unterstützt.

 

Das Lichtfeuer des Bewusstseins besiegte immer das Wasser des Unbewussten. Der Sonnen- und Windgott musste sterben, um mit seinem Opfer die Welt zu befruchten. Die Parallelen zur christlichen Religion sind unübersehbar. Aber im aztekischen Mythos starb er als verführter, besiegter und fliehender Gott, überwältigt von dämonischen Urkräften und gestraft mit dem Verlust des Paradieses, weil er im Rausch die Sünde des unbotmäßigen Geschlechtsgenusses begangen hatte.

 

Das war die schicksalhafte Sünde des Sohngeliebten, zu der ihn die Große Mutter und Verführerin verlockt hatte. Er war der Dämonie der Muttergöttin verfallen, die schuld an allem war und auch als Hure bezeichnet wurde. Durch ihre Verführung regredierte er vom Blumenprinzen zum Sohngeliebten, welcher der Macht der Großen Mutter nicht gewachsen war. Ebenso wie bei der „Rausch bringenden Schwester-Geliebten“ erwies sich wieder einmal das Weibliche stärker als das Männliche (Neumann).

 

Das furchtbare Weibliche

 

Nach Erich Neumann erlebt der Mann das Weibliche als provozierend und ist von ihm entweder fasziniert oder abgestoßen. Das Wesen des Weiblichen erfährt er nicht von den Frauen selbst, sondern durch seine eigene Anima, die „vom schlafenden Dornröschen bis zur gebärenden und nährenden Mutter“ alle Formen annehmen kann. Seine Aufgabe besteht darin, sie aus dem Mutterarchetyp zu lösen. Die Große Mutter ist in letzter Linie die Erde, deren Stelle „das irdische Weib“ in der ganzen Reihenfolge der Mütter und Töchter vertritt. Die Sonne dagegen repräsentiert das männliche Bewusstsein und das Patriarchat (Neumann).

 

Die Stufen der (männlichen) Bewusstwerdung gehen vom völligen Enthaltensein im Unbewussten über die Erfahrung des archetypischen Weiblichen bis zur Großen Mutter, dann zur eigenen Anima und schließlich zum Ich, zur Welt und ihren Personen. Das Verhalten der weiblichen Gruppe erkennt Neumann als die Grundlage des sozialen Lebens an und damit der menschlichen Kultur überhaupt. Während die Anfänge des Matriarchats im Dämmer der Vorgeschichte verschwimmen, „tritt uns sein Ende in großartiger Entfaltung entgegen“: Es wird von der patriarchalen Welt abgelöst, in welcher der Archetyp des Großen Vaters die Herrschaft übernimmt.

 

Kultbedeutung und Herrschaft des Matriarchalen sind für Neumann unbestritten. Die künstlerischen Darstellungen der Großen Mutter reichen in überwältigender Fülle von Sibirien bis zu den Pyrenäen. In der Steinzeit kommen auf fünfundfünfzig weibliche nur fünf männliche Figuren, meist Jünglinge, denen wegen ihrer schlechten Bearbeitung zweifellos keine kultische Bedeutung zukommt. Die männliche Gottheit tritt erst spät auf und erhält ihre Würde als Sohngottheit sekundär von der Muttergottheit. Es besteht auch eine Abhängigkeit der männlichen Sexualität von der im Unbewussten wirkenden weiblichen.

 

Das Weibliche wird oft auf der Erde sitzend dargestellt, mit der es eng verbunden ist. Wenn die Figur erhöht sitzt, ist es eine Göttin oder Königin. Ihr Schoß ist ein Thron, auf dem das Kind thront. Der König kommt zur Macht, indem er den Thron besteigt. Auch er bleibt das Kind der Großen Muttergöttin. Ein Relikt des Throns ist der mütterlich aufnehmende Lehnstuhl mit seinen Armen, Beinen und dem Rücken. Alternativ sitzt die Erdgöttin auf einem Berg und wird von Jünglingen angebetet. Dort verbindet sich der herabsteigende männliche Himmels-, Blitz- und Donnergott mit ihr. Stellvertretend empfängt ihre Priesterin ihn in einer Kapelle.

 

In archaischen Darstellungen besitzt der weibliche Körper hauptsächlich den Charakter eines Gefäßes, daneben werden auch das Geschlechtsdreieck, die Gesäßpartie und die Brüste betont. Die häufige Körperbemalung bezeichnet Neumann als Ornamentierung und Tätowierung, während Göttner-Abendroth sie als Schrift identifiziert hat. Sie besteht aus Grundsymbolen wie Spirale, Kreuz, Kreis oder Welle. Auf afrikanischen paläolithischen Bildern sind die weiblichen Figuren erheblich größer als die männlichen. In späteren Darstellungen wendet sich das Antlitz der Mutter einem Männlichen zu: dem auf ihrem Schoß sitzenden Sohn. Aber ihre Zärtlichkeit gilt nicht mehr dem Kind, sondern dem Sohn-Geliebten.

 

In vielen Zeichnungen wird der weibliche Schoß mit gespreizten Beinen dargestellt, denn die Geburtsbeschwörung war ein heiliges Ritual. Wir sind von patriarchalen Religionen her gewohnt, einen männlichen Gott als Schöpfer anzusehen. Aber die darunter liegende Bewusstseinsschicht enthält immer ein weibliches schöpferisches Wesen. Im Patriarchat ist die große Göttin zur Liebesgöttin geworden und die Macht des Weiblichen auf die Sexualität reduziert worden. Die Begleiterinnen der Göttin sind nicht mehr männlich-phallische Schlangen, die ihren Schoß umzüngeln, sondern Eroten in Kindergestalt.

 

Später wird das Weibliche berückend, verführerisch und orgiastisch dargestellt. Dort beginnt sein zweideutiger Charakter für das Ich des „Menschen“ (Neumann meint den Mann), wenn die allzu große Macht und Faszination bewusstseinsauflösend wirken und deshalb vom „Menschen“ als negativ und destruktiv erfahren werden. Das Weibliche enthält dann dämonisch Negatives und lustvoll Grausames an sich, sagt Neumann und verschweigt wieder einmal, wie das Weibliche sich selbst empfindet.

 

Die negative Seite des Großen Weiblichen entstammt der Innenerfahrung (des Mannes) und bedeutet Angst und Grauen. Die Phasen der Bewusstseinsentwicklung entsprechen dem Kampf des männlichen Helden gegen die Große Mutter bzw. der Auseinandersetzung zwischen dem Weiblich-Mütterlichen und dem Männlich-Geborenen. Das gilt für die gesamte mann-weibliche Menschheit, denn „auch die Frau hat ein männliches Bewusstsein“ entwickelt. Die Nachtseite der furchtbaren Mutter besteht aus Ungeheuern, sei es in Ägypten oder Indien, Mexiko oder Etrurien, Bali oder Rom. Der Mensch erfährt Tod, Abgrund, Gefahr, Not und Schutzlosigkeit als Preisgegebensein an die furchtbare Mutter.

 

Neben dem zu befruchtenden Schoß der schützenden Höhle klafft der Abgrund und die Hölle, das dunkle Loch der Tiefe, der fressende Schoß des Grabes und des Todes, der lichtlosen Dunkelheit und des Nichts. Dieses Weib ist die alles fressende und in sich einschlingende Göttin, die ihre Opfer jagt und mit Schlinge und Netz einfängt. Es ist verantwortlich für Krankheit, Hunger und Not, vor allem aber für den Krieg (!), denn nicht umsonst seien die Kriegs- und Jagdgöttinnen aller Völker ein Ausdruck des blutfordernden Weiblichen, das die eigenen Kinder frisst und sich mit ihren Leichen mästet (Neumann).

 

In Indien repräsentiert die Totengöttin Kali als „Herrin der Schädelstätte“ die alles verschlingende Zeit. Ihr Tempel gleicht einem Schlachthaus, denn täglich fordert sie bis zu achthundert Ziegen als Blutopfer. Kali wird in „grausiger Hockstellung“ und Vielarmigkeit dargestellt, während sie Eingeweide frisst. Aber immer sind mit dem Tod und Untergang der Menschen auf eine hintergründige Weise das Leben und die Geburt verbunden. Die Wiedergeburt ist auch eine „Geburt zum Höheren“, ein Aufstieg in den Himmel als Stern, Seliger oder Unsterblicher. Doch wenn die Große Göttin zornig ist, kann sie den Schoß alles Lebendigen verschließen, wie Demeter oder Ischtar, Hathor oder Hekate, und alles Leben steht still.

 

In Ägypten garantierte die Osiris-Horus-Religion ursprünglich nur der Seele das Pharao die Wiedergeburt und den Aufstieg. Das furchtbare Weibliche repräsentiert das gefährliche Totenland, die Unterwelt, durch die der Sonnengott oder der Held in der archetypischen Nacht-Meer-Fahrt hindurch muss, um zu einem höheren Dasein aufzusteigen. Die (männlich-göttliche) Sonne sinkt im Westen und geht dort sterbend in den Schoß der sie verschlingenden Unterwelt ein. Deshalb ist „die zerreißende Alte im Westen“ das Hexenbild des furchtbaren Weiblichen (Neumann).

 

Das Bestattungs-Gefäß, das den Toten wie ein Kind in der Embryonalhaltung in sich aufnimmt, gehört ebenfalls zur Symbolik des Weiblichen. Die Totengöttin umarmt den Toten in seinem Gefäß. Neben der Höhle und dem Gefäß-Leib ist auch das Tor eines Dolmens mit dem Prinzip der Wiedergeburt durch den weiblichen Schoß verbunden. Hier ist die Erde die furchtbare Todesgottheit, in der alles Lebendige verwest. Die Totengöttin ist tötend und fressend, sie zerstückelt Leichen und wird auch als leichenfressende Krähe dargestellt. Ihre germanischen Repräsentantinnen sind die Walküren, die dem Helden den Tod bringen.

 

Das furchtbare Weibliche bringt dem Leib Fäulnis und Verwesung. Der Todesschoß wird oft als Nachtsonne dargestellt. Die griechische Skylla ist der verschlingende Meeresstrudel, der, wie so viele verderbliche Frauengestalten, oben ein schönes Weib ist, aber ihren Schoß bilden drei Unterwelthunde. Die Todesgöttin Gorgo bringt Versteinerung und Verkalkung. Ihre Begleiter, die Gorgonen, sind geflügelte und schlangenhaarige Ungeheuer. Gorgo würgt Tiere und nimmt mit gespreizten Beinen „eine exhibitionistische Haltung“ ein. Im Germanischen ist die Unterweltgöttin Hel der gähnende Schlund, der unersättlich die sterblichen Menschen verschlingt.

 

Auch die christliche Hölle ist eine saugende Gewalt, die den Mann (das Bewusstsein) in sich hinein lockt, und der sich nur ein Held entziehen kann. Neumann verweist auf den sprachlichen Zusammenhang der Ausdrücke Gähnen, Schlund, Spalte, Verlangen, Wollust, Leben und Gier. Der gierig gähnende Charakter des Schlundes ist mit dem sexuell gierigen Schoß identisch, der den Phallus in sich tötet, um zu seiner Befriedigung und Befruchtung zu gelangen. Die tiefste Erfahrung des Lebens und die „menschliche Angst“ sind hier zu einer archetypischen Einheit verbunden, behauptet Neumann und vergisst wieder einmal die Frauen.

 

Ein unreifes Männliches erfährt das Weibliche als kastrierend und Phallus mordend sowie als gähnenden Wolfsrachen. Die Projektion der eigenen männlichen Begierde und die eigene Tendenz zum Inzest verstärkt den Grauencharakter des Weiblichen. So gehört zur furchtbaren Göttin immer die Wollust und die Verführung zur Sünde. Auch die männliche Destruktivität führt Neumann auf das Weibliche zurück: Im Matriarchat vertritt der Mutterbruder den Autoritäts- und Strafkomplex der Gesellschaft und repräsentiert damit die matriarchale männliche Seite, behauptet er.

 

Auch in den melanesischen Riten geht es immer darum, das männliche Licht-, Sonnen- und Bewusstseins-Prinzip, mit dem sich die Männergruppe identifiziert, gegenüber der vernichtenden Gewalt des weiblich-negativen Ungeheuers durchzusetzen. Im Kampf gegen die Saugkraft des zur Regression verlockenden Unbewussten, welches die furchtbare Seite des Weiblichen ist, schwingt sich der männliche Geist höher und höher.

 

Es gibt keine Bewusstheit ohne die Unterscheidung von Gegensätzen. Das ist das Vaterprinzip des Logos, der sich im Kampf gegen das Chaos dem mütterlichen Schoß und damit der Unbewusstheit entwindet. In der Sprache der Archetypen strebt die göttliche Neugier nach der Geburt und scheut dabei keinen Konflikt. Unbewusstheit ist die Ursünde, das Böse schlechthin für den Logos. Seine weltschöpferische Befreiungstat ist der Muttermord, und der Geist, der sich in alle Höhen und Tiefen gewagt hat, muss schließlich die göttlichen Strafen erleiden (Romankiewicz).

 

 

Birgit Sonnek

 

März 2012

 

 

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